Gerade einmal 40 Kilometer sind es von der westpommerschen Metropole Szczecin nach Pasewalk. Die Regionale Schule, wie auch das Gymnasium nennen sich “Europaschule”. Es werden Schulprojekte zu regenerativen Energien und Projekttage durchgeführt, die Schülerinnen und Schüler zur aktiven Beteiligung am kommunalen Leben animieren sollen. Vor zwei Jahren wurde schließlich an der Europaschule “Arnold Zweig” ein Kinder- und Jugendbeirat für die Stadt gegründet, während seit etwa sieben Jahren im “KunstgARTen” Europa “zusammenwächst”. Für Konzerte, Kabarett, Tanz, Theater und Buchlesungen ist derweil das alte Marstallgebäude des ehemaligen Kürassieregiments unter dem Namen “Kulturforum U” liebevoll saniert worden.

Trügerische Idylle im Herzen der vorpommerschen Neonaziszene

Ungeachtet des vielfältigen kulturellen Lebens der 11.000 Einwohner zählenden vorpommerschen Kleinstadt, wird sie, häufig direkt, häufig auch stellvertretend für die gesamte Region vor allem mit einer starken neonazistischen Szene in Verbindung gebracht.  Die Idylle in der Kleinstadt ist trügerisch. Pasewalk liegt inmitten einer Region, in der Kameradschaften sich etabliert haben. Parteien haben den relativ langgestreckten Landstrich zwischen Uecker und Randow lange Zeit vergessen, während die NPD mit Wahlergebnissen im zweistelligen Bereich vielfach punkten konnte. Schließlich gibt es da ja nichts weiter, außer einer idyllischen Landschaft. Die Grenze zwischen Polen und Deutschland scheint zudem doch noch viel zu sehr in den Köpfen verankert zu sein, als dass man Pasewalk und Szczecin als gemeinsame Deutsch-Polnische Wirtschaftsregion betrachten würde.

Beinahe schien es, als würde dieses Negativimage mit Hilfe des Pressefestes der Deutschen Stimme, das die NPD im unmittelbar benachbarten Dörfchen Viereck veranstalten will, erneut aufpoliert werden. Doch dass Pasewalk und Umland erneut von anreisenden Neonazis zum Nazikaff herabgewürdigt wird, will sich ein Großteil der Bürgerinnen und Bürger beim besten Willen nicht mehr gefallen lassen. Da es ihnen Leid ist, immer wieder mit Menschen in Verbindung gebracht zu werden, mit denen sie nichts zu tun haben wollen, weil sie für Fremdenhass und Nationalismus nichts übrig haben, setzten sie sich vor einem Monat erstmalig zusammen und formierten sich zu einer Bürgerbewegung. Dass sich in Pasewalk breit angelegter Protest gegen Neonazis formiert, ist erstmalig der Fall. Viel zu lange war man der Meinung, es reiche aus, sie zu ignorieren, wie Bürgermeister Rainer Dambach Spiegel-Online Redakteur Fabian Reinbold erzählt.

Bürgerbewegung protestiert gegen “Deutsche Stimme” und NPD

“Vorpommern – weltoffen, demokratisch, bunt” lautet das Motto der Bürgerbewegung, die am 11. August mit einem vielseitig gestalteten Aktionswochenende ein Gegengewicht zu den anreisenden Neonazis initiieren. “Wir wollen zeigen, dass ganz viele Menschen in unserer Region meilenweit von menschenverachtendem und rassistischen Gedankengut entfernt sind”, erklärte der Grünen-Politiker Gregor Kochhan diesbezüglich in einer Pressemitteilung der Kreistagsfraktion.

Herzstück des Wochenendes ist die am 11. August zwischen 12 und 16 Uhr stattfindende “Demokratiemeile”. Hierbei handelt es sich um eine lange Menschenkette, die durch insgesamt 39 Stände und drei Bühnen entlang der Landstraße von Pasewalk nach Viereck aufgelockert wird. Ab 16 Uhr wird anschließend ein “Buntes Stadtfest” stattfinden. Straßentheater, Puppenspiel, Akrobatik-Entertainment und zahlreiche Konzerte werden dann in der Innenstadt zu sehen sein, während zugleich durch eine Postkartenaktion “Kein Ort für Neonazis” darauf aufmerksam gemacht wird, dass für deren Ideologie kein Platz in der Kleinstadt nahe der Deutsch-Polnischen Grenze ist.

Breit angelegte Mobilisierung zu den Aktionstagen

Im ganzen Kreis wurde mobilisiert, wie hier bei einer Veranstaltung der SPD Kreistagsfraktion.

Bereits in den vergangenen Wochen wurde im gesamten Landkreis für die Aktionstage Werbung gemacht und mobilisiert. Bürgermeister der Städte und zahlreicher Gemeinden der Region Vorpommern wollen sich am 11. August offiziell zu einem Bürgermeister-Bündnis gegen Neonazis vereinen. Am 7. August veröffentlichten insgesamt 40 Bürgermeister der Städte und Gemeinden Vorpommerns gemeinsam mit Landrätin Dr. Barbara Syrbe eine Presseerklärung, in der sie ihre Unterstützung zu den Aktionstagen in Pasewalk zusagten und sich klar von der “NPD und ihren rechtsextremistischen Gesinnungsgenossen” distanzierten. “Sie schüren Fremdenhass und Sozialneid. Sie stehen für Gewalt und Ausgrenzung” heißt es dazu in der Erklärung. Bereits jetzt arbeiten sie im Rahmen der Mobilisierung zusammen: Sie beteiligen sich an einer kreisweiten Plakataktion “Kein Ort für Neonazis”, die die Amadeu Antonio-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Nordkurier initiiert hat.

Im Vorfeld der Demokratiemeile wird sich bereits am Freitag in der St. Marienkirche mit Musik aus der Neonaziszene auseinander gesetzt. Um 19 Uhr wird in der St. Marienkirche der Dokumentarfilm “Blut muss fließen – Undercover unter Nazis” gezeigt, in dem Thomas Kuban und Peter Ohlendorf mit versteckter Kamera Neonazi-Konzerte besucht haben. Am 8. August hat zur selben Zeit am selben Ort Andrea Röpke aus dem Buch “Mädelsache – Frauen in der Neonaziszene” gelesen.

“Auch wir Studierenden sehen es als eine Selbstverständlichkeit an hier ein Zeichen gegen Fremdenhass und Feindlichkeit zu setzen“, erklärte derweil Felix Pawlowski, Vorsitzender des Allgemeinen Studierendenausschusses der Greifswalder Universität in einer Pressemitteilung. Darüber hinaus bietet sich der AStA als Plattform an, sich in Greifswald zu sammeln und Gruppentickets der Deutschen Bahn zu organisieren, um dann gemeinsam nach Pasewalk zum Demokratiefest zu fahren. Interessierte sollen sich im AStA-Büro melden. Das Bündnis “Greifswald Nazifrei” weist derweil in ihrem Unterstützungsaufruf darauf hin, dass “es an diesem Wochenende gefährlich sein wird, als offensichtlich antifaschistisch Gesinnter anzureisen und örtliche Präsenz zu zeigen. “Aus diesem Grund rät das Bündnis all denjenigen, die am Wochendende nach Pasewalk fahren:

Seid also kreativ, vorsichtig und passt aufeinander auf!

Nationalismus tötet! Widerstand bedeutet LEBEN!

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Foto: via Patrick Dahlemann/ SPD Südvorpommern (ohne CC-Lizenz)
Video: ZDF Aspekte