Der Gründer des Greifswalder Unternehmens Coldplasmatech, Carsten Mahrenholz, möchte mit dem etablierten Gesundheitssystem brechen. Von Revolutionen, kleinen Wundern und der Ambition, weltweit Menschen mit einer neuen Technologie zu heilen.
von Julia Pöppke
Das Interview ist in einer gekürzten Version in der 172. Ausgabe des moritz.magazins erschienen. Die Ausgabe mit anderen spannenden Artikeln findet ihr online, hier auf dem webmoritz. oder zeitnah in unseren Bibliotheken, Mensen und anderen Uni-Gebäuden.
moritz.magazin: Wie würdest du dein Unternehmen für Fachfremde beschreiben?
Carsten Mahrenholz: Wir stellen Menschen mit Wunden wieder her, die als schwer oder nicht heilbar gelten. Dazu gehören chronische Wunden bis hin zu Schwerstbrandverletzte. Wir haben dafür eine komplizierte Technologie applizierbar gemacht: kaltes Plasma. Ich erkläre es gerne mit einer Star-Trek-Metapher: Bei Raumschiff Enterprise gab es ein kleines Handgerät, das vorne blaue Strahlen ausgesendet hat und damit Wunden heilte. Genau dieses Gerät haben wir jetzt in Realität hergestellt – nur vollautomatisch und mittlerweile behandeln wir in wenigen Minuten den ganzen Körper.
Kannst du mir mehr über die beruflichen Hintergründe erzählen, die zur Gründung des Unternehmens geführt haben?
Wir haben unser Unternehmen damals aus dem Leibniz-Institut für Plasma-Forschung (Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie e. V., Anmerkung der Red.) hier in Greifswald herausgegründet. Zuerst waren wir eine Arbeitsgruppe, die geforscht hat, wie man kaltes Plasma großflächig medizinisch anwenden kann. Nach 18 Monaten hatten wir ein erstes Produkt und haben gegründet. Nach einem Jahr mussten wir alles wegschmeißen, weil es nicht produzierbar und unglaublich kostenintensiv war. Ein großer Schritt für ein junges Unternehmen – aber notwendig. Danach haben wir als Unternehmen angefangen, das Produkt neu zu erfinden und stärker auf die Bedürfnisse des Marktes anzupassen.
Das war 2016. Inzwischen ist die Greifswalder Coldplasmatech GmbH weltweit bekannt für ihre innovative Erfindung, Menschen mit kaltem Plasma zu heilen. Plasma entsteht, wenn Gas zusätzlich Energie zugeführt wird und es somit in den vierten Aggregatzustand wechselt – ein sehr heißes „ionisiertes“ Gas. Plasmamedizin wurde erst dann möglich, als das Plasma hautverträglich auf 37 Gard Celsius erzeugt werden konnte – dann ist es stark wundheilungsfördernd, entzündungshemmend, wirkt antibakteriell und regt zur Neubildung von Gefäßen an. Doch auf dem Weg zu solchen Ergebnissen müssen Rückschläge und Herausforderungen bewältigt werden.
Mit welchen Problemen hattet ihr bei der Gründung zu kämpfen und wie habt ihr diese überwunden?
Wenn du etwas gänzlich Neues machst, hat niemand Erfahrung damit. Menschen neigen dazu, einem zu erzählen, dass man das noch nie so gemacht habe oder das nie funktionieren wird. Die Kunst ist, einen Weg zu finden, den offensichtlich niemand gesehen hat. Das ist eine Herausforderung, der man sich auch persönlich stellen muss, während das Unternehmen wächst. Gerade an Märkten, wie dem Gesundheitsmarkt, der seinen eigenen Regeln folgt und hoch reglementiert ist, muss man kreativ und innovativ sein, um ständig wieder unkonventionell Probleme zu lösen.
Gab es einen Zeitpunkt, wo du an deinen Gründungsplänen gezweifelt hast?
Nein. Zweifel sind keine Option – sie würden alles hinter mir ins Wanken bringen. Menschen verlassen sich darauf, dass ich weiß, was ich tue und Unsicherheit würde nur Panik auslösen. Ich gehe zwar Risiken ein, aber stets kalkuliert, denn jedes Risiko birgt auch Potenzial. Als Gründer will man dieses Potenzial nutzen – denn ohne Risiko gibt es kein Wachstum.
Ihr wollt das Gesundheitssystem revolutionieren. Wo im System siehst du die größte Baustelle, die du mit deinem Unternehmensansatz positiv verändern kannst?
Im Gesundheitssystem und in unserem Bereich ist Versorgung das A und O und der Standard. Mit unserer Technologie haben wir die Möglichkeit einen Paradigmenwechsel zu vollziehen: von einem Versorgenden- zu einem Wundheilungsmarkt. Über Jahrzehnte waren alle Prozesse um den Patienten herum – sei es die Erstattung, die Arbeit, oder wie die Ausbildung funktioniert – auf die Versorgung des Patienten fokussiert. Auf das Behandeln und Pflegen der Wunden. Nichts ist darauf ausgelegt, dass er tatsächlich geheilt wird. Versorgung ist eben ein guter Businesscase für Unternehmen.
Die Mechanismen, die es aktuell im Gesundheitssystem gibt, sind so leider nicht mehr auf das Patientenwohl ausgerichtet. Obwohl Wiederherstellung, auch ökonomisch gesehen, das Beste wäre. Eine verheilte Wunde kostet weniger als eine Wunde, die kontinuierlich versorgt werden muss.
Wenn für die gesetzliche Krankenkasse ein gesamter Bereich wie die chronische Wunde rausgenommen wird, bedeutet das, dass die Krankenkasse faktisch gesehen schrumpft. Also wird nur auf Kostendeckelung geachtet, anstatt auf langfristige Kostenvermeidung. Das sind perfide Mechanismen. Als Unternehmen haben wir etwas, das lebensverändernd für die Patienten ist. Wir haben hervorragende erste Studienergebnisse und trotzdem dauert es Jahre, bis das Gesundheitssystem anfängt, das zu bezahlen, weil es Angst vor schnell steigenden Ausgaben hat. Eine leider sehr innovationsfeindliche Haltung.
Was sind eure Ziele für die nächste Zeit?
Zurzeit sind stecken wir noch in den Kinderschuhen der Verbrennungsmedizin. Wir hätten gerne, dass jeder Schwerstverbrannte in Deutschland mit unserem System behandelt wird. Das ist in einigen Bundesländern schon der Fall. Unternehmerisch geht es vor allem um Wachstum, damit das Unternehmen auf breiteren Füßen steht. Dazu wollen wir über den Tellerrand in Deutschland hinausschauen. Die USA gehören dabei zu unseren Zielmärkten. Wir sind gerade in Österreich und der Schweiz neu auf den Markt gekommen und sind im Gespräch für alle großen Märkte weltweit. Losgelöst von unternehmerischen Zielen schauen wir auf zusätzliche Indikationen: Wir können viel Gutes tun – und das setzen wir um.
In 2025 möchtet ihr euch an den amerikanischen Markt herantasten. Wie wollt ihr das unter den Strukturen des dortigen Gesundheitssystems tun unter der Prämisse, dass der neue Präsident das System beeinflussen wird?
Das hängt stark davon ab, welchen Kurs die neue Regierung im Gesundheitswesen einschlägt. Sollte Donald Trump – wie angekündigt – tatsächlich das Ziel verfolgen, Kosten zu senken, führt aus unserer Sicht kein Weg an einer Fokussierung auf wirksame Heilmethoden vorbei. Langfristige Einsparungen lassen sich nur erzielen, wenn Gesundheit wiederhergestellt wird – statt Symptome dauerhaft zu verwalten.
Genau dafür stehen wir als Unternehmen: Wir setzen uns dafür ein, dass der Wiederherstellungsgedanke im Gesundheitssystem eine zentrale Rolle spielt. Bislang ist dieser Ansatz in vielen Systemen nur randständig verankert – dabei liegt hier der Schlüssel zu nachhaltiger Versorgung und wirtschaftlicher Effizienz.
Erste Bewegungen in diese Richtung sind erkennbar. Auch in den USA beginnt man, Produkte zu deklassifizieren, deren Wirksamkeit nicht belegt ist. In Deutschland verfolgt der Gemeinsame Bundesausschuss eine ähnliche Linie, indem er zunehmend auf evidenzbasierte Bewertungen setzt. Diese Entwicklung begrüßen wir ausdrücklich – sie ist überfällig und richtungsweisend für alle Gesundheitssysteme, die Qualität und Wirtschaftlichkeit vereinen wollen.
Und langfristig: Was ist deine Vision für Coldplasmatech?
Experten sehen uns weltweit als das führende Unternehmen der Plasmamedizin – einer komplett neuen Medizinrichtung. Wir verstehen uns selbst als Marktbereiter im Auftrag des Patienten, notfalls auch gegen das System und gegen Unternehmen, die den alten Status Quo halten möchten. Trotzdem ist es ist nicht einfach, Geld vom Gesundheitssystem zu bekommen, dafür, dass man Menschen heilt.
Ein klares Ziel ist es, Wunden, die Jahrzehnte lang als chronisch und unheilbar galten, den Garaus zu machen. Ich bin echt stolz darauf, dass wir zum Beispiel schwerstverbrannten ukrainischen Soldaten helfen können, und jetzt angefangen haben, Kinder aus Krisengebieten zu behandeln, die unter Buruli Geschwüren oder Verbrennungen leiden, die nicht heilen wollen. Wir heilen sie innerhalb weniger Tage.
Mittlerweile kommen Unternehmen aus der ganzen Welt hier nach Mecklenburg-Vorpommern, die teilweise gar nicht glauben können, was wir machen. Ich zeige ihnen wie unsere Kompetenzzentren arbeiten und wir hier in Europa Patienten behandeln.
Was verbirgt sich hinter eurer Unternehmensphilosophie „kintsugi“?
„Kintsugi“ ist eine japanische Philosophie-Einstellung und eine Kunstform. Dabei werden zerbrochene Tongefäße mit flüssigem Gold repariert. Dadurch werden sie nicht nur wiederhergestellt, sondern sogar besser als vorher. Das ist eine der goldenen Regeln, denen ich auch persönlich folge und nebenbei eine Fähigkeit, die man als Unternehmer braucht – aus Problemen Vorteile bauen. Für unsere Technologie passt die Analogie: Wir stellen etwas wieder her, was eigentlich zerbrochen ist, wovon niemand mehr dachte, dass es wieder funktionieren würde.
Ihr sitzt in Greifswald, habt euch aus einer Greifswalder Forschungseinrichtung herausgegründet. Was motiviert dich dazu, dich aktiv in der lokalen Gründungsszene zu engagieren?
Ich finde es wichtig, dass Unternehmer sich aktiv in das wirtschaftliche Ökosystem einbringen und auch das Land unterstützen, in dem sie groß geworden sind. Allen ist geholfen, wenn man sich gegenseitig mit Rat und Tat zur Seite steht. Wenn es dem Gesamtsystem besser geht, geht es auch den Unternehmen darin besser. Grundsätzlich bin ich aber auch ein großer Fan, altruistische Dinge zu tun, von denen ich initial gar nichts habe. Ich hatte in meinem Leben immer das Glück, dass das wieder zurückgekommen ist.
Die Coldplasmatech ist mittlerweile als Unternehmen ein Teil des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Wir wirken nach außen wie ein Leuchtturm und zeigen, für was MV stehen kann. Wir können als eines der Erfolgsbeispiele genannt werden und darauf bin ich stolz.
Wie schaffst du es, dein Engagement in der Gründungszene mit den Anforderungen deines eigenen Unternehmens zu balancieren?
Es ist ein ständiger Balanceakt – und dazu gehört auch, bewusst „Nein“ sagen zu können. Ich versuche, meine Zeit klar zu strukturieren und mich auf Formate zu konzentrieren, bei denen ich echten Mehrwert stiften kann. Mein Engagement reicht inzwischen weit über die regionale Gründungsszene in Mecklenburg-Vorpommern hinaus – als Mitglied der Perspektivkommission des Bundesministeriums bringe ich meine Expertise auch auf nationaler Ebene ein. Die zentrale Frage für mich lautet: Kann ich mit meiner Erfahrung anderen wirklich weiterhelfen? Ich muss nicht überall präsent sein, aber wenn ich einen sinnvollen Beitrag leisten kann, bin ich mit Überzeugung dabei.
Wie bringst du diese ganzen zeitlichen Herausforderungen in Einklang mit deinem Privatleben?
Tatsächlich gelingt mir das sehr gut – auch weil ich Arbeit und Freizeit nicht strikt voneinander trenne. Das wird oft kritisch gesehen, dabei empfinde ich meine Arbeit als große Bereicherung. Sie gibt mir Energie und Erfüllung, weshalb ich mich auch außerhalb klassischer Arbeitszeiten gern damit beschäftige.
Ich habe eine junge Familie, einen dreijährigen Sohn und bin verliebt in eine beeindruckende Frau, die ebenfalls selbstständig ist. Wir genießen den großen Vorteil, dass wir viele der üblichen Grenzen zwischen Beruf und Privatleben selbst gestalten können. Auf längere Dienstreisen begleitet mich meine Familie häufig, sodass wir Berufliches und Privates ganz bewusst miteinander verbinden. Dadurch gehöre ich wohl zu den wenigen Vätern, die ihr Kind wirklich täglich beim Aufwachsen begleiten konnten – gemeinsam mit seiner Mama.
Was sind Vor- und Nachteile des Start-ups als Arbeitsumgebung im Vergleich zu einem lang etablierten Unternehmen?
Ein großer Vorteil von Start-ups ist die Möglichkeit, sehr früh viel Verantwortung zu übernehmen. Wer sich in der Anfangsphase einem jungen Unternehmen anschließt, wächst gemeinsam mit ihm – und hat dadurch oft deutlich schneller Zugang zu Aufgaben und Positionen, für die man in etablierten Strukturen Jahre oder sogar Jahrzehnte benötigen würde.
Diese Dynamik bringt allerdings auch Herausforderungen mit sich. Verantwortung bedeutet auch Druck, und nicht jeder fühlt sich in einem Umfeld wohl, in dem vieles unvorhersehbar ist. In großen Unternehmen lassen sich Schwierigkeiten oft mit zusätzlichen Ressourcen oder Budgets abfedern. In Start-ups dagegen kann eine einzige strategische Fehlentscheidung oder eine verzögerte Finanzierungsrunde gravierende Folgen haben – bis hin zum Verlust von Arbeitsplätzen.
Gerade diese Unsicherheit ist eine der größten Herausforderungen in der Start-up-Welt. Wir sind stolz darauf, dass wir bisher keinen Personalabbau vornehmen mussten – und das in einem Umfeld, in dem Planbarkeit keineswegs selbstverständlich ist.
Hast du einen Ratschlag für Studierende, die am Anfang ihrer beruflichen Reise stehen?
Mein wichtigster Ratschlag: Tut das, was euch wirklich Freude bereitet. Die größte Leistung entsteht dort, wo Menschen etwas tun, das sie erfüllt – nicht das, was das Umfeld, das Studium oder die Eltern erwarten. Genau diesen Weg bin ich selbst gegangen. Es ist nicht immer der bequemste oder einfachste, aber er gibt einem langfristig am meisten zurück.
Wer seine Stärken kennt und eine Tätigkeit findet, die echten Spaß macht, hat einen klaren Vorteil gegenüber jenen, die nur des Geldes wegen dabei sind. Aus Begeisterung entsteht Energie, aus Energie entsteht Leistung – und wer das lebt, wird gesehen und setzt sich durch.
Welche Tipps hast du für Studierende, die darüber nachdenken, in der Start-up-Szene zu arbeiten oder selbst Gründer*in zu werden?
Wer in der Start-up-Szene arbeiten möchte, sollte vor allem neugierig sein und den Mut mitbringen, Dinge selbst in die Hand zu nehmen. In jungen Unternehmen sind Strukturen oft noch im Aufbau, klare Zuständigkeiten fehlen manchmal – das bietet riesige Chancen für alle, die mitdenken, mitgestalten und Verantwortung übernehmen wollen. Wer dieses Mindset mitbringt, wird in einem Start-up nicht nur fachlich schnell wachsen, sondern auch echte Erfüllung finden.
Für alle, die selbst gründen wollen, ist es entscheidend, Freude daran zu haben, etwas Kleines groß werden zu lassen. Der Weg ist nicht immer gerade – Niederlagen gehören dazu. Wichtig ist, aus jedem Rückschlag etwas Neues zu formen. Wie ein Phönix, der aus der Asche steigt – oder wie in der japanischen Kintsugi-Kunst, bei der Zerbrochenes mit Gold repariert wird und dadurch an Wert gewinnt. Auch wir sind schon mehrfach gescheitert, aber jedes Mal ist daraus etwas entstanden, das besser war als zuvor. Wer klein und klug scheitert, hat langfristig die besten Chancen, Großes zu schaffen.
Vielen Dank für das Interview.
Beitragsbild: Collage / Kim Mahrenholz, www.kimoment.de