Die Uni ist morsch: FB Geschichte muss wegen Deckenschäden schließen

Das Historische Institut auf dem alten Campus

Es wird wohl etwas dramatischer dargestellt als es ist: „Die Fachbibliothek Geschichte bleibt bis auf weiteres wegen eines Deckeneinsturzes im Eingangsbereich geschlossen“, heißt es auf der Homepage der Uni-Bibliothek.

Ganz so schlimm ist es aber offenbar doch nicht: Wie Uni-Pressesprecher Jan Meßerschmidt dem webMoritz auf Nachfrage mitteilte, habe sich in einem Raum der Bibliothek ein größerer Abbruch von Putz aus der Decke ereignet. Die Bibliothek sei daraufhin vorsichtshalber gesperrt worden.

Vorerst keine Gefährdung der übrigen Mitarbeiter vermutet

Eine Schadensbegutachtung werde in den nächsten Tagen erfolgen, sagte Meßerschmidt. (mehr …)

Kontroverse um Latinum am Historischen Institut

An Latein verzweifeln viele Studenten

An Latein verzweifeln viele Studenten

In Mecklenburg-Vorpommern besteht auf Grund des Landeshochschulgesetzes eine La­ti­nums­pflicht für Geschichtslehrer, ganz gleich, ob sie an Gymnasien oder Haupt- und Realschulen un­terrichten.

Wer also Geschichte auf Lehramt studiert, benötigt das Latinum für sein erstes Staatsexamen und muss das, solange es nicht bereits zu Schulzeiten abgelegt wurde, an der ­U­ni nachholen. In Greifs­wald werden dazu zwei verschiedene Kurse angeboten. Beim ersten wer­den die Lateinkenntnisse über vier Semester mit je vier SWS vermittelt. Der Intensivkurs hin­gegen dauert nur zwei Semester. Seine Arbeitsbelastung ist aber auch mit acht SWS ent­sprechend hoch.

Viele Studenten zögern die Lateinkurse bis zum letzten- scheinfreien- Se­mes­ter hinaus. Nur wenige schaffen ihr Studium dann in der Regelstudienzeit. Dazu hängt über vie­len noch wie ein Damoklesschwert die gravierende Regelung, dass, wer dreimal durch die La­ti­numsprüfung rattert, für immer für das Lehramt Geschichte in Deutschland gesperrt ist.

FSR fordert Abschaffung der Latinumspflicht

Dem Fachschaftsrat Geschichte ist diese Problematik wohl bekannt. Immer wieder wenden sich verzweifelte Studenten an den ihn, um Hilfe in dieser Situation zu finden. Immer wieder wird über den enorm hohen Arbeitsaufwand geklagt. Viele Betroffene fordern die Ab­schaf­fung der Latinumspflicht, da sie sie für unsinnig halten.

Besonders wird jedoch der fehlende Praxisbezug kritisiert: Im Schulunterricht werden kaum Quellen analysiert. Schon gar nicht sei damit zu rechnen, dass jeder Schüler Latein könne. An vielen Schulen besteht noch nicht einmal die Möglichkeit, Latein als zweite Fremdsprache zu wählen.

Wolfram Löbsack, FSR-Vorsitzender

Wolfram Löbsack, Vorsitzender des FSR Geschichte, merkt an, dass das Latinum auch in keiner Weise für das Studium erforderlich ist. „In den Seminaren wird lediglich mit über­setz­ten Quellen gearbeitet, jedoch nie mit Originaltexten. Es ist durchaus möglich, das Studium ohne Lateinkenntnisse quasi zum Abschluss zu bringen.“

Zudem steht der Arbeitsaufwand in keinem Verhältnis zum Nutzen. „Es entfallen nicht nur mehr SWS auf Latein als auf Lehrveranstaltungen für Didaktik und Pädagogik.“ so Löbsack. „Was die Studenten für die La­tein­kurse zu Hause vorbereiten müssen, ist enorm: Formen lernen, Grammatik pauken, ganze Tex­te übersetzen.“

Insgesamt sei der Schwierigkeitsgrad der Kurse, aber auch der Prüfung zu hoch. Dies äußere sich in einer hohen Durchfallquote. Deren genauer Wert wird zwar nicht veröffentlicht, beim FSR sieht man in dieser Praxis aber den Beweis für eine hohe Quote.

Dr. Lars Deile vom Arbeitsbereich Fachdidaktik der Geschichte bringt die Meinung vieler Studenten auf den Punkt: „Das Latinum ist sinnvoll, aber in den Anforderungen nicht zu recht­fertigen. Wenn das Kultusministerium die Studienzeiten schon verkürzen will, dann sollte man beim Latinum anfangen.“

Beim Fachschaftsrat sieht man das ähnlich. Wolfram Löbsack und seine Mitstreiter setzen sich für die Abschaffung der Latinumspflicht in Meck­lenburg- Vorpommern ein. „Im Interesse der Studenten und Schüler sollten die Lehr­amts­stu­den­ten lieber auf ihre künftige Rolle als Lehrer umfassender vorbereitet werden, statt so viel Energie in Latinum zu investieren, das lediglich als Prestigequalifikation gilt.“, so Wolfram Löbsack.

Als Alternativen schlägt er mehr Didaktikstunden oder schulpraktische Übungen vor, hält aber auch das Ausweichen auf Sitzscheine oder Übungen in Alter Geschichte für sinnvoll. „Man könnte auch statt Latein eine moderne Fremdsprache erlernen, was angesichts des Migrations- und Integrationsaspekts von Schule sicher vernünftig erscheint.“, so Löbsack weiter. Um für Beistand zu werben, schrieb der Fachschaftsrat Briefe an die Bil­dungs­be­auf­trag­ten der demokratischen Parteien im Landtag. Bisher erfuhr man jedoch nur wenig Unter­stüt­zung.

Bis es zu einer Verbesserung der Situation kommt, rät der Fachschaftsrat, wenn möglich, die benötigten Lateinkenntnisse nicht an der Universität Greifswald zu erwerben. Stattdessen empfiehlt der FSR auf Lateincrashkurse auszuweichen, wie sie etwa die Hamburger Aka­de­mie Bonae Artes anbietet. So könne man viel Zeit sparen, die sonst für die Lateinkurse an der Uni geopfert werden müsste.

Billig sind solche Intensivkurse jedoch nicht. Bonae Artes etwa verlangt für einen fünf- bis sechswöchigen Kurs 525 Euro. Eine Unterkunft ist nicht inbegrif­fen, auch muss die eigentliche Latinumsprüfung noch an einer Schulbehörde oder be­rech­tig­ten Universität abgelegt werden.

Latinumsbefürworter stellen ihre Sicht dar

Der Lateindozent Jens Metz äußert Verständnis für die Studierenden. Er sei sich bewusst, dass die Latinumskurse eine große Belastung darstellen. Dennoch teile er nicht die Argumentation der Studierenden. „Die meisten dieser Argumente sind einer inneren Abneigung der Studenten gegen die lateinische Sprache entsprungen. Diese erkläre ich mir durch den Lernaufwand und die Prüfungsangst.“, so Metz.

„Die Durchfallquote veröffentliche ich aus zwei Gründen nicht. Erstens, um die Diskussion nicht weiter anzuheizen. Zweitens bin ich mir bewusst, dass in­folge der Tatsache, dass viele Studenten das Latinum bis kurz vor dem Staatsexamen auf­schie­­ben, die Latinumsprüfung zu einer Art ‚Zulassungsklausur‘ für das Staatsexamen hoch­sti­­lisiert wird, und drittens werden bzw. wurden in Greifswald von Prüfungen dieser Relevanz nie Durchfallquoten he­raus­ge­ge­ben.“

Die meisten Dozenten am Historischen Institut stehen hinter dem Latinum

Für das Nichtbestehen einiger Studenten macht er ein fehlendes Grundverständnis von gram­matischen Strukturen und die Abwesenheit der Studenten von den Kursen verantwortlich. Wer alleine versuche, die komplexen Strukturen der lateinischen Sprache zu begreifen, mache es sich noch einmal enorm schwer.

Den Latinumstourismus, die Latinumsprüfung etwa an einer Schule oder in einem anderen Bundesland abzulegen, hält er für problematisch. An der Uni­ver­sität Greifswald kenne man die Prüfer und wisse auch als Student, welche Lektüre einen er­wartet. Lege man das Latinum etwa an einer Schule ab, könne man mit Dichtung oder an­de­ren, schwierigeren Texten konfrontiert werden, die an der Uni nicht behandelt und deshalb auch nicht abgeprüft werden würden, so Metz.

Von Seiten der Studierenden wird aber vor allem damit argumentiert, die Lateinkenntnisse hät­ten weder im Studium selbst, noch im späteren Beruf einen Praxisbezug und kämen kaum zur Anwendung. Bestreiten will dies von Seiten der Latinumsbefürworter niemand.

Dr. Ber­nard van Wickevoort Crommelin vom Lehrbereich Alte Geschichte weist jedoch darauf hin, dass gerade ein Praxisbezug im Studium zwar wünschenswert, aber nicht machbar sei: „Da Bachelor-Studenten keine Lateinkenntnisse benötigen, kann in Seminaren nicht mit la­tei­ni­schen Originalquellen gearbeitet werden. Ansonsten müssten für Bachelor- und Lehr­amts­stu­denten zwei unterschiedliche Seminare angeboten werden. Das ist natürlich nicht möglich“, so van Wickevoort Crommelin.

Eine Abschaffung des Latinums halten sowohl Metz als auch van Wickevoort Crommelin für problematisch: „Die meisten Bundesländer verlangen das Latinum von ihren Lehrern. Ich kann es nicht verantworten, wenn ein Student aus Greifswald seinen Studienort nicht wech­seln könnte oder später keine Arbeit in einem anderen Bundesland aufnehmen darf, nur weil M-V das Latinum nicht von seinen Lehramtsstudenten verlangen sollte“, so van Wickevoort Crommelin. Metz gibt weiterhin zu bedenken, dass nicht jeder, der auf Lehramt studiert, auch Lehrer wird. „Ich selbst bin das beste Beispiel.“, so Metz. „Ohne Latinum wäre den Studenten dann aber auch der Weg in die Forschung versperrt.“

Dem Argument, Latein sei spätestens seit dem Mittelalter ein tote Sprache, widerspricht Metz. Latein sei mehr als 2000 Jahre die Weltsprache gewesen und bis ins 19. Jahrhundert die Wis­sen­schaftssprache – wie heute Englisch. „Wer also den Wert der historischen Weltsprache Latein untergräbt, untergräbt per se auch den Wert der aktuellen Weltsprache Englisch“, fügt Metz an.

Van Wickevoort Crommelin wirft einen weiteren Aspekt auf: Die Sicht des Wissenschaftlers. „Ich denke, die ganze Problematik wird viel zu formal gesehen. Die Diskussion darf in keinem Fall nur unter Gesichtspunkten der Verwertbarkeit des Latinums geführt werden, etwa im Unterricht. Es geht primär um die inhaltliche Dimension.“, gibt van Wickevoort Crommelin zu bedenken.

Insofern soll mit dem Lateinischen vor allem die Fähigkeit zur Interpretation und Deutung von Sprache vermittelt werden. „Es geht also um die dahinter stehende Deutung von Welt, im Sinne von Weltsicht, und um das Verstehen von Denkweisen.“

Kommission berät Lösungsvorschläge

Aber auch auf Seiten der Latinumsbefürworter will man die Probleme der Studenten nicht klein­reden. Es gibt verschiedene Vorschläge, die zurzeit unbefriedigende Praxis zu ändern. Jens Metz etwa schlägt die Einführung eines Propä­deu­tikums, also Vorstudiums vor, in dem die terminologisch-metasprachlichen Grundlagen für das Studium geschaffen werden sollen – auch das Latinum.

Weiterhin berät man, eine be­stimmte Semestergrenze einzuführen, bis zu der das Latinum spätestens abgelegt werden muss. Damit soll verhindert werden, dass Studenten ihr Staatsexamen praktisch in der Tasche haben, jedoch am Latinum auf den letzten Metern scheitern.

Im Laufe dieses Semesters noch will eine Kommission von Lehrenden über das weitere Vor­ge­hen beraten. Ihr werden neben Jens Metz auch Prof. Dr. Stamm- Kuhlmann, derzeit Direktor des In­sti­tuts, und Professor Dr. Spieß, Lehr­stuhlinhaber für Allgemeine Geschichte des Mittelalters, angehören.

Bildquellen:

Startseite: flickr (veröffentlicht unter der Creative Commons Lizenz, aufgenommen von -Marlith-)
Wolfram Löbsack: Homepage des FSR Geschichte, keine CC-Lizenz
Historisches Institut: Homepage des Historischen Instituts, keine CC-Lizenz

„Greifswald 1989“ – Studenten interviewten Zeitzeugen

Viele Veranstaltung hat es in den letzten Monaten anlässlich 20 Jahren friedlicher Revolution in Greifswald gegeben, einige stehen noch bevor. Seitens der Uni gab es bisher jedoch kaum eine Würdigung der Ereignisse. Am Historischen Institut haben die Dozenten PD Dr. Frank Möller und Dirk Mellies vom Lehrstuhl für neueste Geschichte zusammen mit knapp 20 Studenten in den letzten Monaten eine Publikation mit Zeitzeugen der Wendejahre erarbeitet.

Der frisch erschienene Band „Greifswald 1989“ stellt die Erinnerungen von 21 Zeitzeugen an die Wendeereignisse und die Folgezeit zusammen. Den Befragten ist gemein, dass sie zur Wendezeit in Greifswald lebten oder mit Greifswald in Verbindung standen und eine gewisse – zumindest lokale – Prominenz genießen. Unter ihnen sind zum Beispiel der SPD-Politiker Hinrich Kuessner, zu Wendezeiten Vorsteher der Odebrecht-Stiftung, Dietmar Enderlein, Gründer und Chef des Medigreif-Konzerns und damals Komandeur der Militärmedizinischen Sektion der Uni, Reinhard Arenskrieger, heute Bausenator der Stadt und 1990 von der Partnerstadt Osnabrück als „Aufbauhelfer“ entsandt, oder Reinhard Amler, damals wie heute Leiter der Lokalredaktion der Ostsee-Zeitung.

„Nicht die Vergangenheit, sondern das Gedächtnis der Vergangenheit erfasst.“

greifswald1989tectum-227

Buchcover

Die Zeitzeugen wurden im Sommer von jeweils ein bis zwei Studenten interviewt, die aus den Interviews anschließend einen Fließtext von etwa zehn Buchseiten Länge entwarfen. Die Herausgeber Möller und Mellies redigierten die Texte seit Anfang des Semesters und schrieben das ausführliche und informative Vorwort, das das Vorgehen der Arbeitsgruppe genau beschreibt. Zudem betonen sie dort, dass es das Werk mit den Interviews nicht einfach „Quellen der Vergangenheit zu erzeugen“ könne. Vielmehr „standen für uns auch nicht die Rekonstruktion der Wende in Greifswald, sondern die persönlichen Erfahrungen, Erinnerungen und Bewertungen im Mittelunkt […]. Nicht die Vergangenheit sondern das Gedächtnis der Vergangenheit wird hier erfasst.“

Mit der Arbeit der Studenten sind die Dozenten insgesamt sehr zufrieden. Frank Möller: „Wir müssen ihnen ein großes Kompliment machen. Die Projektarbeit hat sehr gut funktioniert.“ Alle seien jedoch überrascht gewesen, wie viele Stunden Arbeit für die Transkription eines aufgezeichneten Interviews nötig gewesen seien. Auch seien einige wenige Interviewte vor der Veröffentlichung wieder abgesprungen. Insgesamt sei es aber nicht so gewesen, dass die Zeitzeugen nachträglich viel gestrichen oder korrigiert hätten.

„Werde die Dinge, so wie ich sie gerne hätte, darstellen.“

Dass die Erinnerungen mitunter ganz schön subjektiv sind, versteht sich angesichts dieses Ansatzes von selbst. Manche Interviewte legen Wert darauf, diese Subjektivität  vor ihren Ausführungen noch einmal zu betonen. So etwa Dietmar Enderlein, der nach seinem kometenhaften (Wieder-)aufstieg nach der Wende immer wieder viel Kritik ertragen musste (siehe z.B. hier),  schreibt:

enderlein-sandro-teuber-250

Prof. Dietmar Enderlein (Archivbild)

„Wenn du irgendwas hinter dich gebracht hast, denkst du in fünf Jahren nur noch an das Gute und dann reproduzierst du das aus der Wunschvorstellung. Dann kannst du dich äußern und plötzlich kommt etwas ganz anderes raus, als das was irgendwo mal in der Realität gewesen ist. Auch ich werde die Dinge, so wie ich sie gerne hätte und wie sie aus meiner Sicht zu sehen sind, darstellen.“

Enderlein, der sich selbst für ein „begehrtes Ausfrageobjekt“ hält und freimütig bekennt, dass er „von Angst und Gier“ getrieben wird, erzählt ausführlich über die Zeit vor und während der Wende und seinen Umgang als Soldat mit den Ereignissen. Die Aufzeichnungen liefern einen spannenden Einblick in die Gedankenwelt des Ex-Komandeurs und heutigen Unternehmers.

Enderlein, stets ein Freund klarer Worte, geizt nicht mit individuellen Herangehensweisen an zentrale Fragen. Etwa diese hier: „Wie haben Sie die Staatssicherheit erlebt? – Da stell ich euch mal ’ne Frage. Warum konzentrieren sich alle auf die Staatssicherheit? Weil die zum Buhmann der Nation erklärt wurde. Warum konzentriert ihr euch nicht auf den Bundesnachrichtendienst und warum nicht auf die CIA? […] Wie ich die Staatssicherheit erlebt habe? Na ich hatte hier eine Abteilung und da waren vier Offiziere der Staatssicherheit, die waren mir unterstellt. Punkt.“

„Der Weg zur Wiedervereinigung war mir von der Sache her Wurst.“

Ebenfalls etwas eigenwillig ist seine Sicht auf den Mauerfall: „Die Maueröffnung war für sich in diesem ganzen System gar nicht so bedeutungsvoll. […] Wenige Tage vorher sind die Kleinblöden, die da schreiend über die Mauer gerannt sind, noch auf der Demonstration zum 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober mit FDJ-Bluse und Transparent durch Berlin marschiert. Der Weg zur Wiedervereinigung war mir von der Sache her Wurst. Aber als Soldat, da kriegst du einen Befehl und dann machst du. Ich war nicht dazu da, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu beurteilen und zu sagen „das mache ich jetzt aber nicht, ich schieß‘ in die andere Richtung.“

Weiter rechnet Enderlein mit den Wendehälsen ab, die nach der Wende plötzlich anders tickten als zuvor (er selbst tat das in seinen Augen nicht) und spart auch nicht mit Kritik an den Altvorderen des Runden Tisches und anderer Institutionen der Wende. Reinhard Glöckner etwa, dem ersten frei gewählten Greifswalder Bürgermeister nach der Wende, der auch schon vorher Abgeordneter des Stadtparlaments war, hält er vor: „ „Wenn Sie wirklich dieser absolute Gegner des DDR-Regimes waren, dann müste ja in jedem Beschluss des Parlaments […] eine Gegenstimme sein, mindestens eine. War aber nicht, hat er immer mitgestimmt.“ Auch eine vernünftige DDR habe er sich vorstellen können, sagt Enderlein, wenn ihm aber einer die Frage stelle „Willst du die DDR wiederhaben?“, dann: „merke ich schon an der Fragestellung: Du bist ein Idiot, fertig.“

„Ansonsten würde ich „Hurra“ schreien.“

wendeherbst-friedensgebet-puttkamer-250

Friedensgebet im Dom 1989

Nicht alle Erinnerungen lesen sich so spektakulär wie die Enderleins, aber die meisten Befragten offenbaren spannende Gedanken und Erlebnisse. Frank Pergande, heute FAZ-Korrespondent für M-V und in den 90ern Herausgeber des „Greifswalder Tageblatts“, weiß zu berichten, dass es Mitte der 80er Jahre auch schon bürgerlichen Widerstand gegen den Stadtabriss nördlich der Langen Straße gab. Auch die etwas weniger prominenten Zeitzeugen sind interessant zu lesen: Der Franzose Jean-Pierre Pané-Farreé, heute Koch im Café Caspar und 1977 „aus Liebe zu meiner Frau“ nach Greifswald gekommen, ist dankbar für die Wende und freut sich darüber, dass nach 1989 „die Zeremonie der Bürokratie“ vorbei war. Hans-Joachim Hübler, vor der Wende Bauleiter im KKW Lubmin und heute ALGII-Empfänger klagt über den Verlust der materiellen Sicherheit. Er könne sich nicht mehr leisten, seine Kinder besuchen zu fahren: „Das ist die Einschränkung meiner Freiheit. Ansonsten würde ich „Hurra“ schreien heute.“

Alle 21 Zeitzeugen offenbaren ihren eigenen, individuellen Blick auf die Ereignisse; die Zusammenstellung ist lebendig und längst nicht nur für Greifswalder und Historiker ungemein lesenswert. Angereichert wird das Buch mit zahlreichen Fotografien aus den Wendejahren. Für die bessere Lesbarkeit wäre mitunter eine etwas stärkere Anpassung der Aufzeichnungen an die Schriftsprache wünschenswert gewesen – doch auf diese Weise bleibt immerhin viel der sprachlichen Authentizität erhalten. Die hier und da etwas eigentümliche Orthographie und Interpunktion ist vermutlich dem Zeitdruck geschuldet, unter dem die Herausgeber standen, um ihr Werk noch in diesem Jahr herauszubringen.

Buchpräsentation am Mittwoch

Am kommenden Mittwoch um 18 Uhr wird der Band zusammen mit der Stadt, die das Projekt mit einem Druckzuschuss förderte, den Herausgebern, einigen beteiligten Studenten und einigen Befragten im Rathaus präsentiert.

Kaufen kann man das Buch seit der letzten Woche im Uni-Laden für 19,90 Euro (292 Seiten, Marburg 2009, Tectum Verlag). Auch regulär über den Buchhandel ist es erhältlich. Die Exemplare an die örtlichen Bibliotheken sind unterwegs, werden aber erfahrungsgemäß bis zur Verfügbarkeit noch einige Wochen benötigen. Laut OPAC ist es aber zumindest in der alten Uni-Bibliothek bereits im Präsenzbestand vorhanden.

Bilder: Tectum-Verlag (Buchcover), Sandro Teuber (Enderlein), Dorothea Puttkamer (Friedensgebet)

Historisches Institut: Situation hat sich mit Stud.IP verbessert

Zu Anfang des laufenden Semesters hatte der webMoritz über überfüllte Seminare und die Einführung des Stud.IP-Systems am Historischen Institut berichtet. Seit diesem Semester müssen sich alle Geschichtsstudenten in ihre Kurse über das Internet-System „Stud.IP“ einschreiben.

Professor Spieß

Der geschäftsführende Direktor des Historischen Instituts, Professor Karl-Heinz Spieß, bilanziert im Gespräch mit dem webMoritz: „Die Einführung des neuen Systems hat sich gelohnt.“ Bei einer Mitarbeiterversammlung des Instituts, bei der auch der Fachschaftsrat zugegen gewesen sei, habe sich kein Widerspruch gegen das System erhoben. Daher sei fest geplant, die Technik auch für die nächsten Semester zu verwenden.

Spieß erinnert sich aber auch, dass das System zu Beginn des Semesters für reichlich Diskussionsstoff gesorgt hat: „In meinem Seminar gab es eine hitzige Debatte, ob der automatische Losentscheid über die Teilnahme gerecht sei“, sagt er. Es seien aus über 150 Bewerbern lediglich 40 ausgelost worden. Dabei galt das Zufallsprinzip, der Zeitpunkt der Anmeldung (innerhalb einer mehrwöchigen First) war egal. (mehr …)

Historisches Institut: Neues Einschreibesystem, alte Probleme

Überquellende Hörsääle und Seminarräume, Schlangen bis auf den Korridor, Teilnahmestopp bei Übungen und Seminaren – vor allem für Studenten an den großen Instituten der Philosophischen Fakultät ist es jedes Semester wieder schwierig,

Stud.IP-Portalseite der Uni Greifswald

Stud.IP (hier die Greifswalder Portalseite): Der Weisheit letzter Schluss?

in den Veranstaltungen einen Platz zu bekommen, die am besten auf den persönlichen Stunden- und Studien-Plan passen.

Am Historischen Institut verlief die Einschreibung im letzten Sommersemster ganz besonders chaotisch (Webmoritz berichtete hier und hier und hier). Damit die Studenten nicht wieder zu nachtschlafender Zeit vor dem Institut kampieren mussten, um die begehrtesten Seminarplätze zu bekommen, sollte dieses Semester nun ein anderes System genutzt werden.

Mit der Umstellung auf das uniinterne Online-System „Stud.IP“ sollte die Einschreibung einerseits gerechter werden und andererseits entspannter ablaufen. Bei überfüllten Veranstaltungen sollte nach Ablauf der Einschreibefrist das Los über die Teilnahme entscheiden – im letzen Semester galt noch das Prinzip „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“. Wie jede neue Technik hat aber auch das neue System seine Tücken und so gab es in dieser Woche wieder ordentlich Verwirrung und überfüllte Hörsääle. Hat das neue System versagt? (mehr …)