Heut noch Volleyball? Warum eigentlich nicht? Die Navi-Tante meinte zu mir, dass man keine volle Stunde bis Stralsund benötigen würde. Abpfiff in Zingst 14:48, Aufschlag in Stralsund 17:00. Locker. Dazwischen senkte sich langsam die Abendsonne, was den pommerschen Alleen auf dem Weg einen goldenen Schimmer schenkte.

Stralsund bietet seinem Publikum Volleyball auf Bundesliga-Niveau. Um Greifswald oder Neubrandenburg im Volleyball zu finden, muss man schon auf die Regionalligatabelle schauen. In der Tabelle der 2. Bundesliga stand vor dem Spieltag Stralsund auf dem dritten Rang – gleich davor Bayer Leverkusen. Die Bayer-Werke schicken nicht nur ihr Fußballteam an den Start. Das Angebot bei Bayer ist breit gefächert. Im Volleyball-Kader bei Bayer steht übrigens schon seit Jahren eine gewisse Katharina Molitor, die bei den 2015er Weltmeisterschaften Gold im Speerwerfen holte. Wer nun meint, dass sie bei Aufschlägen den Hammer herausholt, irrt. 215_4731 215_4801

Sie versuchte sie alle, präzise in Lücken zu setzen. Sonst fiel sie eher weniger auf. Für heute bedeutete das Meisterschaftskampf, hohe sportliche Qualität und ein geläufiger Gegner-Name, nicht nur durch Monsanto. Könnte das unsere Leute an der Uni interessieren? Warum nicht, wenn der Preis stimmt? Der Preis zählt. Studenten zahlen bei den Wildcats 3 €. Der VC leistet sich auch einen Nickname, wie wir es aus anderen Sportarten kennen. 3 € werden auch beim Greifswalder FC fällig, nur das ist die 6. Liga im Fußball. Gespielt wird in der Diesterweg-Halle. Das ist eine übliche Schulsporthalle mit Rängen für 450 Zuschauer. Die Zahlen bewegten sich bisher knapp unter der 400er Marke. Gegen Bayer wurde mit 415 der Saisonrekord geknackt. Alle Plätze wurden mit Bechern ausgestattet – eine Werbe-Aktion. 2. Bundesliga kostet. Leverkusen reiste übrigens auch bereits am Vortag an. Bei diesen Strecken sind Übernachtungskosten unumgänglich.

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Kommen wir nun zu der Atmosphäre. Da scheiden sich die Geister. Das Schlagwort dazu ist die Eventisierung. Beim Fußball ist es üblich, dass wir in höheren Sphären ein Publikum haben, das teilweise nicht einmal die Regeln kennt. Fußball-Bundesliga bedeutet dort Statussymbol. Hier beim Volleyball fällt dagegen sofort ein relativ hoher Frauenanteil auf. Die Regeln des Volleyballs sind nun auch nicht so kompliziert, sodass da nur Atomphysiker den Durchblick haben, aber etwas komplexer als beim Fußball sind sie schon. Alle Bemühungen das Volleyballpublikum im Vergleich zum Fußball als ein intellektuelleres zu verkaufen, scheitern heut spätestens beim Auflaufen der Teams, was durch Mickie Krauses Mallorca-Hit „Reißt die Hütte ab!“ begleitet wird, bei dem das Publikum sichtlich mitgeht. Das Lied wurde im Laufe des Spiels mindestens zehnmal angestimmt, dann reichten meine Finger nicht mehr zum Zählen. Die Musik verstummt und plötzlich steht die gesamte Halle und klatscht im Takt. Es kam für mich absolut unerwartet und hatte was. Die Bilanz gegen Leverkusen sah vor dem Spiel nicht so prickelnd aus. Achtmal gewannen die Rheinländerinnen, nur viermal Stralsund. Der letzte und einzige Heimerfolg liegt schon ein paar Jahre zurück. Den ersten Satz konnten die Stralsunderinnen für sich entscheiden. Gleich zu Beginn spielten sie sich einen 4-Punkte-Vorsprung heraus, der zwischenzeitlich in ein 12:13 korrigiert wurde. Nach einer Aufholjagd endete der Satz mit 25:21. Der Gewinn kostete Kraft, was sich im zweiten Satz zeigte.

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Stralsund lief immer einem Rückstand von zwei, drei Punkten hinterher. Der dritte Satz ging aber wieder an Stralsund. Eine herausragende Leistung – damit eine unverzichtbare Stütze für das Team – brachte die Nr. 11 Anne Domroese. Die routinierte Universalspielerin bewies einige Male ein gutes Auge, auch gelegentlich viel Kraft und sprang aufopferungsvoll ein, wenn Libera Horn bereits geschlagen war. Am Ende des 3. Satzes stand also ein verdiente 2:1-Führung fest. Durch Bayers Punktgewinn musste mindestens ein vierter Satz her. Dieser hatte es dann in sich. Es war ein offener Schlagabtausch. Stralsund macht aus einem 6-9 ein 10-9. Bayer nun im Zugzwang. Nach einem Lauf ihrerseits festigten sie einen Vorsprung von drei Punkten. In der Schlussphase stand es zwischenzeitlich 20-21 und da gab es eine Fehlentscheidung des Schiedsrichters. Ein genauer Schlag von Domroese war eindeutig vor der Aus-Linie. Das Publikum auf 180! Das ziemlich intensive Pfeifkonzert war bestimmt bis zur Rügendammbrücke zu hören. Der Genickschlag in diesem Satz, den Bayer dadurch mit 23:25 für sich entscheiden konnte. 2:2 – das bedeutet tie-break. Stralsund war hochmotiviert. Die Sensation war nahe. Die Wildcats lagen immer mit einem knappen Punkt in Führung, aber der ständige Druck kostete Kraft und Konzentration. Immer wieder brachten Anne Hojas angeschnittene Aufschläge Stralsund zur Verzweiflung. Am Ende gewinnt Stralsund ganz knapp mit 15:13, ist aber überglücklich mit den zwei Punkten aus diesem 3:2-Sieg. 125 Minuten benötigten sie dafür, was die hohe Qualität des Gezeigten unterstreicht. Nächste Woche kommt dann der Spitzenreiter aus Köln!

Stralsund spielte mit: Dommaschke, Domroese, Horn, Jenßen, Joachim, Kühn, Morgan, Scheuschner, Schmidtke, Schulmeister, Schulte-Döinghaus, Trainer: Thiel

Bayer 04 spielte mit: Hoja, Lambertz, Molitor, Ritter, Schneider, Schreiner, Wolnitzki, Coenders,Trainer: Zhong Yu Zhou