Uni_Hauptgebäude-svMit großer Mehrheit sprach sich der akademische Senat der Universität Greifswald auf seiner Sitzung am Mittwoch in einem Appell für Toleranz aus. Ursache dafür ist ein gewaltsamer Übergriff am Rande einer Veranstaltung der NPD im Sommer.

In dem knappen Beschlusstext spricht sich der Senat für gegenseitigen Austausch aus. Meinungsverschiedenheiten “aufgrund unterschiedlicher politischer Grundeinstellungen, unterschiedlicher kultureller Herkunft und unterschiedlicher Auffassungen in Glaubensfragen” sollten “im offenen Gespräch, dem sich niemand verschließt” erörtert werden. Maßgebliche Ursache, dass der Senat diesen Appell verfasste, waren die Ereignisse am 29. Juli, als die NPD mit einem Infostand auf dem Greifswalder Marktplatz Station auf ihrer Werbetour zur Bundestagswahl machte. Unter den Ordnern wie Gegenprotestlern befanden sich auch Studierende der Universität Greifswald. Nach mehreren Gemüse- und Eierwürfen auf die rechtsextremen Redner eskalierte die Situation. Im Verlauf griff Student Marcus G. einen Gegendemonstranten, ebenfalls immatrikuliert, per Fußtritt an, so dass dieser zu Boden ging.

“Mit großer Sorge” nimmt der Senat dies nun zur Kenntnis und erinnert in diesem Zusammenhang an das Leitbild der Universität, wonach jedes Mitglied verpflichtet ist, “für eine freiheitliche, zivile und demokratische Gesellschaft einzutreten und sich für das friedliche Zusammenleben der Menschen und Völker einzusetzen.” Mögliche Konsequenzen bei einem Verstoß sind in der Immatrikulationsordnung (24, Abs. 2) aufgeführt: “Studierende können exmatrikuliert werden, wenn sie […] gegenüber Mitgliedern und Angehörigen der Hochschule strafbare Handlungen begehen.” Auch dies floss in den Appell mit ein. Die Ermittlungen zum Vorfall am Rande der Kundgebung dauern noch an, womit eine strafbare Handlung derzeit nicht nachgewiesen ist.

Konturen gingen verloren

Der Toleranzappell des Senats wurde maßgeblich von dessen studentischen Mitgliedern angestoßen. Auf der letzten Sitzung im September brachten sie das Thema im internen Teil auf die Tagesordnung. Dort einigte man sich, das Schriftstück zu verfassen. Der Senator Prof. Patrick Donges und der Prorektor Prof. Wolfgang Joecks wurden im Vorfeld der gestrigen Sitzung darum gebeten, zwei Entwürfe einzureichen. Nach eigenen Angaben schrieben sie diese unabhängig voneinander und beide erwähnten auch, dass ihnen aus verschiedenen Gründen nicht viel Zeit dafür gelassen wurde. Auszüge aus beiden Texten fanden Verwendung, im Verlauf der Diskussion stritt man sich nur noch um Details.

“Ich will, dass wir konkret werden” forderte dabei StuPa-Präsident Milos Rodatos, der befürchtete, dass der Senat keine klare Position bezieht. Dies sahen auch andere so, allerdings konnten sie sich nicht durchsetzen und die Formulierungen wurden immer allgemeiner. Außerdem zeigte sich auch, dass viele Senatoren mit den Vorfällen vom 29. Juli in Greifswald nicht viel anfangen konnten. Schnell kamen rechtliche Probleme zur Sprache. So sei laut Prof. Jürgen Kohler das übliche Blockieren größerer Naziaufmärsche ebenso nicht vom geltenden Recht gedeckt wie eine Gewaltanwendung. Dies hatte nur noch wenig mit dem konkreten Anlass zu tun, was die Gleichstellungsbeauftragte Ruth Terodde zu bedenken gab. Sie war nach eigenen Angaben selbst Zeugin der Vorfälle und erklärte, dass die Gegenveranstaltung “im Tenor friedlich” war. Die vereinzelten Eierwürfe zählte sie aber nicht dazu.

Einzige Gegenstimme von Prof. Kohler: “Konkreter Bezug ist ein Fehler”

Kohler war am Schluss der Einzige, der gegen den Antrag stimmte. Auf webMoritz-Nachfrage erklärte er, dass er inhaltlich dem Appell durchweg zustimmt, einzig den konkreten Bezug auf das eine Ereignis für “untunlich, wenn nicht gar für einen groben Fehler” hält. Maßgeblich dafür sei, dass er die Vorgänge nicht kenne und daher Verantwortlichkeiten vernünftigerweise nicht beurteilen könne. Wie andere Senatsmitglieder teilte auch er die Meinung, dass der 29. Juli schon zu lange her sei, als das ein darauf bezogener Appell jetzt noch glaubwürdig wäre. Außerdem liege die Angelegenheit außerhalb der Universität und habe keinen Einfluss auf die Funktionsfähigkeit dieser. “Dass Studierende beteiligt waren, ist unerheblich, weil sie nicht in dieser Rolle handelten, sondern in ihrer Rolle als Staatsbürger.” Der Appell sei daher unlogisch, weil der am Anfang genannte Anlass die am Ende angesprochene Androhung universitärer Sanktionen überhaupt nicht trage.

Stattdessen verschweige die Universität einen anderen, viel relevanteren Punkt, nämlich den Vorwurf, “dass Kommilitonen wegen fachlicher Äußerungen im Rahmen von Lehrveranstaltungen ungehörigem Druck durch Mit-Studierende ausgesetzt wurden.” Dies sei der für die Uni “wesentliche Skandal”, da er die “Freiheit des wissenschaftlichen Austauschs massiv gefährdet”. Da dies nicht Teil des Appells wurde, suggeriere dieses Verschweigen den Rückschluss, dass die Universität diesen Vorfall als Belanglosigkeit ansehe.

Wo werden hier die Prioritäten gesetzt?

Kommentar

Die Uni Greifswald ist vielfältig, pflegt Kontakte zu anderen Bildungsstätten im Ostseeraum und auf der ganzen Welt. Sie strebt nach Internationalisierung und will ausländische Studierende integrieren. Aber die Uni Greifswald liegt immer noch in Vorpommern. Die rechtsextreme NPD hat hier seit vielen Jahren einen festen Stand in den Parlamenten. In einigen Gegenden gibt es nur eine schwache Zivilgesellschaft, die sich noch dagegen wehrt. Als “Motor der Region” bezeichnen Studierendenvertreter gerne ihre Alma Mater und in der Tat lässt sich nur schwer vorstellen, wo die Stadt ohne ihre Uni stünde.

Diese Rolle bringt auch Verantwortung mit sich. Wenn da der akademische Senat, das höchste Gremium dieser Universität, sich mit einem Appell für mehr Toleranz und gegen Gewalt von Rechts aussprechen will, hätte es dabei ruhig mehr Ernsthaftigkeit geben können. Die Entwürfe wurden, obwohl genug Zeit bestand, über Nacht zusammengeschustert. Viele Senatoren wussten überhaupt nicht, worüber diskutiert wird und was sich am 29. Juli in Greifswald zutrug. Auch wenn sich noch einer auf seinem Laptop dieses Video ansah, war doch klar, dass viele andere sich nicht auf die Sitzung vorbereitet hatten, obwohl dabei schon eine Suchmaschine nach Wahl erste Abhilfe geschaffen hätte.

Der Appell ist jetzt da, er ist gut und er ist wichtig. Aber er wurde aufgeweicht. Er hätte viel präziser und damit wirkungsvoller sein können.

Foto: Simon Voigt