“Protestieren Sie bitte!”

Schwerins Oberbürgermeisterin Angelika Gramkow, SPD

Mit dieser Aufforderung ermuntert Schwerins Oberbürgermeisterin Angelika Gramkow etwa 600 frierende und müde Studenten. Sie stehen bereits seit einigen Stunden auf dem Schlossplatz in Schwerin, halten Plakate in der einen, Kaffee oder einen Teller mit warmer Suppe in der anderen Hand. Sie demonstrieren gegen einen Antrag zur vierten Gesetzesänderung des Landeshochschulgesetzes, welche die Einführung eines Verwaltungskostenbeitrags von 50 Euro beinhaltet.

Einige Stunden zuvor. Es ist stockdunkel, als sich achtzig Studenten vor dem Büro des Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) in der Domstraße am 16. Oktober treffen. Es gibt Kaffee und Frühstücksbeutel für die Frühaufsteher; anschließend fahren zwei gut gefüllte Busse nach Schwerin. „Alles läuft planmäßig”, stellt Fabian Freiberger zufrieden fest. Der AStA-Referent für Hochschulpolitik war für die Organisation der Kundgebung zuständig. Nach etwa zwei Stunden Busfahrt werden die Greifswalder freudig von den anderen Studenten auf dem Schlossplatz empfangen. Im Schloss beginnt gerade die Anhörung zur Gesetzesänderung im Bildungssausschuss, bei welcher auch der Stellvertretende AStA-Vorsitzende Sebastian Nickel sprechen wird. Währenddessen fängt vor dem Landtag die Kundgebung an.

Laut AStA Greifswald nehmen 600 Studenten aus fünf Hochschulen des Landes an dieser teil. In Mecklenburg-Vorpommern sind übrigens 37.000 Studenten immatrikuliert. Fanny Romoth, Lehramtsstudentin Französisch und Sozialwissenschaften der Uni Rostock findet: „Es ist traurig, wir sind viel zu wenige. Für die nächste Demo sollen uns die Dozenten frei stellen. Dann braucht auch keiner Angst zu haben, abgemahnt zu werden.” An der Universität Greifswald sind die 80 Demonstrierenden durch einen Rektoratsbeschluss entschuldigt. Die FH Wismar, etwa 35 Kilometer von Schwerin entfernt, konnte sogar 200 Studierende mobilisieren. Patricia Fronczyk kommt mit 30 Kommilitonen nach Schwerin. Sie studiert Soziale Arbeit an der FH Neubrandenburg und erklärt, warum sie hier ist: „Ich will etwas bewirken, denn ich bin absolut gegen Gebühren jeglicher Art. Deswegen ist es wichtig, dass wir uns bewegen und ein Zeichen setzen.”

Für Unterhaltung und Information während der Kundgebung sorgen das Studententheater StuThe und der AStA Greifswald. Es werden Interviews geführt, ein kleines Improvisationsstück aufgeführt und Parolen gerufen. „Die Stimmung ist entspannt und ausgelassen”, befindet Fabian Freiberger. Im Hintergrund singen die Studierenden das umformulierte Lied „Das Studium ist frei” auf die Melodie von „Die Gedanken sind frei” begeistert mit, während zwischendurch zahlreiche Politiker auf die Bühne geholt werden. Neben Angelika Gramkow spricht auch Max Reinhardt. Der bildungspolitische Sprecher der CDU vertritt eine andere Meinung als seine Parteikollegen: „Das Gesetz ist juristisch nicht überzeugend. Ich hoffe, dass meine Kollegen das auch so sehen. Übrigens haben sich die studentischen Vertreter im Ausschuss gut geschlagen.”

Zwischendurch startet eine Spontandemonstration von der Kundgebung aus, um durch Schwerin zu ziehen. Etwas verlassen und irritiert stehen die Übrigen vor dem Schloss. „Studenten wissen, wie sie die Wartezeit überbrücken können. Viele wurden kreativ, indem sie mit Kreide Botschaften auf den Boden malen oder durch Plakate die vorbeifahrenden Autos zum Hupen für freie Bildung animieren konnten”, resümiert AStA-Referent Fabian. Viele Autofahrer kamen der Bitte der Studenten nach und stimmten im Hupkonzert mit ein.

Die Biologiestudentin Wera Pustlock, Mitglied im Fachschaftsrat Biologie an der Uni Rostock, plädiert ebenfalls für freie Bildung: „Wenn es dieses Semester noch 50 Euro sind, dann sind es im nächsten schon 100 Euro Verwaltungsgebühren. Das kann sehr schnell gehen. Ich fände es außerdem schöner, wenn hier mehr Studenten anwesend wären. Es scheint, dass an unserer Uni eine apolitische Stimmung herrscht, wir konnten nur wenige animieren”, und fährt fort, „manchmal habe ich das Gefühl, dass Studenten unpolitisch sind. Schade.” Die spontanen Demonstranten kehren allmählich zurück, das Ende der Sitzung im Landtag naht.

Dass Studiengebühren abschreckend wirken können, belegt eine Studie vom Hochschulinformations-System (HIS), die Ende Oktober vom Bundesbildungsministerium veröffentlicht wurde. Demnach haben 2006 immerhin vier Prozent der Abiturienten kein Studium begonnen. Dazu zählen vor allem junge Frauen und ehemalige Gymnasiasten, deren Eltern keinen Hochschulabschluss vorweisen können.

Wenig später kommen Sebastian Nickel und Thomas Schattschneider, Vertreter der Landeskonferenz der Studierendenschaften LSK, auf die Bühne und ergreifen das Wort. „Die überwiegende Mehrheit der geladenen Experten, also 18 von 22, lehnten den Gesetzentwurf ab”, berichtet Sebastian Nickel. Thomas Schattschneider ergänzt: „Die kalkulierten 50 Euro wurden nicht konkret beschrieben, sondern willkürlich festgelegt. Die Abgeordneten wollten sogar juristischen Beistand von uns haben.” Abschließend bedanken sich Sebastian Nickel und Fabian Freiberger bei den Anwesenden, die einen zuversichtlichen und ausgelassenen Eindruck machen. Nach vier Stunden Kundgebung fahren sie nach Hause, um vom 17. bis 21. November wieder nach Schwerin zu kommen. Denn dann wird voraussichtlich die zweite Lesung stattfinden. Eine zweite Kundgebung garantiert auch.

Autor: Christine Fratzke