Das Licht geht aus. Das Orchester fängt an zu spielen und auf der Bühne beginnt die Darstellung der leidvollen 30-jährigen Inspirationslosigkeit des berühmten finnischen Komponisten Jean Sibelius, der in seiner Heimat für seine unzähligen musikalischen Werke verehrt wurde.

moritz-print-mm77-38-feuilleton-die-zugvoegel-image-01-vincent-leiferkDoch zunächst ist das Geschehen fröhlich und entspannt: Zusammen mit seiner Familie feiert der Künstler am 10. Mai 1927 den Namenstag seiner Ehefrau Aino. Dabei wird Jean immer wieder gefragt, wann er denn endlich die Arbeit für die achte Sinfonie aufnehmen würde. So beobachtet der Komponist auf dem nahen Tuusula-See, wie Schwäne sich niederlassen und deutet dies als „Zeichen der Natur“ sich der Komposition seiner achten Sinfonie zu widmen, auf die die Welt schon so lange wartet. Doch dann erlebt er eine furchtbare Vision, die ihn die Arbeit vorzeitig beenden lässt. Zwölf Jahre lang versucht er seine „Achte“ zu vollenden, bringt es aber nicht fertig seine Gedanken auf das Papier zu bringen, so sehr ist er von den Weltgeschehnissen traumatisiert. Erst gegen Ende des zweiten Weltkrieges fordern ihn die Toten des Krieges in einem Traum auf, die Sinfonie zu beenden und so widmet er seine fertiggestellte achte Sinfonie den Toten, um diese daraufhin jedoch zu verbrennen.

Die Oper des Generalmusikdirektors des Theater Vorpommerns, Mathias Husmann, die 1927 mit der fröhlichen Namenstagsfeier von Aino beginnt und mit dem Todestag von Sibelius endet, ist allerdings mehr als ein Ausschnitt aus dessen Biographie. Vielmehr werden die schrecklichen Ereignisse des 20. Jahrhunderts aufgearbeitet und thematisiert, inwieweit die damaligen Geschehnisse die Menschen traumatisierten und regelrecht sprachlos werden ließen, nicht zuletzt erkennbar an der Schaffenskrise des Komponisten. Schauplatz des sinfonischen Dramas ist und bleibt Ainola, die ländliche Villa von Sibelius, und besteht aus vier Bildern, die die vier Sätze der nicht existenten achten Sinfonie darstellen.

Obschon entgegen des eigentlichen Charakters einer Oper arbeitete der gebürtige Hamburger Komponist Schauspielstellen in sein Musikstück mit ein, während das Orchester begleitend weiterspielt. Leider erschwert dieses das Verstehen der Dialoge, die zum Teil übertönt werden. Beinahe durchweg ist die Stimmung des sinfonischen Dramas schwermütig und die große Verzweiflung des Finnen liegt sozusagen in der Luft.

moritz-print-mm77-38-feuilleton-die-zugvoegel-image-01-vincent-leiferkAllein die Figur des Sibelius, glatzköpfig, Schattenringe um die Augen und finster dreinblickend, unterstützt die Unheimlichkeit der Ereignisse der Welt, denen der Komponist gegenübersteht. Doch zwischen all dem Elend und den Grausamkeiten, die der Krieg mit sich bringt, mischen sich doch auch Zuversicht und ein Hauch von Selbstironie in das musikalische Werk. Denn Mathias Husmann stellt besonders die Liebe von Jean Sibelius zu seiner Ehefrau Aino heraus und sein 80. Geburtstag, an dem er ein Paar Gummistiefel geschenkt bekommt, lockern das eher düstere Gemüt der Oper auf.

Die Frage warum nun der finnische Komponist seine nach langer Zeit vollendete achte Sinfonie am Ende doch wieder zerstörte und der Welt unzugänglich machte, kann allerdings auch Mathias Husmann mit seinem dramatischen Musikstück nicht beantworten. Doch gibt die musikalische Verarbeitung zumindest Einblick in die Seelenlage des Komponisten. „Diktatur und Krieg widern mich an. Der bloße Gedanke an Tyrannei und Unterdrückung, Sklavenlager und Menschenverfolgung, Zerstörung und Massenmord machen mich seelisch und physisch krank. Das ist einer der Gründe, warum ich in über 20 Jahren nichts geschaffen habe, was ich mit ruhigem Herzen der Öffentlichkeit hätte geben können.“

Ein Artikel von Katja Graf mit Fotos von Vincent Leifer