Liebe Anke,
Du kennst mich nicht, aber ich kenne dich. Zumindest mehr, als du bisher gedacht hast. Zwar ist dein StudiVZ-Profil nicht öffentlich, aber dass Du im nächsten Herbst deinen 24. Geburtstag feierst, hat es mir immerhin verraten. Ich finde dich übrigens sehr schön. Hast Du geahnt, dass eine kurze Suche nach deinem Namen bei Google mir auch gezeigt hat, wo Du wohnst? Deine Festnetztelefonnummer in der Anzeige aus dem letzten Sommer bei einer WG-Börse hat mich nach einer weiteren Google-Suche zu einer anderen Annonce geführt.

Die mir gleich vier Dinge über dich verriet: Vom Sommer 2008 bis zum Jahreswechsel 2009 warst Du nämlich in Australien und hast dein Zimmer natürlich zwischen vermietet. Außerdem kenne ich nun deine E-Mailadresse bei gmail.com. Ach ja, ein großes Kompliment zu deinem sehr schön eingerichteten Zimmer, sieht superkuschelig aus. Nicht zuletzt kenne ich aber nun auch deine Handynummer, die ganz unten in der WG-Annonce stand. Als ich die Nummer bei Google eingegeben habe, fand ich ein paar Anzeigen für Mitfahrgelegenheiten zwischen Greifswald und Berlin an der so genannten „Pinnwand“, die man über unsere Uni-Homepage erreicht.

Ein Klick in dein Profil im Uni-Forum hat mir gleich deine Microsoft Live! Messenger-Adresse verraten. Die Eingabe dieser Adresse bei Google führte mich in ein Internet-Forum für Kunststudenten. Nachdem ich einige Beiträge von dir überflogen hatte wurde mir klar, dass Du viel lieber an der Universität der Künste in Berlin studieren würdest. Toll, ich liebe kreative Frauen. Und ich liebe vor allem schöne, kreative Frauen.
Auf einer anderen Website hat jemand dich als seine Freundin bezeichnet und deine Live! Messenger-Adresse und einen ausführlichen Fragebogen zu Dir verlinkt. Der ausgefüllte Fragebogen verriet sogar noch mehr: Du schläfst genauso gern auf dem Bauch wie auf dem Rücken und wenn du sterben müsstest, dann gern im Schlaf. Wenn ich darüber nachdenke, fiele mir spontan auch nichts anderes ein. Wir haben auch den gleichen Musikgeschmack und dieselben Lieblingsfarben. Dein Benutzername im Uni-Forum ließ mich noch mehr über dich erfahren. Der Spaß an der Fotografie ist eine weitere tolle Gemeinsamkeit, die wir beide teilen, Anke.

Zum Schluss deshalb meine Komplimente für deine tolle Homepage und die Bilder auf deviantart.com und photocase.com. Was ich auf coroflot.com und Ebay noch über dich erfahren habe, weißt du vermutlich selber nicht mehr. Denn wer denkt denn wirklich noch an all die Spuren, die er irgendwann im Internet hinterlassen hat?

Nicht nur Anke ist durchschaubar, auch Johanna (Namen von der Redaktion geändert) ist es. Denn Anke und Johanna sind keine Einzelfälle: moritz berichtet über Probleme mit der Anonymität im Internet und beim Schutz der eigenen Daten.

Wer online geht, hinterlässt leicht Spuren – der eigene Name, das eigene Bild, die Adresse oder die Handynummer. Wer über einen auf den eigenen Namen gemeldeten Internetanschluss oder anderen protokollierten Anschluss, wie das Greifswalder Uni-Netz, online geht, hinterlässt sogar nur schwer vermeidbare Spuren. Diese Spur ist die protokollierte Internetadresse: die so genannte IP. Diese Spur ist aber noch nicht das wirkliche Problem. Vorausgesetzt, man plant keine terroristischen Anschläge, betreibt kein Urheberrechte verletztendes Filesharing oder verteilt Kinderpornografie.

Das wirkliche Problem sind die Millionen Internetseiten, auf denen völlig unkritische Nutzer immer wieder zur Ein- und damit zur Preisgabe persönlicher Details aufgefordert werden. Nur wenige überlegen, was mit den Daten geschieht. Dabei muss es nicht die in den Medien zeitweise omnipräsente „Datenpanne“, illegaler Datenhandel oder gar der angeblich wieder erstarkende Überwachungsstaat sein, der private Informationen in die unendlichen Weiten des Internets saugt. Viele Menschen werfen ihr „Leben“ dem Netz äußerst bereitwillig in den Schlund.

Mit ein wenig Geschick und Einfallsreichtum bei der Suche lässt sich deshalb oft erstaunlich viel über manche Kommilitonen und Kommilitoninnen an unserer Uni erfahren. Von der Studentin für Skandinavistik und Germanistik, Stephanie (22), ist im Internet aber kaum etwas zu finden. Auf die Frage, ob sie besonders bewusst mit ihren persönlichen Daten umgeht, erklärt sie: „Bei persönlichen Daten achte ich darauf, wo ich sie eingebe. In der Regel benutze ich meinen Spitznamen. Bei meinem Namen und meinem Spitznamen ist es natürlich nützlich, dass die nicht so ausgefallen sind. Und selbstverständlich habe ich eine E-Mailadresse mit meinem richtigen Namen und eine zweite, anonyme Adresse.“ Ihren Namen hatte sie vor zwei Monaten zum ersten Mal „gegoogelt“.

Manchmal hat man es nicht in der Hand, was man von sich preisgeben will. Unternehmen oder Vereine wollen sich offen und freundlich präsentieren und zeigen ihre Mitarbeiter nebst Namen und Bild, oder auch mit mehr Details. BWL-Studentin Johanna verriet dem Leser im Uni-Forum ihren Namen, ihre Telefonnummer und ihre E-Mailadresse. Alles nur, weil sie eine Mitfahrgelegenheit anbieten wollte. „Eher offen“ sei sie dem Thema Anonymität und Datenschutz gegenüber bisher eingestellt gewesen, erklärte sie uns nachdem wir sie mit all den im Netz gefundenen privaten Informationen konfrontiert hatten. Auf die Verbreitung anderer persönlicher Details war ihr aber nur teilweise eine Einflussnahme möglich. So fand man via Internetsuche sehr leicht ihr Bild und auch Auskunft darüber, an welchem Lehrstuhl sie arbeitet und welche Nebenjobs sie davor hatte. Überhaupt nicht gerechnet hatte sie damit, dass sie auch noch mit ihrer Adresse und Festnetztelefonnummer in einem Onlinetelefonbuch zu finden wäre. Die Frage, ob sie bewusst entschieden hat, welche Daten sie von sich im Internet verbreitet, beantwortet sie so: „Ich habe mir wenig GedAnke n darum gemacht.“ Anke geht es vermutlich genauso.

Facebook, StudiVZ, MySpace und Co., eigentlich sollte es jeder schon wissen: Die Preisgabe von Informationen, die man dem Internet anvertraut, muss sorgfältig überlegt sein. Trotzdem werden in der vermeintlichen Vertrautheit viele Nutzer zum Exhibitionisten, ganz besonders in sozialen Netzwerken. Ein studentischer Bürgerschaftskandidat protzte im StudiVZ bis zum Erscheinen von moritz 77: „Das einzige, was man im Leben braucht, sind richtig geile Felgen.“ Seine Meinung hat er schnell geändert, vor allem in Bezug auf die Veröffentlichung solcher persönlichen Details: Er machte sein Profil für Fremde unsichtbar. Stephanie geht damit lockerer um und so kann man nach kurzer Suche dort viel über sie erfahren. Aus ihrer Sicht besteht „der Sinn von StudiVZ ja darin, neue Leute kennenzulernen oder Leute mit gleichen Interessen zu finden. Da finde ich es ok, wenn Bilder oder Interessen öffentlich einsehbar sind. Im StudiVZ habe ich schon längst vergessen geglaubte Schulfreunde wieder gefunden.“
Gegen unschöne Verlinkungen auf Bildern im StudiVZ kann man sich zwar mittlerweile auch wehren, muss diese aber auch regelmäßig kontrollieren. Sonst bekommt der Chef eines angestrebten Praktikumsplatzes neben dem Anschreiben auch Fotos vom „Absturzsaufen“ des letzten Wochenendes präsentiert. Oder Bilder von Strandbesuchen, wo die jugendlichen Bewerberinnen unbewusst und ungewollt ihr Bewerbungsfoto ergänzen. Will man dem zukünftigen Vorgesetzten im String-Bikini erscheinen?

„Die tageszeitung“ (taz) zitiert Ute Nauheimer, Human Resources Managerin von der Werbeagentur Saatchi & Saatchi: „Wir nutzen Netzwerk-Plattformen häufig, vor allem Xing, aber zum Teil auch das Studiverzeichnis.“Macht Stephanie sich GedAnke n darum? „Ich sehe das nicht so eng. Das ändere ich vielleicht, wenn ich mich bewerbe“, erklärt sie. Immerhin hat sie keine Bikini-Fotos online gestellt. Ähnlich ist Johannas Meinung, denn „ich weiß, dass keine kompromittierenden Bilder dabei sind.“ Sie findet öffentlich einsehbare Bilder in sozialen Netzwerken deshalb ebenfalls in Ordnung.

StudiVZ selbst hatte am Anfang mit großen Problemen der Datensicherheit zu kämpfen, im am 27. Februar 2007 wurde es sogar gehackt. Der Eingriff war so gravierend, dass alle Mitglieder des sozialen Netzwerkes anschließend gezwungen wurden, sich neue Passwörter zuzulegen. Reichen diese Maßnahmen von StudiVZ aus?

„Nein, und ich halte diese Netzwerke auch nicht für sozial. Auf MySpace oder Facebook geht es ja nicht darum, Menschen eine Plattform zu bieten, sondern um rein kommerzielle Interessen“, erklärt Datenschutzaktivist padeluun im Interview mit der ZEIT.

Aber nicht nur Bilder und Telefonnummer sind interessant. In so genannten „Phishing“-Mails bekommen beispielsweise die Kunden von BAnke n und Sparkassen regelmäßig freundliche Anschreiben. Darin wird darum gebeten, sich unter dem Link www.berliner-sparkasse.de anzumelden und dort durch Eingabe seiner Kontonummer und PIN seine Kontaktdaten zu bestätigen. Der scheinbar harmlose Link in der E-Mail führt aber zur Adresse www.berliner-sparkasse.soo.com, was ungeübten Augen nicht immer auffällt. Ein täuschend echter Anmeldebildschirm erscheint, die Eingabe der PIN erfolgt und das gesamte Guthaben ist weg, der Dispokredit ebenfalls aufgebraucht. Ein vergleichbar harmloses Beispiel war da eine E-Mail am 3. Juni 2009 unseres Uni-Rechenzentrums, in dem der vermeintliche Leiter darum bat, wegen Wartungsarbeiten die Gültigkeit von E-Mailkonten zu bestätigen. Wer sich weigert, würde binnen fünf Tagen gelöscht. Ein dreister Phishingversuch, die E-Mailfächer für den massenhaften Spamversand kapern wollte – und es schaffte. Obwohl das Rechenzentrum und webMoritz unverzüglich informierten und das Anschreiben sprachlich sehr holprig war, fiel ein Benutzer darauf rein und gab seine Anmeldedaten preis. Die Folge: Am 5. Juni 2009 brach die E-Mailversorgung der Universität für elf Stunden zusammen.

Auch wenn man bisher erschreckend viele private Details über Johanna und Anke finden konnte, fällt Johannas Fazit wenig drastisch aus. Sie wird nun zukünftig „wahrscheinlich weniger“ von sich preisgeben. Ob das reicht, um zukünftig die eigene Identität zu schützen und trotz unserer täglich mehr vernetzten Welt anonym bleiben zu können, beleuchtet moritz in einem kommenden Beitrag. In einem Artikel auf der Internetseite des Vereins zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V. meint Datenschutzaktivist padeluun: „Es wird sehr häufig davon gesprochen, dass wir bald alle gläsern sind. Ich denke gläsern 0sind wir jetzt alle schon – und wenn wir nicht aufpassen und dagegen steuern, dann werden wir sehr bald nicht nur gläsern, sondern nackt sein.“

Ein Artikel von Arik Platzek