Zum neunten Mal lud der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) zur 24-Stunden-Vorlesung. Neben Brüsten und „Phraseologismen“ lockte auch die Zukunft der Universität zahlreiche Besucher ins Audimax-Gebäude.

Gefüllter Hörsaal kurz vor Beginn einer Veranstaltung

Freitagabend, Auftakt für die diesjährige 24-Stunden-Vorlesung: Zu Beginn sprach in diesem Jahr Rektor Rainer Westermann über Leistungen, Perspektiven und Probleme der Universität Greifswald. Nachdem diverse Daten über die Uni geliefert wurden, referierte Westermann über das Interessante – nämlich die Kürzungen und den zukünftige Fokus der Arbeitsbereiche und Lehrangebote. Es solle eine Konzentration auf Lebenswissenschaften (Anm. d. Red.: unter anderem Biowissenschaften, Medizin, Biochemie), Physik und die kulturelle, staatliche und wirtschaftliche Interaktion im Ostseeraum geben, berichtete Westermann.

Aufschlussreich waren auch die Angaben zur prozentualen Aufteilung der Studierenden nach ihrer Herkunft – denn 29 Prozent der Studierenden in Greifswald kommen aus den alten Bundesländern, das entspricht etwa dem Wert der TU Berlin, was die Attraktivität trotz Mängel widerspiegelt. Die Anzahl der Universitätsangestellten sei in den letzten Jahren – bei gleichzeitig steigenden Studentenzahlen – stark gesunken, so gäbe es heute 35 Prozent weniger Angestellte als 1991. Mehrfach betont wurde die „wirtschaftliche Schwäche der Uni“ und dass dieses Problem unter anderem durch das „breite Spektrum an Fächern“ und durch den „hohen Bedarf an Sanierungen und Neubauten“ ausgelöst werde.

Mehr zur Teilnahme animierte die von den moritz-Medien organisierte Podiumsdiskussion, die sich mit dem derzeitig hitzig diskutierten Thema Rechtsextremismus beschäftigte. Im Gegensatz zu den vorherigen Vorlesungen war der Saal zu dieser Debatte schon vor Beginn gefüllt, was das Interesse an diesem Thema widerspiegelt. Eingeladen waren SPD-Mitglied Mathias Brodkorb, Alexander Schmidt von der Liberalen Hochschulgruppe, Torsten Heil vom webMoritz sowie Gunnar Mächler, Leiter der Kriminalpolizeiinspektion Anklam.

Bei der Podiumsdiskussion der moritz-Medien nahmen (v.l.n.r) Alexander Schmidt, Gunnar Mächler, Torsten Heil und Mathias Brotkorb teil

Bei der Podiumsdiskussion der moritz-Medien nahmen (v.l.n.r) Alexander Schmidt, Gunnar Mächler, Torsten Heil und Mathias Brotkorb teil

Themen wie die rechtsextremen Graffiti an der Mensa (siehe Seite 10), die Brodkorb mit einem einfachen „Na und?“ kommentierte, die Schwierigkeit des Ausstiegs aus rechten Gruppierungen und ob ein Verbot der NPD sinnvoll sei bestimmten die Debatte. Auf den Einwurf aus dem Publikum, dass „sich die Aussagen so anhören, als sei alles gut“ bemerkte Mächler dass die Zahl rechtsextremer Straftaten zwar stagnieren, trotzdem nicht alles gut sei. Aufgrund des zu kurzen Zeitrahmens konnten jedoch nicht alle Nachfragen aus dem Publikum beantwortet werden.

Für Sprachinteressierte hielt Harry Walter vom Lehrstuhl für slawische Sprachwissenschaft die Vorlesung über „Phraseologismen“ am Samstagvormittag. Mit dem Titel „Kater am Morgen, Amtsschimmel am Mittag, Hechtsuppe am Abend“ war der Hörsaal trotz der frühen Zeit gut besucht. Walter referierte über die Entstehung von Redewendungen, sowie die Unterschiede zwischen verschiedenen Regionen. Interessanterweise kam er zum Schluss, dass viele Redewendungen eigentlich „Internationalismen“ sind. Das heißt, dass in den verschiedenen Sprachen ein gleiches Denkmodell vorherrschend ist, die Redewendungen jedoch mit nationalen Merkmalen besetzt sind. Zum Beispiel kennt in die Deutschland jeder die Redewendung „Kohldampf haben“, doch in Russland oder der Ukraine nicht. Um das Gefühl des Hungers auszudrücken, packt man in Russland „die Zähne in den Schrank“. Den sprichwörtlichen Kater hat man auch nicht wegen dem Katzenjammer nach einer durchzechten Nacht, sondern aufgrund der volksetymologischen Eindeutschung des sächsischen Wortes „katarhh“, das für „allgemeines Unwohlsein“ steht.

Soviel Andrang auf der Treppe des Audimax gibt es eher selten

Trotz der mehr als ungewohnten Zeit waren die Hörsäle bei den meisten Vorlesungen gut gefüllt, was sicher auch an den interessanten Themen lag. „Von Seiten der Studenten gab es – meiner Person gegenüber – kein negatives Feedback und wir sind zufrieden“, erzählte Sandro Mundt, AStA-Referent für Studium und Lehre. Dennoch gab es einige problematische Vorfälle, so mussten in den frühen Morgenstunden angetrunkene Besucher des Hauses verwiesen und die Polizei gerufen werden, weil sie der Aufforderung der Organisatoren nicht folgen wollten.

Nächstes Jahr feiert die 24-Stunden-Vorlesung ihr zehnjähriges Jubiläum. „Man könnte diese Veranstaltung ausbauen, wenn auch wichtige Referenten zusagen und nicht nur Absagen von den Ministerien kommen“, hieß es weiterhin von Sandro.

Am Ende der 24-Stunden-Vorlesung und nach einer schlaflosen Nacht mit anregenden Themen und Diskussionsrunden, freuten sich die müden Besucher und Veranstalter dennoch, wieder in ihren normalen Wochenendalltag zurückzukehren. Das Audimax leerte sich allmählich und das Warten auf das nächste Jahr und die nächste Nacht in der Uni begann.

Ein Bericht von Irene Dimitropoulus mit Fotos von Kilian Dorner (Treppe) und Irene Dimitropoulus (Rest)

Schlechte Karten für die Philosophische Fakultät?

Ein Kommentar von Laura-Ann Schröder

Zum Auftakt der diesjährigen 24-Stunden-Vorlesung referierte Rektor Westermann über „Leistungen, Probleme und Perspektiven der Universität.“ Was es hier zu hören gab, klang für die Zuhörer viel versprechend – jedoch nur für zukünftige Juristen, Mediziner oder Naturwissenschaftler. Die Philosophische Fakultät spielte in der Vorlesung so gut wie keine Rolle. Viele dargestellte Statistiken machten deutlich: Es wurde am meisten bei geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern gestrichen und so wird es auch weiterhin sein. Klar gesagt wurde dies von unserem Rektor zwar nicht, deutlich aber durch die vorgetragenen Perspektiven veranschaulicht! Die Konzentration liegt klar bei der Medizin und den Naturwissenschaften, zumindest war dies aus dem Bildmaterial des Vortrags deutlich ablesbar.

Allgemein glich die Vorlesung einer Konkurrenzdebatte. Wurde den Zuhörern doch oft und bildhaft erklärt wie konkurrenzfähig wir zu anderen Universitäten seien, wir bei den Bewerbungen für Medizin gleich hinter Berlin kommen und die Zahl der aus anderen Bundesländern stammenden Studenten stetig stiege.

Alles schön und gut, aber was wird aus den geisteswissenschaftlichen Fächern? Germanistik, ein stark überlastetes Fach, erzielte beispielsweise beim Hochschulranking des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) eine Spitzenposition, fand beim Vortrag jedoch nicht einmal Erwähnung. Mehr Reaktionen von den Anwesenden wären wünschenswert gewesen, dass diese nicht kamen, dürfte Rektor Westermann jedoch sehr recht gewesen sein. Wissen lockt – es muss nur lukrativ genug sein.