moritz auf der Leipziger Buchmesse

„Buchmesse ist lustig, so wie das Wave-Gothic-Treffen, nur nicht so schwarz“, sagt eine langjährige Leipzigerin. Fakten zuerst: 129.000 Besucher, über 2000 Aussteller aus 39 Ländern, über 2700 Journalisten (ich habe die Nummer 1942 – na, dann auf in den Kampf!). Einen Stand kann eigentlich jeder mieten, der das Geld dazu hat und irgendwas mit Drucksachen oder Kunst und Geld zu tun hat.

Donnerstag um die Mittagszeit raus zur Messe. Als alter Messehase nimmt man natürlich die Dienste der Deutschen Bahn in Anspruch und nicht die überfüllten Blechkäfige der Tram. Drinnen ist es angenehm leer – der Donnerstag ist der Tag, an dem nur die sächselnden Schulklassen einem in die Hacken rennen. Am Samstag und Sonntag wird das Gedränge dann unaushaltbar. Auch die Aussteller wirken alle noch frisch und engagiert – bis Sonntag werden ihre Gesichter vom Schlafmangel und übermäßigem Alkoholgenuss eine gräuliche Patina ansetzen. Am Stand von Dumont sitzt Charlotte Roche. Sie hat heute schon zwei Lesungen auf der Messe absolviert und redet gerade mit einem Journalisten, der ihr irgendwas von Leichenteilen erzählt, die auf einem Tisch liegen.

Achtung: freilaufende Autoren

Das wirklich Schöne an der Messe ist, dass überall etwas laut gelesen wird. Man kann stehen bleiben und wenn es einem nach dreißig Sekunden nicht gefällt, einfach weitergehen ohne unangenehm aufzufallen. Bezahlen all diese Leute dafür die elf Euro Eintritt? Oder möchten sie Kontakte knüpfen? Zum Beispiel an einem der Stände, auf denen sinngemäß steht „Sie schreiben? Wir suchen Autoren.“ Für ein paar tausend Euro kann jeder seine dreibändige Familiensaga hier publizieren. Und das ist auch gut, denn gehaltvolle Literatur fällt ja oft durch die Netze der etablierten Verlage. Umso besser, dass einer der Helden dieses Jahres ein underdog ist: Clemens Meyer hat sein zweites Buch veröffentlicht, wird überall rezensiert, als Lokalmatador mit Proletenvergangenheit und -gegenwart geradezu zärtlich behandelt und bekommt den Preis der Leipziger Buchmesse verliehen; woraufhin er – wie man lesen kann – prompt sein Bier verschüttet. Kurz vor dem Ausgang dann das: Eine Gruppe Teenager-Mädchen, die sich mit Geisha-Schminke, Hotpants und geblümten Fächern auf pseudoasiatisch gestylt haben. Ach ja, in Halle 2 ist ja noch eine riesige Manga-Abteilung und dies scheint jetzt eine zeitgemäße Form des fictional reenactment zu sein. Bloß schnell weg hier.

Dafür dann abends auf die wichtigste Lesung des Tages, die L3 in der Moritzbastei. Am Einlass steht ein ganz wichtiger Literaturleipziger: Claudius Nießen prüft die Ankömmlinge auf Geld oder Namen. Früher studierte Herr Nießen am Deutschen Literaturinstitut, jetzt ist er hier einer der Strippenzieher in der Zwischenwelt von Literaturuntergrund und Kommerz, quasi der Charon zwischen E und U. Ja, was? Wir stehen nicht auf der Liste. Nein, das kann nicht sein, wir haben uns angemeldet und guck: Wir sind Journalisten. Bei wem angemeldet? Der hat hier nichts zu sagen, worüber schreibt denn unsere Zeitschrift so? Äh, öh. Dann kommt zum Glück jemand Wichtigeres und wir werden stehen gelassen. Ein Security-Mann kommt und zeigt uns seine Liste auf der wunderbarerweise unsere Namen stehen, also rein da.

Greifswald, deine Literaten

1500 Besucher werden es bei der L3 und von den circa vierzig „jungen Autoren“ sind zwei quasi Greifswalder. Bertram Reinecke hat ‚bei uns im Norden’ lange Germanistik studiert und ging dann ans Literaturinstitut. Er liest Gedichte um 22 Uhr. Judith Schalansky hat in Greifswald Abitur gemacht und liest aus ihrem ersten Roman, auch um 22 Uhr, auch hier. Es gibt vier Lese-Locations. Ebenfalls um 22 Uhr liest Clemens Meyer. Zeitmanagement wird damit zu einem Problem. Ab  23 Uhr wird der Raucherbereich immer voller, Literaten trinken Bier und unterhalten sich mit Komponisten, Künstler reden mit Journalisten, Verleger bespaßen ihre Autoren. Die Party soll noch bis in die Morgenstunden gehen. Als wir um halb zwei verschwinden, wird am Einlass immer noch kassiert. Statt zehn jetzt nur noch sieben Euro.

Am nächsten Tag weiter im Messeprogramm. Sehr empfehlenswert ist die Leseinsel der Jungen Verlage. Dort sind die potentiellen Suhrkamps von morgen geballt: Mairisch, Voland & Quist, Blumenbar, Kookbooks. Die jungen Literaturzeitschriften haben einen gemeinsamen Stand: die Bellatriste, die Edit, die Sic!, das Wespennest. Am Nachmittag Treffen mit einem Exilgreifswalder: Jan Decker studierte in Greifswald Germanistik und wechselte dann zum Literaturinstitut. Sein Hörspiel über Wolfgang Koeppen – für das er drei Jahre lang Absagen bekommen hatte – wird eventuell beim SWR produziert. Vor kurzem war er einige Monate in Japan und hat die Zeit genutzt, um dort ein – wie er sagt – Manga-Hörspiel zu schreiben. Dieses wurde von einem Sender sofort angenommen. Sind die verkleideten Mädchen von gestern dann die Zielgruppe? Mit Japan sei er literarisch aber fertig, sagt Jan. Auf der Messe nimmt der Comic- und Mangabereich fast ein Viertel der Ausstellungsfläche ein. Wie ich den Pressemeldungen entnehme, sind die Veranstalter sehr zufrieden. Neue Impulse wurden gesetzt und über achtzig Prozent der Aussteller wollen auch nächstes Jahr wieder kommen. Und warum auch nicht – lustig ist die Buchmesse doch immer.

Geschrieben von Innokentij Kreknin