Nach einem Artikel über nicht akkreditierte Studiengänge an der Universität Greifswald gab es zahlreiche Kommentare auf dem webMoritz, die sich erbost über die Universität äußerten. webMoritz-Autor Florian Bonn traf sich deshalb mit dem Prorektor für Lehre und Studium, Herrn Professor Michael Herbst und Kristina Kühn vom Projekt „Integrierte Qualitätssicherung“ zu einem Gespräch.

Webmoritz: Bei zahlreichen Kommilitonen führte unser Artikel zu einem bösen Erwachen, da sie davon ausgegangen sind, dass ihr Studiengang akkreditiert sei, von der Nicht-Akkreditierung überrascht wurden und auch nicht über die Konsequenzen informiert waren…
Prof. Herbst: Für den einzelnen Studierenden spielen die Konsequenzen der Nicht-Akkreditierung keine Rolle. Es handelt sich trotzdem um gültige und vom Land zugelassene Studiengänge, deren Abschlüsse mit denen akkreditierter Studiengänge gleichzusetzen sind. Auf dem Arbeitsmarkt haben die Studierenden keine Nachteile zu befürchten.

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Prodekan Prof. Michael Herbst

Webmoritz: Der Akkreditierungsrat schreibt in seinen “FAQ”, dass es bei PhD-Programmen im Ausland zu Problemen kommen kann, wenn der besuchte Studiengang nicht akkreditiert war.
Prof. Herbst: Die Universität arbeitet an Lösungen für die nicht akkreditierten Studiengänge. Allerdings handelt es sich bei der Gründung und Weiterentwicklung von Studiengängen um langwierige Prozesse und die Universität befindet sich im Moment in einem Prozess des Wechsels weg von der Programmakkreditierung einzelner Studiengänge hin zu der Systemakkreditierung der gesamten Universität. Trotzdem wird an der Philosophischen Fakultät zur Zeit überlegt, Studiengänge einer Akkreditierung bzw. Re-Akkreditierzung zu unterziehen. Die Universität nimmt dieses Problem ernst und arbeitet daran es zu lösen.

Webmoritz: Nicht-Akkreditierte Studiengänge werden im Allgemeinen mit privaten Fachhochschulen in Verbindung gebracht, deren Betreiber mit Bildung Geld verdienen wollen.
Herbst: Es handelt sich hier um eine andere Situation. Die Qualität aller Studiengänge an der Universität Greifswald wird gründlich geprüft. Sie werden sowohl intern von den akademischen Gremien wie der Studienkommission und dem Senat als auch extern vom Bildungsministerium geprüft. Würden in diesem Verfahren schlechte Studiengänge entstehen, würde auch das Land nicht mitspielen. Obwohl schon diese Verfahren Qualität sicherstellen, sollte der langfristige Standard eine Akkreditierung sein und die Universität Greifswald wird diesen Standard nicht brechen.

Webmoritz: Eine Bedingung für die Systemakkkreditierung sind universitätsweit angewandte Evaluationssysteme. Der letzte Versuch ein solches System einzurichten ist gescheitert, befürchten sie erneute Wiederstände?
Herbst: Die Arbeitsgruppe Integrierte Qualitätssicherung beschäftigt sich seit einem guten Jahr intensiv mit dem Thema Lehrevaluation und hat nach einer genauen Analyse das System EvaSys ausgewählt. Im gerade beginnenden Wintersemester wird das System in zahlreichen Lehrveranstaltungen getestet werden. Ziel ist es flächendeckend an der gesamten Universität zu evaluieren. Ich sehe Lehrevaluation als ein grundlegendes Instrument guter Lehre und lasse deshalb meine Lehrveranstaltungen seit Jahren von den Studenten evaluieren und diskutiere mit ihnen auch die Ergebnisse dieser Evaluationen. Ich glaube nicht, dass sich Kollegen langfristig diesem Instrument guter Lehre verweigern werden. Wir wollen deshalb versuchen alle Professoren mit gutem Willen und guten Argumenten von Lehrevaluation zu überzeugen. Es ist nicht auszuschließen, dass es Wiederstand geben wird, bisher gab es allerdings ausschließlich positive Rückmeldungen.

Webmoritz: Soll dieses System an der kompletten Universität eingeführt werden? Die Medizinische Fakultät besitzt ja bereits ein sehr gutes Qualitätssicherungssystem.
Herbst: Das wissen wir noch nicht, wir werden aber an den anderen Fakultäten beginnen. Auch dort gibt es teilweise bereits gute Systeme. Es soll kein Verfahren von oben verordnet werden, sondern die Institute sollen durch gute, exemplarische Evaluationsverfahren für unser System gewonnen werden. Während des Probeverfahrens in diesem Semester soll gezeigt werden, dass das System Vorteile für alle Beteiligten, auch die Lehrenden, bringt und danach soll es immer weiter ausgebaut werden. Ob sich die Medizin letztendlich beteiligt werden wir sehen.

Webmoritz: Soll der Antrag für die Prüfung zur Fähigkeit der Systemakkreditierung wie geplant im Laufe des nächsten Jahres gestellt werden? Hierfür müsste das System ja bereits halbwegs stehen.
Kristina Kühn: Es ist weiterhin geplant, diesen Antrag Ende nächsten Jahres zu stellen. Es ist ein ambitionierter Plan, da deutschlandweit noch sehr wenige Erfahrungen zur Systemakkreditierung vorliegen und es auch in Greifswald noch viele Baustellen gibt. Andere Unis, die schon sehr lange vergleichbare Qualitätssicherungssysteme haben, gehen die Systemakkreditierung ebenfalls langsam an. Wir können keine Garantie abgeben, versuchen aber mit unseren Mitteln und Ressourcen das Mögliche. Es hängt auch davon ab, auf wie viele Widerstände wir stoßen.
Herbst: Es handelt es sich um ein sehr anspruchsvolles Projekt, bei dem gewisse Hürden überwunden werden müssen. Wir wollen es schaffen und zwar nicht erst in zwei oder drei Jahren, aber wir werden nur einen soliden, gefestigten Antrag abgeben. Es gibt große Hürden und große Bemühungen, beides steht nebeneinander.

Webmoritz: Hätte ein negativ beschiedener Antrag nicht sogar eine mehrjährige Sperre als Konsequenz?
Kühn: Zunächst muss eine Vorprüfung durchlaufen werden, ob die Uni in der Lage ist, eine Systemakkreditierung zu beantragen. Wenn diese bestanden wird und der darauffolgende Antrag scheitert, gibt es eine zeitliche Sperre. Deshalb ist es wichtig, dass wir ein gutes System haben, hinter dem auch die komplette Universität steht. Ein solches System kann nicht nur von oben verordnet werden, damit das Ziel Systemakkreditierung erreicht wird, sondern muss auch an der Basis unterstützt werden. Ansonsten würde das spätestens bei den Begehungen durch externe Gutachter auffallen, wenn nur einzelne Gruppen dahinter stehen.

Webmoritz: Womit wir dann unter Umständen wieder bei einem Problem mit der Medizin wären…
Herbst: Das werden wir sehen. Ich glaube nicht, dass sich die Medizin prinzipiell verweigern würde, das wäre mir neu.

Webmoritz: Die Medizin ist ja in Greifswald der Vorreiter in Sachen Evaluation und nach neuen Rankings auch deutschlandweit.
Kühn: Die Medizin hat durch gesetzliche Vorgaben seit Jahren die Notwendigkeit ein gutes Evaluationssystem vorzuhalten. Dadurch hat sich ein sehr gutes System entwickelt, man wird sehen, was man für die restliche Universität daraus lernen kann und wie sich die Systeme als Ganzes ergänzen. Bestehende Strukturen sollen auf keinen Fall zerschlagen werden.

Webmoritz: Das neue System soll also in der Medizin als ergänzendes System integriert werden?
Kühn: Ja.
Herbst: Die Hürden, die noch zu überwinden sind, haben in meinen Augen weniger mit Widerstand als mit noch zu erledigenden Aufgaben zu tun. Wir müssen in der Alumni-Arbeit und bei Absolventenbefragungen besser werden. Auch Informationssysteme für Studierende sind eine wichtige Baustelle.

Webmoritz: Für den Fall, dass diese Baustellen immer größer werden: Gibt es einen Plan B, wieder zurück zur Programmakkreditierung zu gehen?
Herbst: Nein, gibt es nicht.
Kühn: Das würde auch keinen Sinn machen, da es die Situation nicht verbessern würde. Auch wenn alle Studiengänge dann programmakkreditiert wären, müssten diese später reakkreditiert werden. Diese Reakkreditierungen erfordern auch Qualitätssicherungssysteme wie beispielsweise Workloaderhebungen und Evaluationen. Die Arbeit würde sich nur auf 30-50 einzelne Baustellen verteilen.
Herbst: Das würde entsprechende Kosten verursachen.

Webmoritz: Sollen für die Arbeiten die im Zuge der Qualitätssicherungssysteme anfallen zusätzliche Stellen geschaffen werden oder soll diese Arbeit komplett von der vorhanden Qualitätssicherungsgruppe erledigt werden?
Herbst: Im Moment ist es nicht geplant, zusätzliche Stellen einzurichten.
Kühn: Die Arbeitsgruppe Integrierte Qualitätssicherung muss auch nicht jede Baustelle selbst lösen, sondern muss diese vor allem aufzeigen. Wir haben uns mittlerweile alle Institute angeschaut und kennen jetzt die Stärken und Schwächen der einzelnen Institute. So können wir den Instituten aufzeigen, wer sie beim Lösen bestimmter Probleme unterstützen kann.
Beispielsweise können wir keine Feste veranstalten um Alumniarbeit zu betreiben. Wir zeigen die Probleme auf und unterstützen die Stellen, die bereits Alumniarbeit leisten. Universitätsweite Bestrebungen, die leider nicht gefruchtet haben, gab es bereits durch den Förderverein der Universität und im Rahmen des Unijubiläums. Man muss die vorhandenen Ressourcen bündeln und institutionalisieren. Gerade bei Absolventenbefragungen ist dauerhafte Arbeit wichtig um Entwicklungen zu dokumentieren und die daraus gewonnen Ergebnisse für die Verbesserung der Studiengänge zu verwenden.

Webmoritz: Durch Absolventenbefragungen und Evaluationen würden große Datenmengen anfallen. Bisher wurde ein großer Teil der Evaluationsarbeit durch die Studiendekane erledigt und diese Posten sind schon jetzt nicht unbedingt die begehrtesten. Wie soll das bei erhöhtem Arbeitsaufwand ohne zusätzliche hauptamtliche Mitarbeiter funktionieren? Die Daten müssen ja auch ausgewertet werden.
Kühn: Das ist durch das Projekt „Integrierte Qualitätssicherung“ abgedeckt. Es wurde ein System angeschafft, das Auswertungen verschiedener Art automatisch durchführt.
Herbst: Durch die angeschaffte technische Ausstattung wurde bereits ein großer Schritt nach vorne gemacht. Bisher war es eine große Arbeit Evaluationen statistisch auszuwerten und die Ergebnisse präsentationsfähig zu machen. Das wird jetzt viel einfacher, so dass die Bedingungen für die Verantwortlichen besser werden. Ich würde der Aussage widersprechen, dass es jetzt ein stark erhöhter Arbeitsaufwand ist. Es bedarf vielmehr des Interesses an einer Methode die eigene Arbeit zu verbessern um in Zukunft bessere Qualität anbieten zu können. Ich kann mir nicht vorstellen und könnte es auch nur schwer akzeptieren, dass eine Lehreinheit diese genuine Aufgabe nicht ernst nimmt.

Webmoritz: Sollte es trotzdem zu Wiederständen kommen, wie wollen sie damit umgehen? In Deutschland ist ja recht schwer auf einen verbeamteten Professor mit festen Mitarbeitern Druck auszuüben. Bei der Einführung von InstEval haben einzelne Professoren Evaluation noch komplett abgelehnt.
Herbst: Ich bin vielleicht noch nicht lange genug im Amt um schon so ernüchtert zu sein. Ich werde es zunächst auf argumentative Kraft ankommen lassen. Wir packen das jetzt an und ich hoffe auch mit Hilfe der Studiendekane in den einzelnen Instituten Überzeugung herzustellen. Sie können mich in einem Jahr noch einmal fragen: Vielleicht werde ich dann sehr zerknirscht, vielleicht aber auch sehr heiter sein, wenn es mir dann gelungen ist, mehr Kollegen zu überzeugen, als die Pessimisten im Augenblick befürchten.
Kühn: Für die Akzeptanz bei den Studierenden wäre es zum Beispiel wichtig, wenn sie sehen, dass ihre Bemühungen ernst genommen werden, indem die Dozenten mit ihnen die Ergebnisse besprechen und daraus Verbesserungen für ihre Lehrtätigkeit ableiten. Gute Hochschuldidaktik ist den Wenigsten in die Wiege gelegt, aber Evaluationen von Lehrveranstaltungen können wichtige und hilfreiche Impulse dafür liefern.
Herbst: Die jüngeren Kollegen können dafür beispielsweise lernen, wie wichtig Hochschuldidaktikkurse sind.
Kühn: Ich denke, bei diesen liegt das geringste Problem. In der Testphase im Sommer haben wir insbesondere bei jungen Mitarbeitern, die Lehrerfahrungen im Ausland gesammelt haben und Qualitätssicherungssysteme von dort kennen, offene Türen eingerannt.
Herbst: Ich denke jetzt kommt eine Dozentengeneration, für die Qualitätssicherungssysteme normal sind. Hier greift eines ins andere: Zunächst die Lehrevaluation, dann die Hochschuldidaktik als notwendiges Mittel. Wir müssen den Dozenten zeigen, wo und wie sie in Lehrveranstaltungen und Prüfungen besser und kreativer werden können, zum Beispiel in der Präsentation von Inhalten. Ich habe hier durch die Evaluationen meiner Lehrveranstaltungen sehr viel gelernt. Natürlich kann man nicht jeden Wunsch erfüllen, wie zum Beispiel den Wunsch, die Vorlesung nicht um acht Uhr zu halten, wenn sie in einen Lehrplan getaktet ist. Aber die Kritik, dass ich öfter die Pause vergessen habe, kann ich sehr leicht lösen. Wünsche ändern sich auch: Ein Jahrgang wollte die Powerpoint-Folien als Handout, der nächste hingegen doch lieber einen Fließtext. Aber feste Ziele für jede Veranstaltung, Gesprächsphasen auch in Vorlesungen, Zusammenfassungen am Ende und Wiederholungen zu Beginn, das sind wichtige Instrumente, die ich durch Evaluation angenommen habe. Ich bin auch begierig immer mehr zu lernen.

Webmoritz: Leider verweigern sich gerade die schwächeren Lehrkräfte oft der Evaluation.
Kühn: Deshalb ist Akzeptanz sehr wichtig. Wir haben versucht einen guten, wissenschaftlich fundierten Fragebogen zu erstellen. Die Aussage „ Der Raum ist schlecht.“, reicht nicht. Man muss wissen, welche Kenntnisse die Studenten durch die Veranstaltung erworben haben. Langfristig wollen wir so ganze Module untersuchen, da auch das Zusammenspiel von Vorlesung und Übung wichtig ist. Man muss vergleichen, welche Kenntnisse die Studierenden durch das Modul erwerben sollten und welche sie am Ende erworben haben. Hierzu ist es nicht unbedingt nötig, jede Veranstaltung jedes Semester zu evaluieren, das könnte die Akzeptanz sogar herabsetzen. Einen optimalen Zyklus müssen wir erst noch festlegen. Auch wird es für verschiedene Veranstaltungstypen und Fachrichtungen individuelle Fragebögen geben, was das neue System von InstEval, bei dem es nur einen Fragebogen für alle gab, unterscheidet. Man kann in der Philosophie nicht den gleichen Fragebogen verwenden wie in der Chemie. Die Fächer sollen ihren Input geben und die Fragebögen mitgestalten. Zudem sind wir interdisziplinär besetzt, das hilft. Trotzdem sind wir hier auf die Hilfe der Dozenten angewiesen und werden deren Hinweise auch so weit möglich berücksichtigen. Es wird anfangs sicher nicht perfekt, aber wir sind für Kritik immer offen.

Webmoritz: Es soll also ein dynamisches System werden?
Kühn: Ja, natürlich. Der Fragebogen wird nicht in Stein gemeißelt sein
Herbst: Die Flexibilität des Systems ist eine seiner großen Chancen. Wir werden in der Testphase sehen, wie gut und relevant die Ergebnisse sind. Dann können wir uns immer weiter verbessern, wenn es neue Entwicklungen gibt.

Webmoritz: Danke, dass sie sich für dieses Gespräch Zeit genommen haben.

Bildquelle: Archiv/IEEG Greifswald