Nach vier Jahren Bauzeit und 22 Millionen Euro Investitionskosten wurde heute das größte Straßenbauprojekt Greifswalds seit 1990 eröffnet: Die Eisenbahn-Unterquerung am Bahnhof. Mit einem kleinen Volksfest wurden die Bürger auf den Auto-Korso, der um 18 Uhr feierlich über den neuen Verkehrsweg rollen sollte, vorbereitet.

Dass sie bei der Eröffnung gestört werden könnten, hatten sich die Verantwortlichen offenbar nicht träumen lassen: Gut 30 Radfahrern gelang es heute Abend, den geplanten Auto-Korso zur Eröffnung schon nach wenigen Metern zum Stoppen zu bringen. Die Radler drangen von zwei Seiten in den Kreisverkehr vor dem Tunnel ein und blockierten diesen durch permanentes Kreisen.

Litt unter Verstopfung: Der neue Kreisverkehr an der Bahn-Unterführung. Erst sah es so aus, als wollten die herbeigeilte Polizeistreife mit demonstrieren. Der offensichtlich verdutzten Beamten drehten zunächst eine "Ehrenrunde" im Kreisverkehr.

Die wenigen herbeieilenden Polizisten waren gegen die Radfahrer machtlos und sichtlich überfordert. Zwar sah man einzelne beherzte Schutzmänner todesmutig in die Massen der Fahrradfahrer springen – aber diese wichen einfach aus. Auf die Idee, den Kreisverkehr mit einer Menschenkette oder mit Fahrzeugen zu blockieren, kamen die Beamten nicht.

Oberbürgermeister Arthur König (CDU), der als Erster den Umzug mit seinem Audi A6 in Gutsherrenmanier anführen sollte, entschied sich daraufhin unter Missachtung der Vorfahrtregeln, zu einem waghalsigen und folgenschweren Schritt – er ließ einfach anfahren, mitten zwischen den Radfahrern.

Anschließend passierte sein Auto langsam den Kreisverkehr, bis es von den Radfahrern umstellt und aufgehalten wurde. Nach einer Weile wurde König dann von Polizisten „befreit“ und konnte die Rotunde wieder verlassen.

Nach Oberbürgermeister Arthur König folgten die neuesten Modelle der Greifswalder Autohäuser sowie städtische Fahrzeuge, Rettungswagen und zwei Stadtbusse. Alle passierten den Kreisverkehr einzeln unter lautem Johlen der Radfahrer. Sie riefen die Parole: „Mehr, mehr, mehr – CO2 muss her!“

Verantwortlich für die Störung war die Initiative „Pro Treibnetz“. In einer Rundmail, die in den letzten Tagen kursierte, hieß es:

„Um Punkt 18 Uhr startet der offizielle, erste Autocorso durch die Bahnunterführung mit viel Presse und Tam Tam. Wir erachten diesen Moment für geeignet, um mit einer fünf bis zehnminütigen Dauer-Kreisverkehr-Fahrradtour den feierlichen Autocorso inkl. Bürgermeister innehalten zu lassen, um die wunderschöne Botonarchitektur der Bahnunterführung zu genießen.

Wir begrüßen die kluge Investition in den Ausbau des motorisierten Individualverkehrs. Im Zeichen des weltweiten Klimawandels zeigt Greifswald, dass diese Hansestadt wieder ganz weit vorne mit dabei ist.

[…] Wir fordern das Menschenrecht auf Autotunnel, Fahrradwege zu Autobahnen, den Fließverkehr behindernde Busse runter von den Straßen und Züge aufs Abstellgleis. Die Zukunft gehört dem Ölverbrennungsmotor.“

Nach der Durchfahrt des kompletten Korsos verschwanden die Radfahrer sichtbar erheitert – ein Gemütszustand, der auf die Organisatoren und Teilnehmer des Korsos vermutlich nicht zutraf. Die anwesenden Greifswalder diskutierten jedenfalls lebhaft über die Störung – und zeigten mehrheitlich Unverständnis. Einig war man sich nur in einem: Peinlich für die Veranstalter sei das ganze gewesen, war der einhellige Tenor.

*Update*

7. Dezember

Inzwischen haben wir Videomaterial von der Aktion erhalten, das ihr Euch hier angucken könnt.

Weitere Bilder als Galerie (alle Fotos aus dem Kreisverkehr: Dr. Ulrich Rose):

Foto auf der Startseite: Dr. Ulrich Rose