Wenn man seine Kommilitonen mal fragt, woher sie eigentlich ursprünglich kommen, hört man von fast jedem zweiten Hamburg oder Berlin. Und im Gegensatz zu diesen Großstädten hält man Greifswald schnell für ein Kaff. Ich tat dies zumindest, bis ich meine Mutter an ihrer neuen Arbeitsstelle in Brandenburg besuchte – in Wittenberge.

Achtung! Dieser Beitrag ist Satire.

Genau, dieses kleine Nest mit 13.000 Einwohnern ist nicht die Lutherstadt Wittenberg, auch wenn Luther auch irgendwas in Wittenberge gemacht haben soll, aber der war ja eh überall.

Natürlich werden die beiden Städte gerne verwechselt. Denn was macht ein kleines e am Ende des Namens schon aus? Daraus haben sich die Bürger aber auch schnell einen Spaß gemacht und die 59 Thesen von Wittenberge erfunden. Deren Inhalte beziehen sich aber eher auf Interessantes in der Prignitzer Umgebung als auf Kirchenkritik. Diese Thesen findet man nicht unweit vom Elbufer neben der alten Ölmühle. Und das Elbufer ist hier wirklich schön, wenn auch leer.

Es gibt eine Strandbar im Buddelkasten wo man klasse Cocktails schlürfen kann. Doch außer meiner Mutter und mir hat sich nur eine Gruppe junger, touristischer Familien hierher verirrt. In der alten Ölmühle war richtig Betrieb, da gibt es ja auch gute alte, deutsche Hausmannskost. Nebenan sind noch ein Kletterturm und ein Schwimmbad, auch in einem Turm. Leider war in dem Moment beides geschlossen.

Wenn man der Elbe in Richtung Elbbrücke folgt, kann man schon das alte Singer-, später Veritaswerk sehen.

Dieses Werk war der ganze Stolz der Stadt, wie es im Stadtmuseum ausführlichst geschildert wird. Und das auch zu Recht, schließlich waren die Nähmaschinen DER Hit im Ostblock. Doch mit dem Ostblock verschwanden auch diese guten Nähmaschinen… und die Menschen aus Wittenberge.

Heute stehen sehr viele Häuser leer und es ist generell nicht mehr viel los auf den Straßen. Aber die Häuser sehen trotzdem gut aus und man muss sich beim Fotografieren nichtmal Sorgen um die DSGVO machen, da eh niemand unterwegs ist.

Der Ratskeller ist meiner Meinung nach aber die beste Sehenswürdigkeit. Das Rathaus ist von außen zwar auch sehr sehenswert, aber der Keller ist jetzt ein chinesisches Restaurant mit täglichem Buffet, mittags und abends! Es ist schon sehr faszinierend zu sehen, wie so ein uriges, urdeutsches Kellergewölbe mit Winkekatzen und goldenen Buddhas dekoriert ist. Außerdem spricht der chinesische Kellner das höflichste Deutsch, das ich seit langem gehört habe. Integration scheint hier gelungen zu sein.

Wenn das jetzt nicht die Lust und Laune geweckt hat, dieses Städtchen zu erkunden (auch mit Fahrrad, der Elberadweg führt sogar durch Wittenberge!), dann weiß ich auch nicht. Aber mich stört das eventuelle Desinteresse auch nicht weiter und lehne mich einfach zurück in meinen IKEA-Plastiksessel und schlürfe meinen Cocktail am „Strand“.

Bilder: Anne Müller