Zart und schnell, mitfühlend und fordernd, zum Schweben ebenso animierend wie zum rythmischen Stampfen, in einem Kontext, in dem Rythmus vorhanden, doch nicht länger planbar ist. Musik von dieser Welt, gelebt um sie hinter sich zu lassen. Das Ganelin Trio Priority spielt am Dienstag im St. Spiritus.

Die kursiv geschriebenen Stellen sind Übernahmen aus dem Programmheft des diesjährigen Nordischen Klangs und eine Reminiszenz an die Formulierungsgabe ihres  Autors Wolf Kampmann.

Ein hektischer Tag im Meer der hektischen Wochen, zurückliegende Stunden voller Kopfarbeit und kreativer Bemühungen. Morgen muss ich diese DVD zurückgeben, Ganelin Trio Priority-Live at the Lithuanian National Philharmony Vilnius 2005. Das DVD-Laufwerk rauskramen, wo ist das Kabel, wo ist die Motivation für diese Rezension?

Sie steckt in der Musik, in dem Spiel von Vyacheslav Ganelin, Petras Vysniauskas und Klaus Kugel.

Was spielen sie? Transeuropäische, intertraditionelle und multibefindliche Improvisationsmusik.

von links nach rechts: Petras Vysniauskas, Klaus Kugel, Vyacheslav Ganelin

Bääm. Vyacheslav Ganelin, Jazz-Legende aus Litauen bedient Piano, Synthesizer und Percussions, Petras Vysniauskas, die zweite Integrationsfigur des litauischen Jazz,  Alt- und Sopransaxophon, komplettiert durch den deutschen Schlagzeuger Klaus Kugel.

Das wunderbare an ihrer Musik ist die friedliche Koexistenz zwischen entspanntem Zuhören zum Tagesausklang und dem gebannten Lauschen geübter Musikerohren, der Erbauung an dem freien und vertrauten Zusammenspiel. Dies ist keinesfalls Beliebigkeit, vielmehr Vielfalt, die in ihrer Verästelung nicht erdrückt, sondern anregt.

Oder anders: Ganelin, Vysniauskas und Kugel bedienen sich der Methodik des amerikanischen Jazz, um selbstbewusst in die Tiefen der europäischen Musiktradition zu lauschen. So fördern sie die großen Gesten des Barock zutage, verinnerlichen den schmerzvollen Individualismus der Romantik und rekapitulieren die unbekümmerte Leichtigkeit von Volksliedern.

Die aktuelle Zusammensetzung ist eine Wiederaufnahme des freien Spiels aus den Siebziger Jahren. Damals setzte das Ganelin Trio, ohne Saxophonist Vysniauskas und Schlagzeuger Kugel, Maßstäbe in dem, was unhinterfragt Free Jazz genannt wurde.

Ende der Achtziger Jahre war dann Schluß mit dem Ganelin Trio und Vyacheslav Ganelin zog nach Israel. Die Zeiten wurden schnelllebiger, die real existierende Marktwirtschaft ließ wenig Gelegenheit zum Träumen.

Offensichtlich setzt sich das Gute manchmal aber doch durch; das Ganelin Trio Priority jedenfalls ist zurück, in veränderter Besetzung und mit leicht verlängertem Namen.

Das Ganelin Trio von heute schöpft aus einer noch größeren Fülle der Möglichkeiten und Perspektiven.

Wer sich davon persönlich überzeugen möchte, der krame in Plattenläden und Plattenkisten und komme am 8. Mai um 19.30 Uhr ins St. Spiritus. Und kläre für sich selbst die Frage, ob  das neue Ganelin Trio ohne Vergleich in der europäischen Musik ist.

Kurz & bündig:

Dienstag, 08. Mai 2012/ St. Spiritus/ 19.30 Uhr/ Eintritt: 14/9 Euro

Ziemlich hoher Preis? Die Karte berechtigt außerdem zum Besuch des nachfolgenden Konzerts des Folkduos Kettunen & Hirvonen.

Fotos: Peter Gannushkin via www.ganelintrio.com (Konzert), nordischerklang.de (Gruppe) beide ohne CC-Lizenz