Eine Liebeserklärung an Ausmalbücher

Eine Liebeserklärung an Ausmalbücher

Ein Kribbeln im Bauch, ein unverhoffter Glücksmoment, ein wohlig warmes Gefühl. Dafür braucht es nicht immer ein großes Ereignis, vielmehr liegen diese magischen Momente oft verdeckt unter einem Mantel der Gewohnheit und der Selbstverständlichkeit. „Eine Liebeserklärung“ ist unsere neue Kolumne, in der es darum gehen soll, die vermeintlich einfachsten Dinge dieser Welt wertzuschätzen. Mit ihr bauen wir euch eine zynismusfreie Nische, in die sich hineingekuschelt werden kann, wenn der Alltag einem mal wieder die Daunendecke der guten Laune zu klauen versucht. In diesem Beitrag soll es um die Liebe zu Ausmalbüchern gehen.

Wir müssen es immer mit dranhängen: für Erwachsene. Ausmalbücher für Erwachsene.

Ausmalbücher sind für Kinder, oder waren es zumindest einmal. Mittlerweile gibt es sie zu verschiedensten “erwachsenen” Themen: Als Begleiter für die Arbeit, inklusive Flüchen, weil Arbeiten frustriert. Mit kleinen feinen Designs, die Kinderhände noch nicht gut ausfüllen können – dazu fehlen die feinmotorischen Fähigkeiten. Mit Fantasiewelten, die … die sich wie genau von Kinderausmalbüchern unterscheiden? Vielleicht dadurch, dass die Linien nicht an allen Stellen perfekt abschließen, oder einzelne Motive zu klein sind. Vielleicht sind auch nicht alle Motive für Kinder geeignet.

Ausschnitt eines bunten Ausmalmotives: verschiedene Dinosaurier und Pflanzen, Vögel, im Hintergrund ein Vulkan.

Letztendlich unterscheidet sich unser Gebrauch von Ausmalbüchern jedoch kaum von dem eines Kindes. Meiner zumindest nicht. Im Kindergarten war eine meiner Lieblingsbeschäftigungen, stapelweise lose DIN A4 Blätter zu bekrakeln, am liebsten mit gut funktionierenden Filzstiften, noch lieber, wenn mir schon Formen zum Ausfüllen vorgegeben waren. Dabei fand ich mich in einen geradezu meditativen Zustand versetzt, bevor ich wusste, was Meditation ist. Wenn ich dabei kein Hörspiel hörte, erfand ich selbst Geschichten, die nie ein Ende hatten.

Die meisten kennen sicherlich das Phänomen, Kindheitshobbys nach einigen Jahren abzulehnen, weil sie zu “kindisch” sind.
Irgendwann fiel mir auf, dass das sinnlos war – ich besaß zwar keine Ausmalbücher, aber sämtliche farblosen Illustrationen in Arbeitsheften oder vielleicht sogar einem Buch waren fair game.

Mitte der 2010er waren sie plötzlich überall. Ausmalbücher für Erwachsene, zur Stressbewältigung. Alle, die das Gefühl kennen, ein vergessenes Hobby nach ein paar Jahren wiederzuentdecken, wissen, was nun auf mich zukam. Dieser meditative Escapism, dieses Mal mit weniger Feen und Prinzessinnen, stattdessen mit Tieren und Pflanzen, zusammengesetzt aus geometrischen Formen. Kleinteilige, filigrane Motive, für die ich jeweils mehrere sehr entspannende Stunden brauchte. Statt Hörspielen ließ ich Serien und Filme im Hintergrund laufen, später auch Podcasts und Hörbücher. Und dann digitale Vorlesungen.
Ich stellte fest, dass ich mich viel besser auf Inhalte konzentrieren und sie hinterher viel leichter abrufen konnte, wenn ich das ausgemalte Motiv später wieder sah. Diese Information nutzte ich nicht so viel, wie man hätte annehmen können – aber gut zu wissen.

Ausschnitt eines angefangenen Ausmalmotives: Ameisen tragen Blätter über dünne Äste. Einige Ameisen sind lila, die Blätter grün und gelb. Die Motive beinhalten geometrische Formen,

Ich zeichne auch sehr gerne selber, male fast noch lieber. Linien sind manchmal einschüchternder als Farbflächen. Ausmalen ist wie eine harmlose Vorstufe: Die einzige exekutive Entscheidung, die du treffen musst, lautet “Welche Farbe kommt in welches Feld”. Für jemanden mit Entscheidungsproblemen und Startschwierigkeiten ein gefundenes Fressen. Es lässt mich mein Hobby öfter ausleben, als wenn ich mich auf eigenständiges Malen beschränken würde und jedes Mal eine Idee haben müsste, wenn ich etwas in die Richtung machen möchte. Manchmal ist es einfach gut zum Aufwärmen.

Ich habe es auch mit digitalen Kunstprogrammen und sehr kurz mit digitalen Ausmalmotiven versucht. Immerhin ist es praktisch, Hobbys leicht abrufbar auf dem Handy zu haben, oder? Naja. Es gibt sicherlich eine Zielgruppe dafür. Ich gehöre da nicht zu. Einer der besten Aspekte von Ausmalbüchern ist, zumindest für mich, dass ich dabei nicht auf einen Bildschirm gucken muss. Insbesondere seit Beginn der Pandemie.
Wenn man mich fragt, ist es zudem wesentlich zufriedenstellender, mit Stiften auf Papier zu arbeiten. Taktiles ASMR.

Ein weiterer Punkt, den ich an Ausmalbüchern wertschätze, ist die Diversität der Stile verschiedener Ausmalbuchautor*innen. Natürlich habe ich meine Lieblinge, aber je nach Präferenzen – klare Formen oder flexiblere Gestaltung, dickere/dünnere Linien, mehr oder weniger abstrahierte Motive, u.v.m – ist für alle etwas dabei.

An dieser Stelle: Eine Mini-Rezension meiner Top 3 Ausmalbücher.

  1. Kerby Rosanes: Colourmorphia 7/10
    Zugegeben – ein Liebling in Theorie. Sehr fantasievoll. Tiere verschmelzen mit ihrer Umgebung oder anderen kleineren Elementen, und die Motive geben alle kreative Freiheit, kleine Meisterwerke aus den Seiten zu machen. Das funktioniert am besten, wenn man tatsächlich z.B. Schattierung nutzt, und wird schwieriger, wenn deine Go-To-Stifte zum Ausmalen das 36-Farben-Set Filzstifte für 2€ von Tedi o.ä. sind. Ich habe es auch mit Wasserfarbe versucht, hatte aber zu viel Angst um das Papier, um dem Versuch eine faire Chance zu geben.
    Kann mit viel Geduld trotzdem cool werden, aber nicht so entspannend, wie ich es gerne hätte.
  2. Millie Marotta: Wundervolles Tierreich 9/10
    Ich bin sicher, es war eins von Millie Marottas Ausmalbüchern, das mein Interesse wiedererweckt hat. Die Motive sind sehr detailliert, etwas abstrahiert und geometrisch. Ein großer Pluspunkt ist, dass man dadurch stundenlang an einem Motiv sitzen kann und ein Buch sehr lange vorhält. Die Muster sind etwas repetitiv, was einerseits eine meditative Wirkung hat – andererseits kann das nach einer Weile etwas langweilig werden. Falls man genug Zeit hat, um diesen Punkt zu erreichen.
  3. Johanna Basford: Mein geheimnisvoller Dschungel 9,5/10
    Ich habe zwei Ausmalbücher von Johanna Basford sowie ein Anleitungsbuch: How to Draw Inky Wonderlands. Ihre Zeichnungen haben natürliche Formen, keine geometrischen Elemente. Jedes Buch hat einen Hauch Magie in den Motiven. Ähnlich wie in Marottas Ausmalbüchern kann man sich hier gut in den Details verlieren, aber die Details sind keine winzigen Blattformen, die zusammen den Hals eines Vogels bilden, sondern ein Gestrüpp, ein Regal voller Krimskrams, oder eine Szenerie, die eine Doppelseite ausfüllt. Anders als bei Marotta gibt es jedoch Gelegenheit zum Schattieren und Farben ineinanderfließen lassen. Anders als bei Rosanes ist es kein Verlust, nur mit billigen Filzstiften zu arbeiten.
    Die 0,5 Punkte Abzug sind rein subjektiv – besagte Doppelseiten können leicht zu Entscheidungsmüdigkeit führen.

Beitragsbilder: Clara Rauner

Urlaub für die Seele

Urlaub für die Seele

Wer möchte in der aktuellen Lage nicht gerne dem Alltag entfliehen und ein bisschen träumen? Dazu lädt die Novelle Aus dem Leben eines Taugenichts von Joseph von Eichendorff ein. Sie entführt einen in eine wundervolle Welt, man macht beim Lesen quasi Urlaub und tut der Seele etwas Gutes.

Die Novelle Aus dem Leben eines Taugenichts von Joseph von Eichendorff wurde 1826 erstmals in der Vereinsbuchhandlung in Berlin, samt einer anderen Novelle von ihm und unter dem Namen Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Zwei Novellen nebst einem Anhang von Liedern und Romanzen, veröffentlicht. Die Novelle stellt einen Klassiker der Spätromantik dar und hat in meiner Ausgabe, inklusive Anmerkungen und Nachwort, 126 Seiten. Während die Geschichte selbst 101 Seiten umfasst, besteht der reine Fließtext nur aus 96 Seiten. In der Novelle wird der Sohn eines Müllers von diesem fortgeschickt, da er ihn als Taugenichts ansieht. Die Erzählung begleitet die Hauptfigur auf seiner Reise durch Europa, wobei auch immer wieder Gedichte und Lieder im Text auftauchen.

Wohin ich geh und schaue,

In Feld und Wald und Tal

Vom Berg ins Himmelsblaue,

Viel schöne gnäd’ge Fraue,

Grüß ich Dich tausendmal.

Aus dem Leben eines Taugenichts, S. 9

Die Hauptfigur startet nach seinem Rauswurf von Zuhause seine Reise vergnügt mit seiner Geige im Schlepptau, ohne jedoch ein genaues Ziel zu haben. Bald kommt eine Kutsche mit zwei Damen an ihm vorbei, denen die Musik des jungen Mannes gefällt. Anschließend nehmen sie ihn mit zu ihrem Schloss in der Nähe von Wien, wo er zunächst als Gärtnerbursche arbeitet, dann zum Zolleinnehmer aufsteigt und sich in die jüngere der Damen verliebt. Im Garten des Zollhauses pflanzt er sodann Blumen an, die er seiner Angebeteten immer wieder heimlich bringt. Er beschließt auch, nicht mehr zu reisen, sondern sein Geld zu sparen und noch etwas Großes zu erreichen. Eines Tages erblickt er jedoch seine Angebetete zusammen mit einem Offizier und sieht sie als unerreichbar an, woraufhin er seine Sachen packt und das Schloss verlässt. Auf seiner anschließenden Reise geht er nach Italien und kehrt letztendlich auf das Schloss zurück. Seine Wanderung hat noch einige Irrungen und Wirrungen zu bieten.

Als ich eine Strecke so fortgewandert war, sah ich rechts von der Straße einen sehr schönen Baumgarten, wo die Morgensonne lustig zwischen den Stämmen und Wipfeln hindurchschimmerte, dass es aussah, als wäre der Rasen mit goldenen Teppichen belegt. Da ich keinen Menschen erblickte, stieg ich über den niedrigen Gartenzaun und legte mich recht behaglich unter einem Apfelbaum ins Gras […]

Aus dem Leben eines Taugenichts, S. 28

Das Lesen des Buches war für mich wie Urlaub. Es entführt einen in eine herrliche Welt, in der alles blüht und die Natur einfach wunderschön ist. Man möchte am liebsten auch fortgehen und eine wundersame Reise erleben. Solche Landschaftsbeschreibungen sind typisch für die Romantik. Obwohl die Novelle weltfremd ist, gerade am Ende, mindert dies jedoch nicht ihre Wertigkeit. Ein fiktiver Text muss nicht realitätsnah sein, damit er gut ist.

So irrte ich den ganzen Tag herum, und die Sonne schien schon schief zwischen den Baumstämmen hindurch, als ich endlich in ein kleines Wiesental hinauskam, das rings von Bergen eingeschlossen war und voller roter und gelber Blumen war, über denen unzählige Schmetterlinge im Abendgolde herumflatterten.

Aus dem Leben eines Taugenichts S. 30

Die Novelle ist absolut empfehlenswert, da man in eine wundervolle Welt eintaucht, dem Alltag entflieht und auf eine schöne Reise geschickt wird. Zudem ist der Text nicht allzu lang, sodass man ihn schnell gelesen hat. Was jedoch für manche abschreckend sein könnte: es ist ein gelbes Reclam-Buch. Auch wenn einige Deutschlehrer*innen in der Schulzeit bei manchen damit vielleicht ein Trauma hinterlassen haben: bekämpft dieses Trauma, indem ihr euch an diese Novelle wagt. Es lohnt sich wirklich! Vielleicht lernen einige von euch damit auch wieder das Lesen lieben, denn es gibt doch nichts Besseres, als alles um einen herum zu vergessen und in eine andere Welt einzutauchen.

Beitragsbild: Kirstin Seitz

Ich ging im Walde so für mich hin…

Ich ging im Walde so für mich hin…

Herbstzeit ist Pilzzeit. Und Sonntag ist Pilzsammeltag, manchmal auch unfreiwillig, wenn am Samstag Abend beim Late-Night-Shopping das Fach mit den Kulturchampignons bereits von den umtriebigen Greifswalder Kulturhungrigen leergesammelt worden war. Wie ihr trotzdem nicht unter eurem knurrendem Magen leiden müsst, lest ihr hier.

Vorab der Hinweis, dass man auf keinen Fall Pilze essen sollte, bei denen man sich nicht absolut sicher ist, ob sie genießbar sind! Falls das doch einmal passieren und es euch anschließend schlecht gehen sollte, ist umgehend ärztlicher Rat einzuholen und/oder der Giftnotruf zu konsultieren (dann ist es gut, wenn man für die Bestimmung noch einen Rest der Pilze zur Hand hat). Damit es aber gar nicht erst so weit kommt, hat das Landesgesundheitsamt die Pilzberatung ins Leben gerufen, auf deren Angebote ich weiter unten noch näher eingehen werde. Hier werdet ihr von Fachkundigen in die faszinierende Welt der Pilze eingeführt, die so vielfältig ist, dass die Namen bald knapp wurden und einige der Arten so heißen, als wäre eine sehr wütende Person durch den Wald gelaufen und hätte wahllos mit kreativen Beleidigungen um sich geworfen: “Filziger Milchling, Klapperschwamm, Vorhautzieher und Ziegenlippe!” (sind das alles echte Pilznamen oder habe ich mir davon etwas ausgedacht? Auflösung unten.) Die Ziegenlippe zumindest gibt es tatsächlich und sie ist sogar in unserer Region zu finden. Und wo Ziegenlippen sind, können Böcke nicht weit sein. Allen voran der gemeine Holzbock, die häufigste Zeckenart in Deutschland, die in bis zu 30% der Fälle den Erreger der Lyme-Borreliose in sich trägt. Schützt euch also so gut wie möglich, außer ihr habt Bock auf Antibiotika-Schlucken. (Während ich das hier schreibe, jucken mich zwei Zeckenbisse vom vergangenen Wochenende.)

So, sind jetzt alle ausreichend desillusioniert und mit Zeckenschutz eingesprüht? Dann kann es wohl losgehen:
Ihr habt ein paar Leute gefragt, ob sie Lust haben mitzukommen, stattdessen wegen des “regnerischen Wetters” zunächst einen Korb (das It-Piece der Pilzsaison, unbedingt mitnehmen!) bekommen, dann aber doch jemanden zum Mitkommen überreden können und jetzt geht es ab aufs Rad! Aber wohin eigentlich? Pilze wachsen im Wald, so weit so gut, aber wo genau denn? Und was wollt ihr überhaupt sammeln? Grundsätzlich gilt erfreulicherweise, dass in praktisch allen Wäldern in der Greifswalder Umgebung auch Speisepilze wachsen. Wer trotzdem nicht auf gut Glück losziehen möchte, kann ganz klassisch zu einem Pilzatlanten greifen oder sich wie ich eine der diversen Pilzbestimmungs-Apps herunterladen. Ich habe mich für die “Pilze App” aus dem Play-Store entschieden und inzwischen auch die Vollversion erworben (3,99 €). Die Anwendung bietet unter anderem eine Funktion, mit der man sich anzeigen lassen kann, welche Pilze zuletzt in der Umgebung gefunden wurden. Südlich von Greifswald waren das zum Beispiel Steinpilze und Gold-Röhrlinge. Die App beinhaltet außerdem einen “Pilzführer”, in dem aktuell 212 Arten aufgeführt sind. Mit diesem geballten Wissen seid ihr jetzt also wirklich gewappnet und fahrt los in den Wald eurer Wahl. Bei mir war das in letzter Zeit Ludwigsburg, weil man das Pilzesammeln so mit einem Strandspaziergang verbinden kann. Im nachfolgenden GIF seht ihr übrigens einen regionaltypischen Lubminer (Atom-)Pilz, der für den Geschmack der Allgemeinheit allerdings eher ungenießbar ist (überspitzte Darstellung):

via GIPHY

Wenn ihr im Wald angekommen seid, wird es Zeit, den Spruch vom Facebook-Titelbild eurer verrückten Großtante in die Tat umzusetzen und die ausgetretenen Pfade zu verlassen, um die Pilzreviere zu finden. Bei klassischem Herbstwetter solltet ihr dann bereits nach einigen Metern vielerorts Pilze finden können. Falls nicht, verliert trotzdem nicht den Mut und sucht einfach weiter, irgendwann findet ihr sie! Wenn man dann vor dem ersten Pilz steht, merkt man, dass man absolut keine Ahnung hat. Irgendwie sieht der ja schön aus und lecker auch, außerdem duftet er gut. Also muss er giftig sein, oder? Grundsätzlich ist für Laien die Faustregel hilfreich, sich an Röhrenpilzen (und nicht an Lamellenpilzen) zu orientieren. Ein großer Teil der Röhrenpilze ist essbar. Aber wir sind ja nicht unvorbereitet gekommen und haben moderne Technik zur Hand. Die Bestimmung in meiner App kann über zwei verschiedene Wege durchgeführt werden. Die erste Option ist die manuelle Eingrenzung. Dafür muss ich den Fruchtkörper beschreiben, die Umgebung in der ich mich befinde, die Größe des Pilzes und das Aussehen des Hymenophor (Sporengebers). Meist bleiben dann etwa 5 bis 10 Pilzarten übrig. Schon mal ein großer Fortschritt gegenüber 212, aber auch mit relativ viel Arbeit verbunden. Also lieber Option 2, die App erkennt den Pilz mithilfe der Kamera automatisch. Sobald die Analyse fertig ist, schallt aus dem Handy ein “Hallelujah!” im Chor durch die Bäume. Naja, wie man in den Wald hineinruft… Aber was bedeutet das jetzt? Lustigerweise: Überhaupt nichts. Auch wenn ihr gerade einen Fliegenpilz gescannt habt, habt ihr den Engelschor geweckt. Will er euch etwa zu sich rufen? Also lieber Ton aus und die Waldeinsamkeit fernab der Greifswalder Bluetooth-Boxen genießen. Auch in der automatischen Analyse werden euch meist etwa 5 Arten vorgeschlagen. Letztlich läuft es also erneut auf das eigene Auge hinaus, aber wenn die App bei einem Pilz nur essbare Optionen vorschlägt, hatte ich bisher auch noch keinen giftigen dabei. Wenn ihr glaubt, einen Pilz erkannt zu haben, könnt ihr ihn in der App im “Pilztagebuch” markieren. Und wenn ihr euch dann so sicher seid oder er euch einfach so gut gefällt, dass ihr ihn mitnehmen wollt, solltet ihr versuchen, ihn möglichst schonend zu lösen. Am besten gelingt das mit einem Messer. Ohne Messer dreht man ihn am Stiel heraus, auf diese Weise kann der Pilz wieder nachwachsen.
Eure gesammelte Beute solltet ihr in einem Korb transportieren. Das sieht nicht nur sehr romantisch aus, sondern verhindert durch die gute Belüftung auch, dass sie matschig oder gar schimmelig (hmm, lecker, Pilz mit extra Pilz!) wird.

“Hallelujah!” – Pilze App

Wenn der Korb immer voller und der Magen gleichzeitig leerer wird, kommt irgendwann der Punkt, an dem die Stimmung umschlägt und man sich wieder auf den Heimweg macht. Die Entscheidung, ob die Pilze im Topf, der Pfanne, im Backofen, auf dem Grill oder eben doch im Müll (weil ungenießbar) landen, sollte man allerdings wie oben beschrieben auf keinen Fall dem knurrenden Bauch überlassen. Deshalb sollte für Laien den Abschluss eines erfolgreichen Sammeltages immer der Besuch bei der Pilzberatung bilden. Mecklenburg-Vorpommern ist das einzige Bundesland, das eine gesetzlich geregelte Pilzberatung mit amtlichen Lehrgängen ins Leben gerufen hat, und entsprechend gut ausgebaut ist die Beratungsstruktur hier erfreulicherweise auch. In Greifswald bieten Ehrenamtliche jeden Samstag und Sonntag im Oktober von 16-17 Uhr im Pavillon direkt rechts am Eingang des Arboretums eine fachkundige Beratung an. Hier erfahrt ihr von Expert*innen, was ihr gesammelt habt und dabei werden euch oft genug Überraschungen (auch im positiven Sinne!) erwarten. Außerdem erzählen euch die Berater*innen gerne mehr über eure Funde und geben Tipps für die Bestimmung und auch für die Pilzsuche selbst. Und wenn ihr einmal unter der Woche Heißhunger auf frische Pilze entwickeln solltet, stehen euch in Greifswald drei zusätzliche Pilzberater*innen nach telefonischer Absprache mit fachkundigem Rat zur Seite. Die Liste mit den Kontaktdaten und weitere Informationen zur Pilzberatung in Mecklenburg-Vorpommern findet ihr hier. Nach dem Besuch bei der Pilzberatung fühlt man sich meistens (weil im Vergleich zu den Expert*innen) noch unwissender als vorher und ist vielleicht auch ein bisschen traurig, eventuell einen Teil der Pilze wegwerfen zu müssen, hat aber viel Neues gelernt und kann sich nun auf eine bekömmliche und leckere selbst gesammelte Mahlzeit freuen! In diesem Sinne:

Viel Spaß beim Sammeln und guten Appetit!

Wie ein erfolgreicher Sammeltag aussieht, könnt ihr hier an Lillis Korb bestaunen und auch noch einmal in ihrem Erfahrungsbericht vom vergangenen Herbst nachlesen!

Auflösung: Die oben erwähnten Pilzsorten gibt es tatsächlich alle und noch viele weitere mit ebenso schönen Namen, von denen Ulrich Roski (selbst mit 70er Pilz auf dem Kopf) einige in seinem Lied “Des Pudels Kern” humorvoll besingt.

Titelbild: adege auf Pixabay
Beitragsbilder: Lilli Lipka und Philipp Schweikhard

Umgekrempelt: 10.000 Schritte am Tag

Umgekrempelt: 10.000 Schritte am Tag

Kennt ihr das, wenn man mal was Neues ausprobieren will, aber am Ende alles beim Alten bleibt? Uns jedenfalls kommt das sehr bekannt vor, deswegen haben wir uns für euch auf einen Selbstoptimierungstrip begeben. In dieser Kolumne stellen wir uns sieben Tage als Testobjekte zur Verfügung. Wir versuchen für euch mit unseren alten Gewohnheiten zu brechen, neue Routinen zu entwickeln und andere Lebensstile auszuprobieren. Ob wir die Challenges meistern oder kläglich scheitern, erfahrt ihr hier.

10.000 Schritte am Tag. Das ist eine Zahl, die man immer wieder hört. Und es macht Sinn: Als eine Spezies des Jagens und Sammelns waren wir ständig draußen unterwegs, einfach das Säbelzahntigerfell über die Schulter geworfen und los, raus in die Kälte, mit Speer in der Hand und bis zur Abenddämmerung herumpirschen. Heute gibt es keine Mammuts mehr, die wir jagen können und ein Stück Fell reicht uns nicht mehr gegen die Kälte – wenn das Wetter draußen schlecht ist, bleiben wir lieber drinnen. Wir sind Stubenhocker*innen geworden – natürlich nicht alle und die meisten von uns nicht freiwillig. Im Grundschulalter war man noch ständig unterwegs, kam oft später wieder nach Hause zurück, als man eigentlich sollte. Jetzt sitzen wir nur noch am Schreibtisch und in der Bib und in der Uni, gerade in der Prüfungszeit.

Ich habe schon lange gemerkt, dass mir dieser Lebensstil nicht gut tut. Zum einen, weil mein hyperaktiver Körper bei dem ganzen Stillsitzen nicht so richtig mitmachen will, zum anderen, weil sich nach rund fünf Minuten in der gleichen Sitzposition mein Rücken lautstark bemerkbar macht. Wir sind ja auch nicht zum Sitzen gemacht, und viele Wissenschaftler*innen erinnern immer wieder an die 3S und die 3L: Stehen und Sitzen ist Schlecht, Lieber Liegen und Laufen. Aber wie leicht ist es wirklich, das tägliche Laufen, die 10.000 Schritte am Tag, in einen durch Uni- und Arbeitsalltag durchstrukturierten Tagesablauf einzuplanen?

Montag

Das erste, was mir auffällt, ist, dass ich mein Handy überall mit mir herumschleppen muss, damit die Schrittzähler-App ja auch jeden meiner Schritte aufzeichnet. Das ist ungewohnt für mich, und ich vergesse es immer mal wieder – auch die ganze Woche hindurch. Aber so viel kommt zuhause sowieso nicht zusammen. Zwar achte ich penibel darauf, jeden Extragang zu machen, den ich kann, auch wenn das bedeutet, Dinge, die man eigentlich mit einem Weg hätte in die Küche bringen können, eher aufzuteilen und dafür zweimal zu laufen. Aber es sind eben nur 30 Schritte mehr. Trotzdem. Irgendwie habe ich das Gefühl, schon jetzt etwas Gutes für meinen Körper getan zu haben, wenigstens im Kleinen.

Bis 15:30 Uhr sitze ich zuhause beim Lernen und bin so bisher nur auf knapp 300 Schritte gekommen. Das muss sich ändern. Ich frage meine Schwester nach einem Spaziergang nach Wieck. Wir kommen dabei insgesamt auf 8.000 Schritte, sind dafür aber auch anderthalb Stunden unterwegs. Zeit, die ich sonst zum Lernen hätte nutzen können, werfe ich mir vor. Aber ist das wirklich so? Wäre die Zeit nicht vielleicht viel eher fürs Prokrastinieren draufgegangen, weil ich hier schon seit frühmorgens sitze und mein Kopf langsam platzt? Da scheint mir ein Spaziergang das bessere Prokrastinieren zu sein. Das hat zwar wesentlich länger gedauert als ein 15–30-minütiges YouTube-Video zur Ablenkung zwischendurch. Aber ich fühle mich nach dem Spazier­gang frisch ausgeruht und neu ermutigt, um weiterzuarbeiten – zumindest sobald meine Finger wieder aufgetaut sind.

Dienstag

Da ich gestern die 10.000 Schritte nicht ganz geschafft habe, will ich sichergehen, dass ich mein Ziel heute in die Tat umsetze. Wieder muss meine Schwester ran, dieses Mal wollen wir uns zu Fuß auf den Weg zum Elisenpark machen, um einzukaufen. Normalerweise wären wir dafür zu dem nächsten Supermarkt gegangen oder wenigstens mit dem Fahrrad gefahren, um Zeit zu sparen. Aber der Spaziergang tut gut, das Wetter ist schön, wenn man vom schlammigen Boden einmal absieht, und als wir nach knapp zwei Stunden wieder zurückkommen, haben wir bereits das Tagesziel erreicht.

Aber langsam merke ich, wie sich leichte Gewissensbisse in mir ausbreiten. Jeden Tag zwei Stunden fürs Spazierengehen ist sicher eine Zeit, die man sich nehmen sollte, aber kann ich mir die auch erlauben mit einer Modulprüfung in einer Woche? Mein routinemäßiges Prokrastinieren zwischen den Lerneinheiten fülle ich mit Nachgrübeln. Wer hat eigentlich entschieden, dass Lernen wichtiger ist, als auf unseren Körper aufzupassen und etwas für unsere Gesundheit zu tun?

Mittwoch

Das erste Mal, dass ich vollkommen an der Challenge scheitere. Trotz StuPa-Sitzung am Abend komme ich nicht einmal auf 1.000 Schritte. Ich fühle mich schlecht, weil ich mich nicht dazu durchringen konnte, die Zeit zum Spazieren aufzubringen, und weil mein Körper sich mal wieder über den Bewegungsmangel beschwert. Für den nächsten Tag nehme ich mir fest vor, wieder mehr Willensstärke zu zeigen.

Donnerstag

Morgens sammle ich bereits ein paar Schritte, als ich in der Bib auf Lehrbuchsuche gehe. Ich gehe im Anschluss außerdem noch mal zu Fuß hinüber zum Domcenter, anstatt zu fahren. Ein bisschen Schwung in die Hüften bekommen.

Gegen Mittag setze ich das Ganze fort. Wieder ein Spaziergang nach Wieck und trotzdem immer noch neue Dinge zu entdecken (selbst als gebürtige Greifswalderin). Trotzdem bleibt der Schrittzähler danach irgendwo bei 7.000 Schritten stehen und verändert sich auch nicht mehr großartig, während ich wieder beim Lernen sitze. Aber ich hatte mir am Vortag etwas vorgenommen und das will ich auch durchziehen.

Es ist kurz nach 10, als ich hinaus in die Kälte trete. Ein seltsames Gefühl, um diese Uhrzeit unterwegs zu sein. Die einzigen, denen ich unterwegs begegne, sind eine Hundebesitzerin samt Hund und viele unzuordbare Geräusche. Mein Weg führt mich noch einmal hinunter zum Wasser, weil ich sehen möchte, wie es nachts aussieht, und weil mich die Dunkelheit irgendwie anzieht. Um zum Wasser zu gelangen, wandere ich durch ein kleines Waldstückchen, das vom Licht des benachbarten Wohngebiets kaum mehr erreicht wird. Aus Skepsis vor einer Begegnung mit womöglichen Bekannten wie der kleinen Wildschweinfamilie hier in der Gegend, mache ich die Taschenlampe meines Handys an. Ich begegne keinem Wildschwein, werde aber trotzdem von einem bedrohlichen Knurren aus dem Gebüsch begrüßt. Zwar trennt uns beide ein großer Zaun, aber vorsichtshalber, und um den Hund nicht unnötig zu verärgern, lösche ich trotzdem das Licht. Den Rest des Weges bis zum Wasser laufe ich also in Dunkelheit.

Es ist ein merkwürdiges Erlebnis, diese Stille. Oder eben die Nichtanwesenheit von Stille. Denn gerade weil ich allein unterwegs bin, weil kein Licht über mir oder aus meinem Handy heraus leuchtet, weil ich keine Stimmen und keinen Autolärm höre, nehme ich jedes Geräusch war. Das Rauschen in den Blättern, das Knacken der Bäume, kleine Tiere, die über den Boden huschen, den Wind und das Meer. Die Welt ist wie ein Orchester.

Das Meer sieht erschreckend unspektakulär aus. Natürlich, was hatte ich auch anderes erwartet, es ist immerhin mitten in der Nacht! Aber als ich eine Weile hinaus aufs Wasser sehe, bemerke ich das Licht eines Leuchtturms in der Ferne, das mir vorher noch nie aufgefallen ist, obwohl ich schon etliche Male nachts hier war. Nur nie allein.

Die Einsamkeit macht einen Unterschied. Und die Langsamkeit der Bewegung, das merke ich, als ich wieder zurück nach Hause gehe (dieses Mal vorsorglich durchs Wohngebiet, um den knurrenden Hund nicht noch einmal zu wecken). Ich bin es gewohnt, diese Strecke zu joggen oder mit dem Fahrrad hier entlangzufahren, oder wenn ich doch einmal gehe, dann habe ich immer jemand anderes bei mir. Jetzt allein, langsam Schritt für Schritt, habe ich das Gefühl zum ersten Mal die Umgebung wirklich wahrzunehmen. Ich entdecke noch nicht abgehangene Weihnachtsbeleuchtung in einigen Fenstern (ist aber auch erst zwei Monate her), mit Ranken zugewucherte Eingangstüren, einen Briefkasten mit einem Ritter darauf – was wohl die Leute gedacht haben müssen, die um knapp halb 11 aus dem Fenster gesehen und eine Gestalt in ihrer Einfahrt bemerkt haben, die in völliger Dunkelheit ein Foto von ihrem Briefkasten macht?

Aber ich sehe. Ich nehme wahr. Ich lasse meine Gedanken kreisen, um das um mich herum, um diesen Artikel hier, um Uni und Prüfungen. Trotzdem fühlt es sich frei an. Einmal zu sich kommen, allein mit sich selbst. Irgendwann konzentriere ich mich sogar mehr auf die Umgebung als auf die Uniaufgaben, die noch vor mir liegen. Und auf die Kälte, die meine Beine hinaufkriecht. Es ist verdammt kalt geworden. Da hilft der hübsche glitzernde Reif auf dem Gras und auf der Straße auch nicht, um mich aufzumuntern. Außerdem habe ich meine 10.000 Schritte mittlerweile sowieso erreicht. Zeit, nach Hause zu kommen.

Freitag und Samstag

Ich scheitere erneut. Zwar versuche ich, so oft ich kann, zu Fuß zu gehen – zur Redaktion, zu Gleis 4 und wieder zurück – aber es bringt nichts. Bis abends komme ich auf etwas mehr als 2.000 Schritte, an beiden Tagen. Dieses Mal merke ich es nicht nur am Körper, sondern auch im Kopf. Ich bin beim Lernen abgespannt, kann mich zwar konzentrieren, aber bin nervlich ziemlich am Ende. Das Spazierengehen fehlt mir auch irgendwie bereits, die frische Luft, die Zeit zum Nachdenken, um den Kopf frei zu bekommen. An diesen beiden Tagen sehe ich aber kaum etwas von draußen, nur meinen Laptop-Bildschirm, meine MÜP-Notizen und Lehrbücher, bis die Schrift irgendwann schon vor den Augen verschwimmt. Aber obwohl mir mein Körper eindeutige Signale sendet, dass er eine Pause hätte gebrauchen können, habe ich keine Gewissensbisse. Ich brauchte die Zeit zum Lernen. Für meinen Körper tut es mir trotzdem ein wenig Leid, und ich wünschte mir, dass es auch anders ginge.

Sonntag

Heute, am letzten Tag der Challenge, möchte ich mir noch einmal beweisen, dass es anders geht. Ich frage meine Schwester, ob sie Zeit und Lust auf einen Ausflug hat und wir fahren nach Ludwigsburg. Das Wetter ist wundervoll, als wir durch den Wald und am Feld entlang bis nach Loissin gehen und dann am Strand wieder zurück, dem Sonnenuntergang entgegen. Nach den beiden letzten Tagen drinnen, bekomme ich richtige Glücksgefühle. Das Lernen und die Angst vor der Prüfung sind komplett vergessen, ich freue mich einfach nur riesig über jeden Sonnenstrahl, der durch die Bäume fällt, über das Rauschen des Meeres und über die voluminösen Wolken am Himmel. Ich habe wieder richtig Lust am Leben, oder zumindest nehme ich das Leben wieder richtig wahr. Ein kathartisches Gefühl, dieses Rausgehen.

Fazit

Ein wenig schwermütig werde ich schon, als ich abends wieder zurückkomme. Einmal, weil wieder die Lehrbücher vor mir auftauchen, die ich doch gerade vergessen hatte, aber vor allem auch, weil ich weiß, dass ich mir so einen Ausflug in den nächsten drei Tagen bis zur Prüfung nicht nochmal gönnen werde. Danach sicherlich, das nehme ich mir fest vor.

Aber warum immer danach? Warum immer das, was uns gut tut, aufschieben, bis wir irgendwann hoffentlich mehr Zeit dafür haben? Ein Ausflug, ein kleiner Spaziergang kostet nichts, und es müssen ja nicht gleich die 10.000 Schritte sein.

Einfach zu lernen, dass es keine Zeitverschwendung ist, wenn man auf sich selbst Acht gibt und auf den eigenen Körper hört. Dass man selbst eben auch einmal an erster Stelle vor dem Lernen, vor der Uni, vor der Arbeit stehen darf. Trotz aller Dinge, die ich in der letzten Woche beim ganzen Lernen verinnerlicht habe – diese eine Sache habe ich noch nicht so ganz kapiert.

(An dieser Stelle noch ein kleines Dankeschön und eine riesige Entschuldigung – oder anders herum – an meine Schwester. War ja auch für deine Gesundheit.)

Beitragsbild: Franziska Schlichtkrull
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