Was passiert, wenn zwei alleinstehende Mittvierziger und ein vom Leben gelangweilter Lehrer mehr oder weniger freiwillig aufeinandertreffen, lest ihr hier. Marc Beckers vielgelobte Geiselfarce feierte Premiere im Rubenowsaal.

„Morgen ist es vielleicht erst recht nicht mehr alleine zu ertragen“, tönt es aus den Lautsprechern hinter der Bühne. So ähnlich muss Herr Meier, Hauptfigur in Marc Beckers Geiselfarce „Meier Müller Schulz oder Nie wieder einsam!“ , wohl auch gedacht haben, als er eines Tages einfach den Herrn Schulz entführt. Denn immer verlassen auf dem Sofa zu sitzen, ein Glas Wein vor sich und ein Käsebrot zu schmieren mit einer Gurke, davon hat Herr Meier genug. Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, muss der Prophet den Berg eben gefesselt und mit verbundenen Augen ins eigene Wohnzimmer verfrachten. Anfangs fühlt Herr Schulz, Lehrer für Geographie und Geschichte, Verlobter und Vater eines Kindes, sich nicht gerade wohl bei Herrn Meier. Zu allem Überfluss klingelt nach kurzer Zeit auch noch Frau Müller, die neue alleinstehende Nachbarin, mit einem frischgebackenen Käsekuchen an der Tür. Sie sehnt sich ebenso nach Gesellschaft wie Herr Meier. Dass Herr Schulz gar nicht freiwillig zu Besuch ist, will sie zunächst nicht glauben. Schließlich durchschaut sie das Spiel aber und beschließt daraufhin, sich auch einen „Schulz“ gegen die Einsamkeit zuzulegen. Frau Müller verabschiedet sich. In den nächsten Tagen bekommt der Gefangene wiederholt die Möglichkeit, in die Freiheit entlassen zu werden. Obwohl er es nicht zugeben möchte, wird deutlich, dass Herr Schulz den grauen Alltag seines alten Lebens mindestens ebenso leid ist wie Herr Meier das Alleinsein. Dann erscheint eines Abends wieder Frau Müller mit einem Käsekuchen auf der Türschwelle, und sie hat Neuigkeiten…

Die Satire gönnt sich keine Minute Pause…

Jeder Leistungssportler wäre stolz auf die Gewandtheit, mit der Claudia Lüftenegger (Müller), Markus Voigt (Meier) und Jan Bernhardt (Schulz) sich in der Premierenvorstellung vom 7. Mai 2015 den sprachlichen Ball zuwerfen. Marc Becker vereint in diesem Theaterstück mit Wortspielen gespickte Dialoge und Situationskomik zu einer Farce, die selbst in ihrer Ernsthaftigkeit noch lustig ist. Besonders Herrn Müller und Frau Meier legt er die ganze Bandbreite philosophisch-melancholischer Klagen in den Mund: die Einsamkeit, die Sinnlosigkeit des menschlichen Daseins, das Unverständnis über einen fehlenden Partner, und wieder die verdammte Einsamkeit. Komplettiert wird das Trio durch den ruhiger auftretenden Herrn Schulz, der dem Publikum immer wieder mit einem einzigen passenden Wort oder auch nur einem Seufzer seinen trockenen Humor vor die Sonntagsschuhe wirft.

…gerade weil das alles eigentlich überhaupt nicht zum Lachen ist.

Dabei behandelt Becker, gebürtiger Bremer, ein Thema von hoher gesellschaftlicher Relevanz: Fast 20 Prozent der Bevölkerung macht der Anteil der Alleinlebenden in Deutschland aus, und unzählige Soziologen heben den Zeigefinger, weil sie eine stetig wachsende Beziehungsunfähigkeit im Abendland erkennen. Trotz zunehmender Präsenz in sozialen Netzwerken vereinsamen wir im wahren Leben. „Lieber allein als in schlechter Gesellschaft“ scheint sich zu einer weit verbreiteten Philosophie entwickelt zu haben. Dass das auf Dauer nicht funktionieren kann, weil es dem tiefen menschlichen Bedürfnis nach Liebe und Geborgenheit entgegensteht, hat Herr Meier längst erkannt. Mit seiner radikalen Methode der Partnerbindung ist er außerdem nicht allein, wie spätestens deutlich wird, als er das Radio einschaltet: „Wo ist der Herr Schulz? Wo ist der Herr X? Wo ist der Herr Y?“ ist ein von Becker treffend gewähltes stilistisches Mittel, das etwa zwei Minuten andauert und dem Publikum vor Lachen die Tränen in die Augen treibt.

Gesellschaft für Herrn Meier, nicht für den Käsekuchen

Überzeugen kann dieses Theaterstück aber nicht nur durch das Skript, sondern auch die schauspielerischen Leistungen der Darsteller. Als die Schlussszene vorbei und die Musik verklungen ist, findet sich keine Spur von Meier, Müller oder Schulz auf ihren Gesichtern wieder. Ich habe das Gefühl, mir stehen plötzlich drei komplett andere Menschen gegenüber. Besser kann ein Schauspieler seine Fähigkeiten wohl kaum unter Beweis stellen.

Abgerundet wird die Vorstellung durch eine musikalisch-absurde Mischung aus kettcar (Titelsong), Helge Schneider und den Beatles, die das Stück jedoch unverbesserlich in seiner Komik unterstreichen. Ansehen lohnt sich in jedem Fall, ein weniger abruptes Ende hätte ich mir trotzdem gewünscht – und Käsekuchen für die Zuschauer. Der steht am Ende genauso einsam wie einst Herr Meier auf der Bühne, und ich denke:

So macht man das also. Wenn es nicht klappt mit der Liebe, einfach jemanden bei sich zu Hause einsperren. Früher oder später wird es ihm dort schon gefallen. Mann, ist ja eigentlich total simpel.

Fotos: Gunnar Luesch von MuTphoto (kein cc)