Ein mickriger Weihnachtsbaum dekoriert mit Toilettenpapier. Rundherum sitzen die Bewohner eines lettischen Provinzdorfes. Beschimpfungen, Gewalt und Alkohol gehören zu ihrem Alltag. Getrunken wird bis zur Bewusstlosigkeit. Zwischen den Schnapsleichen spielen zwei Kinder. Es sind die Kinder von Zanda und ihrem Bruder Valdis, der wegen Inzest im Gefängnis sitzt.

Ohne Alkohol ist der Alltag für Zandas Umfeld nur schwer zu ertragen

Auf den ersten Blick scheint sich Regisseur Audris Gauja in Family Instinct vordergründig mit der illegalen Beziehung zwischen Bruder und Schwester zu beschäftigen. Schnell wird aber klar, dass das nur der Höhepunkt verschiedener, teilweise jahrelang gärender Konflikte ist. Bittere Armut, exzessive Alkoholgelage und grauenhafte Gefühlskälte prägen das Klima im Dorf. So ist es nicht nur das verbotene Verhältnis zu ihrem Bruder, das Zanda Kopfzerbrechen bereitet. Vielmehr ist es die Verknüpfung unterschiedlicher sozialer Spannungen, die die Situation aussichtslos machen.

Mit Stockflecken und Schimmel durchzogene Wände von denen der Putz abbröckelt, zerfallene Möbel und eine marode Kochmaschine: das ist das Umfeld in dem die 28-jährige Zanda zusammen mit ihren beiden Kindern, ihrer Mutter, einem ihrer Brüder und dessen Frau lebt. Gerne sind auch die Nachbarn zu Besuch, deren Hemmungen mit steigendem Alkoholpegel sinken. Zandas Zustand schwankt zwischen totaler Zurückgezogenheit und gewalttätigen Wutausbrüchen. Oft verprügelt sie dabei die Männer des Dorfes. In Gedanken ständig bei Valdis, hofft sie, dass der sie nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis noch liebt. Auch wenn seine Briefe eine andere Sprache sprechen.

Zanda wartet auf Valdis' Rückkehr aus dem Gefängnis

Trotz aller alltäglichen Probleme versucht Zanda ihren Kindern die Liebe und Wärme zu geben, die sie selbst nie erfahren hat. Zwar wird das Verhältnis zwischen Zanda und ihrer Mutter nicht tiefgründig analysiert, der Zuschauer bekommt aber all zu deutlich mit, dass es sich um keine herzliche Mutter-Tochter-Beziehung handelt. Auf die Frage, ob ihre Mutter sie liebe, antwortet diese lediglich „Warum sollte ich?“ Dennoch sind einige Entscheidungen von Zanda nur schwer nachzuvollziehen. So lehnt sie die Hilfe der örtlichen Behörden ab. Bei der Besichtigung einer Sozialwohnung flüchtet sie Hals über Kopf. Zu groß ist die Angst vor dem endgültigen Bruch mit der Dorfgemeinde, zu groß auch die Angst von Valdis gefunden zu werden.

Der Zuschauer ist hin und her gerissen, zwischen Mitgefühl und völligem Unverständnis, Mitleid und Ratlosigkeit. Gauja gibt in seiner Reportage aus dem Jahr 2010 keine Antworten. Zu komplex sind die sozialen Probleme in Lettlands ländlichem Raum. Zu komplex sind die Ursachen. Stattdessen zeigt er Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben und stellt deren Alltag in erschreckend realistischer Weise dar.

Regie: Andris Gauja, Lettland, 2010, 58 Minuten