von Archiv | 15.01.2005
Durchaus ungewöhnlich: Beim neuesten Film mit Filmikone Robert DeNiro gibt es nicht ein Ende, sondern derer gleich fünf.
Die Geschichte ist schnell erklärt: Das amerikanische Bilderbuchpärchen Paul und Jessie Duncan verliert bei einem Autounfall ihren Sohn Adam. Der renommierte Wissenschaftler Doktor Richard Wells bieten daraufhin an, ihren Sohn zu klonen und ihnen eine gänzlich neue Identität zu verschaffen. Nach seinem eigentlichen Todestag fängt der geklonte Adam allerdings an, sich zu verändern…
Leider wissen die erwähnten vier englischen Alternativ-Enden nicht gänzlich zu überzeugen, obwohl sie viele mögliche Endszenarios durchspielen. Der Film an sich ist durchaus sehr spannend, durch die hervorragende Schauspielleistung von Cameron Bright als Adam. Ich glaube, er ist der erste kleine Junge, bei dem man es wirklich mit der Angst zu tun bekommt, wenn man ihn diese Rolle spielen sieht. Leider kann man dies nicht von den anderen Rollen behaupten, die alle etwas unausgereift und nicht bis zu Ende gedacht erscheinen.
An Extras gibt es eine B-Roll, das die Dreharbeiten einiger Filmszenen zeigt, einen Regiekommentar und verschiedene Statements der Darsteller. Vor dem Film gibt es außerdem vier Trailer, sechs Trailer als Menüpunkt und zwei Trailer und vier Spots des Hauptfilms selbst. Passabel. Die Tonspur ist Dolby Digital 5.1 in Englisch und Deutsch. Ein unterhaltsamer Popcornabend ist also allemal drin, ein Muss ist der Film aber allenfalls für Fans. jmk
Geschrieben von Joel Kaczmarek
von Archiv | 15.01.2005
Jeder kennt das Lied von Hans Peter Kerkeling. „Witzigkeit kennt keine Grenzen“. So trällerte es in seiner damalige Sendung und der Abspann von „Kein Pardon“ endete genau mit dieser Feststellung. Pardon! – Hape lügt! Witzigkeit hat Grenzen und Witzigkeit ist individuell uns unterscheidet uns wie unsere Fingerabdrücke voneinander.
Witzig ist nicht jeder. Doch jeder kann eine Wi(n/t)zigkeit dazu beitragen, sein kleines Leben etwas sonniger zu gestalten. Jeder regt sich über das zunehmend grauer und kälter werdende soziale Umfeld auf, aber nur wenige kämpfen bisher dagegen an. Stattdessen stopfen wir alles in uns rein, Bücher und Vorlesungen – dass uns dabei das Lachen im Halse stecken bleibt. Aber niemand bewegt sich locker auf dem gesellschaftlichen Parkett, der nicht wenigstens in Ansätzen Grundregeln des Humors beherrscht und hier und da mal für einen Lacher sorgt oder mindestens anständig mitlacht. Auch wenn sich die wissenschaftliche Lach-Forschung schon eingehend mit dem Thema befasst hat, so wurden Erkenntnisse wie „Lachen ist gesund“ eher belächelt. Nicht mal der deutsche Volksmund lacht.
Wie groß jedoch die Sehnsucht danach ist, zeigt der eine oder andere Blick in das Fernseh- und Kinoprogramm. Der erfolgreichste deutsche Film ist „witzig“, zumindest für die Mehrheit der Humorsuchenden. Comedy rules! Günther Jauch ist kein Comedian, kommt aber unglaublich gut an – wegen der lockeren Art.
Doch warum wollen wir alle „locker“ sein und pausenlos lachen? Wir brauchen Kraft, wir brauchen Selbstbewusstsein, um „da draußen“ erfüllt über die Runden zu kommen. Humor ist der Quell der Glückseligkeit. Kein Geringerer als Onkel Goethe selbst bringt es auf den Punkt: „Weißt du, worin der Spaß des Lebens liegt? Sei lustig! – Geht es nicht, so sei vergnügt!“ Auch die, die in der Schule den Faust im Nacken hatten, müssen ihm jetzt beipflichten.
Auch wenn ich selber nicht witzig bin – mitlachen kann ich trotzdem. Und zwar überall: In der Vorlesung, in der Mensa und beim Einkaufsbummel. Auch später beim Vorstellungsgespräch und im Büro, am Telefon und sogar im Chat. Aber Vorsicht: „Hütet Euch!“ sagt der Schäfer zu seinen Schäfchen. Hütet euch vor der Verstellung: Der Kampf zwischen Authentizität und Nursotunalsob geht auch ohne uns eine Runde weiter! Dann lieber die Gratwanderung machen und noch mal darüber nachdenken – oder das Nachdenken bleiben lassen und es einfach tun. Auch ein schlechter Witz ist immerhin einer.
Gehörig Werkmasse zum Selberbasteln liefert die Sprachwissenschaft zur Genüge. Homonyme sind besonders flexibel und exzellent dazu geeignet, mal einen etwas anderen Blick auf die Wörter zu werfen, die wir jeden Tag so bedenkenlos benutzen. Was sagt man zu einer Kuh, die man fotografieren möchte? „Kuh guck’!“ Das Einfache ist manchmal mehr als das große Brimborium – kompliziert ist die Welt genug! Und wer die „Kuh auf der Weide“ sieht und sich fragt, wie die denn auf den „Baum“ hochgeklettert sein könnte, der wird auch die feinen sprachlichen Nuancen in den Tönen seines Kommilitonen deuten können. Denn „krumm“ nehmen einem nur diejenigen etwas, die bar jeder Selbstironie ihr Eigenes als „gerade“ ansehen!
Geschrieben von Karsten Linde
von Archiv | 15.01.2005
Kinder erzieht am besten, wer sich mit Ihnen beschäftigt
Die Supernanny ist los! Unsere Fernsehgesellschaft hat einen neuen Superhelden geschaffen. Sie heißt Katharina Saalfrank, kommt aus Berlin und ist Mutter von vier Kindern.
Mittwochs zieht sie uns in den Bann und Deutschland schaut zu, wenn die Supernanny in die Erziehung eingreift und Hilfe suchenden Eltern mit Rat und Tat beisteht. Sie versucht Kinder, die trotzen, schlagen und einen Willen fern ab der Eltern haben, wieder in ein normales Familienleben einzugliedern.
Doch was sehen wir da eigentlich?
Wir sehen Kinder, die seit langem über die Strenge schlagen und nicht auf ihre Eltern hören. Sie tyrannisieren die Familie und werden als böse hingestellt.
Doch wie kam es dazu? Welchem Einfluss unterliegen diese Kinder, damit sie solch einen Charakter entwickeln? Unsere Kinder werden in ihrem Heranwachsen durch mehrere Faktoren beeinflusst: Die Eltern, den Kindergarten, die Familie, Freunde. All diese Menschen bilden ein Umfeld, das Kinder prägt. Es wurde also geschafft, in vier, fünf Jahren ein Kind zum Trotz zu erziehen. Doch erziehen wir sie denn wirklich dazu oder ist es nicht eine normale Phase, in der jedes Kind das Recht hat, einmal bockig zu sein?!
Wenn die Supernanny gerufen wird, ist es meist ein Fall, wo Eltern die Geduld fehlt. Sie setzen sich seit langem nicht mehr mit ihrem Kind auseinander und schließlich ist professionelle Hilfe notwendig.
Sie lebt für kurze Zeit bei der Familie, stellt Regeln auf und tritt bei schnellem Erfolg, der sich durch Disziplin der Eltern ergibt, aus dem Leben der Familie. Es macht einen Anschein wie Mary Poppins, doch per Video beobachtet sie das Zusammensein weiter und nach dem ersten Rückfall klingelt sie wieder an der Haustür.
Es hört sich einfach an, doch aus pädagogischer Sicht liegt hier ein harter Kritikpunkt. Eine Hilfe suchende Familie, die auf pädagogische Betreuung angewiesen ist, kann nicht wie am Fließband abgefertigt werden. Gerade deshalb kommt es bei so vielen Kindern zu einem Rückfall. Hier wäre eine längere Betreuung wichtig, um auch diese regressiven Phasen erzieherisch zu meistern.
Schön und gut, worum geht es eigentlich?
Um ein Kind zu einem vollwertigen Mitglied unserer Gesellschaft zu erziehen, bedarf es einer Norm- und Wertevermittlung, die auch das Einhalten von Regeln und das Setzen von Grenzen bedarf. Diesen theoretischen Wert in die alltägliche Erziehungsarbeit einfließen zu lassen scheint nicht immer ganz einfach. Wie man bei RTL sieht, scheinen gerade hier vermehrt Eltern Schwierigkeiten zu haben, denn wer will schon erziehen, wie seine Eltern? Oder wer möchte sich nach 1968 noch den autoritären Stiefel anziehen?
Daher ist es oft unangenehm Grenzen zu setzen (schließlich ist Kinder erziehen auch anstrengend). Das eigene Kind in seine Schranken zu weisen, ist nicht nur ein autoritärer Akt, sondern drückt auch Zuneigung aus. Es zeigt dem Kind, dass man es respektiert und ihm Aufmerksamkeit schenkt, indem man sich mit ihm beschäftigt.
Nur immer das Beste für sein Kind zu wollen heißt nicht, keine Grenzen und Regeln zu setzen. Es ist vielmehr wichtiger zu erklären, warum man hier eine Grenze zieht und selbst wenn es mal heißt: ?Weil ich es so mag?. Dies gibt dem Kind mehr Vertrauen, als es in seinem Handeln allein zu lassen.
Trotz Regeln und Grenzen, trotz Superhelden und Nannys, die tausend Erfahrungen mit Kindern haben, ist Erziehung immer noch Beispiel und Liebe (frei nach Fröbel). Nicht ein perfekter Erzieher, sondern ein Erzieher, der sich um sein Kind kümmert und sich mit ihm auseinandersetzt, wird eine ausgeglichene Beziehung zu seinem Kind erlangen.
Eine Nanny, kommt in eine zerrüttete Familie und muss strikte Grenzen setzen, um sich durchzusetzen. Sie stellt Regeln ohne großen Spielraum auf und formt so das Kind nach ihrem Willen. Jedoch geht es im Alltag nicht um die Kontrolle des Kindes nach unseren Wünschen, sondern darum, dem Kind einen freien Willen zu geben. Den Wert der eigenen Entscheidungsfindung und die stete Bereitschaft, unser Handeln zu erklären, schafft eine Eltern-Kind Beziehung, in der gewisse Regeln gelten, es jedoch immer Handlungsspielräume gibt. Kinder brauchen Grenzen – Eltern auch.
Geschrieben von Kilian Jäger
von Archiv | 15.01.2005
ür die zweite Ausgabe des schreib-moritz haben wir mehrere Einsendungen erhalten. Unser Dank an die Schreiberlinge!
Hier nochmal die Formalitäten:
Euer literarisches Werk sollte nicht länger als eine dreiviertel DINA4-Seite (Times New Roman, Schriftgröße 12, einfacher Zeilenabstand) sein. Gerne könnt Ihr eine passende Zeichnung oder ähnliches beifügen!
Ihr könnt Euer Werk entweder per e-mail an moritz@uni-greifswald.de (Betreff: schreib-moritz) oder per Post an die moritz-Redaktion schicken. Wir freuen uns auf weitere Einsendungen!
Kati Sass, Peer-Arne Arweiler, Manuel Nüsser
Mauer
Bedrohlich ragte sie in den immerwährend, dunklen Himmel. Durchbrach die grauen Wolken, doch brachte nur noch mehr Schatten. Wo sie endete konnte man nicht sehen. Es sah aus als ob sie in der Höhe selbst die Ewigkeit teilen würde.
Die Mauer.
Schwarze Steine die das Leben des Mannes bedrohten, leiteten und fast vernichteten.
Doch er konnte nicht aufhören mit der Arbeit, von der er selbst wusste, dass sie unmöglich war.
Bedrohlich zuckten die Blitze am schwarzen Himmel. Die Erde schien unter dem Donner zu bersten. Schien dieser Gewalt völlig ausgeliefert. Unter dem hellen Schein des Blitzes schlug der Mann seine blutige Faust gegen den schwarzen Stein. Es entstand in ihm nicht nur körperlicher sondern, schon seit langem, auch geistiger Schmerz. Doch er konnte nicht aufhören.
Hinter ihm stand das Auge des ewigen Feindes und Leiters. Seine Stimme knurrte und die Wolfsaugen waren auf jede Muskelbewegung gerichtet. Würde auch nur eine kleine Pause entstehen, wären die scharfen Zähne sofort im schwachen Fleisch des Mannes.
So schlugen die blutigen Fäuste wieder gegen den schwarzen Stein.
Donner, Blitz, Beben und die Steine fielen.
Es entstand nur ein kleines Loch, direkt in Gesichtshöhe des Mannes. Er sah die Welt dahinter. Schwarz, bebend und bedrohlich. Doch auch dies war der Mann schon lange gewohnt. Gewöhnung die seine Hoffnung bluten ließ, wie die schwarzen Steine seine Fäuste.
Jenes tödliche Knurren zwang den Mann die Steine vom Boden zu erheben. Es erschien ihm jedes Mal, als würde er sein eigenes Leben von der Erde emporheben. Doch er durfte unter der Last nicht zusammenbrechen.
Sein Bewacher war immer blutdürstig.
So setzte er die schwarzen Steine wieder ein, schrammte sich an den scharfen Kanten und blutete noch stärker als zuvor.
Als der letzte Stein vor seinem bestimmten Platz gehoben wurde erscholl ein Schrei. Tief, dunkel, bebend und bedrohlicher als alles was der Mann bisher hörte. Auch der Bewacher zuckte.
Die Stimme wurde lauter, drang in die Ohren des Mannes und entzündete einen Schmerz der die Welt zu verzehren schien.
Schreiend ging der Mann auf die Knie. Zwischen seinen roten Händen floss auch die Röte aus seinen Ohren. Selbst der Bewacher war von einem Schmerz wie gelähmt.
In schwarzem Gewand stampfte die Herrschaft über die Welt. Befahl die Blitze und schwenkte seinen roten Stab der Verdammnis. Nun war sie wieder da. War da und war erzürnt über den Bewacher.
Der tiefe Schrei der riesigen Bedrohung wurde noch lauter. Vom Aufschlagen des Stabes auf die Erde unterstützt.
Winselnd duckte sich der Bewacher, doch er konnte seinem Schicksal nicht entkommen.
Die Verdammnis schlug zu.
Mit einer lauten Explosion wurde der Bewacher zerrissen. Rot verteilte sich weit über das Land. Endlich verstummte die Herrschaft und setzte seinen Gang über die Welt fort.
Sogleich musste der Mann sich wieder aufrichten und den letzten Stein einsetzen.
Hinter ihm war wieder Knurren.
Auch das war der Mann seit langem gewohnt.
So schlug er die geschundenen Fäuste wieder gegen die Schwärze.
Aloysius
Zu Dir
Mein schwarzes Herz blutet,
Die Wanne ist überflutet.
Der schwere rote Sarg
Ist unten im Grab.
Du sagtest: ?Auf Wiedersehen!?
Und ich ließ dich gehen.
Jetzt kommt meine Seele,
Ich schreie es mit lauter Kehle:
?Du weißt, ich liebe Dich!?
Jeder sah dich als nur einen Wicht.
Darum half ich Dir,
Doch eigentlich nur mir.
Es heißt ja gemeinsam
gegen finstere Einsam´.
Nun sitze ich in einem Tief,
Denn ich liebe den Totenmief.
Nun sehe ich ein helles Licht
und denke: ?Bitte nicht!?
Doch ich laufe weiter
und werde langsam heiter.
Badkat
Glaubst zu wissen, was all dies bedeutet?
Glaubst zu wissen, wann die Welt
In bunten Funken explodiert
Und ein Himmel zerplatzt
In Bruchstücken herabregnet?
Glaubst zu wissen wann die Meere
Brach und trocken wie die Wüste
Ausgetrunken von Göttern
Erloschener Gläubiger?
Glaubst zu wissen wann die Berge
So hoch und doch so tief
Das ein jeder sie erklimmen kann
Ohne Mühe und Qual?
Glaubt zu wissen wann die Grenzen
Eingerissen und verwischt
Und ein jeder gleich dem Gleichen
Gleicht?
Glaubst zu wissen wann die Menschen
Längst vergangen und vergessen
Und neue Kulturen und Reiche
Aufgegangen und verblüht?
Ingo Löppenberg
von Archiv | 15.01.2005
Wer den Namen Gerhard Schröder hört, denkt wahrscheinlich zuerst an den Kanzler der jetzigen und vorherigen Legislatur, denkt an die deutsche Sozialdemokratie, medienorientierte Politik und eine amerikaskeptische Außenpolitik wie noch nie zuvor in der bundesrepublikanischen Geschichte. Aber da gab es auch einen anderen Gerhard Schröder,
den CDU-Politiker und werteorientierten Außenminister der 60er Jahre, den Freund angloamerikanischer Kultur. Dieser Gerhard Schröder war eine Persönlichkeit, die in mehreren Beziehungen von Spannungen lebte.
Geboren 1910, stammte er zwar aus einer norddeutschen, evangelisch geprägten Familie, wuchs jedoch tief im Westen im katholisch geprägten Trier auf. Ein kulturelles Spannungsverhältnis, das auch seinen späteren politischen Werdegang mitprägte. So begann er zwar seine politische Karriere im rheinischen Landesverband der CDU, profilierte sich später aber auch als Vertreter der vor allem im Norden starken CDU/CSU-internen evangelischen Interessenvertretung. Folge dieser Spannung zwischen den eigenen kulturellen Wurzeln und jenen der Mehrheit innerhalb seiner politischen Heimat war zunächst, dass Gerhard Schröder sich vorrangig auf professionelle Arbeit und nicht auf eine politische Hausmacht stützen musste. Folge war auch, dass zwar die Leitlinien seines Handelns immer an festen Überzeugungen orientiert waren, konkrete politische Entscheidungen aber auch pragmatisch abgewogen wurden.
So orientierte sich Gerhard Schröder in der NS-Zeit an festen Grundsätzen, als er sich entschied, im Tausch für einen Verzicht auf alle Annehmlichkeiten einer ihm als promovierten Juristen zustehenden Verwendung als Offizier für die Heirat seiner als ?Halb-Jüdin? abgestempelten Frau 1941 eine Sondergenehmigung zu erwirken. Im Interesse des Schutzes seiner Ehefrau überlebte Schröder den Zweiten Weltkrieg als einfacher Obergefreiter. Politischen Pragmatismus hingegen bewies er, als er später als Bundesminister der Bonner Republik in den 50er und 60er Jahren sich für eine vorsichtige Belebung der Beziehungen zu Polen und Ungarn stark machte, obwohl jene als Mitglieder des Warschauer Pakts auch die DDR und nicht allein die Bonner Republik als völkerrechtliche Vertretung der Deutschen anerkannten. Um der DDR keinen völkerrechtlichen Vertretungsanspruch überlassen zu müssen, wollte Schröder den Kontakt auch zu dem Europa jenseits des Eisernen Vorhangs nicht verlieren.
Politische Bedeutung heute hat Gerhard Schröder jedoch vor allem angesichts seines ständigen Versuchs, die europäische Integration in Einklang zur Partnerschaft mit den USA zu bringen. So kam es hierüber auch zum Streit mit Konrad Adenauer. Auch trat er gegen den Widerstand de Gaulles immer vehement für die Aufnahme Großbritanniens in das politische Europa ein. Der Streit zwischen jenen, die außenpolitisch wie Adenauer vor allem auf Frankreich setzten und denen, die wie Schröder neben dem europäischen Gedanken immer auch die gemeinsamen Werte von Europa und Nordamerika berücksichtigen wollten, wurde als Streit zwischen Gaullisten und Atlantikern bekannt. Ein Streit, der in abgewandelter Form auch heute wieder aktueller denn je ist. Ein Streit heute zwischen jenen, die aus Abneigung zu Bush jede Kooperation mit der amerikanischen Außenpolitik ablehnen und denen, die in Anerkennung der gemeinsamen demokratischen Tradition es vorziehen, in Absprache mit den Partnern Europas jenseits des Atlantiks Einfluss auf die weitere Entwicklung innerhalb des Bündnisses auszuüben. Und auch heute gilt, dass ein deutscher und kleineuropäischer Tunnelblick lediglich schadet und dass Kritik am Partner nicht in einer Art und Weise eingebracht werden darf, die zum auch nur vorübergehenden Bruch der Freundschaft führt.
So sind nach meiner Einschätzung zwei Konstanten im politischen Werdegang Schröders auch noch heute Vorbild für politisches Handeln. Zum einen der Ausgleich zwischen der Wahrung der moralischen Integrität und politischem Pragmatismus, zum anderen konkret die Betonung des Willens am Festhalten an der auf der gemeinsamen, demokratischen und freiheitlichen Tradition aufbauenden transatlantischen Partnerschaft.
Geschrieben von Philipp Christian Wichter