Axinia Suchanek hatte eine ausgefallene Idee: Sie wollte die Ostsee mit dem Fahrrad umrunden. Inzwischen ist ihr Traum Wirklichkeit geworden und  sie ist wieder nach Greifswald zurückgekehrt.

Das alte Ortseingangsschild von St. Petersburg.

Um Gottes Willen, Mädchen“, hatte Axinia Suchaneks Mutter nur gesagt, als sie von der verrückten Idee erfuhr, eine Fahrradtour um die Ostsee zu machen. Ihre Ängste waren nicht unberechtigt. Immerhin ist es nicht ganz ungefährlich, als Frau alleine in einem Zelt zu schlafen, ohne jeglichen Schutz vor Fremden.

Doch das hielt die Tochter nicht davon ab, sich am 26. Mai 2013 auf ihr Fahrrad zu schwingen und Richtung Osten zu radeln. Seit zwölf Jahren träumte die 30-Jährige von einer Fahrradtour um die Ostsee. Nach ihrem Abschluss als Diplom-Landschaftsökologin sah sie endlich Zeit und Möglichkeit, aus der Idee Wirklichkeit werden zu lassen.

Ein Freund war bei dieser Reise genauso mit im Gepäck wie Regenausrüstung, Zelt, Campingkocher, Geschirr, Schlafsack, Tagebuch, Kamera und eine handvoll Klamotten. Jedoch trennte Axinia sich von ihm an der finnisch-russischen Grenze, nachdem sie merkte, dass sie und ihr Mitfahrer nicht auf derselben Wellenlänge radelten. Die Radlerin wollte sich nicht von anderen abhängig machen. Immerhin war es ihr Traum gewesen, die Ostsee zu umfahren. Sie wollte sich keinesfalls einschränken oder sich auf jemanden festlegen, der die Tour mit anderen Augen sah. Doch die 30-Jährige hatte ihre Bedenken bei der Vorstellung allein weiter zu fahren. Was würde sie wohl allein mit ihrer Zeit anstellen? Sie hatte auf jeden Fall viel Zeit zum Nachdenken, ihre Gedanken waren immer dieselben und doch wieder abwechslungsreich: „Man findet zu sich selbst, wer man ist, ob es gut ist, was man macht.“

 

Typisch schwedisch: Rote Häuschen.

Typisch schwedisch: Rote Häuschen.

Die Mentalität von uns Deutschen

Da die Fahrradtour ein Geschenk  an sich selbst war, musste Axinia sich um die Vorbereitung der Reise alleine kümmern. Es kostete sie fast zwei Monate, alles zu planen und vorzubereiten. Zu ihrer Verwunderung wurde ihr kein Fahrrad gesponsert, obwohl sie den Unternehmen versprach, ordentlich die Werbetrommel zu rühren. Von daher bestellte sie das meiste Fahrradzubehör aus dem Internet und ließ sich nach langem Suchen ihr Fahrrad bei einem lokalen Fahrradhändler in Greifswald einstellen. Viele Läden verweigerten die Annahme des teuren Fahrrads von der unbekannten Internetadresse. Während die Landschaftsökologin sich über die deutsche Mentalität nur ärgert, fällt ihr die Gastfreundlichkeit der nordischen Länder auf. Ihrer Meinung nach würden in Dänemark alle mit einem Lächeln durch die Straßen gehen und grüßen, während in Deutschland nur wenige dem fremden Gegenüber ein nettes „Guten Morgen“ zuwerfen würden. „Ich habe dort Sachen erlebt und Leute haben mich eingeladen. Das würde dir in Deutschland nie passieren. Traurig aber wahr.“ Andere Länder, andere Sitten, heißt es so schön. Abseits der normalen Routine und Gewohnheiten konnte Axinia den Wohlstand mehr wertschätzen als je zuvor.

Auf ihrer Tour übernachtete sie nicht in Jugendherbergen oder Hostels, sondern verbrachte vier Monate in einem Zelt. Nach einiger Zeit hatte ihre Hüfte stark unter der dünnen Isomatte gelitten. Auch die Hygiene unter der Reise manchmal zu kurz. Entweder hatte sich der ein oder andere See zum Baden angeboten oder die Küchenspüle für eine schnelle Katzenwäsche. Beim Couchsurfing in größeren Städten konnte sie sich sogar den Luxus von richtigen Duschen leisten. Es war nicht leicht, gewaschene Sachen trocken zu kriegen. Deshalb waren auch nur zwei Sporttrikots im Gepäck, die schneller trockneten als Kleidung aus Baumwolle. Aus diesem Grund musste sie gelegentlich die Unterwäsche eine Woche lang anziehen. Ihre Klamotten übernahmen in der Nacht die Funktion des Kissens. Alles musste praktisch sein. Für unnötige Kilos war auf ihrem Fahrrad kein Platz. Jedoch störten die Umstände nicht weiter: „Es war so ein gesunder Rhythmus, so ein Schönes in der Natur sein, die Geräusche zu hören, zu wissen wie der Mond gerade steht, was du gar nicht mitkriegst, wenn du in der Stadt lebst.“

Mit „veganer Stärke“ durch den Tag

Hauptschlafplatz: Axinias Zelt.

Hauptschlafplatz: Axinias Zelt.

Axinia erwachte mit den ersten Sonnenstrahlen und schlief mit Anbruch der Dunkelheit ein. Neugierig hielt sie auf ihren täglich zurückgelegten 90 bis 100 Kilometern an Hügelgräbern, Burgruinen oder größeren Städten an. Für Restaurantbesuche nahm sie sich keine Zeit. Sie erforschte lieber Architektur und alte Gebäude während des einen oder anderen Stadtaufenthalts. Ihr Geld gab sie nur für Essen aus. Zum Teil war es auch die vegane Ernährung, die es ihr erschwerte, Restaurants mit einer Speisekarte frei von tierischen Produkten zu finden. Während ihrer Couchsurfingaufenthalte oder anderer Begegnungen konnte sie unangenehme Gespräche über das heikle Thema der veganen Ernährung gut umgehen. Dafür sorgte ein kleines Fähnchen an ihrem Fahrrad. Der Wimpel, der mit dem Wort „Vegan“ beschriftet war, schützte die Sportlerin vor Diskussionen mit Kritikern. Denn eines war klar: Niemand konnte ihr etwas von Mangelernährung erzählen. Niemand konnte ihr vorwerfen, ihre Ernährung wäre nicht ausgewogen genug oder gar ungesund für den Körper. Axinia war es letztlich, die 8 370 Kilometer in vier Monaten zurücklegte und neun Länder auf ihrem Drahtesel durchritt. Dabei fuhr sie durchschnittlich sechs Stunden täglich. Stolz kann sie verkünden: „Ich glaube, ich hätte es mit keiner anderen Ernährung so gut geschafft.“ So bringt sie mit ihrer Energie, Stärke und Lebensweise den ein oder anderen Skeptiker ins Staunen und vielleicht sogar zum Schweigen.

Trotz ihrer Ernährung war die Fahrradtour sehr intensiv und anstrengend. Zum Beispiel brach die Radlerin an der schwedischen Ostküste fast zusammen, als ein Berg dem anderen folgte. Sie hatte zwar in der ganzen Zeit keinen Muskelkater gehabt, kam jedoch trotzdem an der einen oder anderen Stelle an ihre physischen sowie psychischen Grenzen. Weder Regengüsse noch der siebentägige Gegenwind konnten sie aufhalten. Es wäre einfach gewesen, die nächste Fähre nach Rostock zu nehmen, doch war das Ziel klar vor ihren Augen – und dieses plante frühzeitiges Aufgeben nicht ein. Am 25. September 2013 konnte sie ihre Fahrradtour beenden. Ihre nächsten Reiseziele sind Russland und Australien, doch diesmal bleibt das Fahrrad zu Hause.

Ein Text von Angela Engelhardt; Fotos privat.