Plastik – der essentielle Kunststoff ist aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Doch dies gilt leider auch für unsere Meere, in denen Plastik eine langjährige und teils gefährliche Reise durchlebt. Die Geschichte eines Überlebenden…

Gestatten, Polyethylenterephthalat mein Name. Es reicht aber auch nur PETe.  So kennen mich zumindest die Meisten. Und man bekommt davon keinen Knoten in der Zunge bei dem Versuch es auszusprechen. Wie die meisten meiner Geschwister friste ich mein Dasein als ein gefragtes Behältnis für Flüssigkeiten. Mal ist es Cola, mal ist es Zitronenlimo, oder manchmal einfach auch nur Wasser, was wir für euch aufbewahren. Wir sind fast immer dabei, ob bei warmen oder kalten Tagen, bei langatmigen Vorlesungen, oder bei schweißtreibenden Prüfungen und Sportveranstaltungen. Man müsste meinen, dass man da auch gut behandelt wird. Aber wie so viele vor mir, diene ich momentan nur noch einer kleinen Garnele maximal als Unterschlupf, wenn ich mich nicht eh gleich in alle Richtungen auflöse. Aber alles der Reihe nach.

Gewissenhaft ging ich meiner Tätigkeit als Flüssigkeitsbehälter für einen jungen Studenten nach. Der Job brachte viele Vorteile mit sich. So konnte ich etwa das bezaubernde Städtchen Greifswald an der deutschen Ostseeküste kennenlernen. Gut, zugegeben habe ich nicht allzu viel davon gesehen, da ich die meiste Zeit in irgendeiner dunklen Tasche verstaut war. Aber hin und wieder wurde man ja doch mal ans Tageslicht gelassen. So auch den letzten Abend. Da nahm mich mein Besitzer gütiger Weise mit zum Stadthafen, wo er den Geburtstag eines Kommilitonen feierte. Die Stimmung war auch echt klasse. Als dann aber die Party vorbei war, ließ mich mein Besitzer einfach so an der Hafenkante stehen. Ob er mich einfach nur vergessen oder bewusst zurückgelassen hatte, kann ich bis heute nicht sagen. Nun war es den späten Abend sehr windig und so ohne Füllung war ich doch recht wacklig in meiner Standfestigkeit. Es verwunderte mich daher wenig, als ich kurze Zeit später rücklings die Hafenkante hinunter und in den Fluss fiel, der von den Einheimischen zumeist nur als Ryck bezeichnet wird.

Reise mit unbekanntem Ziel

In diesem trieb ich jetzt langsam, aber unausweichlich in Richtung Ostsee. Da ich eine eher leichte Bauweise besitze, waren meine Tauchfähigkeiten nicht gerade vorzeigbar und gegen die Strömung anschwimmen war auch nicht wirklich drin. Das erklärt sich aber von selbst, ich bin schließlich eine Flasche. Und in Wassersport erst recht. Während meiner eher unfreiwilligen Reise in die Weiten der Ostsee, gesellten sich dann nach und nach auch immer mehr meiner Geschwister zu mir, die dasselbe Schicksal wie ich teilten. Manche von ihnen hatten Glück und wurden gleich wieder an den Strand gespült. Doch wie ich wurden die Meisten immer weiter aufs Meer hinausgetragen, wo wir zum Spielball der Gezeiten wurden. Wohin es uns verschlagen würde, konnte wohl nur der liebe Gott wissen.

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Nun war dies allerdings keine gemütlich Kaffeefahrt, wie sich das manche vielleicht denken würden. Je mehr uns Wind und Strömung vor sich her trieben, umso weniger hatten wir den tosenden Wellen der offenen See und der gnadenlosen Sonnenstrahlung entgegenzusetzen. Nach den ersten Stürmen hatten viele von uns bereits kleine Löcher und zahlreiche Schrammen davongetragen, wodurch das Meerwasser schließlich ungehindert in uns eindringen konnte. Vorbei war es mit dem Traumgewicht! Waren meine Tauchfähigkeiten vorher noch eher unterdurchschnittlich, waren sie nun auf einmal zu gut – sprich, ich machte Steinen beim Absinken Konkurrenz.

War die Welt über Wasser schon wenig einladend für mich, war es die Welt unter Wasser umso weniger. Die Ostsee war trübe, dreckig und je tiefer man kam auch immer dunkler. Umso erstaunlicher war es für mich, dass man hier noch auf Leben traf. Schwärme von Heringen und Dorschen durchstreiften die nassen Weiten auf der Suche nach Nahrung. Schnell wurde dabei auch mal nach den Kleineren von uns geschnappt und in der Regel gleich wieder ausgespuckt. Wer allerdings nicht als Flasche geboren wurde, für den war die Chance groß, auch gleich für immer sein Dasein im Fischmagen fristen zu dürfen.

Mein Zwergen-Ich

Mir blieb dieses Schicksal zum Glück erspart, bei meinen unaufhaltsamen Abstieg in die Tiefe. Ich hatte dagegen mit einem anderen Problem zu kämpfen. Je tiefer ich kam, umso mehr lastete das Wasser über mir. Zudem begann ich einzelne Teile von mir zu verlieren. Nach dem Traumgewicht war also nun auch die Traumfigur dahin. Weiterhin begannen kleinste Mikroorganismen damit, es sich auf meiner Oberfläche gemütlich zu machen. Waren es am Anfang nur wenige, wurden es mit der Zeit immer mehr, was mich zusätzlich erschwerte. Das Wenige, was von mir übrig war, sank also immer schneller nach unten.

Als ich endlich – wenn auch nicht mehr komplett – auf dem Meeresboden angekommen war, musste ich erstaunt feststellen, wie viele Plastikflaschen bereits vor mir hier gelandet waren. Ihre Überreste waren auf dem gesamten Boden verteilt und bedeckten fast jeden Quadratmeter. Egal wohin ich schaute, es bot sich mir immer nur derselbe grausige Anblick. Etwas Furchterregenderes habe ich in meinem gesamten Leben als Plastikflasche noch nie gesehen. Zudem merkte ich, wie einige der Mikroorganismen auf mir begannen, mich als ihre Hauptspeise anzusehen. Ich selbst war zu diesem Zeitpunkt nur noch ein Schatten meiner selbst – durch Sonne, Gezeiten und gefräßige Lebewesen zerbrochen und geschrumpft auf einen Zwerg von wenigen Millimeter Größe. Wie durch einen Dunstschleier nahm ich die Zeit wahr, in der ich durch die Strömung über das Sediment getragen wurde, dessen einzelne Sandkörner fast so groß waren wie ich selber.

Wie lange es dauerte, bis ich wieder Tageslicht gesehen habe, weiß ich nicht. Monate, Jahre, Jahrhunderte? Wer kann das schon genau sagen? Irgendwie hatte mich die Strömung zumindest wieder an den Startpunkt meiner Reise gebracht. Dort, wo ich in die Ostsee hineingetrieben wurde, zusammen mit all den Abertausenden anderen Plastikflaschen und Plastiktüten. Unzählige von ihnen, die es nicht auf die offene See getrieben hatte, lagen noch hier, genauso verlassen wie ich. Doch eines Tages hob mich eine gewaltige Hand aus dem Wasser und zerrte mich in das grelle Sonnenlicht. Ich konnte nicht viel erkennen, ich war ja schließlich nur noch wenige Millimeter groß, aber ich hatte das dumpfe Gefühl, dass meine Reise hier endlich ihr vorläufiges Ende gefunden hatte. Vielleicht würde mich mein neuer Besitzer ja besser behandeln als der Alte…

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Bilder: Tom Peterson