Und die Welt steht still, hier im Hinterwald – Teil 2: Rügen

Und die Welt steht still, hier im Hinterwald – Teil 2: Rügen

So soll es laut Silbermond an der B96 in Sachsen sein, und so scheint es auch hier, im Norden der B96. Mecklenburg-Vorpommern ist eine einsame, alte, eingeschlafene Gegend, aber keinesfalls leer und tot. MV ist reich an Kultur und Geschichte, an ruhigen weiten Feldern, stürmischen Küsten und tiefen Wäldern. Zahlreiche Ideen für Ausflugsziele für alle, die eine Auszeit vom Unialltag brauchen und denen langsam die Prokrastinationsmöglichkeiten ausgehen.

Wenn die Tage sonniger werden und die Temperaturen steigen, wenn der Unistress vergessen werden soll und man an einem Wochenende einmal wirklich freimachen kann, dann ist es Zeit für einen Ausflug. Rügen ist bei den Deutschen Urlaubsort Nummer eins, aber genauso lohnt es sich, die Insel nur für einen eintägigen Kurztrip zu besuchen. Durch die Rotbuchenwälder spazieren, Eis essen in Bergen, abends rüber fahren nach Ummanz, um dort am Strand die Sonne direkt vor sich untergehen zu sehen. Rügen steht für Natur und Kultur, kleine Dörfer und Städte voller Tradition und eine weit zurückreichende, bedeutende Geschichte.

In einem ersten Teil wollen wir euch bereits einige der Orte zeigen, bei denen sich ein Besuch durchaus lohnen könnte. Natürlich bleibt es nicht dabei. Rügen ist zu groß und zu abwechslungsreich, um alles auf einmal vorzustellen. Darüber hinaus bietet es sich auf Rügen wohl am ehesten an, einfach das Fahrrad mitzunehmen und die Insel selbst zu entdecken. Gerade abseits der Hauptstraßen, über holprige Feldwege hinweg, durch die tiefen Wälder hindurch oder an der Küste entlang, stößt man dabei immer wieder auf Neues und Unerwartetes – kleine Dörfer voller Reetdachhäuser, Wälder, die plötzlich in eine Steilküste münden, Hügel- und Hünengräber verstreut im Land, als Zeugen längst vergangener Kulturen.

Sonnenuntergang auf Ummanz

Anbindung

Tatsächlich ist es relativ simpel und lohnenswert, sich auf Rügen mit dem Fahrrad fortzubewegen. Nicht nur, weil das Fahrrad Flexibilität erlaubt und es wesentlich einfacher macht, spontan an schönen Stellen zu halten, auch wenn gerade keine Parkfläche in der Nähe zu sein scheint. Rügen ist zwar die größte Insel Deutschlands, aber mit rund 51 km Länge und 43 km Breite trotzdem nicht so groß, dass man nicht zumindest von den Bahnhöfen aus das meiste bequem mit dem Fahrrad erreichen kann. Die Hauptzugstrecke auf Rügen führt einmal quer über die Insel, von Stralsund nach Sassnitz. Von Bergen zweigt außerdem die Bahn Richtung Lauterbach ab, von Lietzow gibt es auch eine Strecke Richtung Binz. Wer zu Fuß unterwegs sein möchte, kann auch auf ein gut ausgebautes Busnetz zurückgreifen.

Lietzow

Die bereits erwähnte Gemeinde Lietzow ist aber nicht nur wegen ihres Bahnhofs interessant. Über dem Ort thront ein kleines „Schlösschen“, bei dem es sich eigentlich gar nicht um ein Schloss handelt, sondern um einen Kunstbau, eine kleine Kopie des Schlosses Lichtenstein in Baden-Württemberg. Hübsch ist es trotzdem. Am Fuß des Berges, am Rand von Lietzow, schließen sich erst ein Wald und dahinter eine niedrige Steilküste und das Meer an. Im Sommer kann man hier am steinigen Strand baden gehen, an kühleren Tagen bietet sich das Ufer aber auch einfach nur zum Spazieren an. Popularität erlangte Lietzow aber vor allem durch die mehr als 6000 Jahre alten Werkzeuge und Waffen aus Feuerstein, die hier gefunden wurden. Die Kultur, aus der sie stammen, ist unter Historiker*innen dementsprechend als Lietzow-Kultur bekannt. Die Fundstücke sind nicht einfach nur alt. Sie sind die ältesten Beweise Rügens für eine sesshaft gewordene Gesellschaft, die hier ausreichend Rohstoffe und Nahrung vorfand, um sich niederzulassen und die ersten Siedlungen zu errichten.

Feuersteinfelder bei Neu Mukran

Fährt man von Lietzow aus nach Osten, kommt man schon nach kurzer Zeit zu den Feuersteinfeldern. Mit dem Fahrrad sind sie nur etwa 6 km von Lietzow entfernt, wer mit dem Auto kommt, kann an dem Parkplatz an der Straße zwischen Prora und Neu Mukran halten und muss von dort aus nur noch ein kleines Stück von etwa 2 km zu Fuß durch den Kiefernwald laufen. Die Feuersteine wurden vor etwa 4000 Jahren durch starke Sturmfluten angespült und hier zu gigantischen Wällen aufgetürmt – auf einer Fläche von rund 350 bis zu 2000 Metern sowie mehreren Metern Höhe. Begehbar ist heute nur ein geringer Teil davon, das meiste liegt unter Sand und Kiefern begraben.

Wenn man sich an heißen Tagen vor den Kreuzottern vorsieht, kann man sich hier auf einen wunderschönen Spaziergang freuen, über die schwarz-weißen knirschenden Steine hinweg, durch Wacholder, Heidekraut, Heckenrosen und Obstbäume hindurch. Mit etwas Glück findet man vielleicht sogar einen Hühnergott. Den Steinen wurde früher übrigens wirklich eine gottgleiche Wirkung nachgesagt – man legte sie den Hühnern mit in die Nester, weil man glaubte, die Tiere würden dann gesünder bleiben und mehr Eier legen.

Woorker Berge

Von Lietzow aus in die andere Richtung, nur wenige Kilometer im Westen, liegt Ralswiek. In den 1970er und 80er Jahren wurden bei dem kleinen Dorf vier alte Holzboote aus dem frühen Mittelalter gefunden, die den Beweis für einen aktiven Handel mit den Wikingern liefern. Heute ist Ralswiek vor allem für seine Störtebeker Festspiele bekannt, aber genauso bietet sich die Stadt für einen Spaziergang an – zum Beispiel vom Hafen aus den Hügel hinauf durch den Landschaftspark hindurch, bis man zum Ralswieker Schloss gelangt.

Wer von Ralswiek aus der Straße Richtung Westen folgt, kommt nach etwa 3 km aus dem Wald heraus auf ein Feld, auf dem sich die sogenannten „Woorker Berge“ befinden. Vor allem mit dem Auto sind sie schwer zu finden. Wer sich Woorke von Süden aus nähert, muss darauf achten, am Ort nach links abzubiegen. Nach einem kurzen Weg über eine landwirtschaftlich genutzte Straße aus Steinplatten hinweg, tauchen die Hügel schließlich auf der rechten Seite auf.

Bei den „Woorker Bergen“ handelt es sich nicht wirklich um Berge. Die 14 Hügel sind künstlich aufgeschüttet worden, während der Bronzezeit vor etwa 3500 Jahren, als Begräbnisstätten. Wegen der kostbaren Grabbeigaben wurden viele der Hügelgräber aber schon vor langer Zeit geplündert. Andere wurden abgetragen, um dem Straßennetz oder der Landwirtschaft Platz zu schaffen. Zwar sind auf Rügen noch immer mehrere Hundert Hügelgräber erhalten, diese stehen aber oft so vereinzelt oder sind so sehr von einem Wald verborgen, dass man sie schnell übersehen kann. Hier bei Woorke dominieren sie die Landschaft. Lässt man Auto oder Fahrrad einfach stehen und erkundet zu Fuß die Gegend, steht man – zumindest im Sommer – vor einem beeindruckenden Anblick von gelben Rapsfeldern, aus denen sich hier und dort die bewaldeten Hügel erheben, als lebendige Zeugen vergangener Kulturen.

Bergen auf Rügen

Etwa 10 km südöstlich von Woorke stößt man auf einen richtigen Berg, der einen der wohl schönsten Ausblicke über ganz Rügen bietet. 1875 wurde der hier auf dem Rugard zu Arndts 100. Geburtstag errichtete Ernst-Moritz-Arndt-Turm fertiggestellt. Gegen ein kleines Entgelt von 2 € bzw. 1,50 € für Studierende ist es möglich, den Turm zu besteigen – im Sommer einfach beim Turm selbst, in den kälteren Monaten wird einem der alte, klobige Turmschlüssel auf Nachfrage hin im angrenzenden Hotel überlassen. Die Aussicht ist atemberaubend und reicht von der Kuppel aus und bei gutem Wetter von Stralsund bis zu den Kreidefelsen. Inmitten von Rügen zu stehen und die gesamte Insel überblicken zu können – ein wenig verschafft es einem ein Gefühl davon, wie es sich zu slawischen Zeiten angefühlt haben muss, als hier auf dem Rugard, der Burg der Rygir oder Rugier, noch eine Wallburg stand.

Das älteste noch erhaltene geschichtliche Vermächtnis Bergens ist wohl die Marienkirche. Die slawischen Ranen, die Rügen noch bis zum 12. Jahrhundert beherrschten, konnten erst 1168 endgültig vom Dänenkönig Waldemar I. unterworfen werden. Es gelang den dänischen Truppen dabei nicht nur, die Jaromarsburg am Kap Arkona zu zerstören, sondern auch, die Ranen zur Christianisierung zu drängen. Klöster wie das Kloster in Eldena führten die Missionierungen aus, daneben stiftete Waldemar I. Geld für die Errichtung von insgesamt 12 Kirchen. Mit dem Bau der ersten davon, der Bergener Marienkirche, wurde 1180 begonnen.

Dass die Kirche so alt ist, merkt man ihr beim Betreten sofort an. Der gotische Bau, in den romanische und über die Zeit hinweg auch barocke Elemente eingearbeitet wurden, strahlt eine gewisse Macht und Größe aus, man wird ehrfurchtsvoll und fühlt sich geradezu in die Zeit zurückversetzt. Populär ist die Marienkirche aber nicht unbedingt für ihre imposante Ausstrahlung geworden, sondern vor allem für das Uhrenziffernblatt an der Nordseite – bei einer Restaurierung 1983 wurde hier nämlich anstatt der Löcher für die üblichen 60 Minuten ein 61. Loch gebohrt.

Aber ein Tagesausflug nach Bergen ist auch ganz unabhängig von überschüssigen Minuten keine Zeitverschwendung. Rund um den Marktplatz, der als Parkfläche dient, ragen Giebelfassaden im Historismus und Jugendstil auf, im neben der Marienkirche gelegenen ehemaligen Zisterzienserinnenklosters befindet sich heute ein Stadtmuseum, in dem gegen 2 € Eintritt Exponate aus Rügens Ur- und Frühgeschichte besichtigt werden können. An heißen Sommertagen laden auch die Cafés und Eisdielen der Stadt ein – vielleicht gibt es bei einigen davon sogar ungewöhnliche Schätze zu entdecken, wie eine große Eisenbahnmodellanlage im Hinterhof.

Putbus

Von Bergen aus ist schließlich auch Putbus, eine andere größere Stadt Rügens, nicht mehr allzu weit entfernt – rund 8 km Richtung Süden mit dem Fahrrad bzw. 9 km mit dem Auto. Bis 1815 waren Rügen und Hiddensee noch schwedisch, erst nach dem Wiener Kongress gingen sie an Preußen über. Vielleicht war es dem preußischen Beamtentum geschuldet, dass schon kurze Zeit darauf viele Städte Rügens zu Kurorten ausgebaut wurden. 1816 wird Putbus zum ersten Seebad Rügens. In den darauf folgenden Jahren wurde die Stadt unter Fürst Wilhelm Malte I. zu einer fürstlichen Residenzstadt ausgebaut. Als „Stadt der Rosen“ oder „Weiße Stadt“ bekannt, wurde viel Wert darauf gelegt, Putbus vor allem für vornehme Sommergäste attraktiv zu gestalten.

Eindrucksvoll ist das noch immer am Circus zu erkennen, dem Mittelpunkt der Stadt. Der kreisrund angelegte Platz ist von strahlend weiß gestrichenen Häusern umgeben, vor denen unzählige Rosenbüsche gepflanzt wurden. In symmetrischer Anordnung führen acht Wege auf den Obelisken im Zentrum des Platzes zu, der 1845 errichtet wurde und an den Stadtpromi Fürst Malte I. erinnern soll.

Bereits in Aufzeichnungen aus dem 14. Jahrhundert ist belegt, dass eine Burg in Putbus den Grafen von Putbus als Herrschaftssitz diente. Von der Burg ist heute aber nichts mehr erhalten – sie wurde schon kurz nach 1600 zu einem Schloss umgebaut. Aber auch von dem Schloss ist kaum mehr was übrig – erst wurde es 1865 von einem Feuer zerstört, dann riss man den Neubau nur 100 Jahre später unter der DDR-Regierung ab.

Heute ist von der alten Fürstenresidenz nur noch die Schlossterrasse und der umliegende Schlosspark erhalten, aber ein Besuch lohnt sich trotzdem. Wer sich auf die Suche nach den noch immer im Park verstreut liegenden Zweckbauten macht, kann zum Beispiel das Mausoleum, das Affenhaus oder den Marstall entdecken. Im Affenhaus befindet sich heute ein Puppen- und Spielzeugmuseum, der Marstall wird für Konzerte genutzt. Die Schlosskirche wurde eigentlich als Salon zum Spielen, Tanzen und Feiern für die adlige Gesellschaft errichtet und erst 1891 zur Kirche umgebaut. Die ehemalige Villa Löwenstein wird heute als Rosencafé genutzt, in der Orangerie sind regelmäßig wechselnde Kunstwerke ausgestellt. Von dem Fasanenhaus am Schwanenteich ist nur noch eine Ruine geblieben.

Wer vom Circus aus gesehen den ganzen Park einmal durchquert, kommt am Ende beim Wildgehege heraus. Die etwa 8 Hektar große Anlage bietet seit ihrer Eröffnung 1833 Rot- und Damwild ein Zuhause. Wer nach einem Parkspaziergang noch eine Abendbeschäftigung sucht, kann einen Blick in den Theaterspielplan des Theaters Vorpommern werfen. Und wenn die Sonne danach noch nicht ganz versunken ist, lohnt sich auch ein Ausflug an den nur 3 km entfernten Strand von Neuendorf, um im weichen Sand oder im warmen Wasser entspannt den Tag ausklingen zu lassen.

Bilder: Julia Schlichtkrull, Franziska Schlichtkrull

Mit dem Motorrad durch die Berge Vietnams

Mit dem Motorrad durch die Berge Vietnams

Nun sitze ich in der Stadt Da Lat in Vietnam gemütlich beim Frühstück in meinem Hostel und warte darauf, abgeholt zu werden. Nur zwei Tage zuvor hatte ich einen schweren Busunfall, den ich glücklicherweise unverletzt überstanden habe. Doch brauchte ich danach erst mal eine Pause von den Reisebussen. Die logische Schlussfolgerung lag also auf der Hand: Weiter ging die Reise hinten auf dem Motorrad eines fremden Mannes.

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Ein Nachmittag bei Müll & Meer

Ein Nachmittag bei Müll & Meer

Müll & Meer prangt es auf der Schaufensterscheibe in der Johann-Sebastian-Bach-Straße. Wo seit 1882 eine Glaserei über mehrere Generationen bestand, haben heute zwei Tätowierer ihren Platz gefunden.

Hermann ist von sehr schlanker Statur, ein Hering, wie man hier sagen würde. Wenn man ihn nicht kennt, würde er einem erst einmal nicht auffallen. Er spricht recht leise, schlendert entspannt durch die Gegend und das Einzige, was ihn wirklich auffällig macht, ist der wuschelige Bart zusammen mit der dicken Mütze auf dem Kopf – auch im Sommer. Ich habe ihn in seinen neuen Räumlichkeiten besucht, die er zusammen mit Tilo von „Golden Crown“ Tattoos in der Johann-Sebastian-Bach-Straße bezogen hat. In guter Nachbarschaft zum Gestiefelten Kater und dem Ravic haben wir uns ein wenig unterhalten.

„Mein Lebensziel war ja früher als Kind einen Trabi zu besitzen. Den Wunsch habe ich mir mit 17 Jahren schon erfüllt und dann hatte man kein Lebensziel mehr.“

Hermann erzählt auch gleich drauf los: wie wenig er sich mit der Schule identifizieren konnte, wie er dadurch in der Oberstufe recht schnell unterpunktete und so über Umwege, anstatt auf der zweiten Studienfahrt, in einem Tattoostudio landete. Im Rahmen dieses Praktikums kam es dann auch zu seinem ersten Tattoo, das Logo der beliebten Ost-Cola „Vita Cola“ auf dem Arm. Es folgte ein FSJ und eine Ausbildung zum Grafikdesigner.

Die Arbeit im Grafikdesign-Bereich hat ihm sehr gefallen, jedoch sah er sich in der Branche zu sehr als Dienstleister und weniger als kreativ Schaffender. Um dem vorzubeugen, probierte er bereits in seiner Ausbildungszeit an Freunden und Bekannten herum und formte seinen unverkennbaren Tattoo-Stil. Inspiriert haben ihn dabei russische Knasttattoos, über die es ganze Enzyklopädien gibt, um deren Bedeutung und Wesen zu entschlüsseln. Dazu kam noch ein Oldschool-Einfluss aus den 30er und 40er Jahren der USA, mit „dicken Outlines, klaren Designs, die über Jahrzehnte erkennbar bleiben. Keine mini-verschnörkelten Details“.

Kombiniert wird das dann mit Hermanns individuellem Humor, welcher die Designs sowohl auflockert als auch unverkennbar macht. Bestimmte Elemente, wie Blumen oder Kreise, rahmen die Motive quasi ein. So umgeht er einerseits dem Druck der Masse und kann gleichzeitig seinen Stil ohne Einschränkungen ausleben. Das natürlich auch auf Kosten von potentiell weniger Aufträgen als andere Tätowierer, die ein größeres Kundensegment bedienen.

„Ich habe für mich meine Nische gefunden, die ich bedienen kann, und lasse den anderen ihren Raum.“

Bei der Frage nach dem ökonomischen Druck bzw. ob sich das denn rechnet, schmunzelt er. „Für mich reicht es aus, mehr geht natürlich immer. Ich habe aber wahrscheinlich auch nicht diesen riesig hohen Anspruch an einen Lebensstil. Ich bin damit aufgewachsen, wenig Geld zu haben. Irgendwie kommt man ja doch durchs Leben“. Gerade in den Wintermonaten, wenn dann auch mal Termine ausfallen, schnallt er den Gürtel auch mal enger, wie er es beschreibt.

Anfangs hat er Tattoos oft bei den jeweiligen Kunden zuhause oder anderen, dafür eher ungewöhnlichen Orten gestochen. Irgendwann kam dann jedoch der Kontakt mit Tilo zustande, dessen Studio zu der Zeit noch in Schönwalde I lag und damit etwas abseits. Mit dem neuen Studio in der Innenstadt, welches sehr gut zu erreichen ist und auch ab und an mal Laufkundschaft möglich macht, ist Hermann sehr zufrieden.

Doch Laufkundschaft ist bei ihm ein neuer Trend. Auf der Mehrzahl seiner Kunden konnte er sich bereits verewigen, viele kommen immer wieder. So auch z. B. ein Kunde aus Malaysia, welcher einmal im Jahr in Deutschland zu Besuch ist und dann auch gerne einen Abstecher zu Hermann macht. Oder ein Paar aus Dortmund, welches sich einen gemeinsamen Termin bei ihm hat machen lassen und den Urlaub an der Ostsee dann um ihren Termin geplant haben. Einige sind schon von Anfang an dabei, freuen sich über neue Entwürfe und bleiben ihm treu.
Die Öffentlichkeitsarbeit läuft bei ihm über den Buschfunk und vor allem Instagram. Messen oder größere Veranstaltungen hat er noch nicht im Visier, weil „da versteht mich ja auch keiner, so leise wie ich rede und so viele Menschen wie da sind“, sagt er.

Ich kenne Hermann schon sehr lange, die Lehrer in den Schulgeschichten sind auch mir nur zu gut bekannt und meine beiden Tattoos von ihm waren für uns beide quasi eine Premiere. Umso spannender ist es, seinen Weg bis in die Gegenwart skizzieren zu können – samt eines Happy Ends. Denn gerade Kreativberufe erfordern meist viel Durchsetzungskraft, ein dickes Fell und sehr gute Ideen. Zum Glück hatte Hermann all das und ist nun fester Bestandteil der Greifswalder Tattoo-Szene.

Beitragsbilder: Ole Kracht

Improvisationstheater am Samstag

Improvisationstheater am Samstag

Am ersten Juni ist wie immer Kindertag. Passend dazu lädt uns die Improvisationsgruppe Ma’Ma Ernst vom StuThe Greifswald an diesem Abend um 20 Uhr zu ihrem Stück Kindheitsträume ein.

Aber was ist Improvisationstheater eigentlich? Vergleichen kann man es mit einem normalen Theater. Größter und auch wichtigster Unterschied ist allerdings: Improtheater kommt ohne ein vorher einstudiertes und festgelegtes Theaterstück aus. Das macht es zu einem einzigartigen Erlebnis! Kein Stück ist wie das andere, denn auch das Publikum darf mitten im Geschehen Impulse geben. Manchmal führt eben gerade das zu nicht enden wollenden Lachanfällen.

Für alle Interessierten unter Euch findet das außergewöhnliche Spektakel wie immer im Studententheater in der Franz-Mehring-Straße 48 statt. Für 6 Euro wird einem hier Eintritt gewährt, wobei man als Student*in Glück hat und nur 4 Euro zahlt. Einlass ist bereits ab 19.30 Uhr. Wenn Ihr also Lust auf einen spannenden Abend habt, solltet Ihr das auf keinen Fall verpassen!

Foto von Rob Laughter auf Unsplash

Optisch ein Hochgenuss

Optisch ein Hochgenuss

Antigone eine Theaterrezension, geschrieben von einer Amateurzuschauerin, zur Information von Interessierten und Entrüstung von Theaterliebhaber*innen.

„Wär’ ich doch nie auf Eure Schulen gegangen“ – das Resümee von Haimon, Sohn des Tyrannen und Verlobter Antigones in der Inszenierung von Sophokles Klassiker am Vorpommern Theater, wirkt eher wie eine Feststellung. Zuvor ist er mit seinen goldenen Schuhen über das Bühnenbild gefegt und hat verzweifelt versucht, das Schicksal seiner Verlobten abzuwenden. Symptomatisch für alle Männer des Stücks. Empörung, Wut, Verzweiflung und Resignation.

Das Stück „Antigone“ selbst ist über 2000 Jahre alt und vermutlich den meisten Menschen mit einer humanistischen Bildung mindestens vom Hörensagen bekannt. Der Plot, für alle anderen, ist folgender: Antigone, Tochter des berüchtigten mutteraffinen Ödipus, widersetzt sich der Anweisung von Kreon, Herrscher über die Stadt, ihren Bruder zu beerdigen. Der hat im Vorfeld Krieg gegen Kreon geführt und verloren. Als Strafe für ihren Ungehorsam erwartet Antigone nun das Todesurteil. Das Stück ist eine griechische Tragödie, die Hauptfiguren alle miteinander verbandelt – eigentlich braucht man keine Spoiler, um zu wissen, was passieren wird. Es ist also möglich, die Inszenierung unter ganz anderen Gesichtspunkten zu sehen. Sprache, Darstellung, Ausstattung.

Die Sprache, zur Einordnung, ist mehrheitlich aus einer Übersetzung Sophokles aus dem Altgriechischen von 1917 durch Walter Hasenclever. Leichte Unterhaltung wird durch die Sprache von vorneherein ausgeschlossen. Kann man mögen. Muss man aber nicht. In ihrer Inszenierung erweitert Annett Kruschke das Thema des zivilen Ungehorsams um die Genderdimension. „Du bist ein Weib. Gehorche!“ – mit diesem charmanten Einwand wird den Frauen der Stadt nahegelegt, sich der Herrschaft Kreons und der der Männer im Allgemeinen zu unterwerfen. In dem Szenario wird Antigones öffentlicher Gesetzesbruch zu Aktivismus gegen den patriarchalen Status quo. Auch den Männerchor des Stücks hat Kruschke überwiegend mit Frauen besetzt. Bühnenbild und Ausstattung sind aufwendig symbolisch und vereinen stilistisch gleich mehrere Jahrzehnte. Im Camouflage-Anzug Kreons spiegelt sich sein militaristisch-autoritäres Wesen, dessen Prunksucht durch die Accessoires goldener Borten, Schuhe und Krone kombiniert wird. Die Schwestern Ismene und Antigone wirken durch ihre Kostüme wie die symbolische Emanzipation von den 1960er Jahren in die 70er Jahre. Während Ismene zwar äußerlich das Minikleid rockt und empört über die Demütigung ihres gefallenen Bruders ist, sich aber lieber in die Gesellschaft einfügt, wirkt Antigones (Schlag-)Hosenanzug deutlich abgeklärter und kampfbereiter. Überhaupt überstrahlt Feline Zimmermann als Antigone die meisten ihrer Mitspielenden mühelos. Die Antigone Kruschkes und Zimmermanns ist mehr als nur eine Symbolfigur. Diese Antigone hadert mit ihrem selbstgewählten Schicksal und mit dem Bild, dass das Patriarchat von ihr hat.

Ismene bei ihren Geschwistern Antigone und Polyneikes in der Gruft.

Die Inszenierung ist keine leichte Kost, keine wirkliche neue Geschichte, aber wer einen optischen Hochgenuss mit vorsichtiger Neuinterpretation und großartiger Leistung der Hauptdarstellerin sehen will, sollte sich „Antigone“ noch am 12. und am 21. Mai in Greifswald und am 16. Mai in Stralsund ansehen.

Fotos: Vincent Leifer, Theater Vorpommern

Per Mausklick zum Weltenretter?

Per Mausklick zum Weltenretter?

In diesem Artikel soll es um Klicktivismus gehen. Doch was ist Klicktivismus überhaupt? Ist Klicktivismus gut oder schlecht? Bin auch ich betroffen? Diesen Fragen widme ich mich im Folgenden.

Klicktivismus erklärt

Klicktivismus setzt sich aus den Wörtern “Klicken” und “Aktivismus” zusammen. Damit ist gemeint, dass man Organisationen, Projekte und dergleichen online unterstützt. Also zum Beispiel zu Demonstrationen aufruft, Petitionen unterschreibt und mit seinen Freunden teilt, oder per Crowdfunding Geld spendet.

Dabei wird der Begriff Klicktivismus oft auch im negativen Sinne verwendet. Aber warum? Klingt doch auf den ersten Blick überhaupt nicht schlecht.

Vorteile, Nachteile und ein neuer Begriff

Nun die meisten von uns werden es kennen. Man teilt mit Freunden und Verwandten nicht nur süße Tiervideos und Memes, sondern auch ab und zu Inhalte die einem besonders wichtig erscheinen. Sei es nun ein tolles Wahlplakat der eigenen Lieblingspartei oder ein interessantes Video zum Thema Klimaschutz. Auf diese Weise erreicht man schnell viele Leute und es kostet weiter nichts. Auch Online-Petitionen lassen sich sehr leicht unterschreiben. Man gibt nur kurz seine Daten an und hat dann die Wahl noch zu spenden und/oder die Petition zu teilen.
So kann ich innerhalb von wenigen Minuten dabei helfen einen zu Unrecht verurteilten Journalisten zu befreien, jemandem dabei unterstützen, einen dringend benötigten Rollstuhl zu bekommen oder die Pinguine am Nordpol retten. Moment mal, Pinguine am Nordpol? Ach, was soll’s. Ich fühle mich immer gut, wenn ich helfen kann und beim Verbreiten der Petition stehe ich auch noch gut vor meinen Freunden da. Diese wiederum können sich ebenfalls gut fühlen, wenn sie ihrerseits unterschreiben und so weiter.

Doch was am Ende aus der Petition wird oder wie viel Wahrheit dahintersteckt interessiert mich herzlich wenig. Und überhaupt kann man von einem armen Studenten wie mir doch auch nicht verlangen Geld zu spenden oder sich nachhaltig und umfassend mit so vielen Themen zu beschäftigen, oder? Mag auch sein, dass man Likes einfacher kaufen kann als echte Unterschriften und vermutlich sind auch die Algorithmen, nach denen mir so manches Mal etwas vorgeschlagen wird, manipulierbar. Vielleicht werden sogar meine Daten zweckentfremdet, wer weiß das schon.

Wer jetzt empört der Auffassung ist, sich immer intensiv mit den Themen auseinanderzusetzen, die man unterstützt, der*diejenige darf sich jetzt auf die Schulter klopfen und sich einen echten Klicktivisten nennen. Wer sich eher mit meiner Beschreibung identifizieren kann, ist wohl mehr ein Slacktivist. Aus dem Englischen zusammengesetzt aus “slack” (lustlos, träge) und “activist”.

Bin ich selbst betroffen und was kann ich tun?

Das kann jede*r schnell selbst herausfinden. Stellt euch doch einfach mal selbst kritisch die Frage, wie sehr ihr wirklich hinter den Dingen steht, die ihr so teilt, verbreitet, unterschreibt und kommentiert.

Wer nämlich lieber ein echte*r Online-Aktivist*in sein will, sollte sich sorgsam und kritisch mit den Inhalten auseinandersetzen. Denn oft sind die Darstellungen im Internet sehr einseitig. Auch langfristig dranbleiben ist die Devise und mit seinen*ihren Taten über das Liken und Teilen hinausgehen. Darauf zu achten, wie mit den eigenen Daten umgegangen wird, spielt ebenso eine wichtige Rolle, um nicht unwillentlich Werbetreibende zu unterstützen.

Wem es wichtig ist, wirklich etwas zu bewirken, anstatt nur das eigene Gewissen zu beruhigen oder vor anderen gut dazustehen, sollte aufpassen, den schmalen Grat zwischen Klicktivist und Slacktivist nicht zu überschreiten.

Beitragsbild: Jan Magnus Schult und Anne Frieda Müller