Fehlende Anlaufstellen und Repräsentation, Schwierigkeiten bei Namensänderungen und Diskriminationserfahrungen erschweren queeren Studierenden in Greifswald das Studium, wie das Ergebnis einer Umfrage aus dem letzten Jahr zeigt.

So queer sind die Studierenden der Uni Greifswald

Die Gender Trouble AG und der AStA haben vom 21.07. bis 07.08.2023 im Auftrag des Studierendenparlaments eine Umfrage innerhalb der Studierendenschaft zum „queeren Leben im universitären Raum“ durchgeführt.

Die Befragung soll unter anderem die jetzige Situation zu Lehrinhalten mit Bezug auf Diversität und Vielfalt in den verschiedenen Studiengängen abdecken sowie etwaige Diskriminierungserfahrungen. Außerdem soll spezifisch darauf eingegangen werden, inwiefern INTA* (intergeschlechtlich, nicht-binär, trans*ident und agender) Studierende die Möglichkeit erhalten, die gewünschten Pronomen und Namen im universitären Raum zu nutzen. Auch der Zugang und die Inklusivität des Hochschulsports sollen bewertet werden.

Beschluss des StuPas vom 5.06.2023

An der Befragung nahmen nur 187 Studierende teil, obwohl sie sogar im AStA-Newsletter (23.07.2023) beworben wurde. Bei 10.298 Studierenden, die im Wintersemester 2023/24 eingeschrieben waren, erscheint diese Zahl unwahrscheinlich gering, auch wenn sie explizit nur an „alle Personen, die […] sich als Teil der LGBTQ+-Community identifizieren“ gerichtet war. Doch selbst wenn die Umfrage nicht repräsentativ für alle queere Studierenden sein mag, schafft sie doch einen Überblick über die Situation vieler queerer Studierenden und zeigt, dass sie deren Belange ernstnimmt. Weiterhin konnten die Teilnehmenden Lob und Verbesserungsvorschläge einbringen und so ihre Stimmen hörbar machen. Die Ergebnisse der Umfrage findet ihr hier.

Ein Fünftel hat Diskriminierungserfahrungen gemacht

21,4%, also 40 Studierende, berichten von Diskriminierungserfahrungen im universitären Kontext aufgrund ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität. Davon gaben 11,8% an, beschimpft oder lächerlich gemacht worden zu sein, 9,6% wurden ignoriert oder ausgegrenzt, 6,4% wurden sexuell belästigt oder beleidigt. Keiner der teilnehmenden Personen wurde körperliche Gewalt angedroht oder angetan, doch sollte klar sein, dass jeder Fall von Diskriminierung ein No-Go ist.

Der Campus und Lehrveranstaltungen sind nicht immer ein Safe-Space für queere Studierende; 19 Personen gaben an, die Diskriminierung auf dem Campus und 14 Personen in Lehrveranstaltungen erlebt zu haben. In den meisten Fällen (21 Mal) ging die Diskriminierung von Kommiliton*innen aus, in 19 Fällen von Dozierenden und wissenschaftlichem Personal.

Umfrage Queeres Leben an der Universität Greifswald, S. 5

Für die Referentin der Zentralen Gleichstellungsbeauftragten, Alisa Otte, waren diese Diskriminierungsfälle nichts Unerwartetes:

Die Ergebnisse an sich sind für mich wenig überraschend. Insbesondere die Aussagen zu Diskriminierungserfahrungen waren in diesen Formen leider erwartbar, da queere Lebensrealitäten auch an der Universität durch strukturelle Diskriminierung beeinflusst sind. Ein Aspekt ist mir noch einmal besonders ins Auge gefallen: Die Tatsache, dass Diskriminierungen in Lehrveranstaltungen stattfinden, also in Situationen, in denen Studierende besonders abhängig von Dozierenden, Tutor*innen oder Sportkursleiter*innen sind. Diskriminierendes Verhalten ist insbesondere in diesen Räumen inakzeptabel und widerspricht u.a. dem Leitbild Lehre der Universität Greifswald.

Alisa Otte, Referentin der zentralen Gleichstellungsbeauftragen, am 12.06.2024 auf Anfrage des webmoritz.

Fehlende Anlaufstellen? – Nein, fehlende Sichtbarkeit

Von den 40 Personen, die angaben aufgrund ihrer sexuellen und/oder romantischen Orientierung oder ihrer Geschlechtsidentität diskriminiert worden zu sein, haben sich 36 Personen (also 90%) an keine Anlaufstelle gewendet. Die Betroffenen gaben als Grund dafür fehlendes Vertrauen in die Anlaufstellen („Das bringt sowieso nichts“ und „Angst, nicht ernst genommen zu werden“) und fehlendes Wissen über Anlaufstellen an.

Es gibt an der Uni Greifswald verschiedene Anlaufstellen bei solchen Fällen der Diskriminierung: das Büro der zentrale Gleichstellungsbeauftragen (GSB) und die Gleichstellungsbeauftragten der verschiedenen Fakultäten, den Antidiskriminierungsbeauftragten Michael Schöner, sowie peer-to-peer Angebote wie die Gender Trouble AG, FSRs und das AStA-Referat für Soziales und Gleichstellung. Doch es fehlt der Überblick und die Sichtbarkeit:

Es existieren keine universitären Websites, auf denen gebündelt alle wichtigen Themen für queere Studierende stehen (so wie es zum Beispiel für Studierende mit Kind oder internationale Studierende der Fall ist). Auch auf dem Studportal findet man zwar die Anlaufstellen, aber keine näheren Infos. Das wollen wir ändern! Es wird momentan geplant, eine queere Seite auf der AStA-Website zu etablieren sowie eine Seite für die GTAG.

Hanna Schifter, ehemalige AStA-Referentin für Soziales und Gleichstellung am 15.06.2024 auf Anfrage des webmoritz.

Inzwischen gibt es diese Seite im Studierendenportal, zur Zeit wird da nur die Gender Trouble AG vorgestellt, allerdings ist davon auszugehen, dass auch andere Organisationen folgen.

Im Rahmen des Queeren Informations- und Aktionsmonats gab es am 4. Juni eine Art queeren Markt der Möglichkeiten, bei dem sich universitäre und unabhängige Anlaufstellen und Kulturträger den Studierenden vorstellen und sich gegenseitig vernetzen konnten. In der darauffolgenden StuPa-Sitzung (hier der Ticker, das Thema wurde bei TOP4 angesprochen) wurde die Möglichkeit diese Veranstaltung in Zukunft zu wiederholen in den Raum geworfen und vom AStA benickt, sodass es sie zukünftig möglicherweise jedes Semester geben könnte.

Ein weiterer Vorschlag zur Förderung der Sichtbarkeit ist die Einrichtung einer zentralen Anlaufstelle, eine Art „Queer*beauftagte*r, die sich speziell mit LGBTQ*-Themen befasst und offen kommuniziert wird, genau wie andere Beauftragte und Interessenvertreter*innen der Universität. Doch wenngleich Gleichstellungsbeauftragte, AStA und GTAG dies für eine gute und wichtige Idee halten, ist unklar, ob die Etablierung einer neuen Stelle dafür umsetzbar ist. Ein erster Anfang wäre laut Hanna Schifter, der ehemaligen AStA-Referentin für Soziales und Gleichstellung, sich in den bestehenden Positionen besser zur Beratung queerer Studierender aufzustellen.

Forderung nach queeren Lehrinhalten

Die Gender Trouble AG sieht fehlende Sichtbarkeit von queeren Angeboten und Inhalten auch in den Lehrplänen:

Dass es queeren Angeboten an Sichtbarkeit fehlt, wird deutlich, wenn man selbst bewusst danach sucht, sei es online oder in Universitätsgebäuden. So werden zum Beispiel Studierende nicht aktiv informiert, wie die Uni mit queeren Themen umgeht und welche Ansprechpersonen es gibt. Und in Studiengängen, in denen es wirklich unverzichtbar wäre, fehlt es an entsprechendem Lehrstoff zum Thema Queerness

Die Gender Trouble AG am 07.06.2024 auf Anfrage des webmoritz.

Neben mehr Sichtbarkeit von und durch Beratungsangebote wünschten sich die Teilnehmenden auch mehr Beschäftigung mit queerem Leben in ihren Fächern: 111 von 187 Teilnehmende gaben an, dass das Thema Queerness keine Rolle in ihren Lehrinhalten spielt, 60% davon wünschen sich das aber. Die Art der Inhalte, die laut Teilnehmenden behandelt werden soll, unterscheidet sich nach den Studiengängen: in den medizinischen Fächern sollten diversere Verhütungsmethoden und sexuell übertragbare Krankheit thematisiert werden, sowie gendersensitive Anamnese und Beratung, wobei letzteres auch für die Psychologie relevant ist, genau wie gender-affirming healthcare.

In den Biowissenschaften wünschen sich Teilnehmende die Beleuchtung von Geschlechtsvarianten außerhalb des binären, die auch im Lehrplan verankert sein sollte. In den Rechtswissenschaften könne Fokus auf vorhandene und noch fehlende Gesetze zum Schutz queerer Personen gelegt werden, in den Geschichtswissenschaften könne man queere Lebensrealitäten mehr in den Fokus rücken und wie in den Literaturwissenschaften Texte von und über queere Personen lesen. Studierende der Bildungswissenschaften wünschten sich außerdem Veranstaltungen zum Umgang mit queeren Schüler*innen.

Um diesen Forderungen nachzukommen, wurde in der Vollversammlung am 18. Juni bereits der Antrag „Mehr queere Lehrinhalte in Vorlesungen und Seminaren“ gestellt und angenommen. Inwiefern die Forderungen des Antrag durchgesetzt werden können, wird sich zeigen.

Bei der Vollversammlung wurde auch der Antrag „FLINTA* Toiletten jetzt!“ gestellt, der nicht nur die Forderung nach genderneutralen Toiletten aufnimmt, sondern darüberhinaus Toiletten insbesondere für FLINTA*-Personen fordert. Die Debatte dazu war hitzig, unter anderem auch deswegen, weil möglicherweise nicht allen Diskutierenden bewusst war, dass bereits auf der Vollversammlung im Wintersemester 2022/23 beschlossen wurde, Unisex-Toiletten in allen Universitätsgebäuden einzurichten. Anhand der Tatsache, dass auch dies eine häufige Forderung in der Umfrage war, kann man ablesen, dass es dort noch Handlungsbedarf gibt.

Wie steht es um queeres Leben an anderen Universitäten?

An der LMU München wurde im Frühjahr 2020 eine ähnliche Umfrage zu queerem Leben im universitären Raum durchgeführt, die sich aber nur auf die Wahrnehmung der Universität und auf mögliche Diskriminierungserfahrungen fokussiert hat. Bei der Münchner Umfrage gaben 38% der 629 Teilnehmenden an, Diskriminierung im universitären Raum erlebt zu haben, 5 Teilnehmenden wurde Gewalt angedroht und eine Person wurde sogar körperlich angegriffen. Da sieht es in Greifswald um einiges besser aus, wobei sich die Frage nach der Dunkelziffer aufdrängt.

Auch bei der Münchner Umfrage gaben ein Großteil der Teilnehmenden an, sich nicht an die universitären oder studentischen Anlaufstellen gewandt zu haben, wie in Greifswald. Jedoch liegen die Gründe in München nicht (nur) bei fehlender Sichtbarkeit dieser Angebote, sodass die Empfehlungen, die am Ende der Auswertung ausgesprochen werden, sich weniger auf Sichtbarkeit beziehen. Eher geht es dort um die Relevanz geschlechtergerechter und -neutraler Sprache, von Anti-Diskriminierungskonzepten und Diversitätsförderung. Es kommt auch der Vorschlag auf, Angestellten der Universität Fortbildungen zu geschlechtlicher und sexueller Vielfalt und Antidiskriminierung anzubieten; die Auswertung der Greifswalder Umfrage macht diesen Vorschlag auch.

Was machen wir jetzt damit?

Die Umfrage ist ein erster wichtiger Schritt dahin, unsere Universität besser für alle – insbesondere queere Studierende – zu machen.

Die Ergebnisse sind wichtiges Material für alle Stellen der Universität, die sich mit Chancengerechtigkeit befassen und sie zu einem geschützten Ort für alle machen wollen.

Alisa Otte, Referentin der zentralen Gleichstellungsbeauftragten auf Anfrage des webmoritz am 12.06.2024

Die Umfrage selbst macht im Fazit einige Vorschläge für Maßnahmen, die ein inklusiveres und sichereres Campusleben für queere Studierende schaffen sollen:

  • Stärkere öffentliche Positionierung der Universität gegen Diskriminierung und für Diversität, Akzeptanz und Inklusion
  • Ausbau von Anlaufstellen und Unterstützungsangeboten für queere Studierende
  • Einführung geschlechtsneutraler Toiletten und die Ausstattung aller Toiletten mit Menstruationsprodukten
  • Die Möglichkeit einer einfachen Namensänderung auch für Moodle und E-Mailadressen
  • eine Anpassung bzw. Erweiterung der Lehrinhalte in Bezug auf das Thema Queerness in der Bildung, Medizin, Literatur, Geschichte, etc.
  • Sensibilisierung und Weiterbildung von Lehrenden, Forschenden und Mitarbeitenden zu LGBTQIA+-Themen

Einige der Punkte wurden und werden bereits angegangen. So sind Namensänderungen bereits länger möglich, wenn auch nur hochschulintern, sodass auf dem Abschlusszeugnis möglicherweise noch der Deadname steht. Mehr dazu erfahrt ihr auf der Seite der Gleichstellungsbeauftragten. Die Einführung geschlechtsneutraler Toiletten ist ebenfalls bereits von der Studierendenschaft beschlossen, sowie das Bemühen um Erweiterung der Lehrinhalte. AStA, GTAG und Gleichstellungsbüro arbeiten gerade an einem Maßnahmenkatalog, der sich laut Hanna zunächst auf Sensibilisierung der Lehrenden fokussiert. Weiterhin soll wie oben beschrieben die Sichtbarkeit von Angeboten für queere Studierende verbessert werden; Initiativen wie der Queere Aktions- und Informationsmonat setzen bereits ein starkes Zeichen, aber persönlich hätte ich mir gewünscht, dass dieses Zeichen auch von der Universität selbst, zum Beispiel durch Hissen der Pride-Flagge an den Universitätsgebäuden, gekommen wäre.

Bei meiner Recherche nach Umfragen zu queerem Leben an anderen Universitäten habe ich erfahren, dass Umfragen in denen queere Studierende direkt sagen können, inwiefern sie sich im universitären Raum diskriminiert fühlen und welche Maßnahmen sie sich wünschen um ihr Studium angenehmer zu machen, sehr selten sind. Und deshalb möchte ich mich, genau wie unsere Rektorin, bei AStA, Gender Trouble AG und Gleichstellungsbüro und bei allen Teilnehmenden an der Umfrage dafür bedanken, die Sichtbarkeit von queeren Studierenden und ihren Anliegen zu steigern:

Ich bin der Studierendenschaft und insbesondere dem AStA sehr dankbar dafür, dass das ehrenamtliche Engagement der Studierenden dem queeren Leben an der Universität mehr Sichtbarkeit verleiht. Gerade diese Studie zeigt, wie wichtig das hochschulpolitische Engagement der Studierenden für eine tolerante, vielfältige und bunte Universität ist. Die Ergebnisse zeigen uns aber auch, dass wir als gesamte Universität weiter daran arbeiten müssen, unsere Forschungs- und Lernräume vor jeglichen Formen der Diskriminierung zu schützen.

Prof. Dr. Katharina Riedel, Rektorin der Universität Greifswald auf Anfrage des webmoritz am 07.06.2024

Beitragsbild: Prideflaggen im Büro der zentralen Gleichstellungsbeauftragten


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