Greifswalder Autorin über Matrosen-uniformen und die Bedeutung von Heimat

Judith Schalansky, geboren 1980 in Greifswald, studierte Kunstgeschichte und Kommunikationsdesign in Berlin und Potsdam. Sie veröffentlichte zuerst das Buch „Fraktur mon Amour“ über gebrochene Schriften, das mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde. Vor kurzem erschien ihr erster Roman „Blau steht dir nicht“, den sie am 11. April im Koeppenhaus vorstellt. moritz sprach mit ihr auf der Leipziger Buchmesse.

moritz: Du hast zuerst Design studiert und jetzt einen Roman geschrieben. Was machst du als nächstes: Musik oder Mode?
Juidth Schalansky: (lacht) Ich finde es ganz schön, immer wieder was Neues zu machen, aber eigentlich bin ich dem Medium Buch treu geblieben. Ich habe mich im Studium auf Typographie spezialisiert.

moritz: Wie kamst du auf die Idee einen Roman, bzw. eben dieses Buch zu schreiben?
Schalansky: Ausgangspunkt war eine kleine Hausarbeit für einen Designtheorie-Kurs, in dem ich die Matrosenuniform untersucht habe, weil sie ein Objekt ist, das einen sehr ambivalenten Reiz hat. Es gibt die Kinderkleidung im wilhelminischen Zeitalter, den Matrosen als revolutionären Helden, als schwule Ikone und als untreuen Seemann. Ich fand es interessant, wie ein Objekt und die Figur des Matrosen, die damit verbunden ist, so viele mythische Geschichten erzählen kann, ja selber schon fast mythisch geworden ist. Das hatte aber auch was damit zu tun, dass sich mein Bruder für sechs Jahre bei der Marine verpflichtet hat und ich furchtbar dagegen war. Aber in dem Moment, als er in dieser Matrosenuniform vor mir stand, waren alle meine Einwände vergessen.

moritz: Er sah gut aus?
Schalansky: Ja, er sah einfach gut aus! Und ich dachte: Das kann doch nicht wahr sein, dass er das jetzt macht. Also überlegte ich, was Matrosen und ihre Kleidung für mich bedeuteten. Als Kind habe ich die Ferien oft bei meinen Großeltern auf Usedom verbracht und dort die Matrosen bewundert, die über die Promenade flanierten und die wegkamen. Da ist mir deutlich geworden, dass dieses Fernweh-Thema in einer DDR-Kindheit noch eine stärkere Bedeutung hat.

moritz: Manche bekommen ein Dutzend Ablehnungen, wenn sie ihren ersten Roman publizieren wollen – wie ist es dir dabei ergangen?
Schalansky: Ich habe dieses kleine Büchlein, dass bei dieser Arbeit entstanden ist, Denis Scheck, dem Herausgeber der marebibliothek im marebuchverlag vor drei Jahren auf der Leipziger Buchmesse in die Hand gedrückt. Er fand es interessant und gut, meinte aber: „Hey, das ist aber doch auch ein literarischer Stoff“ und hat mich ermutigt, daran weiter zu arbeiten.
moritz: Du wohnst in Berlin, man würde von dir erstens einen Berlinroman, zweitens einen Gegenwartsroman erwarten, aber du schreibst über Matrosenuniformen, die zur wilhelminischen Zeit ihren modischen Höhepunkt hatten – magst du die Gegenwart nicht?
Schalansky: Sagen wir: Mich interessiert Geschichte, aber in Form von Geschichten. Bei mancher Gegenwartsliteratur denke ich an Themen wie: „In wen bin ich gerade verliebt?“, „Was soll nur aus mir werden?“ Das sind alles Fragen, die ich mir durchaus auch stelle (lacht), aber vielleicht interessieren sie mich literarisch im Moment nicht so sehr.

moritz: Das machen ja genug andere gerade.  
Schalansky: Genau, und ich finde es schön, sich an Historischem ein bisschen abzuarbeiten. Und wirklich im Hier und Jetzt zu sein, ist für die Erzählerin und auch für mich manchmal schwer.

moritz: Kommen wir zur lokalen Konkurrenz: Wir haben Hans Fallada, Sibylla Schwarz, Wolfgang Koeppen, Volker Altwasser – wie fühlst du dich in dieser Gesellschaft?
Schalansky: Mir ist noch gar nicht bewusst, dass ich da angekommen sein soll. Koeppen war auf jeden Fall eine Entdeckung für mich. Und wie Greifswald Koeppen „entdeckt“ hat, wie sich eine Stadt ihre Geschichte wieder neu zusammensetzt, erzähle ich auch im Roman.
moritz: Ich nehme an, die Greifswalder werden total begeistert sein von dem Buch und sehe schon den Text in der Ostseezeitung vor mir, die über einen „Heimatroman“ reden wird.
Schalansky: Ach Heimat… Ich finde es merkwürdig, dass sich diese Stadt so wahnsinnig verändert hat. Man geht die Lange Straße entlang und denkt, man könnte auch in Münster sein. Es ist eben auch eine Anpassung. Und dadurch kommen dann so Fragen auf: Kann man überhaupt heimkommen? Kann man das Ersehnte erreichen, die Ferne, die Inseln, die man immer im Atlas gesehen hat? Wie ist das, wenn man dann wirklich da ist? Mit der Heimat ist es ähnlich. Wenn man wieder heimkommt ist es ein wenig so, als ob man in dem Museum seiner eigenen Erinnerung umher läuft. Aber das klingt jetzt so, als wäre ich uralt …

moritz: Was machst du als nächstes?
Schalansky: Bücher. Und ab dem Sommer unterrichte ich erstmal Typographie an meiner ehemaligen Fachhochschule in Potsdam. Von irgendwas muss man ja leben.

Geschrieben von Innokentij Kreknin