moritz.playlist – Vini Baby

moritz.playlist – Vini Baby

Musik – Töne mit Zusammenhang, oder gerne auch ohne. Im Prinzip systematischer Krach. Jede*r hat schon mal Musik gehört, aber was ist die Geschichte hinter den einzelnen Stücken, auch Lieder genannt, und womit verbinden wir sie? Was lösen sie in uns aus und wer hat sie erschaffen? webmoritz. lässt die Pantoffeln steppen, gibt vor, was angesagt ist und buddelt die versteckten Schätze aus. Unsere Auswahl landet in eurer moritz.playlist.

Habt ihr schon einmal von Vini Baby gehört? Nein? Nicht schlimm, denn das hat bisher kaum jemand. Auf Soundcloud hat sein meistgehörter Track gerade einmal 1.800 Plays, auf Youtube um die 2.000 Aufrufe. Ihr fragt euch bestimmt, warum ein bisher so unbekannter Künstler in der legendären moritz.playlist einen Platz bekommt. Ganz einfach: das Bauchgefühl des Autors ist der festen Überzeugung, dass der Berliner Rapper 2023 ziemlich steilgehen wird. Dieses Bauchgefühl manifestiert sich allein aus der heftigen Zuneigung, welche er dem Stil und den Texten des Künstlers gegenüber empfindet.

Vini Baby besitzt eine gute Beobachtungsgabe, sowie ein phantastisches Gespür für chillige Beats, welche in ihrer Lo-Fi-Ästhetik einen verdammt kühlen (im Sinne von „cool“) Vibe erzeugen. Wenn diese Lo-Fi-Beats mit der sonoren Stimme des Rappers vermischt werden, entsteht eine spannungsgeladene Melange, welche die Message des Künstlers erkennbar werden lässt.

Aber worin besteht diese Message? Lieder wie „Kiffer“ oder „Jedes Mal“ sind explizite Kritik an der Berliner Drogenkultur. In „Kiffer“ singt er aus der Perspektive einer Person, die versucht vom Gras loszukommen. Er schildert Entzugserscheinungen und kritisiert die Verherrlichung der Droge, beispielsweise mit einer Referenz zu Sammy Deluxe’s Song „Grüne Brille“, in welchem ebenfalls ein ambivalentes Verhältnis zu Weed erkennbar ist.

Vini Baby grenzt sich vom hemmungslosen Konsum, der um ihn herum stattfindet, ab. Er kritisiert in „Toilette #3“ die Gleichgültigkeit dieser Szene gegenüber Politik und Gesellschaft. Der Lieblingstrack des Autors – „Love in Berlin“ – schlägt in diesselbe Kerbe. Der Rapper erzählt einen Schwank aus seiner Berliner Datingerfahrung der tief blicken lässt. Die Frauen, mit denen er sich im Song trifft, sind typische Berlin-Klischees; sexuell freizügig, Partydrogen nicht abgeneigt und mit einem fragwürdigen Verständnis von gesellschaftlichem Engagement. Sie sind Menschen, die vom hedonistischen Sog Berlins mitgerissen wurden und so jegliche eigene Identität abgelegt haben. Vini Baby ist unterschwellig angewidert von dieser homogenen Berliner Partyidentität seiner Dates. Im Refrain fleht er beinahe: „Ich will doch nur einen Mensch, der mich liebt…“.

Vini Baby steht noch ganz am Anfang seiner Rapkarriere, aber das was er in den letzten Monaten abgeliefert hat, macht ihn zu einem der vielversprechendsten Cloud- und Consciuosrapper im deutschsprachigen Raum. Falls euer Interesse geweckt ist, dann schaut gerne mal bei unserer moritz.playlist vorbei. Dort findet ihr eine erlesene Auswahl der Künstler*innen, welche die Redaktion des webmoritz. bewegt.

Beitragsbild: Elsa Olofsson (Unsplash)

CaMeTa-Staffellauf: Verarschung Hoch 3 – Drei untrügerisch exzellente Filme über Hochstapler*innen

CaMeTa-Staffellauf: Verarschung Hoch 3 – Drei untrügerisch exzellente Filme über Hochstapler*innen

Geschichten über Betrüger*innen waren schon immer einer der Lieblings-Topoi im Film, vereinen sie doch Witz, Euphorie und Spannung. Nur wenige andere Genres können so eine vielfältige Mischung an Emotionen erzeugen wie Filme über Scams, Tricksereien und Fälschungen. Dieser Artikel, ein weiterer Teil unseres CaMeTa-Staffellaufs, präsentiert drei Filme, welche in den Augen des Autors den Betrüger-Topos besonders gut repräsentieren.

Film 1: Schtonk!

Jede*r der*die schon einmal einen Spiegel in der Hand gehalten hat, weiß: Hitler fasziniert. Helmut Dietls Debütfilm über die gefälschten Hitlertagebücher des Künstlers Konrad Kujau zeigt auf satirische Weise, wie sehr der Führerkult der NS-Zeit auch die deutsche Nachkriegsgeneration noch fesselte. Götz Georges Protagonist Hermann Willié, ein ehrgeiziger Journalist und begeisterter Sammler von Nazi-Devotionalien, inklusive Hermann Görings Jacht Carin II wegen der er ständig in Geldnot ist, trifft auf einer Alt-Nazi-Feier den von Uwe Ochsenknecht gespielten Professor Fritz Knobel, welcher dort originale Hitlerbilder verkauft. Knobel erzählt dem begeisterten Willie von insgesamt 60 Hitlertagebüchern, welche angeblich in der DDR aufgetaucht seien, nachdem Hitlers Privatsekretär diese kurz vor Kriegsende ausfliegen hatte lassen, in einer Maschine, die aber abgeschossen worden sei. Willié überzeugt die Geschäftsführung seines Magazins Unsummen an Knobel zu bezahlen, damit er die Tagebücher beschafft.
Der Debütfilm des großen Helmut Dietl ist eine Persiflage der wahren Geschichte um die gefälschten Hitlertagebücher, welche der Stern 1983 veröffentlichte. Die aufgedrehte Absurdität des Films, die großartig aufspielenden Schauspieler*innen, die phantastischen Dialoge – all dies macht Schtonk! nicht nur zu einem hervorragenden Film über einen gewieften Täuscher und seine Opfer, sondern auch zu einer der besten Komödien des deutschen Kinos.

Film 2: Parasite

In Boong Joon-Hos vielschichtigem Film über zwei Familien, die an sich gegenüberliegen Enden von Wohlstand und Klasse stehen, ist die Frage, wer hier eigentlich wen täuscht auf den ersten Blick klar. Familie Kim, die in einer Souterrainwohnung, also wortwörtlich ganz unten in der strengen Klassenhierarchie Südkoreas angesiedelt sind, schleichen sich bei den wohlhabenden Parks ein, welche in einer Villa, weit oben an einem Berghang leben. Der Kim-Sohn Ki-woo wird Nachhilfelehrer bei den Parks, seine Schwester Ki-jung wird deren Kunstlehrerin. Der Vater, gespielt vom hervorragenden Song Kang-ho, wird ihr Chauffeur und die Mutter die Haushälterin.
Doch unter dem oberflächlichen Betrug liegt eine weitere – gesellschaftliche – Täuschung, auf welche Boong Joon-Ho immer wieder aufmerksam macht. Die systemimmanente Unterdrückung der Unterschicht, aufgebaut auf dem Versprechen, dass jede*r es schaffen könne, wenn er*sie sich nur genug anstrenge, wird im Film immer wieder deutlich. Das kapitalistische System ist hier die eigentliche Täuschung, welche Familien wie die Kims dazu zwingt unterirdisch zu hausen und trotz Bildung und Einfallsreichtums, doch immer wieder vor dem Nichts zu stehen – etwa, wenn während eines sintflutartigen Regenschauers ihre gesamte Wohnung unter Wasser gesetzt wird.

Film 3: Catch me if you can!

Es gibt in den Augen des Autors keinen besseren Weihnachtsfilm als diesen Steven Spielberg-Klassiker mit Tom Hanks als dem hartgesottenen FBI-Agenten Carl Hanratty, welcher dem Check-Fälscher Frank Abagnale Jr., gespielt vom jungen Leonardo DiCaprio, auf die Schliche kommt und ihn daraufhin über mehrere Jahre in einem fesselnden Katz-und-Maus-Spiel um die Welt verfolgt. Der Hochstapler beginnt seine Täuschungsversuche mit 16 Jahren als Reaktion auf die EntTäuschung über die Scheidung seiner Eltern. Frank versucht die Realität zu verdrängen. Er fälscht Checks, verkleidet sich als Pilot und fliegt kostenlos bei Pan-Am, er gibt sich als Arzt in einem Krankenhaus aus und später auch als Anwalt. Jedes Jahr zu Weihnachten ruft Frank den FBI-Agenten Hanratty an. Als dieser ihn endlich in Frankreich festnehmen kann, ebenfalls an Weihnachten, ist der Betrüger am Ende. Er kann seinen Problemen nicht länger davonlaufen. Seine Versuche, die zerbrochene Familie wieder zusammenzuführen sind allesamt gescheitert und der FBI-Agent ist jetzt seine einzige Bezugsperson. Um vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen zu werden, beginnt der frühere Hochstapler für das FBI zu arbeiten.
Dieser auf wahren Ereignissen beruhende Film vereint den Nervenkitzel der Verfolgungsjagd mit der Melancholie der Enttäuschung und der für Spielberg-Filme typischen Wärme und Zuneigung zu den Charakteren.

Foto von Jeremy Yap auf Unsplash

moritz.playlist — Ski Aggu

moritz.playlist — Ski Aggu

Musik – Töne mit Zusammenhang, oder gerne auch ohne. Im Prinzip systematischer Krach. Jede*r hat schon mal Musik gehört, aber was ist die Geschichte hinter den einzelnen Stücken, auch Lieder genannt, und womit verbinden wir sie? Was lösen sie in uns aus und wer hat sie erschaffen? webmoritz. lässt die Pantoffeln steppen, gibt vor, was angesagt ist und buddelt die versteckten Schätze aus. Unsere Auswahl landet in eurer moritz.playlist.

Der Deutschrap ist das mit Abstand musikalisch diverseste Genre deutscher Musik und bekommt gerade eine weitere spannende Facette: Der Rave-Rap von Ski Aggu, einem der wichtigsten Newcomer des Jahres, ist eine Offenbarung für alle, die von Drill-Rap und Latin-Dance-Rap, die in den letzten Jahren stark dominiert haben, genervt sind. Aggu (von seinem bürgerlichen Namen August) hebt sich durch eine nonchalante Party-Hard-Stimmung ab, die nicht nur seine Songtexte, sondern auch seine gesamte Social-Media-Performance bestimmt. Der Mann mit der Skibrille nutzt TikTok und Instagram äußerst clever. Er filmt sich dabei, wie er versucht am helllichten Tag jemandem das Fahrrad zu klauen oder in das Olympiastadion einzubrechen. Das trägt zu seiner I-Don’t-Give-A-Fuck-Aura und der Legitimierung der hedonistischen Raver-Nummer bei, welche von Beginn an Teil der Ski Aggu-Marke war. Nicht ohne Grund wird über das Ski in Aggus Künstlernamen spekuliert. Ist es eine Anspielung auf Kokain? Wer weiß. Ist ja eigentlich auch egal, solange der Bass ordentlich ballert. Und das tut er auf sämtlichen Ski Aggu Tracks.

Aber nicht nur Bass und Beat ballern beim Wilmersdorfer mit den guten Connections in die restliche Berliner Rap-Szene (siehe die Collabo mit Domiziana oder die Cameos von makko, usw.), sondern auch die Texte. Guter Flow und gute Lyrik machen Songs wie Hubba Bubba (»Ich trage auf dem Rücken eine Zehn so wie Messi«) oder Party Sahne (»Hab keine Flagge in der Hand doch hab‘ ’ne Fahne«) zu absoluten Granaten im Krieg um den Rapolymp.

Aggu ist ein Produkt der kompromisslosen Rave-Kultur der Hauptstadt. Das Partyleben ist der zentrale Bestandteil seiner Songs und durch die lustigen und einprägsamen Texte fühlt man sich wie in einem hedonistischen Sog, der die Hörer*innen tief in die feiergeile Welt des Rappers zieht und diese meist unreflektiert verherrlicht. Doch selbst wenn man vom Raver-Leben nicht sonderlich überzeugt ist, so ist die Musik doch zu gut, um wegzuhören. So ertappe ich mich seit ein paar Monaten oft dabei, dass ich, wenn ich Kopfhörer aufsetze, fast immer zuerst einen Ski Aggu Song anmache, denn seine Musik verbessert jedes Mal meine Stimmung. Die Leichtigkeit und Unbekümmertheit seiner Lieder ist vor allem in den grauen Herbst- und Wintertagen unserer Hansestadt wie eine Tageslichtlampe, die einem volle Kanne ins Gesicht scheint.
Zusätzlich zu dem Happy-Go-Lucky-Gefühl spielt auch die Ästhetik des Rappers eine große Rolle in seiner Musik. Aggu verstrahlt in seinem Look und seinen Texten aggressive 90er und 2000er-Vibes, zum Beispiel mit seiner Sammlung an Retro-Trikots aus Fußball und Radsport oder mit Anspielungen auf frühe Internettrends. Seine Ankündiger für Touren und neue Videos auf Instagram sehen aus, als hätte jemand WordArt auf Acid benutzt.

Ich bin sicher nicht der Einzige, dem es so geht, denn obwohl Aggu erst vor einem knappen Jahr in die Deutschrap-Bubble geplatzt ist, hat er schon jetzt einen heftigen Hype. Seine Apres Ski-Tour ist bereits vollkommen ausverkauft, eine krasse Leistung angesichts der Tatsache, dass viele andere Künstler*innen im letzten Jahr Probleme hatten, die Venues zu füllen. Ob sich Ski Aggu in der heiß umkämpften Deutschrap-Arena behaupten kann, ob er von seiner Nische aus- und in den Mainstream einbrechen kann, wird vermutlich eine der interessantesten Storylines im nächsten Jahr. Ich persönlich kann das erste Album kaum erwarten und vielleicht geht es euch nach dem Reinhören in unsere moritz.playlist ähnlich.

Beitragsbild:

Photo by Matthew Fournier on Unsplash