Stranger in Greifswald: Wenn die EU eine Praline wäre, hätte Belgien die Schokolade geliefert

Wer ihnen in Brüssel auf der Straße begegnet hält sie für ein ganz normales belgisches Pärchen, das sich beim ?Slow? tanzen* kennen gelernt hat, das ordentlich abgeschlossene Studium dazu nutzt bald beruflich durchzustarten und demnächst eine kleine Familie gründet. Wer ihnen in Greifswald begegnet, am Institut oder auf Partys, stellt bald fest: Sophie Martens und Michiel vanHee erfüllen dieses Schema nicht und sind irgendwie was Besonderes.

Um sich dem geregelten Leben noch einige Zeit zu entziehen, Neues auszuprobieren und noch mindesten 3 weitere Sprachen zu lernen, haben sich die beiden entschlossen nach dem abgeschlossenen Dolmetscherstudium nach Deutschland an die Uni zu kommen. Falsche Zeugnisübersetzungen in Kombination mit hohen NCs  haben den Traum von Berlin schnell zerplatzen lassen. Durch Zufall erfuhren sie von Greifswald, das durch sein gutes Angebot im Bereich der Nordistik und Slawistik und seine formale Unkompliziertheit bestach. ?Außerdem hatte es einen Hauch von Exotismus und hat nach Urlaub gerochen” sagt Michiel, den der Osten Deutschlands schon seit längerem interessierte. Mit einem riesigen Anhänger machten sie sich also bald auf nach Greifswald um Polonistik, Nordistik und Russistik zu studieren. Unterschlupf gefunden haben sie stilecht studentisch in einer Platte in Schönwalde, und haben somit die Chance täglich nicht nur mit den Greifswalder Studenten, die sie als sehr offen, diskutierbereit und freundlich empfinden, in Kontakt zu treten, sondern auch andere Deutschen zu treffen, die sich teilweise als schwierige, gefrustete Zeitgenossen entpuppen. Mit offenkundiger Ausländerfeindlichkeit wurden sich allerdings nicht konfrontiert.
Wenn Sophie und Michiel nicht gerade ihrer Leidenschaft nachgehen Sprachen zu lernen und Vokabeln aus kiloschweren Wörterbüchern lernen oder kleine Comics zu deutschen und niederländischen Sprichwörtern zeichnen, verbringen sie ihre Zeit z.B. beim Ausländerstammtisch im IKUWO, in der ?Tschaika?, sehen sich ausländische Filme, ‘bitte in Originalsprache’, an, oder beschäftigen sich mit ihrer anderen Leidenschaft, der Musik, sowohl passiv als auch aktiv.
Greifswald gefällt ihnen sehr gut, aber empfehlen hierher zu kommen würden sie nur Leuten, die tolerant und absolut offen für Neues sind. Eine gute Priese Humor hilft außerdem alles merkwürdige etwas leichter zu nehmen und bricht das Eis. In diesem Sinne: ?Man muss kein Elch sein um sich als Weihnachtsmann zu verkleiden, aber es liegt halt viel näher.”                         juli

* langsamer Paartanz zu romantischer Musik, bei dem sich alle belgischen Pärchen kennenlernen

Geschrieben von Juliane Hesse

Kino: Ziellose Revoluzzer

Das psychologisches Kabinettstückchen ?Die fetten Jahre sind vorbei? überfordert deutsche Jungstars

Wenn ?die neue deutsche Hoffnung?, ?der Newcomer?, ?der Jungstar? Daniel Brühl einem Film seine mimischen Fähigkeiten zur Verfügung stellt, ist das ein Leise-Töne-Revoluzzer-Produkt mit einem Extra an Weltverbesserungspotential. Aber: Die fetten Jahre sind vorbei. So gesehen im neuen Film von Hans Weingartner.

Julia (Julia Jentsch) darf nach einem selbstverschuldeten Unfall für die nächsten Jahre den Mercedes eines reichen Managers (Burghard Klaußner) abzahlen, ihr Freund Peter (Stipe Erceg) bricht derweil mit seinem besten Kumpel Jan (Daniel Brühl als Daniel Brühl) in vornehme Villen ein. Dabei sind die beiden nicht auf Beutefang, sondern vielmehr auf Erziehungstour: Teure Vasen, mondänen Kitsch und edle Sessel verknäulen sie zu einem modernen Konsumturm zu Babel. Darauf hinterlassen sie wahlweise die Botschaft ?Die fetten Jahre sind vorbei? oder ?Sie haben zuviel Geld. Die Erziehungsberechtigten?.
Verwickelt wird die Situation, als sie in das Haus des Neureichen geraten, an den Julia ihre Schuld abzutragen hat. Eins kommt zum anderen und schwuppdiwupp befinden sich die Drei mit dem Manager als Geisel auf einer Alm in den Bergen. Dass der Gekidnappte ein Alt-68er ist, der seine Ideale irgendwann wie Ballast abgeworfen hat, macht die Situation nicht leichter. ?Das Rebellieren ist schwieriger geworden?, stellt Jan fest. Che-Guevara-Shirts als Modeobjekt, Anti-Haltung als Lebensgefühl, komplette Meinungsfreiheit als Diskussionskiller. Der Film beschreibt das Dilemma vieler Rebellen: Denn sie wissen nicht was sie tun. Das ?Dagegen? ist klar, das ?Wofür? nicht. Die Reflektion der Protagonisten verliert sich zu oft in diffuser Anklage gegen das Establishment, ihr Beitrag zu verantwortungsvollerem Miteinander ist das Möbelrücken und Fernsehantennenkappen. Immerhin, möchte man sagen, immer noch entgegnen.
So ziellos wie die Suche nach dem gelobten Staat wirkt stellenweise auch der Film. Die darstellerische Kraft der Schauspieler reicht nicht, um das psychologische Kabinettstückchen zu tragen, dessen Anlagen sich zumindest vermuten lassen. Und die unvermeidliche Liebesgeschichte zwischen Jan und Julia lässt erschaudernd wünschen: Herr Brühl, den nächsten Film ausnahmsweise nicht als Gutmensch!

Geschrieben von Britta Voß

Stranger in Greifswald: Justyna Zagrodzka

Name: Justyna Zagrodzka
Alter 26:
Herkunft: Polen
Studienrichtung: Deutsch als Fremdsprache


moritz: Warum bist Du nach Deutschland gekommen?
Ich habe in Polen angefangen Germanistik zu studieren. An meiner Uni war viel los. Wir haben eine Germanistenkonferenz, DaF-Studierendentagung und verschiedene Austauschprogramme organisiert und Studenten aus der Ukraine, Slowakei und Deutschland empfangen, Inzwischen war ich mit einem Studentenaustauschprogramm in Saarbrücken, Bayreuth und Ostrova. Jeweils nur für 1 Woche. Und ich hatte Verlangen nach mehr….

Warum gerade nach Greifswald?
Ich habe so gut wie alle Internetseiten von deutschen Unis durchgewühlt, Angebote verglichen und dann wusste ich nicht weiter. An der Uni, die ich wählen wollte, sollte DaF angeboten werden und die Stadt sollte auch nicht zu groß sein. Dann bin ich auf Greifswald gestoßen. Das passte – und dann noch die Ostseeküste – herrlich.

Was gefällt Dir an Greifswald und an unserer Uni?
Als ich das ersten Mal hier war und aus dem Zug ausgestiegen bin, war mein erster Gedanke: ?Bin ich jetzt falsch ausgestiegen?? Ganz schnell habe ich meine Meinung geändert. Es war an einem sehr warmen, sonnigen Septembertag und die Stadt sah so frühlingshaft und sonnig aus.
Greifswald ist die perfekte Stadt zum Studieren, alles ist in der Nähe, es gibt viele Studierende und die Stadt lebt. Das merkt man vor allem in der vorlesungsfreien Zeit, wenn alle plötzlich weg sind.

Gibt es Unterschiede zwischen Deiner polnischen Uni und der deutschen?
Ja, und zwar sehr viele. Hier hat man mehr Freiheit. In Polen dagegen habe ich jedes Semester einen neuen Stundenplan in die Hand gedrückt bekommen und alles was drin stand, alle Seminare und Vorlesungen musste ich besuchen. Unabhängig davon, ob ich die interessant gefunden habe oder gar nicht.
Das Beste kommt jetzt: am Ende jedes Semesters ist Prüfungszeit, man hat 2-4 Prüfungen (manchmal auch mehr) innerhalb von 2 Wochen zu bestehen. Jeder ist voll im Stress. Ich finde es aber leichter ein Studium in kleineren Schritten zu schaffen, als sich hier, zum Beispiel für die Zwischenprüfung vorzubereiten und alles, was man in 2 Jahren gelernt hat auf einmal zu wiederholen.

Wie feiert man in Polen das Weihnachtsfest?
Weihnachtszeit in Polen? Ist ähnlich, wie in Deutschland, die Zeit, die man mit der Familie und den engsten Freunden verbringt. Am wichtigsten ist der Heilige Abend. Man setzt sich an den festlich gedeckten Tisch, wenn der erste Stern am Himmel aufleuchtet. Man teilt den Weihnachtsoblaten miteinander und wünscht sich Frohe Weihnachten. Am Tisch ist noch ein zusätzliches Gedeck bereit gelegt, für einen Gast, der vielleicht noch unerwartet vorbeikommt. Dieses Gedeck soll auch an die Verstorbenen erinnern. Unter der Tischdecke sollte sich ein kleines Heubündel befinden. Das polnische Abendmahl ist fleischlos. Meist werden 12 Gerichte serviert, weil 12 Apostel Christus gefolgt sind. Die Zahl der Gerichte wird heute nicht immer eingehalten. Der Abend endet meistens mit der feierlichen Mitternachtsmesse in der Kirche. Da ist die ganze Familie, selbst die  Kleinkinder mit dabei. Das hat etwas Mystisches an sich.

Geschrieben von Jens Kirch

Immer das Theater mit den Frauen/Männern!

„Falsch gepaart“ – Ein musikalischer Geschlechterkampf im Theater Vorpommern

Liebe Kati,

manchmal kommt es mir vor, als wäre es ein Traum, die Vorstellung, dass Mann und Frau gleichberechtigt und glücklich zusammenleben könnten.
Wohin ich auch schaue, überall teilt sich die Welt in Männlein und Weiblein. Das ZDF bringt den ?Pisageschlechterkampf?, in Berlin stellt ein einzelner Schauspieler in ?Caveman? die Urinstinkte von Mann und Frau dar und selbst hier in Greifswald bringt das Theater ein Stück auf die Bühne, in dem Mann und Frau stets aneinander vorbei reden.
Doch warum? Sind wir denn alle falsch gepaart?
In diesem Stück, wovon ich gerade sprach, ?falsch gepaart?, gab es eine Silberhochzeit zu feiern und zu Gast waren drei Paare und ein Single. Eine amüsante Konstellation. Aber noch nicht genug; diese Leute schafften es den ganzen Abend ein Vorurteil nach dem anderen zu bestätigen und nach kurzer Zeit fragte ich mich, warum man eigentlich in einer Beziehung lebt, wenn man sich nur Vorwürfe macht und hinter dem Rücken des Partners mit anderen herumknutscht.
Lange Rede, kurzer Sinn: Am Ende hatte ich den Glauben an die wahre Liebe verloren und sah keine große Aussageabsicht des Boulevardtheaters.
Ich ging an diesem Abend hinaus und stellte fest, wie verletzlich der Mensch doch ist, wenn er sich auf das andere Geschlecht einlässt.
Vielleicht weißt Du mir ja weiter zu helfen und siehst die Welt als Frau mit anderen Augen.

Mit freundlichen Grüßen –
Kilian Jäger
Lieber Kilian,

da gebe ich Dir Recht. Mann und Frau passen eben wirklich nur in der Mitte zusammen. Frauen verstehen nicht, wie Männer funktionieren und Männer werden nicht aus den Frauen schlau. Warum das so ist? Ich glaube, diese Frage wird auch in Zukunft nie beantwortet werden können. Allerdings wird es auch nicht besser, wenn immer die gleichen Klischees bedient werden; die verheiratete, sexuell frustrierte Frau geht fremd und der sexuell befriedigte Mann sitzt ahnungslos mit Bier und Fernbedienung vorm Fernseher und guckt Fußball.
Aber haben diese ganzen Vorurteile und Klischees nicht auch ihr Gutes? Was wären wir denn ohne sie? Mann und Frau würden bis an ihr Lebensende in aller Seligkeit friedlich nebeneinander leben bis das der Tod sie scheidet oder zumindest bis zur Silberhochzeit, die dann im tödlichen Dilemma um ein Salzfass endet, wie in dem Theaterstück ?Falsch gepaart?.
Aber wollen wir denn diese ganze Harmonie und das alles denn wirklich? Schließlich ist es doch nur der leidige Perfektionismus des Menschen, seine Sehnsucht nach Idylle, die ihm vorgaukeln, alles müsse eitler Sonnenschein sein.
Ich meine, ist es da nicht viel aufregender, wenn man während eines Streits auf die altbackenen Klischees zurückgreifen kann? Vielleicht ist es ja heutzutage auch gar nicht mehr möglich, ohne Klischees zu leben. Denn welcher Topf sucht sich seinen Deckel denn nicht mehr nach den gängigen Klischees aus? Ohne sie wären die Suche nach einem Partner und die anschließende Beziehung doch langweilig.
Was würden Alice Schwarzer, Simone de Beauvoir und die ganzen anderen Frauenrechtlerinnen dazu sagen, die Begriffe wie Feminismus, Gleichberechtigung und Sexismus prägten? Ich glaube, auch sie würden unsere Sorgen teilen.

Mit freundlichen Grüßen –
Kati Sass

Geschrieben von Kilian Jäger, Katharina Sass

Stranger in Greifswald: Bienvenido a Greifswald!

Marta Lobato und Adrián Álava haben ihre Schönwetter-Heimat Spanien gegen den rauen Winter Deutschlands eingetauscht. Und doch: Die beiden Erasmus/ Sokrates Studenten leben und studieren gern hier.

moritz: Wie seid ihr auf die Idee gekommen in Deutschland und vor allem in Greifswald zu studieren?
Marta: Ehrlich gesagt, hatte ich keine große Auswahl, aber mir gefällt es hier sehr gut.
Adrián: Das ist jetzt schon mein drittes Semester hier in Greifswald. Ich interessiere mich sehr für die deutsche Sprache und die deutsche Kultur.

So ein Auslandssemester kann ziemlich lang werden, was vermisst ihr am meisten?
Marta: Natürlich meine Freunde und meine Familie. Mir fehlt aber auch das Sonnenlicht. Es wird hier immer so früh dunkel und die Nacht ist sehr lang.
Adrián: Ich vermisse den Geruch des Meeres, es ist einfach eine andere Seeluft bei uns. Vor allem fehlt mir jedoch das Nachtleben. Ab neun Uhr abends kann man in Spanien in den Straßen kaum noch treten. Alle sind unterwegs, hier ist dagegen ziemlich ruhig.

Gibt es noch mehr worin sich eurer Meinung nach die deutsche Kultur von der spanischen unterscheidet?

Adrián: Die Deutschen sind distanzierter. Einfach strenger. Ich glaube, dass viele Europäer gern in Spanien Urlaub machen, weil sie dort mit soviel Wärme empfangen werden.  Die Deutschen sind etwas kühler, aber dafür sind wir eigentlich nie pünktlich.

Ihr sprecht beide kein Deutsch, ist das ein Problem im Alltag? Was macht ihr zum Beispiel, wenn ihr euch beim Bäcker ein paar Brötchen kaufen wollt?

Marta: Ich gehe nur in den Supermarkt. (lacht) In der Freizeit ist das mit der Sprache kein Problem. Aber an der Uni ist das schon ein bisschen schwierig, da meine Psychologievorlesungen alle auf Deutsch abgehalten werden. Oft versteht man jedoch mehr als man denkt und Hilfe habe ich auch. Außerdem kann ich meine Hausarbeiten auf Englisch schreiben.
Adrián: Ich verstehe zwar viel, spreche aber nur ein paar Sätze Deutsch. Für mich ist das aber kein Problem. Ich studiere Anglistik und mehr als Englisch muss ich da nicht sprechen.
 
Es ist Adventszeit. Wie verbringt man in Spanien die besinnlichste Zeit des Jahres.
Adrián: Den Heiligen Abend und die Weihnachtsfeiertage verbringen wir im Kreise der Familie. Geschenke gibt  es da jedoch noch nicht. Erst in der Nacht vom 5. zum 6. Januar bringen die Heiligen Drei Könige Geschenke. Man stellt ihnen dann abends Milch und Kekse hin.
Marta: Am Tag zuvor hat unser König Geburtstag. Abends schauen sich die Kinder die Königsparade im Fernsehen an und gehen ins Bett. Am nächsten Morgen stehen sie besonders früh auf, um nach ihren Geschenken zu sehen.
Adrián: Aber da wir dann wieder in Deutschland sein müssen, werden wir diesen Tag wohl in der Uni verbringen.

Und Sylvester?
Marta: Wir sind eigentlich die ganze Nacht unterwegs. Außerdem ist es bei uns Brauch, wenn es Mitternacht schlägt, zwölf Weintrauben zu essen, diese bringen einem dann Glück für das kommende Jahr.

Geschrieben von Anne Schuldt