Im Rahmen unserer Serie “Greifswalder rund um den Globus” erscheinen in loser Abfolge Berichte von Kommilitonen über Erfahrungen im Ausland. Dieses Mal berichtet webMoritz Autorin Christine Fratzke über die Eindrücke ihres Auslandssemesters im niederländischen Leiden.

Greifswalder Alltag raus, rein ins Erasmus-Abenteuer . Das dachte ich mir im Februar 2009. Es war ein kalter, verschneiter Tag. Ich brauchte Sonne, ich brauchte etwas anderes. Ein Jahr später erlebte ich was anderes.

Es war früher Morgen, als ich mich im Januar in den Zug von Greifswald in Richtung Holland setzte. Die Fahrt sollte zwölf Stunden dauern. Mein Ziel: Leiden. Eine Stadt  unweit von Amsterdam und Den Haag; hier befindet sich die älteste Universität der Niederlande. Sämtliche Mitglieder der königlichen Familie haben an der renommierten Uni studiert und so trat ich in die Fußstapfen des Kronprinzen Willem Alexander und studierte, wie er, hier Geschichte. Mein neuer Studienort erinnerte mich oft an Greifswald. Es ist eine kleine Stadt (wobei Leiden mehr als doppelt so viele Einwohner wie die Hansestadt hat) mit einer großen Universität, etwa 17.000 Studierende sind dort immatrikuliert.

So funktioniert studieren also

Auch in Leiden ist das Fahrrad ein beliebtes Transportmittel

Nach einem Semester in Holland kann ich sagen, dass sich meine Entscheidung, ins Ausland zu gehen, gelohnt hat. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, richtig zu studieren. Die „Universiteit Leiden“ trumpft mit kleinen Seminaren und Vorlesungen auf, die Seminare werden strikt auf 15 Studierende begrenzt und in einer Vorlesung saß ich mit fünf Kommilitonen. Das ideale Betreuungsverhältnis, womit die Greifswalder Uni wirbt, aber oft nicht realisieren kann, habe ich hier erlebt. Viele Lehrveranstaltungen wurden auf Englisch angeboten und so befanden sich in dem Kurs neben Niederländern auch Engländer und Amerikaner.

Ein Seminar über die Geschichte der Piraterie zwischen 1500 und 1750  besuchte ich, bei einem amerikanischen Professor. In dem Seminar wurde viel diskutiert und vor allem die niederländischen Studierenden  brachten sich durch kluge Fragen und Ausführungen ein, immer vorbereitet nahmen sie an den Seminaren teil. Dabei spreche ich nicht von Vorbereitung durch Wikipedia, sondern von empfohlener Fachliteratur, welche hier tatsächlich gelesen wird. So funktioniert das also mit dem Studium, stellte ich fest.

Jugendherbergscharme für 510 Euro

Dazu überzeugte mich die Ausstattung der Universität: Beamer und Laptop sind in jedem Raum zu finden, Kopierer und Drucker in den Instituten, zahlreiche  Computerkabinette, alles modern. Die Universitätsbibliothek hat sogar gemütliche Lesesessel. Die Kehrseite: 1.700 Euro müssen die niederländischen Studierenden pro Jahr für ihr Studium hier bezahlen. Dazu kommen horrende Preise für Bücher und Lebenshaltungskosten. Kein Wunder, dass alle mindestens einen Nebenjob haben.

Auch ich geriet, angesichts der hohen Miete, ein wenig ins Straucheln. 510 Euro für ein Zimmer im Studentenwohnheim, wobei die Einrichtung, die Küche und das Bad, die ich mir mit zehn Mitbewohnern teilte, eher an eine mittelmäßige Jugendherberge erinnert. Dafür war das Wohnheim direkt an einer Gracht, einem der befahrbaren Wasserwege, und zentral gelegen; und viele Freunde fand ich hier. Vor allem aus den USA, aus Kanada, Zypern, Frankreich, Spanien und auch, es liegt auf der Hand, Deutschland.

Sechs Semesterwochenstunden – und dann?

Nur drei Lehrveranstaltungen besuchte ich und hatte daher jede Menge Zeit. Diese nutzte ich zum Anfang, um viele Freunde zu finden und auszugehen, zu reisen und nebenbei noch drei Hausarbeiten für die Greifswalder Universität zu schreiben. Zum ersten Mal erlebte ich einen Karneval; ich fuhr nach Amsterdam und Den Haag.

Außerdem erkundete ich die wunderschöne Stadt Leiden, die mit ihren vielen Kanälen, Windmühlen, typisch niederländischen Häusern in mir regelmäßig Seufz-ach-wie-schön-Attacken verursachte und mich stark an Amsterdam erinnerte. Allerdings mit weniger Rotlicht und Coffeeshops. Auch das Leidener Nachtleben wurde begutachtet. Clubs sind selten, dafür dominieren enge Bars, manchmal auch mit Tanzbereich. Zweimal in der Woche fanden in zwei Bars internationale Abende statt. Pflichtprogramm für Austauschstudenten und gut geeignet, um auch mit Niederländern ins Gespräch zu kommen.

Sprachenwirrwarr

Obwohl ich Freunde und Familie, Greifswald und Berlin und auch, es mag seltsam klingen, deutsches Brot vermisste, lebte ich mich schnell ein und fühlte mich sehr wohl in meinem Erasmus-Alltag. Mein Englisch wurde fließend, ich lernte Niederländisch, ein wenig Französisch, Wortfetzen in Polnisch, Russisch, Türkisch und Spanisch. Eigentlich erhoffte ich mir von meinem Auslandsaufenthalt, dass ich nahezu fließend Niederländisch sprechen könnte. Zugegeben, das ist nicht unbedingt der Fall. Denn die vorwiegende Erasmus-Sprache ist und bleibt Englisch. Außerdem sprachen die Niederländer, wenn sie merkten, dass ich keine Einheimische bin, immer sofort Englisch mit mir.

Die Autorin am Leidener Hafen

Mit der Zeit wurde das allerdings immer weniger und hörte sogar ganz auf. Vereinzelt brachte ich meinen Freunden auch ein paar deutsche Wörter bei. Erstaunlicherweise hatten die anderen ausländischen Studierenden ursprünglich ein seltsames Bild von der deutschen Sprache. Als extrem aggressiv und hart wurde diese eingeschätzt, ich leistete ein wenig Aufklärungsarbeit. Darüber hinaus lernte ich viel über die niederländische, aber auch über andere Kulturen; und vor allem: Über meine eigene Kultur, mein eigenes Land.

Man sieht sich immer zwei Mal im Leben

Obwohl ich den organisatorischen Aufwand, der hinter meiner Erasmus-Zeit steckte, ausgesprochen hoch fand, hat sich mein Aufenthalt in den Niederlanden auf jeden Fall gelohnt. Ich habe viel erlebt, gesehen, gelernt, Freunde aus aller Welt gefunden, Sprachen gelernt und viele verrückte Sachen gemacht, die ich vorher noch nie gemacht habe. Ende April bin ich beispielsweise von Leiden nach Paris, gute 500 Kilometer, getrampt.

Der Abschied von meinen Leidener Freunden fiel mir dann besonders schwer. Ich erzählte ihnen aber zum Trost, was man zum Trost oft in Deutschland sagt: „Man sieht sich immer zwei Mal im Leben.“ Daher kommen nächste Woche meine amerikanischen Freunde Deborah und Maxwell nach Deutschland – und mein Erasmus-Abenteuer hat noch lange kein Ende.