Bockwurst, Glühwein und Musik – von den Dächern einer Sporthalle und eines Großzelts vor dem ersten Schnee der Saison geschützt, hielten Vorpommerns Unternehmer eine Kundgebung für den Bau des Steinkohlekraftwerks ab. Abgesehen von den kämpferischen Redebeiträgen ging es vorher und nachher sehr heiter zu – die Unternehmer schienen sich ihrer Sache sicher zu sein. Einer handvoll Kraftwerks-Gegner gelang mit Transparenten allerdings eine kurze Störung der Veranstaltung.
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Das Datum war nicht zufällig gewählt: Heute war der letzte Tag der Anhörungen im Zuge des Genehmigungsverfahrens für das Kraftwerksprojekt. Zu Beginn der Anhörungen hatten 200 Gegner gegen das Kraftwerk protestiert. „Wir haben damals gedacht: Das können wir auch“, sagte Gerold Jürgens, ehemaliger Mitarbeiter im Kernkraftwerk Lubmin und heute Präsident des Unternehmerverbands Vorpommern, nachdem er würdevoll zu den Klängen von „Final Countdown“ in die Halle eingezogen war.
Die relativ kleine Turnhalle als Veranstaltungsort war ein kluger Schachzug der Veranstalter: Der Raum war schnell proppevoll – ein Effekt, der sich unter freiem Himmel sicher nicht ergeben hätte. Von den avisierten 1000 Teilnehmern war man allerdings weit entfernt – einige hundert dürften es jedoch gewesen sein.
Viele Betriebe kamen mir großen Teilen ihrer Belegschaft. Das ortsansässige Unternehmen „Anlagen- und Kraftwerksrohrleitungsbau Greifswald GmbH“ kam nach Angaben des Geschäftsführers Michael Lüdeke mit „99 Prozent der Mitarbeiter“. Lüdeke hatte seine 80 Mitarbeiter für den Besuch der Veranstaltung freigestellt. Er sagt über seine Motivation: „Unsere Auftragsbücher sind gut gefüllt. Aber meine Mitarbeiter arbeiten allesamt von hier aus in Düsseldorf, Karslruhe oder München – das ist weit weg von Greifswald. Viele würden sich wünschen, auch mal in der Nähe ihrer Familie arbeiten zu können.“ Alle Mitarbeiter kommen aus Greifswald oder dem Umland.
Eine ausführliche Schilderung der relativ kurzweiligen Veranstaltung hat unser Leser „red marrut“ in den Kommentaren abgegeben. Wir finden diese Schilderung zitierungswürdig:
„Von wegen “Demonstration” – es handelte sich lediglich um eine Kundgebung im BIG (mit vorgelagertem Zeltanbau, Glühweinstein und Gratis-Bockwurst). Kurzfristig hatten die OrganisatorInnen eine sowieso geplante Veranstaltung des Unternehmerverbandes für ihre Pro-Steinkohlekraftwerks-Kundgebung umgewandelt.
Nur so war es überhaupt möglich, daß die die als Saal genutzte Turnhalle nicht völlig leer wirkte. 250-300 Leute, schätze ich mal, waren da – vom Podium wurde von 1.000 Leuten, die sich angekündigt hatten und jetzt noch im Stau auf der Umgehungsstraße stünden, fabuliert. Eingetroffen sind die jedenfalls auch nach 1 Stunde nicht mehr. Anzumerken bleibt auch noch, daß ein nicht geringer Teil der Anwesenden offenbar Azubis der entsprechenden Handwerks- und Indutriebetriebe waren, die dorthin mitgeschleppt wurden – gut erkennbar an den überall präsenten blauen Latzhosen.
Ich habe mir die Veranstaltung im Saal eine Stunde lang angetan und kam aus dem Schmunzeln nicht heraus ob der abstrusen Argumente. Am besten hat mir noch der Vertreter aus Rügen gefallen, der meinte, die Fernwärme des Kraftwerks müsse auch unbedingt genutzt werden. Er plädierte – offenbar ganz ernsthaft – dafür, in Lubmin Treibhäuser aufzustellen, um dort Zitrusfrüchte und Schnittblumen produzieren zu können, das würde dann auch viel Kerosin sparen, der sonst beim Transport aus Kolumbien etc. entstünde. 😆
Sprechen durften am Mikrofon bis 14 Uhr folgende Pro-Steinkohle-RednerInnen:
- Unternehmerverbandsvertreter :sleeping:
- ehem. Bürgermeister von Wolgast :blink:
- Vertreter der EWN :blink:
- Sprecherin der gelben Gewerkschaft IG BCE (eine Schande für den DGB!) :sick:
- Vertreter von der Kreishandwerkskammer aus Rügen :biggrin:
Während der Rede des EWN-Vertreters entrollte etwa ein Dutzend Leute 3 Transparente gegen das Steinkohlekraftwerk im Saal, die sie am Saalschutz (GSD Sicherheitsdienst Stralsund) vorbei mitgebracht hatten. Teils durch den Saalschutz, teils durch höchst erregte TeilnehmerInnen der Versammlung wurden ihnen die Transparente entrissen, und sie des Saales verwiesen. Ein älterer Herr wollte sogar noch eine Schlägerei mit einem der Transparentehalter anfangen und schlug mehrmal vehement mit seiner Mütze auf den jungen Mann ein. Ein von der JU-Abordnung, die zur Anhebung der TeilnehmerInnenzahl ebenfalls ins BIG gekarrt worden war, intoniertes “Rauswerfen! Rauswerfen!” wurde im Saal von vielen lautstark aufgegriffen. - Absurde Szenen! 😉 Allein dafür hat sich der Besuch gelohnt! (Und natürlich wegen der kostenlosen Bockwurst.)
Wie gesagt, länger als eine Stunde habe ich diese (indirekte?) DONG-Werbeveranstaltung nicht ausgehalten und bin dann im ersten Greifswalder Schnee diesen Jahres nach Hause. 😎
Das Spaßigste waren noch vor Beginn der Veranstaltung zwei Hanseln, die mit satirischen Plakaten die SteinkohlekraftwerksbefürworterInnen mächtig auf die Schippe genommen haben. Da hieß es (ich hab’s mir extra notiert): “Für mehr Boddenheizung! – Initiative PRO Steinkohlekraftwerk”, “Tourismus stört nur!”, “Blühende Landschaften dank Steinkohle!” und “Steinkohle ist Zukunft! Windenergie ist Kommunismus!” 😆
Fazit: Selbst bei einer solch inszenierten Veranstaltung wie heute im BIG kriegen die BefürworterInnen keine Massenveranstaltung hin. Kein Wunder, daß sie sich nicht auf die Straße getraut haben und es lieber beim Glühweinchen in der Sporthalle beließen.“
Dazu verlinken wir noch einmal das radio 98eins Interview mit Julian Sermon, von der Initiative Pro Treibnetz, die vor der Veranstaltung auf ihr Anliegen Aufmerksam machten:
Die Debatte, ob dieses Kohlekraftwerk gebaut werden sollte, ist eine Debatte über Klimawandel. Eine sehr seriöse Analyse – nicht zum Klimawandel selbst, sondern vor welcher logischen Entscheidung die Menschheit (und damit auch Greifswald) steht – liefert dieser amerikanische YouTube-Aktivist, dessen Video bereits millionenfache Verbreitung fand:
Weitere Infos:
- Webmoritz-Artikel zum Thema
- Seite des Kraftwerks-Betreibers
- Flyer der Initiative Pro Treibnetz zum Kraftwerk Lubmin
- Seite des Unternehmerverbands Vorpommern
*Update: 20.20 Uhr:* Bilder wurden eingefügt (Die ersten sechs, inklusive Startseite: MOPET, Rest: Luisa Wetzel). Überschrift und Teaser wurden geändert.
“Steinkohle ist Zukunft! Windenergie ist Kommunismus!” – eindeutig mein Favorit 😀 😀
Auch genial die Treibhäuser für Südfrüchte :p
danke für die verlinkung des 98eins-interviews.
Ist ja ein top-interview… Wenn ihr wieder mal Interviews oder Podcast habt, sagt uns bescheid!!
bin nich vom radio. fand nur den link gut. aber bin auch für mehr online-content von 98eins. 😎
“Steinkohle ist Zukunft! Windenergie ist Kommunismus!” << Jap - ich hatte kurz überlegt das als Überschrift zu nehmen. Aber das wird möglicherweise geglaubt... :blink:
anzumerken ist meiner ansicht nach noch, dass die vertreterin der kraftwerksgegner ein rederecht zugesprochen wurde. der beitrag wurde aber ganz an das ende der veranstaltung nach den auftritt eines überaus grausigen greifswalder barden verlegt, nach dessen unterirdischer darbietung 90% der besucher die halle verlassen haben… erinnert mich an das gebahren im stupa^^
Lieber Webmoritz,
Folgendes zu diesem Artikel:
1.) Juhu, sie schmuggelten ihre Plakate in Handtaschen und am Körper wie Diebe ein und der zuständige Sicherheitsdienst wagte es tatsächlich alle Teilnehmer gleich zu behandeln und nicht als Verdächtige auch komplett zu durchsuchen.
Was für ein aktivistischer Erfolg… Zumal der Einsatz auch wahnsinnig koordiniert und überzeugend ablief… Juhu!
2.) Hat die ‚lustige‘ Spontanaktion niemanden gestört, womit von keiner Störung die Rede sein kann.
Aufgrund der hauptsächlich erfahrenden und im Berufsleben stehenden Teilnehmer, wurde ohne weiteres garantiert, dass jeder seien Meinung im offenen Teil vortragen konnte, was ja auch so geschah. Ansonsten konnte man diese Aktionen höchstens belächeln, zumal 1000 gegen 10 ein sehr deutliches Verhältnis ist. (BTW: Die ‚Störenfriede‘ waren auch irgendwie überrascht, dass sich der zuständige Kreisvorsitzende der Linkspartei (Der hier nicht auf der Rednerliste auftaucht…) ‚auf einmal‘ für das Kraftwerk aussprach und auch deutlich machte, dass dies zu ca. 80% dem Willen der betroffenen Bürger entspreche… Danach war man auf einmal sehr ruhig.)
Niemand wurde des Saales verwiesen…
Lustige erfundene Szenen auch… Macht echt was her… insb. mit der JU. Juhu!
3.) Witzig, dass man an einem Wochentag seinen doch zahlreichen arbeitstätigen Teilnehmern keine Veranstaltung bei diesen Wetter auf irgendeiner Straße antun wollte…. Und trotzdem viele Leute zusammenbekam, die fundierte Vorträge bekamen.
3a.) Das nächste mal auch ein paar pro-Argumente wiedergeben, anstatt alles zu verschweigen?
3b.) Was gab es den für Gegenargumente auf den Anti-Demonstrationen?
4.) Immerhin war der Altersdurchschnitt dieser Veranstaltung höher als 18 1/2 und es hat sich wohl deutlich die schweigende Mehrheit zu diese ganzen Dingen geäußert.
5.) Ist der Bau des Kraftwerks nur nachrangig eine Klimapolitische Frage. Hauptsächlich geht es hier konkret um Wirtschafts- und Investitionspolitik. Was von den ausnahmsweise in dieser Diskussion fundierten Redebeiträgen auch deutlich gemacht wurde. (Tolles Video… *gähn*)
Wahrlich ein objektiver Artikel!
Weiter so!
Gustav
„1000 gegen 10“ 😀 oben stehen „300“. Spin Doctors beider Seiten am Werk hier…
Was ich aber nicht so lustig finde: „der Bau des Kraftwerks nur nachrangig eine Klimapolitische Frage“ – Nach dir die Sintflut, ja? Wenn deine Enkelkinder nen kaputten Planeten vorfinden – ist ja nur nachrangig. Hauptsache, es gibt hier und jetzt ein paar hundert Arbeitsplätze mehr… pfff. Außerdem, wer braucht schon Eisbären, lasse absaufen, wir haben ja Knut(s Nachkommen/Klone).
Der zweite Satz deines Punkts 4 ist ein wirklich amüsantes Oxymoron.
Guten Morgen.
Lieber Gustav,
Wenn es keine Störung gab, wie können dann die „Störenfriede“ überrascht gewesen sein?
Es scheint so zu sein, dass Gustav ziemlich weit hinten stand und wenig mitgekriegt hat.
Lieber Gustav, man wurde nicht nur des Saales und des Geländes verwiesen, sondern auch von dem geehrten Publikum, also von den im Berufsleben stehenden Teilnehmern über 18 1/2, hinterhältig mit den Füßen getreten, wodurch blaue Flecken entstanden sind. Zu einer Anzeige gegen Unbekannt ist es leider nicht gekommen. Zwischen angeblich 1000 Teilnehmern gab es keine Zeugen… Schade eigentlich :blush:
niemand wurde des saales verwiesen?
evtl warst du zu sehr mit bücken beschäftigt…
mindestens zehn personen sind rausgeflogen,
darunter auch ich, der sich ausser fehlender
maskerde mit anzug und krawatte keines ver-
gehens schuldig gemacht hat.
tja… allet erfunden, wa?
mal schaun, ob der ndr/webmoritz nen paar szenen
veröffentlichen… dein lügen passt ja ins bild.
Unser Redakteur Gabriel und unsere Fotografin Luisa waren vor Ort und können die Schilderung unseres Leser bestätigen.
Das Foto rechts zeigt sogar, wie gerade das Transparent heruntergerissen wird….
Sorry Gustav, ich hatte deine anderen Beiträge eigentlich bisher ganz gut gefunden. Hier irrst du Dich.
Ich glaub die spinnen die Greifswalder!
Die JU macht Transparente die dadaistischer aussehen als jedes Punkertranspi aus den 80ern, die „angeblichen Kraftwerksgegner“ vertreten mit aufwendig bemalten Transparenten die einzigen Argumente, die für das Kraftwerk sprechen und werden dafür von der Pro-SKW-Veranstaltung ausgeschlossen.
Da ist doch was faul im Staate Dänemark.
aber „Arbeit und Geld“ find isch echt goil, ey, höhö :w00t:
Ja – die Plakate sind etwas strange…
Offenbar hat man bei der JU nicht so viel Demo-Erfahrung?! 😎
die letzte in eldena solte ja eigentlich gar keine sein^^
imho gabs dafür ne anzeige :tongue: