Regelmäßig veranstaltet der „Kampf der Künste“ in Hamburg den „Best of Poetry Slam“ mit den vier stärksten Teilnehmern aus ganz Deutschland. Am vergangenen Mittwoch kam die Show zum wiederholten Mal in den Kaisersaal.

Dass noch der letzte Poetry Slammer immer und immer wieder unermüdlich darüber klagt, wie furchtbar Facebook-Likes, Follower und Selfies für unser Seelenheil und echte zwischenmenschliche Beziehungen sind, während gleichzeitig keine andere Form der Literatur so sehr auf die Digitalisierung angewiesen ist, habe ich noch nie verstanden. Wahrscheinlich ist genau das Kern der Symbiose: Poetry Slam kritisiert die sozialen Netzwerke, welche sich einen Ast darüber freuen, dass sie noch mehr in den Fokus gerückt werden, woraufhin sich die Slammer zwei Äste freuen, weil sie jetzt noch mehr Grund haben, sich aufzuregen.

 „Lass mich dein gleichschenkliges Dreieck sehen“

So bin ich ein wenig enttäuscht, aber nicht wirklich überrascht, als Bleu Broode aus Leipzig in feinster Hipsterkleidung die Bühne betritt und beginnt, über das „Orakel von Selfie“ zu philosophieren. Seine Art, vorzutragen, was er auf dem Herzen hat, lässt den Marker auf meiner Bewertungsskala aber wieder nach oben schnellen – klarer Fall von Sympathiebonus. Spätestens mit dem zweiten Text ist ihm die fehlende Kreativität bei der Themenwahl verziehen: In „Sechs durch zwei macht drei (und das heißt ja befriedigend) “ beichtet Bleu seiner heißen Mathelehrerin von seinen Gefühlen und intimsten Wünschen. Da geht es um spitze Winkel, Potenzen und natürlich Kurven.

Es folgt eine Dame aus Essen, die später zur Frau der Stunde werden soll. Sandra Da Vina hat sofort die Lacher auf ihrer Seite, denn sie macht genau das, was alle sich von guten Komikern wünschen, selbst aber niemals tun würden: sich selbst ins Lächerliche ziehen. Gepaart mit einer sehr bildlichen Sprache, die das Publikum mit keiner menschlichen Körperöffnung verschont, ergibt das eine packende Performance.

 Niedlich-zurückhaltend ist das neue locker-entspannt…

Der nächste, der die Bühne betritt, könnte in keinem größeren Kontrast zu seiner Vorgängerin stehen: mittelgroß, mit Buddy-Holly-Brille und einer liebenswürdigen „Ich bin eben schüchtern“-Art spricht Jason Bartsch aus Bochum über – Poetry Slam. Ja, genau. Ähnlich wie schon beim ersten Teilnehmer liegt seine Stärke ganz klar in der Vortragsweise, die für mich die beste des Abends ist. Da werden mir so viel Leidenschaft und Begeisterung für den literarischen Wettbewerb ins Gesicht geslamt, dass ich vor Aufregung fast vom Stuhl rutsche. Es geht doch nichts über fröhliche Menschen, denen anzusehen ist, wie viel Spaß sie haben an dem, was sie tun.

Ähnlich zurückhaltend tritt Fabian Navarro aus Hamburg auf. Nicht, weil er wirklich schüchtern ist, wie ich annehme, sondern um das Publikum für sich zu gewinnen. Diese Masche hat Erfolg, wie schon Jason gezeigt hat. Sein unscheinbares Äußeres, das Geständnis, gerne zu lesen, vor allem aber die Inhalte seiner Texte überzeugen. Verdienterweise zieht er nach Sandra mit der zweithöchsten Punktzahl ins Finale ein. Tatsächlich werde ich kurz melancholisch, als er nach der Pause Menschen mit Schalentieren vergleicht und davon spricht, wie lange es manchmal dauern kann, bis jemand kommt, der die Schale knackt. Und dass diese vom nackten, verletzlichen Bewohner aber auch ganz schnell wiederaufgebaut werden kann. Gleichzeitig erinnert Fabian daran, dass das Leben eben nicht aus den immer gleichen Beziehungsmustern besteht: „Es läuft vielleicht im Kreis, aber es geht doch auch voran.“ Da bleiben mir Lachen und Eukalyptusbonbon vor lauter Nachdenken gemeinsam im Hals stecken.

 … aber obszöne Selbstironie siegt trotzdem

Abgeschlossen wird der Abend mit Sandras Menstruationstagebuch. Wer bis hierhin dachte, irgendwo hat die Dame sicher auch eine Schamgrenze, wird eines besseren belehrt. Nachdem sie uns vom Schnittlauch zwischen ihren Zähnen und ihrer geradezu übermenschlichen Fähigkeit zur Transpiration erzählt hat, überrascht das auch nicht mehr. Auf jeden Fall kommt dieser Text wie ihre vorigen in den Reihen vor der Bühne an: sie gewinnt den Poetry Slam knapp vor Fabian, und wieder einmal sieht man, der Schlüssel zum Erfolg liegt direkt hinter dem „Nimm dich nicht allzu ernst. Am besten überhaupt nicht.“-Schild.

Perfektionieren kann diese Show nur noch ein Moderator wie David Friedrich, selbst auch Poetry Slammer. Schade, dass man ihm keine Bewertung zukommen lassen konnte – Sieger der Herzen ist er für mich auf jeden Fall. Ich bin noch nicht mal ganz Zuhause, als Facebook mich fragt, was ich gerade mache. „Voll Laser, der Poetry Slam!“, habe ich schon fast geantwortet. Aber die 22 Buchstaben und 2 Zeichen sind schnell wieder gelöscht. Wer will das denn wissen? Meine Lieblingsschwester. Deswegen rufe ich sie an und erzähle von großen und kleinen Sorgen. Danke fürs Erinnern, Bleu.

Fotos: privat