Die Leipziger Buchmesse ist nach der Frankfurter DAS Mekka für Leseratten. Im letzten Monat fand sie wieder statt. Im Rahmen des „Greifswalder Literaturfrühlings“ präsentierte Ernst-Jürgen Walberg am vergangenen Freitag seine ganz persönliche Auswahl an Neuerscheinungen im Koeppenhaus. webmoritz. war dort.

„‘Mehr‘ hat eine Steigerungsform“, verkündet der ehemalige NDR-Radio-Redakteur Ernst-Jürgen Walberg mit seinen ersten Worten, „Mehr, noch mehr – Leipziger Buchmesse“. Er berichtet zunächst von dem großen Besucheransturm, den es dieses Jahr gegeben habe. 195.000 Besucher seien auf die 2.250 Aussteller losgegangen. „Und jedes Jahr werden es 10.000 mehr. Ich weiß gar nicht, wie das im nächsten Jahr vonstattengehen soll. Auf Dauer funktioniert das so nicht“, meint Walberg, „das ist ein so großes Angebot. Zum Glück gibt es den Katalog schon immer einige Wochen im Voraus. Wer den erst auf der Messe zum ersten Mal in den Händen hält, ist hoffnungslos verloren.“

Walberg hatte insgesamt 19 Werke von der Leipiziger Buchmesse 2016 mitgebracht, die unter dem Motto „Europa21. Denk-Raum für die Gesellschaft von morgen.“ stand. Er bedauerte noch, dass „alle alten Autorinnen und Autoren nicht mehr da“ gewesen wären, weil sie mittlerweile verstorben oder zumindest krank gewesen wären, dann ging es los. Da es den Rahmen sprengen würde, alle 19 Neuerscheinungen vorzustellen, hier eine zweite kleine Vorauswahl.

Jakob Hein: Kaltes Wasser

Im Klappentext wird das Buch als „grandioser Schelmenroman“ beschrieben – und das scheint es auch zu sein. In der Wendezeit um 1990, in der die alten Vorschriften der DDR nicht mehr und die neuen des Westens noch nicht galten, tun sich für den Protagonisten Friedrich Bender Möglichkeiten auf. Schon als Kind beweist er, dass man kann, wenn man nur will: Als seine Schwester behauptet, er, der sich noch nie in einem tiefen Gewässer oder auch nur in einem Schwimmbecken wiederfand, könne nicht schwimmen, besteht er darauf, ihr das Gegenteil zu beweisen. Und siehe da, als die Familie am Wochenende das Schwimmbad besucht, paddelt Friedrich, zwar ungeschickt, eine ganze Fünfundzwanzigmeterbahn. Doch das ist nicht alles. Später kommt er durch geschickten Währungstausch zu Geld. Als die Gaunerei auffliegt, muss er einen neuen Plan schmieden. Er kauft einen alten NVA-Bus, stellt ihn auf den Kollwitzplatz in Berlin und eröffnet darin eine Kneipe. – Bis das Ordnungsamt ihm auf die Schliche kommt. Wieder muss er umdisponieren, mietet ein Luxusappartement am Kudamm, besorgt sich einen Adelstitel und eröffnet eine Heiratsagentur für Wohlhabende. Als auch das zu Ende geht, besorgt er sich Bescheinigungen über ein abgeschlossenes Studium und geht schließlich als Schwimmlehrer nach Schweden.

Walberg dazu: „Die Geschichten sind nicht frei erfunden. Hein hat 1990 einfach genau hingesehen und daraus ein Buch gemacht.“

Jakob Hein: Kaltes Wasser, Verlag Galiani, Berlin 2016, € 18,99

Juli Zeh: Unterleuten

„Ein Gesellschaftsroman über die wichtigen Fragen der Zeit.“

Das fiktive Dorf „Unterleuten“ in der Brandenburgischen Pampa. Jeder kennt jeden. Der Zuzug von Ex-Berlinern auf der Suche nach einem ruhigen und idyllischen Landleben bringt den Kessel bald zum Brodeln. Zwei Welten prallen aufeinander und der von einer Investmentfirma geplante Bau eines Windparks in der Nähe macht die Sache nicht einfacher. Auch im dörflichen Mikrokosmos gelten die Regeln der großen weiten Welt. Spannungen zwischen Profitmaximierung und old-school-Kommunismus.

„Die Autorin gilt als ‚schwierig‘. Der Roman ist es nicht.“, Ernst-Jürgen Walberg.

Juli Zeh: Unterleuten, Luchterhand Literaturverlag, München 2016, € 24,99

Franziska Walther: Werther reloaded favourite_gedreht

Zur Leipziger Buchmesse 1774 erschien Goethes „Die Leiden des jungen Werthers“ und machte ihn quasi über Nacht zum Star. Fast 250 Jahre später übersetzt Franziska Walther auf künstlerische Art und Weise mit „Werther reloaded“ die Probleme der Jungen aus Goethes Werk von einst in jene der Generation Y von heute. Im ersten Teil des Buches wird die Geschichte in einer Graphic Novel mittels ansprechender Illustrationen und relativ wenig Text ins Multimedia-Zeitalter mit Likes und Co. transferiert. Immer wieder gibt es auch Erklärungen dazu. Im zweiten Teil findet sich Goethes Originaltext wieder.

Werther ist Art Director in der New Yorker Werbebranche. Er lebt im Überfluss, ist umtriebig, hat wechselnde Liebschaften und konsumiert Drogen. – Ein wahrer Hipster. Bis Lotte auftaucht und sich sein Leben umkrempelt. Wie die Story endet, findet man besser selbst heraus. Eins darf verraten werden: Natürlich findet auch das Thema „Depression“ seinen Platz.

Franziska Walther: Werther reloaded, kunstanstifter verlag, Mannheim 2016, € 24,50

Martin Mittelmeier: DADA. Eine Jahrhundertgeschichte

1916 wird in Zürich die Künstlerkneipe „Voltaire“ eröffnet, die schon bald in „Cabaret Voltaire“ umbenannt wird. Die Geburtsstunde des Dadaismus. Zum hundertjährigen Jubiläum sind dieses Jahr einige Neuerscheinungen auf den Markt gekommen, die sich dem Dadaismus zuwenden.

„Was ‚Dada‘ ist, wissen nicht einmal die Dadaisten, sondern nur der Ober-Dada und der sagt es niemand.“

Hugo Ball: Verse ohne Worte – ein dadaistisches Gedicht:

gadji beri bimba glandridi laula lonni cadori
gadjama gramma berida bimbala glandri galassassa laulitalomini
gadji beri bin blassa glassala laula lonni cadorsu sassala bim […]

“Um ein dadaistisches Gedicht zu machen nehmt eine Zeitung. Nehmt Scheren. Wählt in dieser Zeitung einen Artikel von der Länge aus, die Ihr Eurem Gedicht zu geben beabsichtigt. Schneidet den Artikel aus. Schneidet dann sorgfältig jedes Wort dieses Artikels aus und gebt sie in eine Tüte. Schüttelt leicht. Nehmt dann einen Schnipsel nach dem anderen heraus. Schreibt gewissenhaft ab in der Reihenfolge, in der sie aus der Tüte gekommen sind.” So beschreibt Tristan Tzara, Mitbegründer der 1916 gegründeten künstlerischen und literarischen Bewegung, die Vorhergehensweise scherzhaft. Der Dadaismus lehnte konventionelle Kunst strikt ab und nutzte dafür häufig die Parodie.

„Fröhlich, schräg und blitzgescheit“, um es mit Ernst-Jürgen Walbergs Worten zu sagen, zeigt Martin Mittelmeier die Aktualität dieser ästhetischen Bewegung.

Martin Mittelmeier: DADA. Eine Jahrhundertgeschichte, Siedler Verlag, München 2016, € 22,99