Die 59. Berlinale als Spiegel weltumgreifender Perspektiven und Ressentiments.  – Ein Beitrag unseres Gastautors Arvid Hansmann. Berlinale-Fotos von Arvid findet ihr in unserer Galerie.

„This is the end …”

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Regisseur Dani Levy auf der Berlinale

Glaubt man Dani Levys Beitrag „Joshua“, den er zum Projekt „Deutschland 09 – 13 kurze Filme zur Lage der Nation” beigesteuert hat, so ist eine optimistische Stimmung in unserem Land nur durch Zuhilfenahme von halluzinogenen Medikamenten möglich. Nur so kann sein kleiner Sohn in einem „national befreiten Dorf” als messianischer Führer gesehen werden – doch mit abklingender Wirkung ertönt ein martialischer Chor: „Morgen müsst ihr sterben; morgen seid ihr tot!”

Man mag Levy unterstellen, dass er als Jude mit einer gewissen Skepsis an deutsche Identitätsbefindlichkeiten herangeht. Doch sind die Gedanken einer nationalen Orientierung, die sich als resignativer Protest gegen die unüberschaubaren Globalisierungsprozesse äußern, nur noch durch den prototypischen Charakter der NS-Herrschaft an die Deutschen gebunden: Das Dritte Reich mag mit all seinen ideologischen Paradoxien ein Vorbild bieten – die konkrete Ausprägung in der Gegenwart ist jedoch in allen Teilen der Welt an soziale, ethnische, oder geographische Phänomena gebunden.

Welche grotesken Stilblüten der Nationalismus treibt, zeigt der Film „Rossiya 88” von Pavel Bardin. Wer hier zunächst an eine Dokumentation der russischen Wendezeit denkt, irrt gewaltig: Die Zahl verweist auf den Buchstabenkombination „H.H.”. Während hierzulande bereits bei der Nummernschildvergabe auf derartige Dopplungen verzichtet wird, so hat sich in Russland eine Szene herausgebildet, die die Nazi-Ikonographie adaptiert und auf ihr alltägliches Umfeld anwendet. Dabei wird in Kauf genommen, dass das „H” im Kyrillischen gar nicht existiert und dass die „Sieg Cheil”-Rufe die Großeltern nur zu Kopfschütteln veranlassen, die einst aus erheblich tieferer Entschlossenheit gegen Hitlerdeutschland kämpften. Was in dieser äußerst unästhetischen Bewegung jedoch zum Ausdruck kommt, ist die allgemeine Antipathie, die offenbar in der russischen Gesellschaft gegenüber den Migranten aus den muslimisch geprägten Regionen des Riesenreiches herrscht: Die Polizei sieht gerne einmal weg, wenn ein Gemüsehändler zusammengeschlagen wird.

Wenn der Mahdi kommen wird …

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Gefährlicher Demagoge, oder „der Präsident von nebenan“? - Mahmut Ahmadinedschad

Nationale Befindlichkeiten zeigen sich auch in einem phänotypisch komplett anderen Zusammenhang. Der Dokumentarfilm „Letters to the President” des tschechisch-stämmigen Kanadiers Petr Lom widmet sich einem Mann der hierzulande neben Kim Jong Il nur als „Irrer mit der Bombe” gesehen wird: Mahmut Ahmadinedschad. Wenn man sieht, mit welcher Begeisterung dieser kleine Mann in unscheinbarem Outfit im einfachen Volk empfangen wird, vollzieht sich ein assoziativer Spagat zwischen frenetischen Verehrern Hitlers und den kreischenden Fans eines Clive Owen oder Keanu Reeves am roten Teppich. Doch tragen die mehr oder minder jungen Damen hier nicht BDM-Jacken oder Parkakapuzen einer TV-Zeitschrift, sondern sind komplett in schwarz gehüllt und rufen: „Iran hat ein Recht auf die Atombombe! – Tod Amerika! Tod Israel!”

Doch gleichzeitig macht der Film deutlich, dass es sich bei diesen Leuten nicht um willenlose Märtyrerbrigaden handelt, sondern um Menschen mit alltäglichen Sorgen und Nöten, die im Präsidenten „einen von ihnen” sehen, an den sie jederzeit einen Brief schreiben können – auf den durchaus eine positive Antwort erfolgen kann. Man sieht, dass auf der parlamentarischen Ebene – wenn man sie losgelöst vom „Religiösen Wächterrat” betrachtet – durchaus so etwas wie demokratische Strukturen bestehen, in denen sich auch ein Ahmadinedschad gegenüber anderen, mitunter noch größeren Hardlinern behaupten muss. Ebenso gibt es hier eine „gehobene Mittelschicht”, die dem Populismus des Präsidenten weniger mit aktiver Opposition, als mit passiv-intellektuellem Kopfschütteln gegenübersteht.

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Umhüllte Schönheiten: Golshifteh Farahani und Taraneh Alidousti in „Über Elly“

Genau diese Mittelschicht wird im Wettbewerbsbeitrag „Darbareye Elly – Über Elly” thematisiert, für den Regisseur Asghar Farhadi einen Silbernen Bären gewann. Das dramatische Szenario um eine Gruppe junger Akademiker, die mit Kind und Kegel ein gemeinsames Wochenende in einem Haus am Meer verbringen wollen, hätte genauso gut in Kalifornien oder auf Rügen spielen können. Lediglich die bunten Kopftücher der Protagonistinnen setzen spezifische Akzente. Dabei wirken sie jedoch weniger als dogmatisches Symbol, denn als ein, mit Leichtigkeit getragenes, modisches Accessoire das die schönen Gesichter rahmt und dem Betrachter als Differenzierungshilfe dient.

Die ruhige und intime Erzählweise des Films entwickelt mit zunehmender Intensität ein moralisches Drama, das man vor den sozialen Gegebenheiten des Landes sehen kann, aber durchaus auf vermeintlich liberalere Gesellschaften übertragbar ist.
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