Rezension – William Shakespeares “Romeo und Julia” am Theater Vorpommern

Rezension – William Shakespeares “Romeo und Julia” am Theater Vorpommern

Es ist die wohl berühmteste Liebestragödie aller Zeiten. Eine Geschichte von einer verbotenen Liebe auf den ersten Blick, von zwei verfeindeten Familien im italienischen Verona – die Rede ist selbstverständlich von Romeo und Julia. Seit dem 07.06.2024 wird William Shakespeares Meisterwerk in Form eines Sommer Open Air am Theater Vorpommern aufgeführt. Auch der webmoritz. durfte wieder einmal an einer Inszenierung teilnehmen und kann nun davon berichten.

„Kein Leidensweg war schlimmer irgendwo als Julias und ihres Romeo.“ 

Zwischen den Familien Montague und Capulet herrscht ein scheinbar nicht beilegbarer Bürgerkrieg. In den Straßen von Verona kommt es immer wieder zu heftigen Kämpfen und Blutvergießen zwischen den Beteiligten und auch die politischen Instanzen vermögen nichts auszurichten, selbst unter Androhung der Todesstrafe. Doch inmitten der Auseinandersetzungen und des Hasses passiert das Undenkbare, das schlichtweg Verbotene. Auf einem Fest der Capulets treffen zwei Sprösslinge der verfeindeten Familien, Romeo Montague und Julia Capulet aufeinander und verlieben sich. Heimlich wird eine Vermählung durch den Pater Lorenzo geschlossen, das Glück der Liebenden scheint vollkommen. Doch es soll nicht, darf nicht sein. Auf offener Straße entbrennt ein Streit zwischen Romeos Freund Mercutio und Julias Vetter Tybalt. Als Romeo dazwischengeht, wird Mercutio tödlich verwundet. Im Zorn tötet Romeo den Angreifer Tybalt und zahlt dafür die Konsequenzen. Er wird aus Verona verbannt. Während seiner Abwesenheit beschließt Julias Vater, seine Tochter mit dem Grafen Paris zu verheiraten. Ein durch Pater Lorenzo initiierter Plan, Julia zu retten, schlägt fehl. Unwissenheit und eine tragische Verkettung von Ereignissen treiben Romeo und Julia schlussendlich in den Selbstmord, ihn durch Gift und sie durch den Dolch ihres Geliebten. Eine sinnlose Familienfehde sorgt dafür, dass die Liebenden erst im Tod miteinander vereint sein können. Shakespeares Tragödie, geschrieben 1597, fasziniert auch heute noch Menschen auf der ganzen Welt und sorgt immer wieder für Adaptionen im Theater, Film und Literatur.

Was dürfen die Zuschauer*innen erwarten?

Inszeniert wird das Stück in seiner deutschen Fassung nach Frank Günther durch Regisseur Jens Kerbel (*1975). Anlässlich des Caspar-David-Friedrich-Jahres 2024 darf man sich als  Zuschauer*in in dieser Sommersaison insbesondere auf die außergewöhnliche Kulisse der Klosterruine Eldena freuen, in welcher das Stück Open-Air aufgeführt wird. Das romantisch anmutende Gemäuer, kombiniert mit der authentisch-zeitgenössischen Kostümierung auf den zuvor veröffentlichten Pressefotografien sind es, durch die man bereits vor der Aufführung gedanklich in das elisabethanische Zeitalter (1558-1603) einzutauchen vermag. Auch ohne die Geschichte zu kennen, kann man sich anhand der Bilder bereits auf wilde Degen-Kämpfe, Geschrei, auf heftige Emotionen und Leidenschaft einstellen. Mit Shakespeares Werk bereits vertraute Zuschauer*innen hingegen dürfen sich während der Vorstellung auf die Suche nach den zahlreichen Gegensatzmotiven der Tragödie begeben, die hier theatral aufgearbeitet wurden. Seien es „Hass und Liebe, Melancholie und Glück, Alter und Jugend, Verliebtheit und Sexismus, Herrschaft und Diener, weltliche und religiöse Gewalt, Tragik und Komik“. Spannung und Faszination sind garantiert!

Besucher*innen der zuletzt vom webmoritz. rezensierten Theaterproduktion „der herzerlfresser“ werden bei den Darsteller*innen auf altbekannte Gesichter treffen, wie Philipp Staschull als Romeo, Amelie Kriss-Heinrich als Amme/Fürstin und Olivier Günter als Mercutio. Umso freudig gespannter war der webmoritz. vor der Aufführung am 21.06. auf die vielen anderen Schauspieler*innen und ihre Rollen!

Eindrücke aus einer gelungenen Vorstellung

Wenn ich an den Freitagabend zurückdenke, fällt mir zunächst einmal nichts anderes ein als „Was war das bitte wieder einmal für eine geniale Produktion des Theaters Vorpommern?“ Bereits zu Beginn des Stücks wurde den Zuschauer*innen mitgeteilt, dass es sich zwar um eine im Wortlaut getreue Wiedergabe von Shakespeares Werk handelt, jedoch mit verschiedenen modernen Stilmitteln versehen wurde. Wer also befürchtet, hier ausschließlich mit bitterem Ernst und Tragik konfrontiert zu werden, kann beruhigt werden. Seien es Party-Szenen, das Einbeziehen des Publikums auf der Suche nach einer passenden Frau für Romeo, der BMW des Grafen Capulet (Hannes Rittig) oder der markante Ausruf „JuLiAaAaA“ der Lady Capulet (Gabriele Völsch) sorgten für Lacher seitens des Publikums. Auch für Musik-Liebhaber*innen ist etwas dabei. So sorgten die wunderschönen Soli von Julia-Darstellerin Nora Hickler, Amelie Kriss-Heinrich und Philipp Staschull für Gänsehaut-Momente und angehaltenen Atem. Außerdem fanden Künstler*innen wie ABBA („Lay All Your Love On Me“) und Kylie Minogue („Can’t Get You Out of My Head“) Eingang in das Stück, was immer wieder für Schmunzeln und eine erfrischende Abwechslung sorgte. Was die schauspielerische Leistung betrifft, so weiß ich gar nicht, wen ich am meisten hervorheben soll. Jede Rolle war großartig und treffend besetzt und die Kostümierung durch Toto begeisterte in Sachen Authentizität und moderner Touch. Hinsichtlich der Kulisse machte mich meine Begleitung als Kunsthistoriker darauf aufmerksam, dass die Klosterruine Eldena als „sterbende Architektur“ mit in das Stück integriert wurde, beispielsweise in Form der berühmten Balkon-Szene. In Kombination mit verschiedenen Nebel- und Lichtelementen kam diese natürlich ganz besonders in der Dunkelheit zur Geltung.

Weniger dem Stück selbst als glücklichen Zufällen gedankt, sorgte zunächst ein Turmfalke für passende tierische Untermalung der Lerchen-Szene und zusätzlich das Wetter dafür, dass ausgerechnet in dramatischen Momenten zunächst ein leichter Regen einsetzte, die Spannung durch ein nahes Gewitter gesteigert wurde und schließlich wenige Minuten nach dem tragischen Tod der beiden Liebenden und dem Ende der Vorstellung ein heftiger Wolkenbruch einsetzte.

Insgesamt war es ein fantastischer Abend, sodass ich das Ensemble für ihre gelungene Produktion nur loben und mich bedanken kann.  

Weitere Termine

Ihr möchtet selbst einmal in die Welt zweier verfeindeter Familien und in die tragische Liebesgeschichte ihrer beiden Kinder eintauchen? Dann ist Beeilung geboten, denn die nächsten beiden Aufführungstermine sind bereits ausverkauft! Weitere Informationen gibt es hier.

  • 02.07. / 19:30 Uhr; ausverkauft
  • 10.07. / 18:00 Uhr; ausverkauft
  • 11.07. / 19:30 Uhr
  • 13.07. / 19:30 Uhr
  • 14.07. / 18:00 Uhr
  • 16.07. / 18:00 Uhr
  • 17.07. / 19:30 Uhr
  • 18.07. / 19:30 Uhr; Letzte Vorstellung

Beitragsbild: Peter van Heesen


Zur Person der*des Autor*in

Rezension: “der herzerlfresser” am Theater Vorpommern

Rezension: “der herzerlfresser” am Theater Vorpommern

Fans von True-Crime und Theater aufgepasst! Es ist eine grausame Mordserie, wie sie im Buche steht. Alles nur Fiktion könnte man meinen. Und doch basiert das Werk “der herzerlfresser”, eine Inszenierung zwischen Krimi und dunkler Komödie, auf einer wahren Begebenheit aus dem 18. Jahrhundert. Am 20.04.2024 besuchte unsere webmoritz.-Redakteurin Klara die Premiere im Theater Vorpommern Greifswald und darf nun ihre Eindrücke aus der Vorstellung schildern.

Die Vorgeschichte

Es ist der 15.01.1786 in der Region Kindberg, der österreichischen Steiermark. Eine junge Frau, die Dienstmagd Magdalena Angerer, verschwindet kurz vor ihrer Hochzeit plötzlich spurlos. Zwei Wochen später, am 02.02., findet ein Bauer einen nackten Leichnam mit abgetrenntem Kopf und dazu einige Kleiderreste. Angelockt wird der Mann angeblich durch Rabengeschrei. Es ist der Körper von Magdalena Angerer, deren Ermordung eine ganze Region erschüttert. Einen Monat später wird Paul Reininger, ein dreißigjähriger Knecht, durch zwei Bauern des Mordes beschuldigt. Reininger soll am Abend der Tat betrunken gewesen und durch Augenzeugen schlafend in der Nähe des Tatorts gesehen worden sein.

Als man seine Unterkunft durchsucht, werden tatsächlich das blutige Brautkleid Magdalena Angerers, ihr Brautkranz und – umso schlimmer – die Hälfte eines menschlichen Herzens gefunden. Reininger wird festgenommen und gesteht nicht nur den Mord, sondern auch weitere bislang unaufgeklärte Taten. Außer Magdalena Angerer hatte er im Laufe der Jahre noch vier weitere Frauen und ein achtjähriges Mädchen umgebracht. Von jenem Mädchen stammte das halbe Herz, welches die Beamten in Reiningers Unterkunft gefunden hatten. Die andere Hälfte, wie auch die Herzen von Magdalena Angerer und anderer Opfer, hatte er in dem Glauben, es würde ihm Glück bringen und ihn „unsichtbar“ machen, gegessen. Dieses schreckliche Detail brachte ihm den Namen „Der Herzerlfresser“ ein. Weitere Mordmotive Reiningers waren hauptsächlich Habgier und von ihm zuvor begangene Sexualdelikte. Ein zunächst verhängtes Todesurteil vom 24.04.1786 wurde in eine Züchtigungs- und Haftstrafe umgewandelt. Reininger verstarb schließlich am 17.11. desselben Jahres im Gefängnis.

Die Handlung

Der österreichische Schriftsteller, Dramatiker und Theaterwissenschaftler Ferdinand Schmalz greift 2015 in seinem Stück die bestialischen Taten aus dem 18. Jahrhundert erstmals auf. Ein neues Einkaufszentrum wird gebaut. Das Großprojekt soll zum Zentrum des Aufschwungs und der Begegnung werden. Es ist verkehrsgünstig gelegen, soll frischen Wind in die Region bringen. Doch da es auf einem Sumpf errichtet wurde, kommt es bereits vor der Eröffnung zu ersten Problemen. Durch Risse im Boden dringt mooriges Wasser in das Einkaufszentrum. Und es kommt noch schlimmer. In kurzer Zeit findet man auf dem Gelände zwei Frauenleichen. Ihre Herzen wurden herausgeschnitten. Der Bürgermeister der Stadt, der sich die Eröffnung des Prestigeobjekts zur „Herzensangelegenheit“ gemacht hat, beauftragt einen Wachmann, den Fund der Leichname zu vertuschen und auf eigene Faust undercover zu ermitteln. Inszeniert wird das Stück am Theater Vorpommern durch Regisseur Niklas Ritter.

Persönliche Erwartungen

Als ich mich zum ersten Mal mit der Vorgeschichte des Stücks befasste, muss ich zugeben, dass es mir angesichts solch kaltblütiger Taten Schauer über den Rücken jagte. Obwohl es nicht der erste Kriminalfall – ja, nicht einmal der grausamste – war, mit dem ich mich konfrontiert sah (danke an dieser Stelle an die vielen True-Crime-Podcasts auf dem Markt), weckte die Geschichte bei mir ein Kopfkino, was mich wohl erwarten würde. Wie explizit würden die Szenen sein? Würde ich Angst, Ekel, vielleicht Faszination empfinden? Und worum geht es hierbei wirklich? Vielleicht um eine Form der Kritik am Kapitalismus, um die Verdrängung der Natur durch den Konsum? Die vom Theater vorab freigegeben Fotos ließen erahnen, dass es sich um eine Inszenierung mit moderner Kulisse und farbenfroher Kostümierung handeln würde. Da ich schon andere Aufführungen am Theater Vorpommern besuchen dürfte, war ich mit den schauspielerischen Leistungen von Philipp Staschull, Markus Voigt, Amelie Kriss-Heinrich, Olivier Günter und Susanne Kreckel bereits vertraut und bisher immer begeistert gewesen. Umso gespannter auf die Premiere begab ich mich also am 20.04. in den Rubenowsaal der Stadthalle Greifswald.

(Viel) Lob und (wenig) Kritik

Zuallererst war es erfreulich zu sehen, dass das Publikum in der ausverkauften Premiere einen hohen Anteil an jungen Zuschauer*innen aufwies. Bereits während des Anschauens wurde meine Einschätzung bestätigt, dass die Inszenierung für ein gemischtes Publikum, mit Zuschauer*innen ab einem Alter von etwa 15 Jahren, geeignet ist. Im Stück werden zwar zum einen der Kapitalismus und die Folgen von Konsumrausch und Profit thematisiert, im Vordergrund steht jedoch vorrangig eines: die Liebe. Genauer gesagt, der vielfach mit ihr einhergehende Herzschmerz und die Probleme des modernen Datings, wie beispielsweise das Empfinden wahrer, tiefer Zuneigung und die Vereinigung mit einem Menschen. All dies sind Themen, die auch jüngere Zuschauer*innen ab einem gewissen Alter nachvollziehen können. Auch die Darstellungen von Gewalt und Tod sind nicht zu explizit. Zwar wird mit (spritzendem) Kunstblut gearbeitet, jedoch in einem erträglichen Maße. Für besonders empfindliche Gemüter sei jedoch angemerkt, dass einige detaillierte Beschreibungen, wie beispielsweise Monologe über das Aufschneiden eines Körpers oder auch Szenen von gewaltsamen Übergriffen durchaus vorkommen. Die Handlung ist sehr kurzweilig und trotz der teilweise etwas gekünstelten Sprachspiele, bei welchen die österreichischen Einflüsse erkennbar sind, kann man den Darstellungen sehr leicht folgen. Auch die Tatsache, dass der historische Hintergrund der Inszenierung mit eingewoben wurde, hat noch einmal viel zum Verständnis beigetragen, wobei ich mir – und das betrifft wohl eher das Stück an sich – fast noch etwas mehr Bezug zu der Geschichte des Paul Reininger gewünscht hätte.

Die schauspielerische Leistung der Darsteller*innen kann ich wie immer nicht genug loben. Jede Figur war dreidimensional und hatte etwas Spannendes für sich, sodass man sich nicht nur auf eine einzige Person auf der Bühne fokussierte. Eigentlich gab es immer etwas Neues zu entdecken, sogar in den vielen Szenen, in welchen die Figuren im Chor sprachen oder sangen. Dazu beigetragen hat sicherlich die bewegliche Kulisse, welche dafür sorgte, dass meistens alle Schauspieler*innen zugleich auf der Bühne vertreten waren. Insbesondere zwei Leistungen möchte ich an dieser Stelle hervorheben, zum einen die Performance von Philipp Staschull als gangsterer rudi, welcher sowohl in Highheels als auch durch die humorvollen Dialoge mit dem Bürgermeister acker rudi (Markus Voigt) auffiel. Zum anderen beeindruckte Olivier Günter als pfeil herbert mit seinen vielfältigen Lautimitationen, beispielsweise von Schritten im Moor oder auch der Benutzung eines WCs, welche das Publikum zum Lachen brachten. Dass man speziell für seine Rolle zwischenzeitig beinahe Mitleid empfinden und Verständnis aufbringen konnte, spricht schon sehr zum einen für die schriftstellerischen Leistungen von Ferdinand Schmalz und zum anderen natürlich auch für den Schauspieler selbst.

Ohne das Ende an dieser Stelle groß zu spoilern, möchte ich dazu doch sagen, dass man einerseits natürlich den Rubenowsaal mit einem positiven Gefühl verließ und ohne viel Gruseln über die Taten des Paul Reininger in den Abend entlassen wurde. Andererseits fehlte für meinen Geschmack jedoch etwas die Reflexion über das „Happy End“, welches bei mir ein kleines Fragezeichen hinterließ. Vielleicht – wahrscheinlich – ist dies jedoch beabsichtigt und soll die Zuschauer*innen zum Nachdenken über die bereits erwähnten Themenkomplexe anregen.

Insgesamt kann ich das Stück ab einem gewissen Mindestalter allen empfehlen, die sich an der künstlerischen Verarbeitung eines historischen Kriminalfalls mit viel Humor, farbenfrohen Kostümen und etlichen Szenen „fürs Herz“ (*Augenzwinker*) erfreuen möchten.

Weitere Termine

Wer sich ein eigenes Bild dieser gelungenen Inszenierung machen und sich auf die Spuren einer grausigen Mordserie aus dem 18. Jahrhundert begeben möchte, kann dies an folgenden Terminen tun:

  • Sonntag, 28.04., 18:00 Uhr, Rubenowsaal / Stadthalle Greifswald
  • Freitag, 17.05., 20:00 Uhr, Gustav-Adolf-Saal / Kirche St. Jakobi Stralsund
  • Dienstag, 21.05., 20:00 Uhr, Rubenowsaal / Stadthalle Greifswald
  • Donnerstag, 23.05., 20:00 Uhr, Rubenowsaal / Stadthalle Greifswald
  • Freitag, 14.06., 18:00 Uhr, Rubenowsaal / Stadthalle Greifswald
  • Dienstag, 25.06., 20:00 Uhr, Rubenowsaal / Stadthalle Greifswald
  • Donnerstag, 27.06., 20:00 Uhr, Gustav-Adolf-Saal / Kirche St. Jakobi Stralsund

Weitere Informationen gibt es hier im Programm: https://www.theater-vorpommern.de/de/programm/der-herzerlfresser

Beitragsbild: Peter Van Heesen


Zur Person der*des Autor*in

Buchrezension: Khaled Hosseini – Tausend strahlende Sonnen

Buchrezension: Khaled Hosseini – Tausend strahlende Sonnen

In der Literaturwelt gibt es Bücher, die weit über das Erzählen von Geschichten hinausgehen – sie entfesseln ganze Emotionen. Khaled Hosseinis “Tausend strahlende Sonnen” (2014) gehört zweifellos zu dieser einzigartigen Kategorie. Hier wird nicht nur erzählt, sondern die Leser*innen werden auf eine tiefgreifende emotionale Reise durch das zerrissene Afghanistan mitgenommen.

Stell dir vor, du öffnest die ersten Seiten eines Buches und spürst augenblicklich, dass dich eine Geschichte erwartet, die dich nicht mehr loslassen wird. Genau dieses Gefühl vermittelt “Tausend strahlende Sonnen” von Khaled Hosseini. Zwei Frauen, Mariam und Laila, finden ihre Schicksale auf unerwartete Weise miteinander verflochten, während das Land Afghanistan von politischem Wandel und Gewalt erschüttert wird. In einer atemberaubenden Erzählung von Liebe, Freundschaft und Überlebenskraft entfaltet der Autor Hosseini eine Welt, in der Hoffnung selbst in den dunkelsten Stunden erstrahlt. Hosseini ist bereits durch seinen Bestseller “Drachenläufer” weltbekannt, die Rezension dazu findet ihr ebenfalls hier beim webmoritz. Der Autor entführt uns nun erneut in die faszinierende, aber oft erschütternde Welt Afghanistans. Mach dich bereit für eine Reise voller Emotionen und Entdeckungen, die lange nachklingen wird…

Um was geht es in dem Buch?

Das Buch entfaltet sich vor dem Hintergrund der politischen Wirren in Afghanistan und erzählt die ergreifende Geschichte zweier Frauen, Mariam und Laila, deren Leben auf tragische Weise miteinander verflochten sind. Die Erzählung beginnt in den 1960er Jahren und führt uns in den ärmlichen Stadtrand von Herat, wo die junge Mariam als uneheliche Tochter eines Dienstmädchens und eines wohlhabenden Geschäftsmannes aufwächst. Ihr Leben ist von Anfang an von Vorurteilen und Ablehnung geprägt, da sie in der Gesellschaft als harami, als ein uneheliches Kind, gilt. Ihre Mutter Nana nimmt sich eines Tages das Leben, was für Mariam ein einschneidendes Ereignis ist und ihre Beziehung zu ihrem Vater weiter belastet. Die Geschichte nimmt eine dramatische Wendung, als Mariam in eine arrangierte Ehe mit dem wesentlich älteren und tyrannischen Raschid gezwungen wird und mit ihm nach Kabul zieht. Raschid ist Mariam gegenüber mit der Zeit gewalttätig und kontrollierend, da sie ihm keinen Sohn gebären kann und eine Fehlgeburt nach der anderen durchmacht. Mariams Ehe ist von Unterdrückung und Misshandlung geprägt.

Gleichzeitig erfahren wir von Laila, einer Nachbarin Mariams, wie sie eine andere Seite der Stadt erlebt. Laila stammt aus einer wohlhabenderen Familie in Kabul und führt ein vergleichsweise privilegiertes Leben. Im Gegensatz zu Mariam genießt Laila eine gute Ausbildung, darf zur Schule gehen und wird von ihrem Vater sehr gefördert. Laila ist eine intelligente und lebensfrohe junge Frau, die sich in Tarik, einem Freund aus ihrer Jugend, verliebt. Beide führen eine innige Freundschaft miteinander, die sich mit der Zeit zu einer heimlichen Romanze entwickelt. Doch die politischen Unruhen in Afghanistan ändern alles. Als Lailas Familie bei einem Bombenangriff ums Leben kommt, wird sie im Haus Raschids aufgenommen. Nach diesem tragischen Vorfall in Lailas Leben nimmt sie den Heiratsantrag von Raschid an und wird seine zweite Frau.

Mariam und Laila finden sich in einer von Gewalt und Unterdrückung geprägten Ehe gemeinsam wieder, die von ihrem Ehemann Raschid dominiert wird. Die beiden Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, werden durch widrige Umstände zu Verbündeten in ihrer gemeinsamen Leidensgeschichte. Mariam, die sich anfangs durch die zweite Frau gedemütigt gefühlt hat, begreift irgendwann, dass Lailas Leben ebenso hart ist wie ihr eigenes und sie sich nicht freiwillig in ihr Leben gedrängt hat. Trotz der schwierigen Umstände entwickelt sich zwischen Mariam und Laila eine tiefe Freundschaft und Solidarität. Die tiefe Freundschaft zwischen den beiden Frauen wird zu einem Lichtblick in ihrer düsteren Realität. Gemeinsam versuchen sie, sich gegen die Ungerechtigkeiten zur Wehr zu setzen und planen die Flucht aus Raschids Tyrannenhaushalt. Dabei wird ihre Geschichte zu einem eindringlichen Plädoyer für die Widerstandsfähigkeit des menschlichen Geistes und die Kraft der weiblichen Solidarität.

Hosseini schildert einfühlsam die psychologischen, physischen und emotionalen Herausforderungen, mit denen Mariam und Laila konfrontiert sind. Die grausame Realität von häuslicher Gewalt und gesellschaftlicher Unterdrückung wird in einer Weise präsentiert, die den Leser*innen keine Möglichkeit lässt, sich ihrer emotionalen Wirkung zu entziehen. Die Handlung erstreckt sich über mehrere Jahrzehnte und bietet einen tiefen Einblick in die wechselvolle Geschichte Afghanistans von den 1970er Jahren bis zur Zeit der Taliban-Herrschaft. Die strahlenden Sonnen im Titel, die sich auf einen poetischen Vers aus dem Buch beziehen, symbolisieren die Hoffnung und das Durchhaltevermögen der Frauen inmitten von Dunkelheit und Schmerz.

“Lass dir das eine Lehre sein, meine Tochter”, sagte Nana. “So wie eine Kompassnadel immer nach Norden zeigt, wird der anklagende Finger eines Mannes immer eine Frau finden. Immer. Denk daran, Mariam.”

Khaled Hosseini: Tausend strahlende Sonnen (3. Auflage, 2015)

Mein persönlicher Eindruck

Mein persönlicher Eindruck von “Tausend strahlende Sonnen” ist schlichtweg überwältigend. Hosseinis Erzählung über das Leben von Mariam und Laila in Afghanistan hat mich zutiefst berührt. Ich weine sehr selten, wenn ich ein Buch lese. Dafür muss es mich schon wirklich emotional treffen. Und genau das hat Hosseini mit seinem Werk geschafft. Ich habe wirkliche mehrere Male Tränen vergießen müssen und mehrmals das Buch weglegen, um runterzukommen. Die Geschichte ist so intensiv und einfühlsam, dass ich mich von Anfang bis Ende mit den Charakteren verbunden fühlte. Dieses Buch ist nicht nur eine Leseempfehlung, sondern ein beeindruckendes Werk, das ich jedem ans Herz lege – besonders denjenigen, die nach einer bewegenden Geschichte voller Emotionen suchen.

Hosseinis Sprache ist von einer poetischen Schönheit, die die Leser*innen in die Straßen von Kabul versetzt und gleichzeitig die universellen Themen von Liebe, Verlust und Überlebenskampf berührt. Die Beschreibungen sind so lebhaft, dass ich jede Seite wirklich verschlungen habe. Ich wollte das Buch am liebsten gar nicht mehr aus der Hand legen.

“Tausend strahlende Sonnen” ist nicht nur ein Buch, sondern eine Erfahrung. Es ist eine Reise durch die menschliche Seele, eingebettet in die politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen Afghanistans. Die fesselnde Erzählung, die poetische Sprache und die tiefen Charaktere machen dieses Buch zu einem Meisterwerk, das lange nach dem Lesen nachhallt. Für jede Person, die auf der Suche nach einer bewegenden Geschichte ist, die den Glauben an die Kraft der Menschlichkeit wiederherstellt, ist dieses Buch ein absolutes Muss!

Beitragsbild: Lenstravelier auf Unsplash

Buchrezension: Khaled Hosseini – Drachenläufer

Buchrezension: Khaled Hosseini – Drachenläufer

In der Welt der Literatur gibt es Werke, die nicht nur Geschichten erzählen, sondern ganze Emotionen entfesseln. “Drachenläufer” von Khaled Hosseini ist zweifellos eines dieser Bücher, das nicht nur die Herzen seiner Leser*innen berührt, sondern auch eine tiefgreifende kulturelle Reise in die bewegte Geschichte Afghanistans bietet.

Kennt ihr das, wenn ihr ein Buch in eure Hände nehmt, es aufschlagt und die ersten paar Zeilen lest und direkt wisst: “Dieses Buch werde ich sowas von verschlingen!” Genau solch ein Buch möchte ich euch in der heutigen Rezension vorstellen. Khaled Hosseinis Buch “Drachenläufer” ist ein fesselndes Meisterwerk, das Kabuls Straßen zum Leben erweckt. Eine Geschichte voller Freundschaft, Schuld und Vergebung, die den jungen Amir auf seiner schicksalhaften Reise durch ein von Konflikten geprägtes Afghanistan begleitet. Die fliegenden Drachen dienen als Metapher für das Streben nach Erlösung. Hosseinis Erzählkunst nimmt einen mit auf eine Reise, die lange nachklingt. Ein Buch, das Kontraste verschmilzt und die menschliche Erfahrung in all ihren Facetten einfängt.

Um was geht es in dem Buch?

In den belebten Gassen Kabuls entfaltet sich das literarische Meisterwerk “Drachenläufer”. Die Geschichte folgt Amir, der aus wohlhabender Familie kommt, und seinem loyalen Freund Hassan, dem Sohn des Dieners Ali, der bei Amirs Vater Sahib angestellt und auch ein alter Freund von ihm ist. Die Freundschaft zwischen der beiden Jungen ist durch eine Ungleichheit geprägt: Amir gehört der Bevölkerungsgruppe der Paschtunen an und Hassan der diskriminierten, verfolgten Gruppe der Hazara.

Die Freundschaft der zwei Jungen scheint unerschüttlich. Ein schicksalhafter Vorfall verändert jedoch eines Tages alles: Das Ereignis entfaltet sich während eines jährlichen Drachenflugwettbewerbs in Kabul, der von einer Mischung aus Tradition und Leidenschaft geprägt ist. Die engen Freunde Amir und Hassan nehmen an diesem Wettbewerb teil. Beide sind fest entschlossen zu gewinnen und voller Vorfreude. Ziel des Wettbewerbs ist es, die Drachenschnüre der anderen Teilnehmer*innen zu zerschneiden. Derjenige, dessen Drache zum Schluss noch in der Luft fliegt, ist offiziell auch der Gewinner. Drachenläufer wird man, in dem man den letzten abgestürzten Drachen fängt. Und genau diesen fängt auch Hassan, der besonders flink ist. Doch an der Stelle nimmt die Situation eine tragische Wendung ein. Hassan wird brutal misshandelt. Diese Szene ist von großer Tragik und Gewalt geprägt und stellt gleichzeitig den Wendepunkt dar, der die Charaktere und Ereignisse im Verlauf des Romans beeinflusst.

Amir, von Schuldgefühlen geplagt und zutiefst von Hassans Schicksal erschüttert, wählt den Weg des Schweigens. Er entscheidet sich dafür, die Wahrheit über das, was passiert ist, für sich zu behalten, was zu einer schmerzhaften Entfremdung zwischen den Freunden führt. Hassan verlässt zusammen mit seinem Vater schließlich das Zuhause Amirs und damit auch sein Leben. Dieser Verlust wirft einen langen Schatten auf Amirs Leben und hinterlässt tiefe Narben in seiner Seele. Amir und sein Vater fliehen aus Afghanistan, um den politischen Unruhen und dem Einmarsch der Sowjetunion 1979 zu entkommen, die das Land ins Chaos gestürzt haben. Sie finden 1981 Zuflucht in den USA. Die Vergangenheit und die Schuld, die Amir mit sich trägt, lassen ihn jedoch nicht los, selbst in der Ferne. Jahre später, als Amir die Chance zur Wiedergutmachung erhält, kehrt er nach Afghanistan zurück. Hier beginnt eine gefährliche Mission, die den emotionalen Höhepunkt des Buches bildet. Amir muss sich seinen eigenen Dämonen stellen und versuchen, die Fehler seiner Vergangenheit wieder gutzumachen.

Dieser Teil der Geschichte betont die tiefen Themen des Buches: Schuld, Vergebung und die Möglichkeit zur Erlösung. Amir muss nicht nur um die Vergebung anderer kämpfen, sondern auch um Vergebung sich selbst gegenüber. Die Art und Weise, wie diese emotionalen Konflikte dargestellt werden, ist zutiefst bewegend und macht das Buch zu einer eindringlichen Erfahrung für die Leser*innen. Es zeigt uns, dass, selbst wenn wir durch dunkle Zeiten gehen, die Möglichkeit zur Erlösung immer vorhanden ist, wenn wir bereit sind, die Wahrheit zu akzeptieren und Verantwortung für unsere Entscheidungen zu übernehmen.

Mein persönlicher Eindruck:

Persönlich hat mich “Drachenläufer” tief bewegt. Die Charaktere sind so lebendig und vielschichtig gezeichnet, dass ich mich in ihre Geschichten hineinversetzen konnte. Ehrlich gesagt, musste ich auch oft ein paar Tränen vergießen. Besonders beeindruckt hat mich die Fähigkeit des Autors, die kulturelle Atmosphäre Afghanistans einzufangen und gleichzeitig Themen anzusprechen, die wirklich sehr nah ans Herz gehen. Die Szene des Drachenflugwettbewerbs und die Konflikte, die daraus entstehen, sind mir besonders im Gedächtnis geblieben.

Insgesamt kann ich “Drachenläufer” von Khaled Hosseini nur wärmstens empfehlen. “Drachenläufer” ist kein gewöhnliches Buch. Es ist eine emotionale Achterbahnfahrt, die die Leser*innen auf einer Reise durch die Höhen und Tiefen menschlicher Erfahrungen mitnimmt. Von Freundschaft über Verrat bis hin zur Vergebung berührt es die Herzen. Die meisterhafte Erzählkunst von Khaled Hosseini verleiht dieser Geschichte Flügel, die weit über die Buchseiten hinausreichen und in den Gedanken und Gefühlen der Leser*innen weiterleben.

Wenn du also dazu bereit bist, auf den Flügeln der Literatur zu fliegen und deine Seele in den Seiten eines Buches zu verlieren, dann ist “Drachenläufer” ein absolutes Muss! Eine Geschichte, die einen berührt, inspiriert und einen dazu bringt, über das Leben, die Liebe und die menschliche Verbindung nachzudenken.

Beitragsbild: bovin wook auf Unsplash

Buchrezension: Die letzte Generation – Das sind wir alle

Buchrezension: Die letzte Generation – Das sind wir alle

Kurzer Einschub vorneweg
Diese Rezension befasst sich ausschließlich mit den im Buch vorkommenden Inhalten und bewertet nicht die politischen Botschaften oder das Auftreten der „Letzten Generation“ oder einzelner genannten Personen. Dies beruht auf der aktuellen Dynamik in der Debatte um die „Letzte Generation“ aufgrund des bestehenden Anfangsverdacht wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ und der damit einhergehenden Komplexität der Thematik. Dies führt dazu, dass es keine Stellungnahme zu den oben genannten Punkten geben wird, da ich mich nicht im Stande sehe eine, meiner Meinung nach, der Diskussion förderliche Positionierung zu äußern, da mir gerade bei der rechtlichen Betrachtungsweise das hierzu nötige Wissen fehlt. Mehr zu den aktuellen Entwicklungen rund um die “Letzte Generation” findet ihr hier.

Vom einem Jesuitenpater, einer Schülerin und einem Studenten

Eins wird gleich zu Beginn deutlich, Klimaschutz verbindet die unterschiedlichsten Menschen. Aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten kommen Menschen zusammen, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren. In dem Buch geht es um drei Personen, die sich und ihr Leben der “Letzten Generation” verschrieben haben. Es begleitet den Weg von Jörg Alt, Lina Eichler und Henning Jeschke hin zu den Klimaprotesten der „Letzten Generation“. Eingeleitet wird das Buch von den Vorstellungen der drei Protagonist*innen. Besonders hierbei ist die Konstellation in der die drei zueinander stehen. Während Jeschke und Eichler aktiv am Protest der „Letzten Generation“ teilnehmen ist Jörg Alt einer der Unterstützer*innen der „ Letzten Generation“. Besonders die Kontakte Alts in Politik und Welt sind es die später eine besondere Rolle spielen werden.

Mit dem ersten Worten des Buches wird aber auch eins deutlich. Dieses Buch wird nicht nur einen Blick hinter die Kulissen der “Letzten Generation” geben, sondern soll auch den Leser überzeugen. Mit Sachargumenten. Nicht mit einer emotionalen Botschaft oder sonstigen Gefühlsduseleinen, sondern mit der Wissenschaft. Immer wieder finden sich Erklärboxen auf den Seiten oder gehen gleich über mehrere. Besonders ist auch, dass es für dieses Buch ein eigenes Quellenverzeichnis gibt. Es ist der Leserin oder dem Leser also möglich sich von jeder Quelle nicht nur einen eigenen Überblick zu verschaffen, sondern gegebenenfalls eigene andere Schlüsse zu ziehen.

Alle Wege führen zum Reichstag

So richtig Fahrt nimmt das Buch in der Mitte auf. Hat man am Anfang noch die drei Protagonist*innen kennengelernt, so erfährt man jetzt, wie der Hungerstreik vor dem Reichstag abläuft. Dieser hatte zum Ziel, dass es ein Gespräch vor der Bundestagswahl 2021 mit dem Kanzlerkandidaten geben sollte. Vor allem aber lernt man die Geschehnisse hinter den Kulissen genauer kennen. So bekommt man nicht nur aus erster Hand mit, wie stark das Leid der Hungerstreikenden ist, sondern auch, wie sehr der Hungerstreik die Gruppendynamik kaputtgemacht hat. Es gibt in der Gruppe selbst immer mehr Zweifel, ob der Hungerstreik über eine so lange Zeit nicht doch ein zu hohes Risiko für das Leben der Streikenden darstellt. Besonders krass finde ich in diesem Zusammenhang, dass gerade bei dieser Aktion Weitsicht eine große Rolle spielt. So wird sich auf diesen Hungerstreik vorbereitet durch Training oder Gespräche mit Fachleuten, wie Ärzt*innen. Aber auch die Schilderungen der Veränderungen werden sehr eindrucksstark übermittelt. So schildert Henning Jeschke zum Bespiel einen stark gebesserten Geruchsinn und teilt rückblickend auf seine Vorbereitung folgende Erfahrung.

„Schon nach drei, vier Tagen Hungern wird der Geruchssinn richtig stark. In der Zeit bin ich noch mal mit dem Fahrrad nach Hause gefahren, um etwas zu holen. Es war beeindruckend, in welcher Entfernung ich wie intensiv Essen roch, bei jeder Bäckerei aufs Neue.“

Seite 70 Mitte

Der Hungerstreik selbst wird aus den drei unterschiedlichen Perspektiven der Protagonist*innen geschildert. Hennig Jeschke und Lina Eichler, die sich im Hungerstreik befinden und Jörg Alt, der die Gespräche im Hintergrund führt, dabei seine Kontakte in die politische Welt nutzt und eher eine beobachtende Rolle einnimmt. Jeschke und Eichler schildern vor allem ihre Erfahrungen bezogen auf die physischen und psychischen Folgen des Hungerstreiks, aber auch und das ist besonders spannend, wie sich die Gruppe untereinander verhält. Welche Aufruhe herrscht, wenn das Telefon klingelt und die Gruppe hofft eins der erhofften Gespräche zu führen. Der Hungerstreik endet für die Gruppe zwiespältig. Zum einen gibt es Zusagen zu den Gesprächen und 300 neue Kontakte von Menschen, die sich der „Letzten Generation“ anschließen wollen, zum anderen stirbt Henning Jeschke beinahe. Auch der Gruppe als solche geht es nicht besonders gut. Lina Eichler selbst zieht folgendes Fazit über die Gruppe:

„Es ist so schade, dass wir da gemeinsam reingegangen sind, aber nicht als Gruppe rausgekommen sind.“

S. 79 Mitte

Besonders eins ringen mir diese Schilderungen beim Lesen ab. Respekt. Nicht dafür sein Leben zu riskieren, sondern an einer Überzeugung so lange festzuhalten unabhängig von den möglichen Konsequenzen. Das Buch schafft es hier nicht nur einen sehr guten Einblick in die einzelnen Akteure zu liefern, sondern auch einen besonders eindrucksvollen Blick hinter die Kulissen der “Letzten Generation” zu liefern. Vieles gab beim Lesen den Eindruck, dass man praktisch mit vor Ort war, da die Schilderung so voller Leben waren und mich persönlich auch sehr fesseln konnten.

Nach dem Hungerstreik

Nach den Schilderungen zum Hungerstreik verliert das Buch ein wenig den WOW- Faktor. Leider. Nachfolgend wird über verschiedene Sitzblockaden berichtet und auch darüber wie man Pipelines abdreht. Eine eher nicht so spannende Etappe in diesem Buch. Liegt aber hauptsächlich daran, dass man diese Ereignisse aus den Medien bereits kannte oder zumindest davon gehört hatte. Was aber besonders ab der zweiten Hälfte gut gelingt ist die Überzeugung selbst tätig zu werden. Es überwiegt hier für den*die Lesenden nicht mehr der Fokus auf einer großen Aktion der “Letzten Generation”, sondern es gibt viele kleine. Dafür wird aber besonders in der zweiten Hälfte deutlich, warum die drei Protagonist*innen handeln, wie sie handeln. Der Versuch die Lesenden von seinen Ansichten auf wissenschaftlichen Wege zu überzeugen wird besonders hier sehr deutlich.

Am Ende ist man immer schlauer

Besonders gegen Ende des Buches und besonders mit den Schlussworten von Angela Krumpen und von bene! Verlagsleiter Stefan Wiesner wird mir eins klar. Das Buch hat nicht an Spannung verloren. Ich habe nur nach den falschen Dingen gesucht. Dieses Buch gibt einem keinen “Blick hinter die Kulissen” und soll einen so überzeugen. Es bietet um überzeugen zu wollen einen “Blick hinter die Kulissen”. Besonders im Kopf geblieben ist sind mir folgende Worte von Stefan Wiesner:

“Es gibt Bücher, die geschrieben werden müssen. Dieses Buch gehört definitiv dazu.”

Seite 184 unten

Natürlich sind das Worte, die jede Verlagsleitung über Bücher sagen sollte, die im eigenen Verlag veröffentlicht werden, allerdings merkt man gerade in diesem Schlusswort eine bloße Überzeugung in den Worten. Eine Überzeugung, die sich von Anfang bis Ende in jedem geschriebenen Wort des Buches wiederfindet.

An dieser Stelle sei angemerkt, dass der bene! Verlag uns ein Exemplar kostenfrei zur Verfügung gestellt hat. Das Buch gibt es für einen Preis von 18€ überall zu kaufen, wo es Bücher gibt.

Beitragsbild: Jan-Niklas Heil

Spiel-Rezension: Legenden von Andor – Die Ewige Kälte

Spiel-Rezension: Legenden von Andor – Die Ewige Kälte

Der Winter kann etwas Schönes sein – gemütlich am Kamin sitzen, durch den Schnee stapfen, Schlitten fahren… Noch schöner ist es allerdings, wenn er endlich vorbei ist und es wieder warm und grün wird. Aber was, wenn das nicht passiert? Was, wenn der Winter einfach zu keinem Ende kommen will? Dann macht der Winter irgendwann nicht nur keinen Spaß mehr, nein, es gibt echte Versorgungsprobleme. Das ist die Situation, in der sich das Land Andor in Michael Menzels neuem Spiel befindet – werden die Held*innen es schaffen, die Kälte zu besiegen?

Das hängt im vierten großen Andorspiel nicht nur von Würfelglück, sondern auch von Teamfähigkeit und guter Planung ab. Denn es gibt wieder einmal einiges zu tun: Die Spielenden müssen nicht nur herausfinden, was es mit dem geheimnisvollen Winterstein auf sich hat, sondern auch einen Weg finden, die Kälte zu beenden und nebenbei die Burg beziehungsweise die Zeltstadt vor den Angriffen der Kreaturen schützen. Und dann sind da noch die Schneestürme, die einem leicht einen Strich durch die Rechnung machen können…

So funktioniert das Spiel

Doch erst einmal ganz von vorn: was ist überhaupt dieses Andor?
Andor ist eine Spielreihe, bei der kooperativ Fantasy-Abenteuer an unterschiedlichen Orten bestanden werden müssen. Der erste Teil spielt im Land Andor, das auch die Heimat der Held*innen ist, in deren Rollen man schlüpfen kann. Die Figuren unterscheiden sich in ihrer Kampfstärke und ihren Fähigkeiten. In “Die Ewige Kälte” stehen zum Beispiel eine Wächterin des Feuers, ein Zwerg, eine Zauberin und ein Krieger zur Auswahl. Das Spiel geht über mehrere Runden, die Legenden, die jeweils eine andere Geschichte erzählen und in denen unterschiedliche Aufgaben gemeistert werden müssen.

Eine Mission haben jedoch alle Legenden gemeinsam: Die Kreaturen müssen in Schach gehalten werden. Nachts bewegen sie sich über das Spielfeld, in Richtung von Orten, an denen Menschen Schutz suchen, in Andor etwa der Burg. Wenn dort zu viele Kreaturen einfallen, ist das Spiel verloren. Daher müssen die Held*innen, wenn sie tagsüber am Zug sind, über Würfelwürfe gegen diese Bedrohung kämpfen. Für erfolgreiche Kämpfe gibt es Belohnungen, allerdings kostet das Kämpfen auch wertvolle Zeit – Zeit, die auch gebraucht wird, um auf anderen Missionen durch die Lande zu ziehen, es gilt also immer abzuwägen, was wer am Besten tun sollte. Das mag so alles erstmal ein bisschen kompliziert klingen, wird aber auch in “Die Ewige Kälte” im Laufe der ersten Legende einsteiger*innenfreundlich erklärt.

Der neue Teil spielt zeitlich zwischen der zweiten und dritten Legende des Grundspiels. Startpunkt ist daher auch das verschneite Land Andor, von wo aus es auf der Suche nach einem Weg, die Kälte zu beenden, weiter nach Osten geht. Auch die bislang unbekannte Gegend, die dort liegt, hat der Winter fest im Griff. Und er macht es den Held*innen nicht leicht:

Neben den Kämpfen und Missionen noch der Kälte trotzen zu müssen, ist nicht unanstrengend. Dadurch geschwächt halten die Andori jeden Tag eine Stunde weniger durch, bevor sie sich ausruhen müssen. Doch selbst im Schlaf sind sie nicht vor Einwirkungen sicher: Unter den großzügig verteilten Schnee- und Eisplättchen, die aufgedeckt werden, sobald jemand seinen Zug auf einem entsprechenden Feld beendet, verbergen sich oftmals Schneestürme. Der aufkommende Wind weht alle Figuren der Gruppe entlang der Pfeile, in deren Richtung sich normalerweise die Kreaturen bewegen, ein Feld weiter. Befindet sich dort ein neues Plättchen, kann eine Kettenreaktion ausgelöst werden. Das kann unglaublich ärgerlich sein, oft spielt einem der Wind aber auch in die Karten. Die langen Wege, die die Spielenden zurücklegen müssen, wären in der kurzen Zeit nicht machbar, wenn es nicht den ein oder anderen Luftstoß gäbe.

Wer dennoch nicht verweht werden will, muss in die Zeltstadt oder über den großen, gefrorenen See in der Mitte des Spielplans laufen. Dort gibt es keine Pfeile. Doch Vorsicht: Jedes Feld des Sees kann nur einmal betreten werden, danach bricht das Eis. Daher heißt es: gut überlegen, zu welchem Zeitpunkt man über das Wasser abkürzen will. Beliebig oft können dafür Feuer entzündet werden. Das braucht zwar den nötigen Willen, aber danach spendet die Wärme den Spielenden Kraft für Kämpfe und einen stärkeren Willen für den nächsten Tag, wenn die nächsten Herausforderungen warten.

Auf dem winterlichen Spielplan müssen verschieden Orte erkundet und Kreaturen (rote Figuren) besiegt werden.

Und so schneidet es ab

Insgesamt ist “Die Ewige Kälte” ein Spiel, das sich lohnt, ganz gleich, ob man die vorherigen Andor-Teile bereits kennt oder nicht. Es wurde wirklich gut darauf geachtet, alles noch einmal Stück für Stück zu erklären. Wie bei den anderen Spielen steht auch hier wenig in der Anleitung, dafür mehr auf den Legendenkarten, sobald etwas relevant wird. So gelingt ein Einstieg besonders leicht, nur hat es für bereits erfahrene Personen den Nachteil, dass man praktisch alles noch einmal lesen muss. Hier wäre es vielleicht gut gewesen zu kennzeichnen, welche Regeln neu und welche alt sind. Das spielt aber höchstens in der ersten Legende eine Rolle, danach sind ohnehin alle auf dem gleichen Stand. Im Vergleich zu anderen Spielen sind die Legenden hier eher einfacher, es gibt aber zusätzliche Karten, um den Schwierigkeitsgrad zu erhöhen, so dass alle auf ihre Kosten kommen.

Gegenüber den anderen Spielen wurde etwas abgespeckt. Es wird mit vier Legenden weniger erzählt, allerdings gehört “Die Ewige Kälte” ja auch nicht zur Andor-Trilogie, sondern ist eine Art Bonus-Teil (Der aber genauso viel kostet wie längere Teile). Das Spielmaterial ist auch deutlich weniger umfangreich, was es leichter macht, den Überblick zu behalten. Statt in kleine Plastiktüten wird es jetzt in einen Pappaufsteller sortiert. Das ist nachhaltiger und übersichtlicher, funktioniert aber natürlich nur, wenn man das Spiel nur ins Regal stellt und nirgends hintransportiert. Eine Kleinigkeit zum Material, die positiv auffällt, sind die Held*innentafeln. Jede Rolle lässt sich als männliche oder weibliche Figur spielen. Auf den Tafeln im ersten Teil waren noch alle männlichen Rollen auf der Vorderseite und die weiblichen auf der Rückseite. Hier ist das Verhältnis hingegen ausgeglichen.

Die neuen Elemente, die durch den Wintereinbruch dazu kommen, machen das Spiel abwechslungsreicher. Gerade die Schneestürme sind dadurch interessant, dass sie unvorhersehbar sind und es sich im Spielverlauf jederzeit ändern kann, ob sie wünschenswert sind oder nicht. Gleichzeitig sorgt die Kälte aber auch für weniger Abwechslung – nämlich auf dem Spielplan. Der ist immer noch schön gestaltet, aber dadurch, dass alles so trist ist, gibt es natürlich weniger zu entdecken als auf anderen Plänen. Vielleicht aber auch eine zusätzliche Motivation, den Winter zu beenden, er soll ja nicht als etwas Schönes empfunden werden.

Die Beendigung des Winters als gesamtes Ziel für das Spiel ist als Idee erst einmal schön, so stehen die Legenden nicht so getrennt voneinander, sondern man kann wirklich eine Geschichte erleben. An der Geschichte hätte man aber noch etwas feilen können, die Missionen der ersten Legenden fühlen sich eher nach Fehlversuchen an als nach einem wichtigen Schritt auf dem Weg ans Ziel. Es würde sich befriedigender anfühlen, wenn geradliniger auf ein Ziel hingearbeitet würde, statt Wege auszuschließen, die Kälte zu besiegen. Denn, so viel kann über die Geschichte verraten werden, das klappt natürlich erst nach der vierten und damit letzten Legende. Bei den vorherigen Versuchen ist also von vornherein klar, dass sie zum Scheitern verurteilt sind.

Nichtsdestotrotz macht es Spaß, zusammen zu scheitern – sei es an den Legenden als solche oder beim Kampf gegen den Winter. Es ist einfach schön, für ein paar Stunden in die Welt von Andor einzutauchen und dort Abenteuer zu bestehen. Da kann es ruhig ein bisschen dauern, bis die Kälte besiegt ist und in der echten Welt “Die Ewige Hitze” auf uns wartet…

Bilder: Nora Stoll