von moritz.magazin | 12.05.2011
Während die Zahl der studierten Semester sich dem eigenen Alter nähert, sieht der klassische Langzeitstudent Generationen von Junglernern in Greifswald um sich herum ein- und ausgehen.
… und plötzlich ist man ein alter Sack. Als ich anfing zu studieren war der Internetauftritt der Universität noch gelb und, ganz oldschool-akademisch, in Serifenschrift gehalten. Eine von allen Spirenzchen befreite Textwüste. Eine bollerige Informationsinsel im Meer aus „Under Construction“-Grafiken und spleenigen Mailinglisten – viel mehr gab es damals im www ja nicht.
Der Studierendenausweis war damals noch ein rosa Zettel ohne Foto. Ich erschrak, als mich plötzlich, das mit der Immatrikulation eingereichte, Jugendfoto auf dem neuen Dokument anstarrte. Und das Rausgefummle aus dem Leporello immer: die alternden Gichtfinger haben jedes Mal ihre Müh‘ das Ding da herauszutrennen.
Wo andere in rund drei Jahren durchs Studium gescheucht werden, wie Hühner über den Hof, lebt der bummelfreudige Restmagister stoisch und unbehelligt von irgendwelchen Reformen, seinen eigenen Trott weiter. Früher ging das doch auch. Wieso soll jetzt die Uni-Welt eine andere sein. Man muss doch nicht jeden Modernitätskokolores mitmachen. Dem Universitären haftete doch immer so etwas angenehm angestaubtes, altes, zeitenthobenes an. Gerade in den Geisteswissenschaften, dem klassischen Fach der Bummelstudenten. Jahrelang wurde hier rumgedoktort, wurden eigensinnige Forschungsvorhaben angegangen, das Denken von seinen Grundfesten umgekrempelt und philosophisch tief, bis in den Denkapparat, in der Nase gebohrt – bis man dem Wesen des Wissens irgendwie näher zu kommen glaubte. Heute sammelt man im Studium Punkte wie in einer Spielshow. Coins, die man irgendwo sicher noch mal irgendwie investieren kann.
Der Bummelstudent – ein Urzeitvieh aus dem Pleistozän?
Heute geht es im Studium um Erfolge, weniger um Erkenntnisse. Soft Skills erlernt man nicht mehr auf der Straße, nein, sie werden in Seminaren antrainiert. Wie man Hunden Kunststückchen beibringt. Der Bummler alter Schule hingegen begreift die „General Studies“ auf ganz eigene Art und Weise. Er hat nach all den Jahren zwar noch keinen Abschluss in der Tasche, hat sich aber zu einem wahren Lebensprofi entwickelt. Sich irgendwie durchschlagend, lebt der Bummelant mit Immatrikulationshintergrund durch die Tage und Jahre seiner Wissenswalz. Das gut funktionierende Nachtleben Greifswalds spielt hierbei eine zentrale Rolle. Die Langzeitfraktion – jene inklusive, die bereits fertig studiert haben, aber immer noch, und das sogar freiwillig, in Greifswald lebhaft sind – sitzt jetzt zusammen mit denen in der Bar, die gerade mal das Windelwirrwarr überwunden hatten, als man selbst schon über den Abiturprüfungen grübelte.
Dauermüde toddelt der Bummelstudent durch den Jungflohzirkus in den Seminaren. Er ist ein Saurier. Ein reptilienhaftes, von Zeit zernagtes Urzeitvieh aus dem Pleistozän. Der Toddelstudent lumpt sich – ohne genau zu Wissen, wann das mit dem Pleistozän eigentlich war – mit fuchshafter Weltschläue und bäriger Gelassenheit durch die Hektik des Lernbetriebes. Zu Toddlers Zeiten war es noch verpönt Laptops im Seminarraum aufzubauen, heute herrscht Elektrosmog im Hörsaal. Nicht gut für das ohnehin schon fahrige Resthirn des Toddlers. Tierpfleger, Fließbandarbeiter oder Blumengießer – das sind die real denkbaren Lebensentwürfe eines Toddlers. Er ist eigentlich ein Kaffeehausgrantler, der irgendwie im akademischen Betrieb gelandet ist. Was hier zur Wissenschaft erhoben wird – sogenannte Geistesangelegenheiten, Kommunikation, Musik und philosophisches Laborieren – beschäftigt auch den Bummelanten in seinen alltäglichen Selbst- und Weltergründungen. Seine Methoden sind jedoch eher eigen und im Allgemeinen in keinem Reader oder Journal zu finden.
„Welcher Wolf, was für eine Nudel?“
Der klassische Langzeitler hat sich um die Jahrtausendwende herum immatrikuliert und in den krudesten Kombinationen so ziemlich alle Fachrichtungen durchprobiert, in die man sich einschreiben konnte. Wohlgenährt durch jahrelange Mensamästung schleift sich der olle Altmagister beim Versuch sein wildes Sammelsurium an Scheinen zu einem vorzeigbaren Abschluss zusammenzukondensieren, durch die Hörsäle und Bibliotheken. Als Kind einer vergangenen Zeit tapert der Trödelstudent auf den wunden Synapsen seines Denkorgans durch die letzten Züge seines ausgedehnten Studiums. Die heutige Verlagerung des Organisatorischen in komplizierte Online-Portale und Neuerfindungen, wie WULVs und Moodle, macht das nicht unbedingt leichter. „Welcher Wolf, was für eine Nudel?“ geht es dem Langzeitler langsam zwischen den Ohren umher. Der Trödelstudent trödelt nicht aus Boshaftigkeit oder Faulheit, es sind tiefere Gleichgültigkeiten, die ihn umtreiben. War ein Studium nicht mal eine wichtige Phase der Menschwerdung, die Zeit der Post-Pubertät, die Zeit der Denkschulung, ein Trimm-Dich-Pfad fürs Gehirn, den die eine eben schneller, der andere etwas langsamer beschreitet? Die Langzeitstudierenden sind schwammhafte, wissensdurstige, mit der Zeit porös gewordene Gehirne auf Krücken. Manische Thementieftaucher.
Natürlich sind es nicht nur Bummelfreuden und vieldimensionaler Müßiggang, die die Dauer eines Studiums dehnen können. Prekäre und familiäre Lebensumstände fordern von den Studierwilligen außeruniversitäre Mehraufwände, die häufig mit den Regeln und Pflichten eines normgerechten Studiums kollidieren.
Ein Gemüsegarten als Lebenslauf
Der klassische Trödelstudent begreift das Studium weniger als Sprosse einer Leiter, sondern vielmehr als Teil etwas Ganzheitlichen. Er scharwenzelt sich als Bauleiter auf verschiedenen Baustellen durch eine Lebensmelange aus Studium, Selbstverwirklichung, Projekten und Passionen. Dem Ewigeingeschriebenbleiber ist es egal, welchen Hipnessfaktor der Arbeits- beziehungsweise viel mehr Praktikumsgeber hat, den man bei facebook zur Schau trägt. Der Lebenslauf eines Langzeitstudenten ähnelt einem gut bestellten Gemüsegarten. Ein Cluster aus Kraut und Rüben. Etwas wonach, in Zeiten der allseits geforderten Vielheitsflexibilität, jeder Arbeitgeber mit Kusshand Ausschau halten sollte.
Der Dauerstudent hat sich ein weites Netz aus Kompetenzen und Connections erarbeitet. Er kann alles: Callcenter, Kellnern, Kreativbüro. Er ist ein mit allen Wassern geweihtes Allround-Genie, ein Essayist im Leben, eine ständige Probe aufs Exempel. Die Langzeitler kleben Kronkorken und erste graue Haare in ihre Studienbücher. Sprechstundenbesuche bei den Professoren ähneln immer mehr Einigungsgesprächen, die der Schadensbegrenzung dienen. Die, mit denen er damals anfing zu studieren, sind bereits Konzernleiter und im Nirvana der Erwachsenheitswelt verflogen; werden zumindest auch langsam fertig oder sind als ziellose Lethargiker in eitlem Zynismus zergangen.
Die Alten Säcke gehen natürlich auch noch gerne abends raus. Durch die üblichen Kulturlokalitäten schleifen sie sich in alterszäher Zeitlupe. Saufsaurier. Um sie herum ein stetig fluktuierende, welpenhafte Tobemeute. Ein flirrendes Gewusel, nächtelanges Gewehe durch rauchigen Zeitverflug. Gegenseitige Befeuerung von jung und älter. Während die Welpen morgens wieder juxfidel in der Vorlesung sitzen, zerrt die Bummlerfraktion ihre tauben Leiber nur mit Ach und Krach hinter die Lernbänke. Man wird nicht jünger. Gemeinsam werden wir alt. Bildet Bummelbanden!
Ein Feature von Ferdinand Toddler.
von moritz.magazin | 01.04.2011
Selten sorgte ein Ereignis in Vorpommern für so viel Aufsehen wie die letzten Castortransporte. Wie die Bewohner der Ortschaften links und rechts der Bahntrasse den ungewohnten Tumult erlebten, geht in der Berichterstattung meist unter.

Demonstranten besetzten das Gleis nach Lubmin im Dezember um den Castortransport zu blockieren
Per Drahtesel, die eigene Energiebilanz fest im Blick, machen wir uns von Greifswald auf in Richtung Industrie- und Gewerbegebiet Lubminer Heide, auf dessen Gelände sich das Zwischenlager Nord (ZLN) befindet. Überraschend schnell haben wir besiedeltes Gebiet hinter uns gelassen, auf einmal nur noch Felder, Wiesen und Wald. Länderfinanzausgleich sei Dank – Radweg soweit das Auge reicht. Nach sechs Kilometern dann wieder Häuser, erster Stopp ist Kemnitz. Erwartungsgemäß haben wir Mühe überhaupt Gesprächspartner im beschaulichen Ortskern zu finden. Der einzige zu dieser Tageszeit halbwegs belebte Platz ist ein kleiner Tante-Emma-Laden. Hier stoßen wir auch auf unsere ersten potentiellen Informanten.
Zwar ist Kemnitz eines der größeren Dörfer, liegt jedoch nicht direkt am Gleis. Wohl auch deswegen fallen die Antworten eher dürftig aus, viel mitbekommen habe man nicht, ist die allgemeine Aussage. Die Mahnwache am Tag X sei hauptsächlich von Greifswaldern organisiert worden. Wirkliches Interesse für die Thematik hört sich anders an. Schon leicht ernüchtert, doch voller Hoffnung in den nächsten Dörfern auskunftsfähigere Bürger anzutreffen, schwingen wir uns wieder auf die Räder und machen uns, vorbei am dorfeigenen Gesundheitszentrum und Helikopterflugplatz, auf in Richtung Stilow. Am Ortseingang dann das erste Mal das bewusste Gleis, Schauplatz des Widerstands. Am Zaun einer ehemaligen-LPG treffen wir auf den ersten Gesprächspartner, der die „Wutbürger“ tatsächlich in Aktion erlebte. Um die hundert Protestler seien beim letzten Transport hier gewesen, so der Mann Ende vierzig im Blaumann. Holz und Stroh habe man ihnen gebracht und dann hätten sie auf dem Acker neben dem Bahnübergang campiert. Das seien aber alles Leute von außerhalb gewesen, im Dorf selber habe sich so gut wie niemand für den Castor interessiert. (mehr …)
von moritz.magazin | 01.04.2011
Seit Jahren steigt die Nachfrage nach Ökostrom in Deutschland. Immer mehr Menschen sind bereit für Strom tiefer in die Tasche zu greifen. moritz sprach mit dem Geschäftsführer der Stadtwerke André Dreißen über die Lage in Greifswald.
Seit wann gibt es die Möglichkeit bei den Stadtwerken Ökostrom zu beziehen und was genau muss man sich darunter vorstellen?
Es gibt bereits seit mehreren Jahren Ökostrom. Der Beste ist der reine, physisch eingespeiste Ökostrom, der direkt aus der Photovoltaikanlage vom eigenen Hausdach kommt. Das ist aber für einen Energieversorger in unserer Größe schlecht realisierbar. Insofern ist unser „Local Energie Natur“ ein Ökostromprodukt, das auf Zertifikaten beruht. Das heißt derjenige, der dieses Produkt kauft, hat die Garantie, dass irgendwo in Europa genau in der Menge, in der er Strom verbraucht auch Ökostrom produziert und in das europäische Verbundnetz eingespeist wird. Sie bekommen dann automatisch hundert Prozent Ökostrom. Konkret haben wir Zertifikate gekauft, die aus Norwegen von einem Wasserkraftwerk kommen.

André Dreißen
Inwiefern unterstütze ich den Ausbau erneuerbarer Energien durch die Nutzung von Ökostrom?
Ich würde sagen, das hat einen 1:1 Effekt. Was aus meiner Sicht wünschenswert wäre, wenn jeder Mensch mehr Ökostromprodukte kaufen würde, denn dann könnte noch mehr in diese Anlagen investiert werden. Je mehr Interessenten, umso mehr Investitionen an dieser Stelle. Wobei man auch sagen muss, dass die Kapazitäten in Europa endlich sind.
Wenn ich in Greifswald Ökostrom nutze, fördere ich dann primär die Anlagen im Ausland? Kann man das überhaupt direkt zurückverfolgen?
Bei unserem Produkt ist es so. Es gibt aber auch andere Möglichkeiten. Auf der einen Seite könnte man zum Beispiel in die direkte physische Lieferung setzen. Wo wirklich grenzüberschreitend Energie eingespeist wird. Das ist in den Augen einiger Ökostromverfechter der bessere Weg. Auf der anderen Seite kann man denen dann entgegenhalten, dass es immer eine ausgewogene Energiebilanz ist. Wenn ein Laufwasserkraftwerk aus Österreich Energie nach Deutschland liefert und dafür physisch im Austausch dann Steinkohleenergie nach Österreich geliefert wird, dann hat man auch nicht wirklich etwas gewonnen. Die Frage ist immer was für einen Weg man gehen möchte und was man mit seinem Produkt bewirken möchte. Wir haben den Weg gewählt ein Produkt zu platzieren, das aus Sicht des ganz konservativen Ökoanhängers eher eine „light“ Version ist, weil es erst einmal ein Zertifikatgeschäft ist. Wir könnten genauso gut hier eine Biogasanlage bauen und die Energie aus dieser beziehen. Das ist aber aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten extrem schwierig, was heißt, wir müssten den Strom sehr teuer verkaufen. Bei der Struktur unserer Region müsste man erst einmal jemanden finden, der für seinen Stromverbrauch im Jahr keine 500, sondern dann 800 Euro bezahlen würde. Deswegen verfolgen wir einen finanziell attraktiveren Weg. Wer sich dafür interessiert, der zahlt dann bei diesem Beispiel anstelle von 500 circa 520 Euro im Jahr. (mehr …)
von moritz.magazin | 01.04.2011
Hinterlasst Spuren
Was, da gehst du freiwillig hin?“ Mein Gegenüber blickt mich verständnislos an. Jetzt bloß schnell und geistreich antworten. „Ja, wieso?“. Prüfende Blicke, man glaubt mir nicht, vermutlich werde ich dafür bezahlt, die nächsten drei Jahre in Greifswald zu studieren. Witzigerweise löst schon ,,Mecklenburg-Vorpommern“ in weiten Teilen meiner mittelfränkischen Heimatstadt pawlowsche Reflexe aus: Rechtsradikalismus, Arbeitslosigkeit, neue Bundesländer – Rechtsradikalismus sowie Arbeitslosigkeit, um nur einige der Assoziationen aufzuführen. Neu hinzu gekommen sind die Castor-Transporte und dort, wo sich für gewöhnlich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, mahnten und wachten im Dezember und Februar Atomkraftgegner, rundum geschützt von treusorgenden Beamten. Was die Bewohner der umliegenden Dörfer von dem ungewohnten Rabatz mitbekommen haben, versucht unsere Reportage auf Seite 26 zu ergründen.
Das Schöne an Vorurteilen oben genannter Art ist ja, sie unter „Mauer in den Köpfen“ zu archivieren und die geschmähte Stadt unbefangen und neugierig zu entdecken. Das Schöne an Greifswald wiederum ist, dass Erkundungen dieser Art meist kurz und intensiv sind und man sich danach sogleich an die Steigerung studentischer Lebensqualität wagen kann. Möglichkeiten hierzu bieten verschiedene Vereine, von denen wir euch einige auf Seite 36 vorstellen.
Wer in diesen Tagen sein Studium in Greifswald aufnimmt, kommt mit ein bisschen Glück in den Genuss erster wärmerer Tage nach einem weiteren deutschen Jahrhundertwinter. Wehret jedoch den Anfängen der Frühjahrsmüdigkeit, denn dank medial in Erscheinung getretenem „Rechtsprofessor“ und dem für Furore sorgenden Namensstreit um Ernst-Moritz brodelte es in der Vergangenheit immer wieder. Und das ist gut so. Stillstand sollte auch weiterhin anderen überlassen werden und der Horizont der Studierenden nicht an der Fassade der Bibliothek enden. Ein wichtiger Baustein ist hier die studentische Selbstverwaltung. Mit der Frage, wie das Uni leben wohl ohne sie aussähe, beschäftigt sich unser Artikel auf Seite 8.
Ein inzwischen schon ziemlich ausgelutschter Kalauer besagt, dass man in Greifswald immer zweimal, nämlich zu Beginn und Ende des Studiums, weint. Wer zwischen diesen tränenreichen Ereignissen Frohsinn, Heiterkeit und Raum zum Ausprobieren sucht, der schaue doch mal dienstags um 20 Uhr in der Rubenowstraße 2 bei der Redaktionskonferenz vorbei. Wir freuen uns auf euch und eure Ideen!
Ole Schwabe
Das komplette Heft könnt ihr in kürze hier als pdf herunterladen, ausgewählte Artikel könnt ihr wie immer direkt online lesen und kommentieren.
von moritz.magazin | 01.04.2011
Gorleben, Ahaus, Jülich, Lubmin: Diese vier Standorte werden zur Zwischenlagerung von radioaktivem Abfall genutzt. Wie wurde aus dem Kernkraftwerk Greifswald das Zwischenlager Nord und welche Pläne gibt es für die kommenden Jahre?
Der Bau des Kernkraftwerkes (KKW) Nord wurde 1965 durch ein Regierungsabkommen zwischen der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und der UdSSR beschlossen. Im Mai 1967 wurde entschieden, dass das KKW bei Lubmin errichtet werden sollte. Kriterien für den Standort in der Lubminer Heide war unter anderem die Nähe zum Greifswalder Bodden, womit reichlich Kühlwasser vorhanden wäre. Es sollten acht Druckwasserreaktoren des Typs WWER- 440 gebaut werden. WWER steht hierbei für Wasser-Wasser-Energie-Reaktor. Das sind sogenannte Leichtwasserreaktoren, bei denen Wasser sowohl als Kühlmittel als auch als Moderator zum Abbremsen der Neutronen genutzt wurde.
Im Oktober 1970 wurde der Grundstein gelegt und mit den Bauarbeiten an den Hauptanlagen des KKWs begonnen. Zwischen 1973 und 1979 wurden die Blöcke 1 bis 4 in Betrieb genommen, das volkseigene (VE) Kombinat Kernkraftwerke „Bruno Leuschner“ Greifswald wurde 1980 gebildet. Fünf Jahre später wurde das Zwischenlager für abgebrannte Brennstoffe (ZAB) errichtet. Noch im Jahr 1989 wurde Block 5 in Probebetrieb genommen. Jedoch schaltete man im darauf folgenden Jahr alle Blöcke ab. Grund hierfür waren vor allem die sicherheitstechnischen Schwächen, für deren Nachrüstung sich kein Investor fand. Mit der Abschaltung erfolgte auch der Baustopp an den Blöcken 6 bis 8. Von den geplanten acht Reaktoren sind nur fünf je in Betrieb genommen wurden. Im selben Jahr wurde das Kombinat Kernkraftwerke „Bruno Leuschner“ in die Energiewerke Nord GmbH (EWN) umgewandelt. Diese sind seit Mitte der neunziger Jahre damit beschäftigt, die stillgelegten KKWs Greifswald und Rheinsberg abzubauen. Im Jahr 1995 erhielten die EWN die erforderlichen Genehmigungen für diese Arbeiten. Im ZAB wurde die Einlagerung 1990 eingestellt, jedoch 1994 wieder aufgenommen. Bis Juni 2000 bestand hierfür eine Einlagerungsgenehmigung.
In der Zwischenzeit wurde der Antrag zur Errichtung des Zwischenlagers Nord (ZLN) eingereicht, welcher auch 1992 genehmigt wurde. Die Baugenehmigung selbst wurde im Juli 1994 erteilt, im November desselben Jahres begann der Bau der Lagergebäude. Er kostete 140 Millionen Euro. 1997 wurden die acht Hallen in Betrieb genommen, wobei sich in den Hallen 1 bis 7 das Abfalllager und in Halle 8 das Transportbehälterlager befinden. Die Aufbewahrungsgenehmigungen hierfür sind in den Jahren 1998 und 1999 erteilt wurden. Aus den Blöcken beziehungsweise dem ZAB sind nun alle Brennelemente umgelagert worden und bis Ende 2007 wurden bereits über zwei Drittel der Anlagenteile abgebaut. Das ZLN ist inzwischen mit 75 Prozent ausgelastet, bis 2015 wird es voraussichtlich mit bis zu 95 Prozent ausgenutzt sein.
Ab 2015 soll der Schacht ‚Konrad‘ in der Nähe von Braunschweig als Endlager für schwach- bis mittelaktive Abfälle fertig gestellt sein, sodass eine gestaffelte Umlagerung erfolgen kann. Die restlichen sechs freien Stellplätze in Halle 8 werden wahrscheinlich nicht mehr besetzt. Grund hierfür ist, dass sich kein radioaktiver Abfall mehr in öffentlicher Hand befindet, der noch zwischengelagert werden muss. Die Lagerungsgenehmigung ist bis 2039 ausgestellt. Laut Planungen der Bundesregierung soll bis 2030 ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle betriebsbereit sein. Zurzeit wird der ehemalige Salzstock Gorleben im Wendland als mögliches Endlager untersucht. Doch selbst wenn bis 2030 ein Endlager gefunden sein sollte, wird es nicht möglich sein, sofort alle Castor-Behälter aus Lubmin und den übrigen Zwischenlagern Deutschlands umzulagern. Es wird auch hier eine gestaffelte Umlagerung stattfinden müssen, weswegen zu gegebener Zeit eine Verlängerung der Lagerungsgenehmigung notwendig sein wird.
Ein Bericht von Johannes Köpcke, Ole Schwabe und Katrin Haubold mit einem Foto von Johannes Köpcke.