Wie auch die Radioaktivität ist das, was die ganze Welt aktuell beschäftigt, nicht erkennbar, doch scheinbar permanent um uns herum. Ich möchte nicht werten oder beurteilen. Mir steht das auch nicht zu. Als Vertreter der Presse ist es in erster Linie das Anliegen, eine einfache Lagebeschreibung abzugeben. Ganz konkret ist meine Aufgabe eine blanke Darstellung der Situation von meinem aktuellen Standort in Polen. Auch liegt mir dabei ein Abschreiben von anderen Medien fern. Ich möchte lediglich einmal aufzeigen, wie sich das Leben schlagartig verändert hat. Wo fange ich an? Wo höre ich auf? Ich gehe einfach zum 12. März zurück.

An diesem Tag wurde der Ausnahmezustand ausgerufen. Eine Erhöhung des Status sollte in den kommenden Wochen folgen. Schon in den Tagen zuvor schlossen sich die Türen von Theatern, Museen, Schulen und weiteren öffentlichen Einrichtungen. Die Regierung empfahl den Betrieben, Firmen und Konzernen alles dafür zu tun, dass ihre Leute nicht gezwungen werden, den täglichen Weg zur Arbeit antreten zu müssen. Daran wurde sich auch gehalten. An jenem Freitag, der 12. März war ein Donnerstag, waren schon kaum noch Leute an den Straßenbahn- und Bushaltestellen, wo sonst morgens Massen aussteigen, zu sehen. Ältere Leute und Erziehungsberechtigte brauchten ohnehin nicht mehr vor die Tür.

Was mich angeht: In der Zeit vor dem Homeoffice und der beginnenden Panik stieg ich auch um, als ich den Weg mit der Straßenbahn gegen den Spaziergang zur Arbeit eintauschte. Das war der positive Nebeneffekt in der ganzen Situation. Viele Bilder, die mir sonst verborgen gewesen wären, wurden nun sichtbar. Drei Punkte fielen mir besonders auf: Ganz unscheinbar gibt es sogar noch ein paar Reste deutscher Sprache an einer Hauswand, die einst zu einem Geschäft gehörte. Die Fans von Lech Poznań tobten sich mit Spraydosen in manchen Straßen doch ziemlich gut aus. Und in die Reihe der kuriosen Wandverzierungen ordnete sich ein Hundeabbild über einer Toreinfahrt ein. Apropos Einfahrt: Wollte ich das Land verlassen, müsste ich mich bei Rückkehr für zwei Wochen in Quarantäne begeben. Das Osterfest in der Heimat entfällt für mich auch in diesem Jahr.

Und dann kam das Homeoffice! Der tägliche Weg bei Wind und Wetter entfiel, es blieb mehr vom Tag und am Wochenende konnte man sowieso noch vor die Tür. So kam es zu einer kuriosen Situation. Während zur Hauptverkehrszeit kaum noch Autos auf der Straße waren – schaut euch mal das Bild an (!) – tummelten sich in den Wäldern Menschenmassen. Und ich übertreibe da nicht einmal. Der Weg in mein geliebtes Reservat glich einer Autobahn. Es war klar, dass das nicht lange so anhalten würde.

Aufgrund der steigenden Werte wurde seitens der Regierung dann so gut wie alles gestrichen. Die Arbeit der Polizei wurde durch eine Quarantäne-App erleichtert. Anfangs war die Polizei nur beschäftigt, die Einhaltung von Quarantäne-Auflagen zu überprüfen, sodass es sogar den Aufruf an die Langfingergemeinschaft gab, kriminelle Aktivitäten doch vorübergehend ruhen zu lassen. Nebenbei fährt die Polizei mit Lautsprecherautos durch die Städte und fordert die Leute auf, das Haus nicht zu verlassen. Die Präsidentschaftswahl steht an, da möchte man zeigen, dass hier in Gefahrensituationen nichts anbrennen kann. Das Volk steht geschlossen hinter diesen Entscheidungen. Auch hier in der Hochburg der Opposition loben die Leute, jedenfalls diejenigen, mit denen ich hier Kontakt habe, die Festlegungen. Was heißt das nun für mich konkret? An Spaziergänge und Abenteuer in den Wäldern ist aktuell nicht zu denken. Ich darf noch einkaufen, zur Apotheke und zum Arzt.

Die Supermärkte haben sich auf die Situation eingestellt. Die Angestellten sitzen hinter einer Glaswand, auf dem Boden sind Markierungen und Leute dürfen nur begrenzt hineingelassen werden, dafür wurden aber die Öffnungszeiten verlängert. In manche Läden dürfen sogar nur einzelne Personen. An Medikamente zu kommen, ist weiterhin kein Problem. Rezepte werden hier von der Praxis aus über das Handy ausgestellt – verschlüsselt durch einen Code, mit dem die Apothekenfrau (bisher habe ich hier noch keine Männer in einer Apotheke gesehen) mir dann das passende Präparat aushändigt. Dringende Arztbesuche entfallen jetzt natürlich. Mein Zahnarztbesuch muss dann leider etwas warten. Was ich mit meinem Haar mache, steht noch in den Sternen. Friseurgeschäfte wie andere kosmetische Einrichtungen wurden zum Stillstand gezwungen.

Und sonst? Langeweile kommt nicht auf. Es ist gut, dass ich einen Balkon habe. So kann ich dann doch noch die Sonnenstrahlen – insbesondere am Abend – genießen und Leute beobachten, die ihre Hunde ausführen und jene, die in einem Abstand von 2 Metern laufen müssen oder müssten. Dabei kommt es durchaus schon zu kuriosen Szenen. Ich kam von der Mülltonne und eine Frau eilt mich sehend flinken Fußes ins Haus. Wer nun denkt, sie hätte mir die Türe aufgehalten, der irrt. Im Haus drückt sie aber dann die Tasten des Fahrstuhls … Ich dagegen wähle die Treppen – ein kleiner Tropfen auf den heißen Stein in meinem täglichen Sportprogramm. Ansonsten habe ich mir mal wieder ein Buch vorgenommen. Sonst komme ich kaum dazu. Auch andere Lektüre fiel mir beim Aufräumen auf. Soziale Kontakte halte ich über mein Handy, das mich durch die Info des Anbieters in der Ecke jeden Tag daran erinnert, im Haus zu bleiben. Auch das Backen von Brot steht bei mir wieder auf dem Plan. Kulinarisch hat die ganze Phase, die dann hoffentlich auch mal wieder endet, ein paar positive Nebeneffekte. Es schmeckt einfach lecker.

Ganz so gut geht es aber nicht allen. Die ersten in meinem Bekanntenkreis klagen bereits über Entlassungen und Probleme beim Zahlen der Mieten. Die Solidarität ist aber groß. Mit enormen Leistungen unterstützen die Fußballfans und Pfadfinderverbände wie gewohnt Krankenhäuser und alte Menschen.

Es bleibt spannend. Denn Ostern als das wichtigste Fest der Polen kommt bald.

Beitragsbilder: Michael Fritsche
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