Der Saal in schwarz gehüllt, große, unwegsame Steine säumen die Bühne. Im Hintergrund eine mächtige, ebenfalls schwarze Wand, durch durch lange Schlitze ein wenig Licht herein schimmert. Inmitten des Kerkers die  Königin von Schottland – jung und stolz, ohne Furcht, Gefangene der Königin Elisabeth von England.Sie floh aus Schottland nach England, in der Hoffnung, Zuflucht bei ihrer Schwester Elisabeth finden zu können. Ihr Verbrechen in Schottland: Maria wird vorgeworfen, ihren Mann ermordet zu haben. Während  aufgrund dieses Mordverdachtes die Rechtmäßigkeit der Schottischen Königin angezweifelt wird, wird in England die Rechtmäßigkeit Elisabeths angezweifelt, schließlich wird ihre Krönung von Seiten der Katholischen Kirche in Frage gestellt. Stuart wiederum wird von Rom als die rechtmäßige Königin Englands angesehen. Maria Stuart ist eine Bedrohung für Elisabeth. Sie lässt sie wegsperren.

Gelungener Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart

Maria Schubert (Maria Stuart, links), Jörg F. Krüger (Graf Shrensbury, Mitte), Eva Maria Blumenrath (Königin Elisabeth von England)

Vor genau 211 Jahren inszenierte Friedrich Schiller erstmals die Tragödie, die er um die Geschichte der beiden Schwestern entsponn, in Weimar. Auch in der Gegenwart hat das Spiel der Mächte, der Kampf um die Vorherrschaft, um die Führung im Land, die Angst, Macht zu verlieren, wenn man einmal über Macht verfügt, nicht an Aktualität verloren. So ist es nicht überraschend, dass sich das Theater Vorpommern ebenfalls dieses Stoffes bediente und ihn auf seine Weise inszenierte. Der Zuschauer sollte keine moderne Inszenierung erwarten, in der suggeriert wird, alles spiele sich in der Gegenwart ab. Vielmehr gelingt durch das behutsame und feinfühlige Zusammenspiel zwischen Bühnenbild und Kostüm der Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

Das Spiel der beiden mächtigen Schwestern im Kampf um die Macht wird von den beiden Schauspielerinnen Eva-Maria Blumenrath (Elisabeth) und Maria Schubert (Maria Stuart) besonders eindrucksvoll und das Publikum vollkommen vereinnahmend dargestellt. Wenn Eva-Maria Blumenrath in ihrem langen, im königlichen Blau gehaltenen Gewand mit hohem Stehkragen und ihrem stählernen Blick schon fast schwebend die Bühne betritt, weht ein kalter Schauer durch den Saal. Schneidig. Kühl. Überheblich. Hochmut, der den Stolz regiert, ein Herz aus Stahl, dass keine Gnade kennt, das protestantische Kreuz, dem sie zu dienen vorgibt, kein Kreuz Gottes, sondern das Kreuz des Todes. So scheint es zumindest. Das Spiel Blumenraths ging während der gesamten Vorstellung bis unter die Haut.

Tosender Applaus bereits während der Halbzeit

Plötzlich wird das Publikum aus seinem Bann des packenden Thrillers, der sich zwischen den beiden Königinnen abspielt, folgend, gerissen und mit heftiger Wucht in die Realität, die Gegenwart zurück geschleudert. In eine Gegenwart, die Parallelen zu dem surrealen mit realem Antlitz auf der Bühne, aufweist.

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Von  Minute zu Minute folgte das Publikum gebannt dem Geschehen, die Trennung zwischen Bühne und Publikum selbst zerfloss im Spiel, insbesondere gegen Ende des Stückes, als das Publikum die dritte Wand zu ersetzen schien. Sie schrie verzweifelt gegen das Publikum, dass sie es leid sei, es dem Pöbel Recht machen zu müssen, schließlich wolle sie Maria nicht töten, schließlich sei sie dazu nicht in der Lage. Plötzlich bricht die Fassade zusammen, eine menschliche Elisabeth tritt aus ihr heraus, und blickt auf die Elisabeth, die sie mimt: Und all das Spiel der Mächte, dass sie zu lieben vortäuscht, wird ihr von einem Augenblick zum anderen Leid. Kaum betreten die Barone, Grafen, Ritter und der Staatssekretär den Raum, ist sie wieder die alte, kalte unbarmherzige Königin von England, zu der sich jeder schon fast freiwillig vor ihr in den Staub werfen will, selbst wenn es nicht befohlen wird.

Stuart und Kennedy – eine untrennbare Einheit im Spiel

Katja Klemt, Maria Schubert, Jörg F. Krüger, Eva-Maria Blumenrath, Hannes Rittig

Der Kontrast zwischen alter, stolzer Königin und junger, unschuldiger, aber doch rechtmäßiger Königin, wurde sowohl im Spiel, als auch durch das gegensätzliche Kostüm besonders gelungen heraus gearbeitet. Dabei passt das Kleid Stuarts mehr zu ihrem Freiheitsdrang, als zu ihrem  Zustand der Gefangenheit. In warmen Rot gehalten, deutlich luftiger gestaltet als das royalistische der Elisabeth. Ihr Gesicht jung und voller Feuer, an ihrer Seite ihre treue Amme, die stets zu ihr hält, ihr eine Mutter ist, die bereit wäre, für sie zu sterben: Hanna Kennedy, außerordentlich einfühlsam gespielt von Katja Klemt. Stuart und Kennedy (beziehungsweise Schubert und Klemt) bilden eine unzertrennbare Einheit, keine kann wirklich ohne die andere existieren, so scheint es zumindest. So überrascht es nicht, dass Kennedy fassungslos in die Runde starrt und es fast schon schien, als warte sie darauf, dass irgend jemand aus den Reihen des Publikums ihr einen Ausweg aus ihrer Situation bieten könnte. Ihre Augen blickten verzweifelt in die Menge und schienen zu sagen: “Sagt doch was! Tut doch irgend etwas! Ihr wollt doch auch nicht, dass sie stirbt.” Ihre Hände zittern, als sie den Brief des Testaments entgegen nimmt.

Es gibt nur wenige Personen, in diesem trügerischen Spiel, die den Eindruck erwecken, dass sie vertrauenswürdig seien. Was für Maria Stuart die Amme ist, ist für Elisabeth der alte Georg Talbot, Graf von Shrewsbury. Mit der Weisheit seines Alters ausgestattet, mahnt er immer wieder zur Besonnenheit, mahnt vor unüberlegtem Handeln, den Mord der Stuart, zu dem die übrigen Lords Elisabeth immer wieder drängen wollen. Er ist das gute Gewissen am Hofe Englands, der Weise, der Mahner, der von Jörg F. Krüger hätte kaum authentischer gespielt werden können.

Theater Vorpommern startet mit fulminantem Feuerwerk in die neue Spielzeit

Maria Stuart (links) kurz vor der Vollstreckung des Todesurteiles

Es fällt schwer, bei diesem Stück hinsichtlich der schauspielerischen Leistung irgendwo Abstriche zu machen. Zurecht bekamen die beiden Schauspielerinnen Eva-Maria Blumenrath und Maria Schubert in ihren Hauptrollen den meisten Applaus unter Jubelrufen. Die Rollen schienen wie geschaffen für die beiden und es ist schwer vorstellbar, dass andere an diesem Theater diese Rolle übernehmen würden, anders ausgedrückt: Schillers “Maria Stuart” ist am Greifswalder Theater ohne Blumenrath und Schubert in den Hauptrollen nur schwer vorstellbar.

Das Theater Vorpommern Greifswald startete mit der Premiere von “Maria Stuart” mit einem fulminanten Feuerwerk, das bereits zur Halbzeitpause mit tosendem Applaus gefeiert wurde. Dem tosenden Applaus in der Mitte des Spiels folgten stehende Ovationen und Jubelrufe im bis auf fast den letzten Platz gefüllten Saal. Der Applaus wollte kein Ende nehmen, die Zuschauer wollten ihr Ensamble nicht von der Bühne gehen lassen (wie manch andere sie vorschnell von der Bühne werfen). Und das zurecht. Aus Sicht des Verfassers einer der am besten von Matthias Nagatis (Inszenierung) und Esther Bätschmann (Kostüme) unter der Dramaturgie von Anja Nicolaus inszenierten Stücke, dass er am Theater in Greifswald gesehen hat!

Nächste Vorstellungen:

  • 2. Oktober 16:00 Uhr
  • 15. Oktober 19:30 Uhr (Stralsund)
  • 21. Oktober 19:30 Uhr (Putbus)

Fotos: Pressefotos Theater Vorpommern (keine CC-Lizenz)