von Archiv | 20.10.2006
John Cameron Mitchell nennt sich der für „Shortbus“ verantwortliche Réalisateur. „Frisch, frech, anrührend, provozieren – wenn möglich auch noch richtig lustig“ sollte der Independent-Film nach seiner Definition daherkommen. Und was macht Monsieur Mitchell neuestes Werk?
Eine Aneinanderreihung pornographischer Akte unterschiedlicher Akteure läutet den Beginn ein. Beziehungsprobleme jeglicher Art soll eine Paartherapeutin kurieren. Da sie aber selbst noch nie den Gipfel des körperlichen Glücks bestieg, folgt rasch die Einladung in den titelgebenden Club. Dort treffen sich alle freien, ungezwungenen, individuellen und liberalen Gestalten des Big Apple. Wenn nicht gerade in allen sexuellen Spielarten miteinander kopuliert wird, geben sich die Besucher dem Gesang, Tanz und monothematischen Gespräch hin.
Glücklicherweise unterbrechen Ani-mations-Inserts die unamüsierenden Akte. Einen optisch anspruchsvollen Eindruck bieten die immer wieder eingeschobenen, fast einminütigen Kamerafahrten über ein Modell von Gotham City. Der Animator John Bair verantwortet diese interessanten Großstadtaufnahmen. Schon bei JCMs letztem Film „Hedwig and the Angry Inch“, einer Geschichte eines transsexuellen Sängers aus der DDR, arbeiteten beide zusammen.
Leider kann „Shortbus“ mit diesem Vorgänger nicht mithalten. Zu selten reizen delikate Situationen die Lachmuskeln. Eher lächerlich wirken die darstellenden Amateure. Mit sexuellen Akten und Themen allein provozieren zu wollen, zeigt zudem einzig und allein eine schnöde Ignoranz des Regisseurs gegenüber seinen Zuschauer.
Weder ein hausgemachter Skandalfilm noch ein Kunstwerk ist „Shortbus“. Eher ein einschläfender Aufschrei für das zahlende Publikum und zudem noch misslungen!
Geschrieben von Björn Buß
von Archiv | 20.10.2006
Die Streichquartette besitzen im Schaffen Dmitri Schostakowitsch (1906 – 1975) eine eigene Aura. Ähnlich wie Beethoven lenkte der sowjetrussische Komponist erst in späteren Jahren sein Augenmerk auf dieses exquisite Feld der Kammermusik.
Ob sich damit gleich ein Rückzug ins Private oder gar ein Wunsch nach universaler Aussage in persönlich schweren Zeiten ablesen läßt, darüber mag geforscht werden. Ein schönes Gedenken ermöglicht in erster Linie die Aufführung seiner Musik. Dafür ist reichlich gesorgt. Mit der Unterstützung von Schostakowitschs Sohn Maxim korrigierte das Rasumowsky-Quartett einige Druckfehler der Autographen und bietet mit überdachter Wahl die fünfzehn Quartette des Vater in ihrer Gesamteinspielung mit neuen Tempi dar. Sagt die Musik dann nicht genug?
Geschrieben von Uwe Roßner
von Archiv | 20.10.2006
Die beiden Flugzeuge lassen sich nur für einen Sekundenbruchteil erahnen – als Schatten auf einer Hochhauswand. Dann versinkt alles in einem ohrenbetäubenden Beben. Es ist eine der unheimlichsten und beklemmensten Szenen des Films. Was dann folgt, lässt sich nur schwer beschreiben, denn jeder weiß, was die beiden Polizisten John McLoughlin (Nicholas Cage) und Will Jimeno (Michael Peña) noch nicht einmal ahnen. Regisseur Oliver Stone versucht es trotzdem – und zeigt, wie es im World Trade Center ausgesehen haben muss.
Das Licht sei der Schlüssel zum Film, berichtete Oliver Stone in einem Interview. Tatsächlich ist man fast erleichtert, als die Kamera endlich aus den engen Betontrümmern hinaufgleitet. Zwei Drittel des Streifens zeigen klaustrophische Enge, die andere Zeit besteht aus staubigem Grau, das Hoffen Familienangegöriger auf ein Lebenszeichen und schließlich der Moment des bis dahin in den Vereinigten Staaten von Amerika völligen unbekannten Gefühls der Solidarität.
Der Kinofilm, der auch chronologisch abgedreht wurde, ist ein Film über Menschen, gewürzt mit einer Prise Patriotismus. Zwar ist dessen Ende bekannt, doch erschrecken die ohrenbetäubenden Explosionen immer wieder, wenn sie die Kinoleinwand schier zerreißen. Beklemmende Enge und das Gefangensein in Staub und Beton, den nicht einmal Stunden später Rettungskräfte mit professionellen Schneidegeräten entfernen können, führen die menschliche Hilflosigkeit doppeldeutig vor Augen.
Nicolas Cage wirkt in der Rolle als Sergeant McLoughlin anfangs fehlbesetzt, in den Szenen der Verschüttung jedoch entpuppt sich seine einschläfernde Spielweise jedoch als ausdrucksstark und macht die unerträgliche Unbewegtheit zugleich schmerzlich bewusst.
Mit seinem Film über den weltweit zu Tode politisierten 11. September möchte Regisseur Oliver Stone daran erinnern, was jene Männer durchgemacht haben. Das gelingt ihm. Mit langer Nachwirkung.
Geschrieben von Judith Küther
von Archiv | 20.10.2006
Die Blutsbande ist die direkteste, langlebigste und verlässlichste Verbindung der zwischenmenschlichen Existenz. Deren Aufbrechen in Zeiten steigender Scheidungs- und sinkender Geburtenraten in modernen Industriegesellschaften führt zum Vertrauensverlust in Beziehungen. Das Einzelgängerdasein wird toleriert.
Der neuseeländische Kinofilm „No. 2” thematisiert dieses Problem. Nanna Maria ist das weibliche Oberhaupt einer von den Fidschiinseln stammenden Familie. Die Matriarchin erahnt zu Beginn des 94 Minuten langen Werkes ihrem bevorstehenden Tod. Ein Wunsch, besser ein Befehl wird deshalb ausgesprochen: ihre sechs Enkel sollen an diesem Tag zu einem Familienfest zusammen kommen. Im Haus mit der titelgebenden Nummer 2 soll gegessen, getrunken und getanzt, eben gefeiert werden. Am Ende des Tages bestimmt die Großmutter dann ihren Nachfolger. Dieser Tag stellt die gesamte Familie vor große Probleme. Das zu grillende Schwein lebt noch, einige Familienmitglieder haben seit Jahren nicht mehr miteinander gesprochen, andere möchten ihre Zeit angenehmer verbringen. Es wird gestritten, gelacht und geweint. Ein Feuer muss gelöscht werden. Fäuste fliegen. Bis die Familie glücklich vereint ist, erlebt der Zuschauer deren kleinen Dramen des Lebens und träumt von dem perfekten Zusammenleben.
Regisseur Toa Fraser debütierte mit der Verfilmung seines eigenen Theaterstückes auf der Leinwand. „No. 2“ ist ein Plädoyer auf die Werte der Familie. Das Anliegen, die guten und schlechten Seiten/Zeiten einer Sippe darzustellen, ist ihm gelungen. Jeder Charakter ist vortrefflich besetzt. Die Vorstadt Aucklands ist als gewählte Kulisse aber ersetzbar, da die Handlung überall geschehen könnte. Fraser verknüpfte die eigenen Wurzeln in eine universale Liebeserklärung auf die familiäre Bande.
Geschrieben von Björn Buß
von Archiv | 20.10.2006
Henry „Hank” Chinaski säuft, raucht, wettet, fickt, schreibt. Schriftsteller nennt er sich. Natürlich kann sich ein Wesen mit diesen Hobbys nicht mit Kunst über Wasser halten. Er ist Mädchen für alles: Lastwagenfahrer, Fließbandarbeiter in einer Essiggurkenfabrik, im Ersatzteillager eines Fahrradladens und Putzmann. Kein Job ist von langer Dauer. Lieber geht Hank einen trinken. Dabei lernt der Protagonist Frauen kennen, aber nicht lieben. Mit diesen kann die Zeit angenehm vorüberziehen. Denn die gleichen Interessen wirken sehr positiv auf Chinaskis zwischenmenschliche Interaktionen.
Glaubhaft übernimmt Matt Dillon die Hauptrolle in der Verfilmung des Romans „Factotum” des amerikanischen Autors Charles Bukowski. Mitleid möchte die Figur nicht, verdient hat er sie auch nicht. Einfach nur in Ruhe gelassen zu werden, ist das Ziel. Sobald Stress im Anflug ist, sei es am Arbeitsplatz, im Bett oder im elterlichen Zuhause, verzieht sich Hank, sucht und findet den nächsten Drink.
Die Romanvorlage Bukowskis enthält Autobiographisches: Er war ebenfalls Trinker, Ficker und Schreiber und nach langen Jahren des Oxidierens kam endlich der Erfolg, aber auch der Tod. Sich an diesen Autoren heranzuwagen, braucht Kraft, die heftigen Vokabularien auszuhalten.
Die bewegten Bilder aus Chinaskis Leben sind schwächer als die gedruckten Wörter. Die Inszenierung ist solide und auch der Stimmung entsprechende Musik wählte der norwegische Re-gisseur Bent Hamer gut aus. Der den Kinofilm durchziehende Humor lockert auf. Doch drastisch genug ist das Endergebnis nicht.
Mit der DVD-Veröffentlichung kann man zufrieden sein. Ein langes Interview mit dem Hauptdarsteller, Trailer und geschnittene Szenen sind als Bonus enthalten. Pandora-Film gelang ein guter Einstand in das DVD-Geschäft.
Geschrieben von Björn Buß