Nur für einen Kurzbesuch kam Gregor Gysi, der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, am 29. Oktober nach Greifswald. Hier eröffnete er mit einem Vortrag zum Thema “Demokratie und ihre Gefährdung” die diesjährige 24-Stundenvorlesung vom Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA). Der Gast von bundespolitischem Rang sorgte schon weit vor Beginn seines Vortrages für einen vollen Hörsaal und lange Menschenschlangen vor dem Audimax. Im Anschluss traf der webMoritz den Politiker für ein Interview.

 

webMoritz: Herr Gysi, die 24 Stunden-Vorlesung wurde heute 10 Jahre alt und der AStA hat sie als Stargast eingeladen. Wie empfanden Sie den Kontakt zwischen dem AStA Greifswald und ihrer Person, sowie die Organisation der Veranstaltung?

Gregor Gysi: Letztlich kann ich das nicht ausreichend beurteilen, denn dann müsste ich mir wesentlich mehr ansehen. Aber ich war erst mal begeistert davon, dass so viele Leute an einem Freitag in der Zeit von 18-20 Uhr diese Vorlesung hören wollten. Es gibt ein großes Interesse und die Ansicht, die immer verbreitet wird, dass auch Studentinnen und Studenten politisch uninteressiert seien, ist offenkundig falsch. Sie mögen nur eine gewisse Art von Politik nicht und das kann ich auch gut verstehen.

wM: Das Thema „Demokratie und ihre Gefährdung“ wurde dabei von Ihnen ausgewählt. Weshalb wählten Sie ein solches doch recht schwieriges Thema?

Der vollbesetzte Hörsaal während des Vortrages

Der vollbesetzte Hörsaal während des Vortrages

Gysi: Naja, wenn ich einmal im Jahr eine Vorlesung halte, dann soll es ja auch eine Vorlesung sein. Außerdem weiß ich da auch ein wenig darüber Bescheid, weil ich mich damit schon als Student beschäftigt habe. Des Weiteren ist dies auch im Moment eine zentrale Frage, wenn wir an die Finanzkrise denken. Was wird wieder aus unserer Demokratie? Wann entscheidet die Politik wieder, wo es lang geht, und wie lange entscheiden dies noch die Ackermänner? Daher dachte ich, dass es ein Thema sein könnte, welches die Studentinnen und Studenten interessiert. Ich hab es ja auch ein wenig historisch gemacht, um zu zeigen, welche Ideen in der Zeit entwickelt worden sind, was daran realistisch und was wann und warum unrealistisch war.

wM: Sie sprachen die Finanzkrise bereits an. Am Mittwoch bestätigte der Bundestag die Maximierung der Kreditvergabekapazität. Mit anderen Worten, der Rettungsschirm zur Bekämpfung der Finanzkrise im EU-Raum  wurde auf maximal eine 1 Billion Euro erhöht. Alle Fraktionen stimmten diesem Vorhaben weitestgehend zu, außer der der Linken. Weshalb?

Gysi: Weil wir den ganzen Weg falsch finden. Also ich muss das mal klar sagen: Man kann auf eine Finanzkrise nicht so reagieren, wie es die Regierenden in Europa tun. Man hätte zuerst dafür sorgen müssen, die Staaten unabhängig von Privatbanken zu machen, indem man eine öffentlich-rechtliche Bank schafft, die zinsgünstige Kredite an Länder wie Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und auch Italien vergibt.

Gregor Gysi auf dem Podium

Gregor Gysi auf dem Podium

Das Zweite ist, dass man die großen Banken hätte verkleinern müssen, man muss sie auch öffentlich-rechtlich gestalten – die Sparkassen sind nicht unser Problem, sondern die Deutsche Bank – dann wird mir immer gesagt, dass die Landesbanken auch schwierig seien, obwohl diese staatlich sind. Das stimmt. Aber die Landesbanken haben Jahrzehnte keine Schwierigkeiten gehabt. Erst als sich aber der neoliberale Zeitgeist durchsetzte und man denen gesagt hat, ihr müsst spekulieren und in die Deutsche Bank investieren, fingen daraufhin all die Katastrophen an. Also brauchen wir noch etwas, und zwar die Regulierung der Finanzmärkte. Die Banken sind zu mächtig– auch im Verhältnis zur Realwirtschaft. Wenn ich das Verhältnis Deutsche Bank und Daimler nehme, dann sag ich Ihnen, dass die Deutsche Bank entscheidet, was Daimler macht. Früher war die Deutsche Bank immer ein Dienender für Daimler. Das hat sich völlig verändert! Und deshalb muss man hier ganz andere Wege gehen.

Außerdem wurde noch nie ein Programm zur Hilfe der Griechinnen und Griechen beschlossen. Nach dem ersten Sparpaket wurde festgelegt, dass eine griechische Lehrerin, die neu anfängt, ein monatliches Gehalt von 1020 Euro brutto bekommt. Ab dem 1. Dezember bekommt sie nur noch 575 Euro monatlich. Davon kann doch keine Lehrerin leben. Wollen wir, dass die Leute dort verhungern?

Und dann haben sie ja gesagt: Löhne runter, Renten runter, Massenentlassungen, öffentliches Eigentum verscherbeln, und dass Investitionen zurückgefahren werden müssen. Doch wenn ich die Investitionen zurückfahre, kann keine Wirtschaft entstehen. Wenn keine Wirtschaft entsteht, kann man keine Steuereinnahmen erzielen. Wenn man keine Steuereinnahmen erzielt, kann ich auch keine Schulden tilgen. Dieses ganze Paket ist so was von unlogisch gedacht, dass ich dem überhaupt nicht mehr folgen kann.

Dann will ich zu Griechenland noch zwei Sachen anmerken. Sie geben 2,8 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Rüstung aus, wir hingegen nur 1,3 Prozent. Hätte ich eine Bedingung formulieren dürfen, dann wäre es die Halbierung der Rüstungsausgaben gewesen. Des Weiteren gibt es in Griechenland 2000 Familien, denen 80 Prozent des griechischen Vermögens gehören. Diese Familien werden in keinster Weise zur Verantwortung gezogen. Das Einzige, was in Griechenland eingeführt worden ist, ist eine Grundstückssteuer, aber keine auf Vermögen.

Alle Lasten werden den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern auferlegt.

Gregor Gysi beantwortet Fragen vom Redakteur Martin Hackbarth

Gregor Gysi beantwortet Fragen des Redakteurs Martin Hackbarth

wM: Aber ein Schuldenschnitt in Höhe von 50 Prozent für Griechenland lässt doch aufatmen oder nicht?

Gysi: Vor einem Jahr wäre dies viel besser gewesen. Die Banken machen aber keinen Verlust. Auf den Verkauf von griechischen Staatsanleihenbekommt man 40 Prozent des Wertes. Wenn man denn auf 50 Prozent verzichtet und 50 Prozent garantiert bekommt, dann macht das einen Gewinn von 10 Prozent. Die Banken einigten sich nur auf dieses Rettungspaket, weil sie wussten, dass sie keine Verluste erzielen werden. Bedenken Sie bitte auch, dass es noch den deutschen Rettungsschirm für Banken in Höhe von 480 Milliarden Euro gibt, von denen schon 48 Milliarden Euro ausgezahlt worden sind. Der Schuldenschnitt ist zwar in Ordnung, aber kein Verlustgeschäft für die Banken.

wM: Lassen Sie uns mal weg von der Finanzkrise und hin zur Partei Die.Linke kommen. Vor Kurzem fand der Parteitag der Linken statt, auf dem einige programmatische Veränderungen vorgenommen worden sind. Doch das, was am meisten in der Presse zu hören war ist,  „dass die Linke Heroin und Kokain legalisieren will“. Was steckt eigentlich hinter dieser Idee?

Gysi: Das ist natürlich alles Quark. Als Erstes möchte ich leichte Drogen tatsächlich legalisieren, weil ich den Unterschied zwischen Haschisch und Alkohol nicht erkennen kann. Natürlich darf ich das den Jugendlichen nicht geben. Alkohol wird nicht verboten, sondern man will den Umgang damit verändern. Und das brauchen wir auch bei leichten Drogen. Harte Drogen wollen wir natürlich nicht frei auf der Straße verkaufen, ich will doch nicht, dass Menschen abhängig werden. Denn wenn sie abhängig sind, sind sie auch nicht frei. Hier meinen wir mit Legalisierung etwas anderes. Wir wollen erstens die Konsumentinnen und Konsumenten entkriminalisieren bzw. vor allem die Abhängigen. Es ist doch eine reine Beschaffungskriminalität. Wenn sie einmal abhängig sind, dann brauchen sie das auch. Wenn sie kein Geld haben, um sich etwas auf dem sehr teuren, illegalen Markt zu beschaffen, dann müssen sie ständig Delikte begehen, um sich diese harten Drogen leisten zu können. Dies wollen wir verhindern, indem man den Weg der Verschreibungspflicht geht. Die Ärzte sollen es so lange verschreiben, bis eine Therapie gefunden worden ist, um den Abhängigen rauszuhelfen.

wM: Des Weiteren war Oskar Lafontaine wieder ein größeres Thema. Feiert er jetzt sein Comeback?

Gysi: Er war doch nie weg. Er ist aus dem Bundestag rausgegangen, doch in Saarland ist er Fraktionsvorsitzender. Jetzt spielt er wieder eine größere Rolle auf Bundesebene. Die Frage der Kandidatur zum Bundestag stellt sich aber erst, wenn 2013 die Wahlen anstehen.

Kommen Neuwahlen oder nicht?

Kommen Neuwahlen oder nicht?

wM: Aber Neuwahlen könnten ja schon schneller kommen.

Gysi: Die nächsten Wahlen kommen regulär im Herbst 2013. Wenn vorher Neuwahlen stattfinden, dann werden wir uns das noch mal überlegen und dann wird er sich auch entscheiden. Keiner kann uns aber sagen, wann Neuwahlen stattfinden, denn es kann auch keiner sagen, ob die Koalition bricht und wann sie bricht. Wenn FDP und CDU rational denken, dann würden sie ihre Koalition nicht brechen.

wM: Aber die Wagenknecht als Fraktionsvorsitzende wollen Sie nicht?

Gysi: Wissen Sie, ich, habe kein verstörtes Verhältnis zum Feminismus und das ist auch überhaupt nicht die Frage. Die Sache ist, dass meine Fraktion sehr gespaltener Meinung ist. Die einen wollten Sahra Wagenknecht, die anderen wollten eine Andere. Da finde ich die Lösung, dass beide erste Stellvertreterinnen werden einen guten Kompromiss, denn wir wollen auch einen unnötigen Konflikt vermeiden. Und darauf hat sich die Fraktion jetzt verständigt.

 

Aufgrund der Länge des Gespräches haben wir uns entschieden, dieses Interview in zwei Teilen zu veröffentlichen. Dieser folgt morgen. Dort wird es unter anderem Fragen zum politischen Werdegang Gysis und Auflösungen zu hartnäckigen Gerüchten geben.

 

[Update 03.11.11]Nun ist auch der zweite Teil von diesem Interview auf dem webMoritz erschienen. Weiterlesen könnt ihr über diesen Link.

 

Fotos: Raphael Scheibler, Simon Voigt