Europa und der Islam – ein Bild, welches Hoffnungen weckt, aber in weitaus größerem Maße Ängste in den westlichen Staaten schürt. Eine Podiumsdiskussion beleuchtete einige Aspekte des Islam etwas genauer.

Am Dienstag, dem 26.07.2007, fand mit Unterstützung der Pommerschen Literatur-Gesellschaft im St.-Spiritus-Kulturzentrum eine Podiumsdiskussion mit dem bereits provokant formulierten Titel „Das liberale Europa und der eindringliche Islam“. Der Althistoriker Prof. Egon Flaig von der Universität Greifswald stellte dort seine bereits zuvor unter Wissenschaftlern kontrovers diskutierten Thesen zum Heiligen Krieg („djihad“) und der systematischen Diskriminierung anderer Religionen im Islam vor. Zusammen mit dem Politikwissenschaftler Prof. Walter Rotholz, ebenfalls aus Greifswald, sowie dem Politik- und Islamwissenschaftler Prof. Friedemann Büttner aus Berlin wurden diese Thesen unter verschiedenen Gesichtspunkten debattiert.

Nur wenige Minuten nach dem offiziellen Veranstaltungsbeginn und der Begrüßung der zahlreichen Gäste durch die Moderatorin Petra Huse begann Prof. Flaig seinen Beitrag mit den Worten: „Ich bin kein Islamwissenschaftler.“ Er machte klar, dass seine folgenden Thesen aus rein historischen Fakten hervorgingen und er den Sachverhalt „radikal menschenrechtlich“ und demokratisch beurteile.

Als Erstes widmete er sich dem Djihad und erläuterte die Leitideen, die diesem seiner Meinung nach zugrunde liegen: So wurde die von der Scharia gemachte Einteilung der Welt in ein ‚Haus des Islam’ und ein ‚Haus des Krieges’ (welches bis zur völligen Eroberung bekriegt werden müsse) angeführt, die gleichzeitig auch eine theologisch-rechtliche Legitimierung des islamischen Strebens nach der Weltherrschaft bedeute. So hätten muslimische Herrscher vom 8. bis zum 18. Jahrhundert keine Friedensverträge mit Nicht-Muslime ausgehandelt, sondern nur Waffenstillstände – in Einklang mit der Pflicht zur Unterwerfung aller Ungläubigen, wie die Sure 9, Vers 29 [auch Sure 9, Vers 5 als Pflicht zum Kampf gegen Ungläubige; Anm. d. Autors] zu interpretieren sei. Weiterhin seien kriegerisches Märtyrertum in Sure 4, Vers 74 und viele Varianten des Terrorismus durch die individuellen Pflichten, die der Djihad jedem Muslime auferlegt, gerechtfertigt. Für Prof. Flaig steht die Al-Qaida deshalb in der Tradition des Islam – sie sei eine Organisation, die sich auf Dinge berufe, die auch für die meisten anderen Muslime selbstverständlich seien.

Im zweiten Teil seiner Argumentation ging es Prof. Flaig um die Diskriminierung der anderen mono- und polytheistischen Religionen im Islam. Die muslimische Eroberung sei eine Abfolge härtester Angriffskriege gewesen, in denen lange vor den christlichen Kreuzzügen Städte vernichtet, Landschaften verwüstet und Menschen versklavt worden seien. Sie habe Afrika durch permanente Djihads zum Sklavenkontinent gemacht – die Sklaverei sei überhaupt erst durch die Muslime schwarz. Religiöse Säuberungen in Arabien und Spanien sowie Pogrome gegen Juden und Christen wären als erstes von Muslimen durchgeführt worden, jedoch heftiger als die späteren Taten der Christen. Die ‚dhimmi’, meist Juden und Christen, welche auf islamisch verwaltetem Gebiet lebten, wurden diskriminiert: Sie durften unter anderem keine Waffen tragen, mussten spezielle Kleidung und Farben tragen (daher stamme der Judenstern), durften kein Pferd besitzen, sich nicht gegen Muslime wehren und mussten Tribut zahlen. Somit sei durch die Scharia die erste Apartheid der Geschichte herbeigeführt worden, die eine Kolonialisierung und Islamisierung der Gebiete vorantrieb, die zuvor erobert worden waren. Diese Ordnung habe dazu gedient, die islamische Bevölkerungszahl zu erhöhen und die Zahl der Christen zu verringern, und wurde erst mit dem Kolonialismus durch europäische Mächte abgeschafft. Doch auch heute noch würden die islamischen Staaten und viele Wissenschaftler diese Fakten leugnen.

Nachdem Prof. Flaig diese beiden Themenschwerpunkte dargelegt hatte, ergriff Prof. Rotholz das Wort. Er gab zu bedenken, dass der Islam nicht mit Gewalt begann, sondern mit dem Zusammenschluss der Anhänger Mohammeds mit Wüstenstämmen aus Medina – hier sei die Frage, wie sich Religion denn überhaupt in einer Gesellschaft konstituiert. Außerdem läge allen Religionen eine Idee zugrunde. Diese Ideen ähnelten sich oftmals und es würde fast immer versucht werden, diese mit Gewalt durchzusetzen, wenngleich Prof. Rotholz mit Gewalt geführte Auseinandersetzungen von vornherein als sinnlos betrachtet. Er resümiert wenig später, dass der Islam keineswegs nur durch das Schwert verbreitet worden wäre. Zudem brauche es die Religion, da mit dem Rückzug des Staates (während der Aufklärung in Europa) von seinen freiheitsregulierenden Praktiken unter mit Gott legitimierter Herrschaft zwar die Freiheit des Einzelnen gewährleistet wird, aus dieser aber keine paradigmatischen sozialen und politischen Leitideen hervorgehen. Dies wäre erst durch eine Religion der Fall, die in der Gesellschaft verankert ist – auch die Menschenrechte seien zwar pluralistisch, aber nicht gemeinschaftsbildend.

Prof. Büttner erklärte zu Beginn die Zustimmung zu vielen Thesen Flaig’s, registrierte das vom Islam gezeichnete Bild jedoch mit „Unbehagen“. Seiner Meinung nach würden die Aspekte, die die Religion nicht mit Gewalt in Verbindung bringen, außen vorgelassen. In diesem Zusammenhang sollte man sich darauf besinnen, dass ‚Allah’ auch nur ‚Gott’ bedeute (was eine gleiche Erfahrung von Transzendenz vermuten lasse) und dass die Etymologie des Wortes ‚djihad’ nicht auf das Wort für ‚Krieg’ (arab. ‚harb’) im Arabischen hinweise. Es sei hier vielmehr auch mit ‚Anstrengung’ oder ‚Einsatz’ „auf dem Wege Gottes“ zu übersetzen: die vorbildliche Lebensführung, die Religiosität und die Wohltätigkeit hinsichtlich seiner Mitmenschen seien die Ziele, die den individuellen Djihad ausmachen [eine Form des Djihad, dessen praktische Bedeutung jedoch bei vielen Islamwissenschaftlern nicht als nennenswert angesehen wird; Anm. d. Autors]. Prof. Büttner zitiert in dem Zusammenhang auch eine internationale Konferenz von mehr als 40 islamischen Staaten zur Festlegung, wie der Begriff ‚djihad’ im nicht-islamischen Ausland zu deuten sei, um diese Komponenten ebenfalls in den westlichen Diskurs einzubringen.

Nun war Prof. Flaig noch einmal die Chance gegeben, auf die Beiträge seiner zwei Kollegen zu antworten – was er auch vehement tat. Er bezeichnete den Gedanken Prof. Büttners, dass Staaten die Bedeutung des persönlichen Djihad auf einer internationalen Konferenz festlegen müssten, als „Witz“ und vollkommen „lächerlich“. Auf solch einer Konferenz könne es nur um politische Koordinierung und somit um den Djihad des Schwertes gehen, denn die Bedeutung des individuellen Djihads müsse wohl nicht von Staaten erörtert werden.

Zu den Kommentaren von Prof. Rotholz signalisierte er weitgehende Übereinstimmung, vermisse aber „die Pointe“. Als Gegenüberstellung zum Missionierungsanspruch des Islam bei der Eroberung entsprechender Gebiete gab er das Beispiel der spanischen Eroberung Südamerikas. Diese sei keinesfalls mit einem Missionierungsanspruch der christlichen Kirche vonstatten gegangen, selbst wenn es natürlich Missionierung gegeben habe – aber die Eroberungen islamischer Herrscher waren immer ausdrücklich damit verbunden, Menschen zu missionieren und den Islam näher zur Weltherrschaft zu bringen.

Zur Theorie, dass soziale und politische Leitideen in einer Gesellschaft nur mittel- oder unmittelbar durch die Religion entstehen könnten, hielt er die griechische Polis entgegen. Diese habe zwar Religion als gemeinschaftsbildenden Aspekt ausgeübt, jedoch wäre keine einzige politische oder soziale Idee jemals aus religiösen Gesichtspunkten hervorgegangen, sondern immer aus praktischen Gesichtspunkten und aus der Mitte der griechischen Bürger. Hier wäre Religion nicht zur Weiterentwicklung der Gesellschaft nötig gewesen. Zudem seien die Menschenrechte sehr wohl ein Quell neuer Leitideen, da bei allen Aktionen darauf geachtet werden müsse, ob diese im Einklang mit Menschenrechten stattfänden – und somit würden die Menschen sozial und politisch voran gebracht werden.

Damit waren dann auch die letzten Minuten der doch sehr intensiven Podiumsdiskussion angebrochen. Nach einer Pause für Verständnisfragen leitete die Moderatorin noch eine kurze „Blitzlichtrunde“ zum Thema Djihad und zum Zusammenhang zwischen Menschenrechten und Sklaverei ein, um den Abend mit einer letzten Frage an ihre drei Gäste zu beenden: Ist der Islam nun wirklich eine Bedrohung für Europa? Während Prof. Rotholz ablehnte, diese Problematik nur schwarz-weiß zu sehen und für Verständnisversuche auf beiden Seiten warb, führte Prof. Büttner die Sure 112 des Koran an, um die Chance einet höheren Religiosität bei den Menschen hervorzuheben – ob nun im Islam oder in einer anderen Religion. Prof. Flaig’s Schlussworte waren zwiespältig: Einerseits halte er die rein theologische Seite des Islam für eine immense spirituelle Bereicherung. Die Scharia jedoch sei eine „faschistische Strömung zur Zerstörung der europäischen Demokratie und Kultur“. Bleibt abzuwarten, wie sich die Geschichte – und auch der Islam – weiterentwickelt.Geschrieben von Daniel Förster