Am 7. Juni wählt Greifswald eine neue Bürgerschaft. Der webMoritz interviewt Vertreter aller Parteien und Wählergemeinschaften. Heute: Professor Dr. Wolfgang Joecks von der SPD.

webMoritz: Etwa 30% der Greifswalder sind Studenten oder Hochschul-Mitarbeiter. Welche Möglichkeiten, glauben Sie, hat die Bürgerschaft, etwas für diese Gruppe zu tun?

Prof. Wolfgang Joecks: Es ist eine allgemeine Frage, wie man mit Studierenden umgeht. Das betrifft übrigens nicht nur die Studierenden, sondern auch alle anderen Jüngeren – Schüler wie Studierende. Ich denke, dass man, außer dem Klima, besondere Dinge in der Stadt nicht so einfach schaffen kann.

webMoritz: Was heißt „Klima in der Stadt”?

prof_joecks-300x200-spd_kreisverbandProf. Wolfgang Joecks: Das heißt, ein offenes Klima zu schaffen, in dem sich Menschen wohlfühlen. Mir fällt das immer auf, wenn die Semester wieder anfangen: Wie lebendig und jung diese Stadt ist. Das machen die Menschen aber selbst – das kann man auch als Bürgerschaft nicht auf den Weg bringen. Man kann mitgestalten, zum Beispiel Plätze wie den Rubenowplatz oder ähnliches, aber ansonsten ergibt sich das von selbst.

Auch im kulturellen Bereich ergibt sich das Angebot eher von selbst. Die Angebotsvielfalt, die es hier gibt, kann man als Stadt nicht auf den Weg bringen.  Aufgabe der Stadt ist es vor allem, unkompliziert zu sein – zum Beispiel wenn es um Sicherheitsausgänge für irgendwelche Studentenclubs oder ähnliches geht. Aber das sind primär Verwaltungsprobleme, die Bürgerschaft kann eben nur ein Klima schaffen, bei dem man versucht, mit wenig Bürokratie möglichst viel Output zu schaffen. Ich überschätze die Rolle der Bürgerschaft nicht.

webMoritz: Greifswald hat zu wenig Wohnraum zu studentischen Preisen. Was kann die Stadt tun?

Prof. Wolfgang Joecks: Die Bürgerschaft kann zum Beispiel an die WVG appellieren, etwas für die Studierenden zu tun, also bezahlbare Angebote zu schaffen. Die Stadt kann da als Gesellschafterin natürlich etwas bewegen. Aber wie gesagt: Überschätzen Sie nicht die Rolle der Bürgerschaft. Da kann man regelmäßig eher Grundsatzbeschlüsse fassen.

webMoritz: Aber sind es nicht Bürgerschaftsmitglieder, die in der Gesellschafterversammlung der WVG sitzen?

Prof. Wolfgang Joecks: Ja, und die können auch etwas tun, aber das ist nicht die Bürgerschaft als Bürgerschaft, sondern das sind irgendwelche Aufsichtsratsmitglieder.

Es ist auch hier eine Frage des Klimas: Wenn ein Investor kommt und will ein Wohnheim bauen, dann kann man ihm verwaltungsmäßig wunderbar Fallstricke bauen oder man kann ihm helfen und möglichst unkompliziert verfahren. Letzteres sollte der Fall sein  – und ist in Greifswald wohl auch schon der Fall in weiten Teilen.

webMoritz: Apropos Wohnen: Wie stehen Sie und Ihre Partei zu einer möglichen Neuauflage des WVG-Verkaufs?

Prof. Wolfgang Joecks: Das ist kein Thema. Den wird es nicht geben. Die Fraktion war schon damals bei der Entscheidung gespalten, aber inzwischen ist das ganz klar, dass es keine Neuauflage geben wird.

Schwimmbad: “Subventionsbetrieb ohne Ende”

webMoritz: Die Schwimmbadpreise sind für Studenten unbezahlbar. Wollen Sie das ändern?

Prof. Wolfgang Joecks: Die sind in der Tat unbezahlbar. So ein Angebot muss auch angenommen werden und bei den Preisen wird das ausgesprochen schwierig.  Auf der anderen Seite ist bekannt, dass solche Schwimmbäder ein Subventionsbetrieb ohne Ende sind. Natürlich könnte man den Stadtwerken sagen: „Macht Sonderkonditionen zu bestimmten Zeiten!” Aber der Rest ist dann Betriebswirtschaft. Ich persönlich meine, dass man mit dem halben Preis mehr als doppelt so viele Besucher anlocken könnte und dass es dem Schwimmbad gut anstände, wenn es voll wäre.

webMoritz: Was halten Sie von der Kündigung des Gesellschaftervertrags der Theater Vorpommern GmbH?

spd_greifswald-214x197-spd_kreisverbandProf. Wolfgang Joecks: Es war angesichts der Situation und der klaren Empfehlung des Aufsichtsrats und der Art und Weise des Vorgehens von Stralsund und Rügen naheliegend, den Vertrag zu kündigen. Der Aufsichtsrat hat an die Gesellschafter nochmals dringend appelliert, sich zusammenzusetzen und das geschieht jetzt auch. Ich bin sehr sicher, dass es weiter ein Theater in Vorpommern geben wird – mit den drei Beteiligten Putbus, Stralsund und Greifswald.

webMoritz: In der OZ gab es Spekulationen, dass es der Stadt auch darum geht, in Zukunft weniger fürs Theater zu zahlen. Glauben Sie, dass das stimmt?

Prof. Wolfgang Joecks: Nein, das stimmt nicht.

webMoritz: Gibt es bereits Planungen, wie man damit umgeht, wenn das Land wirklich die Zuschüsse zusammenstreicht?

Prof. Wolfgang Joecks: Das ist ein absolutes Worst-Case-Szenario. Es gibt natürlich in den beteiligten Gremien Zahlen, was passieren müsste oder könnte, wenn das Land die Förderung runterfährt. Theaterkarten werden derzeit zu einem sehr hohen Anteil subventioniert und wenn man da plötzlich drei Millionen verliert, dann hat man ein Problem.

Ich finde es wichtig, dass eine Universitätsstadt wie Greifswald ein eigenes Theater hat – ein sehr gutes übrigens. Aber auch in diesem Bereich muss man immer sehen, wie man mit minimalem Aufwand eine maximale Leistung bringt, Theater ist eben eine teure Sache.

Radwege: “Es muss was passieren.”

webMoritz: Greifswald hat relativ die meisten fahrradfahrenden Studenten in Deutschland. Das Radwegenetz ist aber seit Jahren ungenügend. Wann wird sich das verbessern?

Prof. Wolfgang Joecks: Das ist für mich ein ganz wesentlicher Punkt. Ich habe jedes Mal wieder Angst, wenn ich sehe, wie manche Radfahrer die Europakreuzung überqueren oder die Einmündung in der Brinkstraße. Hinzu kommt bald noch die Loefflerstraße, wo wir dann noch mehr Institute haben werden. Wir müssen bei so vielen Fahrrädern wie es sie hier gibt, Zonen schaffen, wo sie sich sicher bewegen können, ohne andere zu gefährden – das ist ja die andere Seite der Medaille. Manche Radfahrer sind natürlich Chaoten, das kommt erschwerend hinzu. Da muss in der Tat etwas passieren und das wird auch geschehen, da bin ich sicher.

webMoritz: Warum hat sich dann bei den Radwegen in letzter Zeit so wenig getan?

Prof. Wolfgang Joecks: Das Geld ist endlich. Und wer keine Lobby hat, die Druck macht, bei dem passiert eben nichts.

webMoritz: Können Sie uns erklären, warum in Greifwald niemand das öffentliche Verkehrsnetz benutzt? Uns Studenten fehlen vor allem der Nachtverkehr und ein günstiges Semesterticket.

Prof. Wolfgang Joecks: Also ich benutze den Bus gelegentlich – aber ich wohne im Ostseeviertel Ryckseite, das auch relativ gut bedient wird. Für mich sind Veränderungen auch in diesem Bereich – und gerade im Hinblick auf einen Nachtverkehr – eine Frage der Betriebswirtschaft. Wenn sich der Nachtverkehr rechnet, werden die Stadtwerke das auch anbieten.

Was das Semesterticket angeht, müsste sich da etwas machen lassen, wenn AStA und Bürgerschaft sich zusammentun. Ich stehe dem jedenfalls offen gegenüber.

webMoritz: Greifswald ist derzeit vor allem Ziel für Tagestouristen – länger bleibt kaum jemand. Wie kann man das Angebot attraktiver gestalten?

Prof. Wolfgang Joecks: Die Stadt selbst kann sich erst mal nur bemühen, attraktiv zu sein. Wir liegen in einer Gegend, in der eben auch viele andere sehr attraktive Ziele sind. Wenn man jetzt noch Programme auf den Weg bringt, dass mehr Leute hier abends gebunden sind, um zu übernachten, wäre das sicherlich gut, aber ich bin schon heilfroh, dass Greifswald von Tagestouristen gut nachgefragt wird. Ansonsten hat Greifswald in dieser Region den Vorteil, nicht nur abhängig vom Tourismus zu sein.

Lubmin: “Kraftwerk gehört da nicht hin.”

webMoritz: Kurz und bündig: Was halten Sie und ihre Partei vom Kraftwerkneubau in Lubmin?

biographie_joecksProf. Wolfgang Joecks: Da spreche ich vor allem für mich persönlich als Bürgerschaftskandidat. Ich bin der Meinung, dass dieses Kraftwerk da nicht hingehört. In der SPD selbst war ich in dieser Angelegenheit nicht aktiv, aber ich war aktiv in Lubmin, wo ich früher gewohnt habe. Ich habe vor allem ein Störgefühl, was den Bodden betrifft. Der ist ja jetzt schon ziemlich warm und wir haben sowieso die Klimaerwärmung und wenn dann die Wärme vom Kraftwerk noch mit da reinkommt – dann kann man da Piranhas züchten. Und so lange dieses Problem der Wärme nicht gelöst ist, d.h. wenn es keine Unternehmen gibt, die die Wärme nutzen können, geht das nicht.

Der SPD-Ortsverein Greifswald will im Übrigen auch kein Kernkraftwerk.

webMoritz: Bei den letzten Wahlen gingen gerade mal 38% der Greifswalder an die Urnen. Liegt das an den Kandidaten oder den Parteien?

Prof. Wolfgang Joecks: Oder an den Wählern? Oder an allen gleichzeitig? Ich weiß es nicht. Es gibt ja auch alle möglichen Studien über Politikverdrossenheit und ähnliches – aber ich kann das auch nur begrenzt nachvollziehen. Klar, wenn man immer nur über Hickhack berichtet bekommt und nicht über das, was bewegt wird, dann sagt man auch: Warum soll ich da überhaupt hingehen? Entscheidend ist – und das betrifft alle Parteien -, dass man gute Arbeit vorlegt und zeigt: Ich bin ehrenamtlich in der Bürgerschaft tätig und bemühe mich um das Gemeinwesen der Stadt. Dafür trete auch ich an.

webMoritz: Nur 50% der Studenten haben hier ihren Erstwohnsitz. Die Stadt verliert dadurch riesige Summen. Wieso wird nicht energischer für den Erstwohnsitz geworben?

Prof. Wolfgang Joecks: Das war vor fünf Jahren noch viel schlimmer. Zum Teil war es einfach Bequemlichkeit, sich nicht umzumelden. So etwas geht nur über Anreizsysteme. Man könnte das beispielsweise verbessern, indem man Studenten mit Erstwohnsitz ein Semesterticket gewährt. So etwas bekäme die Stadt dann mittelbar über den Finanzausgleich wieder herein.

webMoritz: Greifswald hat hohe Schulden. Wie soll nun – nachdem der Verkauf der WVG gescheitert ist – das Geld wieder reinkommen und der Haushalt ausgeglichen werden?

Prof. Wolfgang Joecks: Auf der Einnahmen-Seite kann man versuchen, Investoren und Neubürger hereinzuholen. Und auf der Ausgabenseite muss man knallhart gucken, was geht und was nicht geht. Das Problem ist ja, dass die Schulden die eine Sache sind, die freiwilligen Aufgaben und Ausgaben die andere.

Je mehr Schulden ich mache, desto weniger Spielräume habe ich später für freiwillige Aufgaben. Darum müssen wir noch einmal alle Dinge – etwa die Personalstruktur – durchgehen. Wir haben natürlich das Glück, dass die Zinsen sinken, aber wir müssen eben gucken, dass wir mehr reinkriegen – das geht nur über Ansiedlung und Investoren – und wie man auf der Ausgabenseite versucht, mit einem Minimum an Ausgaben ein Maximum an Output zu erreichen. Das ist aber ein allgemeines Problem der gesamten Republik. Wir müssen zusehen, dass wir nicht Schulden für nachfolgende Generationen hinterlassen.

Jusos vs. SPD? “Jugend muss ungestüm sein.”

webMoritz: Manchmal nimmt man die Jusos und die SPD mehr getrennt als gemeinsam wahr. Böse Zungen sagen sogar, die Jusos trieben die SPD vor sich her. Stimmt das?

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Juso Wahlkampf vor der Mensa - Zum Wahlprogramm der SPD auf das Bild klicken. (Externer Link)

Prof. Wolfgang Joecks: Nein. „Wer mit 20 kein Sozialist ist, hat kein Herz und wer mit 40 noch Sozialist ist, hat keinen Verstand”, ist ein berühmtes Zitat. Es ist Sache der Jugend, ungestüm zu sein, und gerade in dieser Republik haben die Studenten unheimlich viel vorangebracht. Ich bin selbst ungefähr in der Altersklasse der 68er. Die Jusos haben auch hier in Greifswald das Recht, eben auch mal ein bisschen pointierter zu formulieren und in der Tat ist es manchmal so, dass sie Denkanstöße geben. Wenn das nun ein Vor-sich-Hertreiben ist, dann in Gottes Namen – Ja! Aber eigentlich geht es darum, dass man einen Diskurs veranstaltet. Also ich fühle mich nicht getrieben.

webMoritz: Wie sehen Ihre Planungen für den weiteren Wahlkampf aus? Bisher hat man noch nicht viel mitbekommen.

Prof. Wolfgang Joecks: Es wird eine ganze Reihe von Informationsständen geben. Wir suchen das Gespräch mit den Wählern und zwar vor Ort und daran sind alle Kandidaten beteiligt. Natürlich wird auch noch plakatiert. Im Gegensatz zu anderen wollen wir keine personenbezogene Wahl auf den Plakaten machen – die Kandidaten stehen einzeln auf unseren Flyern. Allerdings werden wir auch als Team plakatiert.

webMoritz: Die SPD war bisher Kooperationspartnerin der CDU. Ihr ist vorgeworfen worden, wenig eigene Positionen zu haben. Jetzt im Wahlkampf geht es wieder um Abgrenzung, etwa in puncto WVG oder beim Steinkohlekraftwerk. Wird nach der Wahl eine ähnliche Kooperation wie vorher möglich sein?

Prof. Wolfgang Joecks: Ich denke, dass eine Zusammenarbeit in einem kleinen Gremium wie der Bürgerschaft vor allem von den Menschen abhängt, die in der Bürgerschaft sitzen. Und wenn man sieht, wer jetzt antritt für die SPD, sind das viele neue Köpfe, die sich noch nirgendwo verbraucht haben in irgendwelchen Streitigkeiten im Rahmen der Zusammenarbeit und man muss einfach das Wahlergebnis abwarten um zu schauen, was es dann für Zusammenarbeiten gibt.

webMoritz: Sie waren bis Ende März Prorektor und haben dann nicht erneut kandidiert, weil sie mehr Zeit für Forschung und Lehre haben wollte. Jetzt treten Sie in die Kommunalpolitik ein. Tauschen Sie nicht vielmehr das Prorektorenamt gegen ein Bürgerschaftsmandat?

Prof. Wolfgang Joecks: Ich habe mich im Oktober 2008 entschieden, nicht mehr anzutreten. Da war die Situation so, dass ich frisch im Landesverfassungsgericht war und drei Neuauflagen bearbeiten musste. 2010 habe ich den Beginn der Zweitauflage eines Achtbänders und diese Perspektive, wieder neben dem normalen Prorektorenjob so etwas zu stemmen, hat mir Angst gemacht. Ich denke außerdem, dass die Belastung im Prorektorat ungleich höher ist, als in der Bürgerschaft.

Bilder: SPD Ortsverein Greifswald

außer Foto “Wahlkampfstand Jusos” mit freundlicher Genehmigung der Jusos Greifswald-Ostvorpommern (Alle Rechte vorbehalten)