Ein Nachbericht von Paul Zimansky

In der vergangenen Woche fand in der Turnhalle der Siemensallee 5 eine Informationsveranstaltung für die Anwohner der entstehenden zentralen Geflüchtetenunterkunft in der Greifswalder Stadtrandsiedlung statt. Informieren zwischen Ängsten, Vorurteilen und blanker Hetze.

 Es war ein stimmungsgeladener und brisanter Mittwochabend an diesem 16. Februar 2016 in Greifswald. Eine Demonstration von den selbsternannten (Merkel)-Politikgegnern „Frieden, Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit“ (FFDG) lief durch die Stadtrandsiedlung entlang der Schillerstraße, unweit des Ortes, an dem in den nächsten Monaten über 400 Menschen in einer zentralen Gemeinschaftsunterkunft Schutz und Zuflucht suchen werden, bis zur Siemensallee 5. An diesem Ort, direkt vor der Turnhalle der Beruflichen Schule, hielt die Gruppe „Greifswald für alle“ eine Mahnwache unter dem Motto: „Zusammen wachsen – Greifswald für alle“ ab. Beide Seiten wurden durch die anwesende Polizei getrennt, es ertönen Musik und Reden, während interessierte Anwohnerinnen und Anwohner unmittelbar an beiden Versammlungen vorbei mussten.

Eine Teilnehmerin von der „Greifswald für alle“ – Mahnwache berichtete vor dem Eingang der Turnhalle:

„Eine Dame höheren Alters spuckte mir und meinem Freund, einem Geflüchteten, vor die Füße. Ein anderer sagte im Vorbeigehen: „Nehmt doch Asylanten bei euch auf!“. Als Frau Mignon Schwenke (Die Linke) das Wort ergriff, hörte man von einem älteren, sehr aggressiven Mann: „Nicht alle Menschen wollen die, nicht alle! Warum schützt ihr Vergewaltiger?“  

Die Stimmung war sichtlich angespannt und die Situation unübersichtlich – während vor der Turnhalle für (mehr) Menschlichkeit und Toleranz appelliert wurde, waren auch immer wieder erhitzte Gemüter auf dem Weg zur Informationsveranstaltung, deren Einladung durch die Stadt fast 300 Leute folgten. Am Einlass gab es Kontrollen der zuständigen Security, die (fast) nur Eingeladenen Zutritt gewährte.

Emotionsgeladene und stimmungsmachende Atmosphäre in der Luft

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 Der Oberbürgermeister der Stadt Greifswald, Dr. Stefan Fassbinder, eröffnete die Informationsveranstaltung mit einem Bericht über die Ereignisse der letzten Wochen. Neben ihm sind auch Nadine Hoffmann (Integrationsbeauftragte der Stadt Greifswald), Frau Marika Hinz (Sachgebietsleiterin „Asylbewerberleistungen/Eingliederungshilfe“ des Landkreises Vorpommern-Greifswalds) und Herr Kurt Rabe (ehemals Leiter der Sozialagentur Ostvorpommerns, Beauftragter des Jugendamtes des Landkreises V-G) anwesend, um über die aktuelle Informationslage zu berichten und den Anwesenden bei Fragen Antwort zu leisten.

Den Vorwurf mangelnder Transparenz wies der Oberbürgermeister direkt zu Beginn der Veranstaltung zurück: Die Anwohner hätten zeitig nicht eher informiert werden können. Zum einen aus Sicherheitsgründen der Polizei, denn über einen künftigen Ort für einer neuen Gemeinschaftsunterkunft sollte demnach erst bei einer dementsprechenden geplanten Veranstaltung informiert werden. Zum anderen fanden in den letzten Wochen nach Zuweisung der über 400 Geflüchteten für den Landkreis erst dementsprechende Verhandlungen und Organisationen statt. Die Reaktion einiger Anwesenden ließ nach diesen Worten nicht lange auf sich warten: hämisches Lachen, erste Wutworte und stimmungsaufladende Reaktionen stießen den Verantwortlichen entgegen. Es schien, als würde man diese Aussagen des Oberbürgermeisters nicht glauben oder nicht glauben wollen. Von diesem Moment an trafen Ängste, Vorurteile und Fehlinformationen in einem emotionsgeladenen Bündel  von hämischem Lachen und gemeinschaftlichem Applaudieren zusammen. Eine Anwohnerin verließ sichtbar erschüttert mit den Worten: „Das ist nicht mehr normal.“ neben mir die Turnhalle. Ob sie damit die Verantwortlichen oder die anwesenden Gäste meinte, ließe sich nur mutmaßen. Eins war jedoch klar: hier lag mächtig Ärger in der Luft. Der anwesenden Presse wurde daraufhin durch die Mehrheit der Anwesenden jegliche Anfertigung von Bild, Ton- und Videomaterial untersagt. Ein Schelm wer Böses dabei denkt.

Zwischen Ängsten, Vorurteilen und Fehlinformationen

In den kommenden, fast 2 Stunden langen Frage- und Antwortrunden, werden etwa 15-20 Rede- und Fragebeiträge durch Anwesende gestellt. Die Schere der Fragen reichte dabei von informativem bishin zu hetzerischem Gehalt. Dabei spielten die Faktoren Angst, Vorurteile und Fehlinformationen eine immer wichtigere Rolle. Im Wesentlichen sind sich viele dabei einig: Sie hätten nichts gegen sogenannte „Asylanten“. Ein Begriff, der in der Vergangenheit durch die neonazistische National-demokratische Partei Deutschlands (NPD) geprägt wurde und immer wieder von (rechter) Bedeutung bei Diskussionen rundum das Thema Asyl- und Migrationspolitik Verwendung findet. Auch hier wurde in einem Großteil der Fragen, Probleme und Aussagen dieser Begriff durch anwesende Anwohnerinnen und Anwohner der Stadtrandsiedlung verwendet. Doch um welche konkreten Belange ging es dabei? Zum einen und wesentlichen Teil eines von Privateigentum dominierenden Stadtteils: um die Gefahr von sinkenden Grundstückspreisen durch die entstehende Gemeinschaftsunterkunft.

Auf die Frage einer Garantie, dass das nicht geschehen würde, konnte Herr Dr. Fassbinder nur eine realistische und logische Antwort geben: niemand könne dies garantieren, da der Grundstücksmarkt von vielen, wie beispielsweise ökonomischen Faktoren, abhängig ist. „Dann lassen sie uns doch lieber Windmühlen bauen!“, schrie eine Anwesende den Verantwortlichen hämisch entgegen, als ein spezielles Beispiel für Grundstückspreisveränderungen genannt wurde. Bezeichnend, wenn die Angst um den Wert von dem privatem Eigentum über der humanitären Pflicht einer Gesellschaft steht. Doch es war und ist nicht nur die Angst um das eigene Hab, sondern auch um das eigene Wohl. Ein älterer Herr stellte eine immer wieder auftauchende und für die Beschreibung des Abend sinnbildliche Frage der Sicherheit der Anwohnerinnen und Anwohner, sowie der Kinder: „Wie sollen unsere Kinder denn jetzt zur Schule gehen? Was passiert denn dann?“ Seine Frage wird, wie fast jede, frenetisch beklatscht. Die Antwort einer der Verantwortlichen war kurz, aber dennoch dem fehlenden inhaltlichen Diskurs auf Augenhöhe bezeichnend:

„Na so wie bis jetzt auch? Ihre Kinder werden weiterhin zur Schule gehen und die Kinder der Flüchtlingsfamilien auch. Die haben doch denselben Weg zur Schule.“

Auch hier erboste und belachte sich ein Großteil der Anwesenden über die Qualität und Quantität der Aussage. Gegenseitig schaukelte man sich hoch. Selbst, als ein Polizeisprecher die Kriminalitätsstatistik aufzeigte und einen immer wieder stimmungsmachend-verwendeten Anstieg von Straftaten in der Nähe von Gemeinschaftsunterkünften, wie beispielsweise in der Spiegelsdorfer Wende, widerlegte, wurde die Angst vor den „Fremden“ und sich den immer wiederkehrenden Vorurteilen bedient. Maßgeblich in puncto Sicherheit die Ereignisse der Silvesternacht von Köln, die des Öfteren als Erklärung hinhalten mussten. Nicht als Argument gegen allgemein sexualisierte Gewalt gegen Frauen, sondern als Argument einer angeblich gefährdeten Sicherheit. Immer wieder mischten sich Ängste, die scheinbare Immunität von Informationen und die damit einhergehenden Vorurteile zusammen, sodass man versuchte, sich selbst vor scheinbar vollendeten Tatsachen zu stellen. So oft Dr. Fassbinder auch darauf hinweisen wollte, dass der Landkreis, dessen Dezernent Dirk Scheer vor der Veranstaltung absagte, und ein privater Vermieter der Brandteichstraße für die Unterbringung zuständig seien, so oft die Kriminalitätsstatistik die unnötige Angst vor Straftaten in der Nähe von Gemeinschaftsunterkünften widerlegte – es wurde frenetisch widersprochen. Auch mit Gesetzestexten, die Frau Hinz zitierte, ließen sich viele Anwohner nicht mehr abholen. Im Gegenteil: es wurde immer wieder hämisch und laut gelacht. Das informative Gespräch auf Augenhöhe und die Möglichkeit, sich individuellen und wichtigen Antworten auf einem vernünftigen Niveau zu stellen, wurde spätestens mit der Aussage:

„Sie sind nicht der Bürgermeister unserer Stadt, sondern der Bürgermeister der Asylanten!“

mit Füßen getreten.

Nebenbei wurde während dieser Veranstaltung vom Bürgerschaftsmitglied und Landtagskandidat der Alternativen für Deutschland (AfD), Herr Kramer (links im Bild, rechts: Fraktionsvorsitzender der AfD, Alexander Gauland) für die anstehenden Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern ein Unterstützungsschreiben zur Unterzeichnung rumgereicht.

„Wir haben es satt – jetzt ist Ende!“ empörte sich schlussendlich ein Anwesender gegenüber den Verantwortlichen, die sich sichtlich erschrocken von den vergangenen zwei Stunden zeigten. Was und wen er damit meinte bleibt offen, die Botschaft des Abends lässt jedoch keine Zweifel offen: auch in Greifswald gibt es noch viel zu tun.

 

Fotos: Philipp Schulz