von Maria Trixa

Vorabveröffentlichung aus der neuen Ausgabe des moritz-Magazins (78), die in wenigen Tagen erscheint.

Eine seltsame Situation ist entstanden. Die Erst-Einschreibungen für den interdisziplinären Bachelorstudiengang der Umweltwissenschaften sollen zum nächstmöglichen Zeitpunkt, vorzugsweise bereits zum kommenden Wintersemester, suspendiert werden. Dafür sprach sich eine Mehrheit des Fakultätsrates der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät am 24. Juni aus. Das scheinbar skandalöse: Niemand an der Greifswalder Universität wird diesem Wunsch der Fakultät widersprechen. Schon Anfang Juni beschloss das Studentenparlament (StuPa) gegen eine solche Beschlusslage keinen Widerspruch einzureichen.

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Protest-Transparent von Studierenden

Prorektor Professor Michael Herbst spricht von einem „Loch”, in welches die jetzigen Studenten dieses Studienganges fielen, weshalb dies wohl die beste Lösung sei. Den Stein ins Rollen brachten Mitglieder des zuständigen Fachschaftsrates. Dass dies, wenn überhaupt, lediglich die zweitbeste Lösung ist, weiß Juliane Hübner. Die 22-Jährige ist stellvertretende Vorsitzende des Fachschaftsrates, der nicht nur Umweltwissenschaftler vertritt. Seitdem sie und ihr Kommilitone Sebastian Fischer im April in den Fachschaftsrat der Biochemie, Chemie und Umweltwissenschaften gewählt wurden, ist ein Mängelbericht entstanden. In diesem werden die Unterschiede
zwischen der geschriebenen Prüfungsordnung und der realen Ausführung dargelegt. Diese seien erheblich. „Wir sollen Praktika absolvieren, die nicht angeboten werden und können Veranstaltungen nicht zum angedachten Zeitpunkt, sondern erst später absolvieren, wodurch es unmöglich wird, die Regelstudienzeit einzuhalten. Das wiederum schadet den BAföG-Empfängern”, fasst Sebastian Fischer die Kernprobleme zusammen.

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Lebensraum vergiftet? Ausschnitt aus dem Homepage-Banner des FSR

In den letzten zwei Monaten wurde der Mängelbericht unter anderem an das Dekanat der Fakultät, verschiedene Kommissionen sowie den Prüfungsausschuss und das Rektorat herangetragen. „Wir wollten eigentlich erreichen, dass die Probleme gelöst werden”, erklärt Juliane Hübner. „Allerdings finden wir es auch unverantwortlich, wenn weiterhin junge Leute das Studium der Umweltwissenschaften hier in Greifwald beginnen würden.” Das Wichtigste sei, dass der Studiengang grundlegend neu strukturiert wird.

Die immer gleichen Probleme gibt es schon seit der Etablierung der Umweltwissenschaften, und vor allem seit der Umstellung auf den Bachelor vor vier Jahren (siehe auch moritz 67). So beträgt die Überlebensrate bis zur Bachelorarbeit gerade einmal 20 Prozent. Wird die Umweltwissenschaft auf der Universitätshomepage als „interdisziplinär” angepriesen, fasst Wikipedia sie als einen „Sammelbegriff ” für alle umweltrelevanten Themen jeglicher Fachrichtung auf, die eine Volluniversität zu bieten hat. Bunt durcheinander gewürfelt ist da von Umweltphysik und Umweltchemie die Rede, von Umweltethik und Umweltrecht.

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Das neue moritz-Magazin (78) erscheint in der nächsten Woche

Es gibt nicht mal eine Einführungsveranstaltung

In Greifswald haben Studenten der Umweltwissenschaften Veranstaltungen aus jeder Naturwissenschaft, Mathematik und Geologie sowie Rechts- und Wirtschaftswissenschaften und Philosophie zu absolvieren. „Letztendlich haben wir einzelne, meist aus einer Vorlesungsreihe für die jeweiligen Hauptfachstudenten gerissene Veranstaltungen, zu denen uns zudem das Vorwissen fehlt”, erklärt Student Sven Milewski. Das fehlende Wissen muss selbstständig nachgearbeitet werden. Der interdisziplinäre Status des Studienganges zieht einen weiteren nachteiligen Aspekt nach sich: Umweltwissenschaftler sitzen in jeder Lehrveranstaltung als Nebenfachstudenten. Keiner fühlt sich wirklich für sie zuständig. Meist sind die Vorlesungen für Diplomstudenten gedacht, gesonderte Prüfungen für die Nebenfachstudenten werden nicht gestellt. Obwohl dem Institut für Physik angegliedert, gibt es keine Person, die das Zusammenspiel der Lehre aus den verschiedenen Instituten der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät koordiniert. Das kritisierte Studiendekan Professor Walter Langel auf der Fakultätsratsitzung. Was den Umweltwissenschaften fehle, sei eine Identität, beispielsweise in Form einer eigenen Einführungsveranstaltung.

In Bezug auf einen ebenfalls angesprochenen Masterstudiengang verwies Dekan Professor Klaus Fesser, wie schon im Dezember 2008, auf den Master Geosciences and Environment (moritz 67). Die Variante eines Masters der Umweltwissenschaften anstatt eines Bachelors wurde auf der Fakultätsratssitzung nicht weiter diskutiert, ebensowenig die Zukunft der Umweltwissenschaften nach einer Suspendierung. So betonte Fesser, dass es zu diesem Zeitpunkt zunächst um eine Grundsatzentscheidung ginge. Die Probleme hält er allerdings für lösbar. Professor Fritz Scholz vom Institut für Biochemie und Gegner des gefassten Beschlusses schob die angesprochenen Probleme auf die Dummheit der Studenten. Es handele sich bei den Beschwerdeführern wohl um einen schwachen Jahrgang. Zudem seien keine zusätzlichen Lehrkapazitäten vorhanden.

Der ehemalige Studiendekan Professor Patrick Bednarski erinnerte an vergangene, gescheiterte Bemühungen den Studiengang im laufenden Geschäft zu verbessern. Bednarski hatte auf Grundlage studentischer Berichterstattung bereits zu Beginn des vergangenen Jahres einen Mängelbericht verfasst in dessen Nachtrag eine neue, jedoch kaum veränderte Prüfungsordnung entstand. Sollte sich am jetzigen Status nicht bald etwas ändern, „dann steht es nicht gut für die Umweltwissenschaften”, schloss Bednarski seine Bedenken. Bis Dezember, so der Beschluss des Fakultätsrates, soll eine Entscheidung über die Neustrukturierung einschließlich einer Möglichkeit des Masterstudienganges getroffen werden. Außerdem werde den bereits immatrikulierten Studenten der weitere Verlauf des Studiums abgesichert.

Weitere Themen im neuen moritz-Magazin:

  • Wie leichtfertig Studenten ihre Persönlichkeit im Netz preisgeben
  • Vollversammlung, Bildungsstreik, Hochschulgruppen
  • Profs Privat (2): Professor Stegmaier
  • Interview mit Erwin Sellering
  • Interview mit Professor Klein über Wolfgang Koeppen und die Freiheit
  • m.trifft: Andreas Preuß aus dem mitt’n drin

Foto: FSR Biochemie, Chemie und Umweltwissenschaften