Freitag: Literat Jonas T. Bengtsson liest in Greifswald

Ein Gastbeitrag von Mattthias Jügler

Jonas T. Bengtsson kommt nach Greifswald. Der Shooting-Star der dänischen Literaturszene wird am Freitag, dem 14. Mai, ab 20 Uhr im Koeppenhaus aus seinen Büchern »Aminas Briefe« und »Submarino« lesen – in seiner Muttersprache. Anschließend werden Studenten die deutsche Version vortragen. Die Veranstaltung ist Teil des „Nordischen Klangs„.

Cover

Keiner bekommt gerne ein Stück rohes Fleisch vorgesetzt. Vor allem mit »Submarino« macht Bengtsson aber genau dies. Er schreibt nicht schön, lieblich und steht so gar nicht für das, was wir Deutsche erwarten, wenn wir an Skandinavien, im Speziellen an Dänemark denken: Schönes Land, schöne Strände und wenn‘s regnet, dann ab ins Legoland. Das gibt es nicht bei Bengtsson. Und das ist gut, dass der da gar keine Lust drauf hat.

Die Geschichte zweier Brüder, die ganz fragmentarisiert, sagen wir: scheibchenweise geschrieben ist, ist gespickt mit Gewalt, Angst, Drogen, Sehnsucht und ein bisschen Liebe. Alles in Kopenhagen. Die Stadt mit der Meerjungfrau auf dem Stein, dem Fußballklub, den schönen Promenaden, der schicken Oper auf der Insel Holmen, dem neuen Schauspielhaus, den netten Bars und Restaurants, etc. Das ist aber nicht Bengtssons Kopenhagen. Im städtischen Kosmos des 34 Jahre alten Dänens gibt es beispielsweise Nick, der in Muckibuden trainiert, aus denen er nicht lebend rauskommt, weil vorm Eingang zwanzig Leute warten, die ihre Fäuste in seinen Magen wuchten wollen. Diese Welt beschreibt Bengtsson, in der seine Antihelden mehr vegetierend denn lebend im Wohnheim am Fenster sitzen, das fünfte Bier trinken und auf die Straße starren.

Logo Nordischer Klang

Submarino bezeichnet eine Foltermethode. Gerade noch so am Leben – das sind die zwei Brüder, die beiden Protagonisten, von der ersten bis zur letzten Seite. Bengtsson schreibt derb, hart, einige mögen meinen: zu hart. Was soll das denn, dass sich da ein Vater auf dem Klo Heroin spritzt, während der Sohn im Wohnzimmer Fernsehen schaut? Das geht doch nicht. Bei Bengtsson geht das, und zwar so gut, dass Submarino, dieses rohe Stück Fleisch, sich im poetischen Sinne und mit alldem, was es in einem auslöst, als mehr als nur bekömmlich herausstellt. Das ist verdammt gute Literatur und nicht zuletzt deshalb wird sich einer wie der Erfolgs-Regisseur Thomas Vinterberg dazu berufen gefühlt haben, Submarino zu verfilmen und auf der Berlinale 2010 zu zeigen.

»Aminas Briefe«, Bengtssons Debüt, wird ebenfalls in Auszügen präsentiert. Es erzählt, wie »Submarino«, die Geschichte von Randständigen. Der schizophrene Janus kommt aus einer psychiatrischen Anstalt und sucht Amina. Sie war mit ihren Briefen jahrelang der einzige Kontakt zur Außenwelt. Seine Suche nach ihr wird grenzwertig in vielerlei Hinsicht: Konflikt und Gewalt bestimmt auch hier die Bengtsson‘sche Klangfarbe.

Die Lesung im Koeppenhaus darf sich ein Literaturfreund nicht entgehen lassen. Wir haben mit ihm gesprochen:

Jonas T. Bengtsson

Interview mit Jonas T. Bengtsson

webMoritz: Was hast du als Autor mit den Protagonisten in Submarino zu tun? Es geht um Gewalt, Drogen, Problemviertel. Fließt viel von dir selbst mit rein?

Bengtsson: Nick war ein Charakter, eine bestimmte Art eines jungen Mannes, den ich kennenlernte, als ich Anfang zwanzig war. Wir gingen ins gleiche Fitnessstudio. Wir lebten in einem Viertel, in der gleichen Nachbarschaft. Das ist in Kopenhagen, das sogenannte Nordvestkvarteret, seit 14 Jahren leben wir da schon. Ich bin nicht drogenabhängig, auch kein gewalttätiger Mensch, aber ich glaube, ich kenne das Gefühl, wie es ist, wenn man kein richtiger Bestandteil der Gesellschaft ist. Man könnte sagen, ich habe einige ziemlich extreme Charaktere ausgewählt, um einige Gefühle, die ich selbst ansatzweise kenne, noch zu vergrößern.

webMoritz: In Submarino ist Gewalt allgegenwärtig. Was bedeutet Gewalt für dich? Wie und wo erlebst du Gewalt, über die du dann schreibst?

Bengtsson: Gewalt ist eine Form der Kommunikation, wie so viele andere. Es ist eine Sprache spezifischen Charakters, die Nick, einer der Protagonisten in Submarino, spricht. Und diese Sprache der Gewalt spricht man fließend – jedenfalls in dem Viertel in Kopenhagen, in dem ich lebe.

webMoritz: Merkst du Unterschiede in der Rezeption deiner Bücher in Deutschland und Dänemark? Immerhin ist die realistische Schilderung von Gewalt, Sex und Drogen nicht jedermanns Sache.

Bengtsson: Vielleicht ja. Deutsche und Dänen sind gleich offen für dieses Thema. Was mir aufgefallen ist, ist die Tatsache, dass man in Dänemark die Plots der Bücher gleich in eine gesellschaftliche Debatte zwängen will. Wenn ich also über Drogenabhängige schreibe, meinen die Leute, ich wolle die Gesellschaft verändern oder aufzeigen, was falsch läuft. In Deutschland werden meine Bücher eher auf ihre rein literarische Qualität hin beurteilt. Darüber bin ich sehr froh.

webMoritz: Die Protagonisten in Submarino sind von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Du zeigst keine Wege, wie sie aus dem Schlamassel herauskommen können, wie man die Drogen, den Suff und die Gewalt in den Griff bekommt. Einige Rezensenten störten sich daran. Muss Literatur Auswege zeigen, gar Charaktere vorweisen, die sich innerhalb der Story zum Guten hin verändern?

Bengtsson: Ich verstehe die Vorbehalte in gewisser Weise. Aber eine Grundvoraussetzung für das Buch war, dass ich es in Form einer griechischen Tragödie schrieb. Übertragen in die Welt des modernen Kopenhagen. Ganz unten am gesellschaftlichen Rand Kopenhagens. Ich will nicht sagen: So ist das Leben. Ich will nicht zeigen, wie die Menschen sind. Submarino ist ein Kunstwerk, ein Stück meiner ganz eigenen, subjektiven Realität.

webMoritz: Haben wir vielleicht ein zu stereotypes Bild vom Norden, von Skandinavien? Von einer kleinen Welt für sich, die nur wunderschön ist, wo für Typen wie in deinen Büchern kein Platz ist?

Bengtsson: Aber ja, natürlich hast du Recht. Wir sind im glücklichen Teil der Welt… Vielleicht ist es deshalb interessant zu sehen, was passiert, wenn die Menschen dort, wo alles so schön sein soll, auf die schiefe Bahn geraten.

webMoritz: An welchem Projekt arbeitest du gerade?

Bengtsson: Mein nächstes Buch wird in Dänemark Ende Oktober dieses Jahres veröffentlicht. Es heißt »Ein Abenteuer«. Ich schreibe gerade noch daran. Es ist ein großartiges Buch. Ich könnte mir vorstellen, dass es in Deutschland ist im Jahr 2011 veröffentlicht.

Das Gespräch führte Matthias Jügler

Trailer zum Kinofilm Submarino

Bilder: Veranstalter

1.Mai Nazifrei! – Erlebnisbericht aus der Blockade in Rostock

Ein Erlebnisbericht von Christopher Denda

In den vergangenen Jahren war die Demonstration der örtlichen Rechtsextremen in MV zum ersten Mai nach Neubrandenburg verlagert worden. Vergangenes Wochenende sollte es erstmalig nach vier Jahren wieder einen Aufmarsch der Neonazis in Rostock geben. Von den Erfolgen der Blockade aus Dresden bestärkt wollten wir nun gleiches in Rostock versuchen.

Rostocker Parteien und Sozialministerin Manuela Schwesig feierten selbst in Evershagen ein Straßenfest gegen rechts. Die Route der Nazis sollte lediglich einen Kilometer daran vorbeigehen.

Die Sitzblockade auf der Brücke über die Stadtautobahn

Währenddessen versucht ein breites linkes Bündnis den Aufmarsch der Rechtsextremen zu verhindern. An deren Sammelpunkt, dem Marktplatz Lütten Klein, werden dann Punkt 9 Uhr wichtige Knotenpunkte besetzt. Es kommt zu insgesamt drei Sitzblockaden auf der Abfahrt Lütten Klein der Stadtautobahn, der Helsinkier und der Petersburger Straße.

Die Stimmung innerhalb der Sitzblockade ist sehr gelassen, auch wenn man noch nicht weiß, wie lange man dort verharren muss. Über den Köpfen kreist ein Polizeihubschrauber und die Demonstranten sind von Polizeieinsatzkräften eingekesselt. Aber es bleibt erst einmal alles friedlich.

Dann gegen 11 Uhr die erste gute Nachricht von der Demoleitung – es sind erst wenige Nazis in Lütten Klein eingetroffen. Eine Stunde später wird’s dann aber doch noch brenzlig – im wahrsten Sinne des Wortes –eine Wiese steht in Flammen und es kommt zu starker Rauchentwicklung. Dadurch werden auch die Einsatzkräfte der Polizei sichtlich nervöser.

Mittlerweile ist Udo Pastörs, der Fraktionsvorsitzende der NPD im Schweriner Landtag, mit etwa 600 Anhängern der rechten Szene in Lütten Klein versammelt – mehr als die Veranstalter geplant hatten.

NPD-Funktionär Udo Pastörs zieht mit Anhängern durch Rostock

Beamte schätzen, dass sich etwa 500 Leute in der Sitzblockade befinden – darunter auch Mitglieder des Landtags, wie Helmut Holter und Wolfgang Methling (Linke) sowie Reinhard Dankert (SPD).  Weitere linke Demonstranten, die zu der Blockade stoßen wollen, werden von Polizisten begleitet. Die Gruppe blockiert die Brücke über die Stadtautobahn. Der Demonstrationszug der Rechten sollt eigentlich genau hier entlanggehen. (mehr …)

Tagung „Sprachkritik in der Schule“ im Krupp-Kolleg

Ein Beitrag von Annegret Adam

Logo der Tagung.

„Das heißt nicht wegen dem, sondern wegen des!“ – Nicht nur Philologen ertappen sich bei der Korrektur ihres Gegenüber. Sprachkritik ist im Alltag allgegenwärtig, dazu gehören sowohl grammatische Korrekturen als auch explizite Wortgebrauchskritik an zumeist belasteten Wörtern (beispielsweise „Endlösung“). Bei Sprachkritik geht es jedoch nicht um die Normierung von Sprachgebräuchen, sondern um die Ausbildung von Sprachbewusstsein und die Förderung einer Sprachkultur. „Sprachkritik in der Schule“, lautet der Titel einer Tagung zu diesem Thema, die diesen Donnerstag und Freitag (29./30. April)  im Alfried-Krupp-Wissenschaftskolleg stattfindet. Da Sprachkritik bereits in der Schule beginnt, ist das große Ziel der Tagung, dass Wissenschaftler gemeinsam mit Studierenden Konzepte für den Unterricht erarbeiten.

Eröffnet wird die Tagung am Donnerstag um 9 Uhr im Krupp-Kolleg (Martin-Luther-Straße 14). Auf dem Programm stehen verschiedene Vorlesungen und Workshops, die neben Anderen von Gastdozenten der Universitäten Kiel, Potsdam und Koblenz-Landau, gehalten werden.

Das genaue Programm findet ihr auf der Homepage des Wissenschaftskollegs.

Das Programm »Forum Junge Wissenschaft« der Akademie der Wissenschaften in Hamburg, in diesem Jahr zum ersten Mal ausgeschrieben, wendet sich an den wissenschaftlichen Nachwuchs in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Junge Wissenschaftler aller Fachrichtungen waren aufgerufen, sich um Fördermittel für eine wissenschaftliche Tagung zu bewerben, die sie dann in eigener Verantwortung planen und durchführen. Gesucht wurden fachübergreifende Fragestellungen in wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Problemfeldern. Aus 13 eingereichten Ideenskizzen wählte die Akademie zwei Tagungs-Projekte zur Förderung aus. Neben der Universität Hamburg, konnte sich auch die Greifswalder durchsetzen. Die Tagung „Sprachkritik in der Schule“ wird durch wissenschaftliche Vertreter der Linguistik, Pädagogik und Psychologie durchgeführt. Hauptverantwortliche sind Birte Arendt und Jana Kiesendahl vom Institut für Deutsche Philologie.

Der Akademie der Wissenschaften in Hamburg gehören herausragende Wissenschaftler aller Disziplinen aus dem norddeutschen Raum an. Sie strebt an, die Zusammenarbeit zwischen Fächern, Hochschulen und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen zu fördern. Die Akademie wird finanziell unterstützt durch die Stadt Hamburg.

Hinweis: Die hier zeitweise verbreitete Behauptung, man könne zu einzelnen Veranstaltungen der Tagung auch ohne Anmeldung erscheinen, hat sich als Kommunikationsfehler und somit als falsch erwiesen. Daher wurde der Artikeltext entsprechend korrigiert.

Grafik: Anke Wagner

Gastkommentar: Der kernlose Mythos Ernst Moritz Arndt

Die Anfrage zur Veröffentlichung dieses Kommentars erreichte uns bereits am vergangenen Montag, dem 8. März. Wegen personeller Engpässe und einiger technischer Unstimmigkeiten kommt es erst heute zu einer Veröffentlichung. Vorab konnte der Kommentar allerdings schon auf dem Fleischerovrstadtblog gelesen werden, von dem wir auch die Zwischenüberschriften übernommen haben.

Aus aktuellem Anlass weisen wir noch einmal darauf hin, dass Kommentare im Allgemeinen und Gast-Kommentare im Besonderen nicht die Meinung der webMoritz-Redakteure widerspiegeln.

Ein Gast-Kommentar von Alexander Köcher

Arndt auf dem Rubenowdenkmal

Am 17. März wird der Senat der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald über die Ablegung ihres Namenspatrons abstimmen. Viel ist in den vergangenen Monaten darüber debattiert worden und es ist damit ein Diskurs entstanden, der in diesem Zusammenhang höchst überfällig war. Ernst Moritz Arndt war ein antisemitischer Hetzer, Franzosenhasser und völkischer Nationalist, sagen die einen. Ernst Moritz Arndt war ein standhafter Vorkämpfer gegen Unterdrückung und für Demokratie und Freiheit, sagen die anderen.

Der Austausch der Argumente für diese divergierenden Positionen ist nicht immer sachlich verlaufen – so wie das bei politischen Debatten oft der Fall ist, weil das Politische auch von Befindlichkeiten lebt und eben häufig agonistisch statt konsensual funktioniert. Deshalb ist die vielfach angebrachte Kritik an der Debattenkultur, wie sie sich hier vollzogen hat, unberechtigt. (mehr …)

Jobcenter auf dem Prüfstand

Ein Beitrag von Konrad Ulbrich

In den vergangenen Wochen wurde in Deutschland viel über eine anstehende Reform der Hartz-Gesetze diskutiert. Die derzeitige Kooperation zwischen Bund und Kommunen bei den Argen, oder auch Jobcenter genannt, hatte das Bundesverfassungsgericht für rechtswidrig erklärt. Zudem seien die Regelsätze von ALG II nicht korrekt bemessen worden. Bis zum Ende des Jahres muss die Regierung eine neue Lösung finden.

Ungewisse Zukunft: Die Agentur für Arbeit

Arbeitslosenhilfe II „aus einer Hand“ war das Ziel der rot-grünen Arbeitsmarktreform von 2005. Fortan wurden Argen (Arbeitsgemeinschaften gegründet, in denen die Bundesagentur für Arbeit und die Kommunen gemeinsam die Bürger betreuen, die einen Anspruch auf ALG II oder Sozialgeld haben. Eine Aufgabenverteilung existiert jedoch weiterhin: So ist die Bundesagentur für Arbeit insbesondere für die Vermittlung von Arbeitslosen und die Auszahlung des Arbeitslosengeldes und die Kommune für Wohngeld sowie Heizungs- und Umzugskosten zuständig. Daraus ergaben sich in der Folge zahlreiche Abstimmungs- und Kompetenzprobleme. Zudem ist die Finanzierung nicht abschließend geklärt.

Verfassungsgericht: Form der Mischverwaltung verfassungswidrig

Am 20. Dezember 2007 entschied sodann der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), dass die Ausgestaltung der Arbeitsgemeinschaften, in der Form der Mischverwaltung aus der Bundesagentur und den kommunalen Trägern verfassungswidrig sei. Als Grund dafür nannten die Verfassungsrichter, dass die gesetzliche Regelung die Gemeindeverbände in Ihrem Anspruch auf eigenverantwortliche Aufgabenerledigung verletze und zudem gegen die Kompetenzordnung des Grundgesetzes verstoße. Nach der Verfassung muss klar zugeordnet sein, welcher Träger für die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben zuständig ist. Das Verfassungsgericht setzte dem Bund in dem Urteil eine Frist bis spätestens zum 31. Dezember 2010, eine gesetzliche Neuregelung zu fassen. Bis dahin bleibt die Norm anwendbar.

Urteil ein Schlag in das Gesicht der Politik

Im Urteil heißt es wörtlich „Mangelnde politische Einigungsfähigkeit kann keinen Kompromiss rechtfertigen, der mit der Verfassung nicht vereinbar ist“. Da die Frist für eine Gesetzesänderung bald abläuft, werden in der Bundespolitik nun dringend nach Lösungen gesucht. Dabei stieß die von der Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) vorgeschlagene freiwillige vertraglich geregelte Zusammenarbeit zwischen Kommunen und den Bundesagenturen, um so eine formale Trennung zu erreichen, bei den Ministerpräsidenten auf wenig Begeisterung. Als Gründe für die Ablehnung nannten diese einen bürokratischen Mehraufwand für Behörden und Arbeitslose. Sie schlagen hingegen eine Verfassungsänderung vor, damit die Hartz-Gesetze fortan mit dieser im Einklang stehen. Derzeit gibt es zwischen der Union und der SPD intensive Gespräche, da bei einer solchen Änderung des Grundgesetzes eine 2/3-Mehrheit erforderlich ist. Auch die SPD steht dem Vorhaben positiv entgegen, sodass eine solche Lösung als wahrscheinlich gilt.

Greifswalder Arge-Geschäftsführer Bartels: „Mischverwaltung ein Erfolgsmodell“

Erich Bartels von der Greifswalder Arge

Unabhängig von der durch das BVerfG festgestellten Verfassungswidrigkeit der Mischverwaltung, stellt diese laut dem Greifswalder Arge-Geschäftsführer Erich Bartels ein Erfolgsmodell dar. „Die Zusammenarbeit mit den Vertretern der Bundesagentur für Arbeit in Stralsund und denen der Stadt Greifswald, Ulf Dembski (SPD) und Egbert Liskow (CDU), stellt sich als außerordentlich positiv dar“ so Erich Bartels. Zu Abstimmungs- und Kompetenzproblemen sei es in Greifswald nie gekommen; dies liege seiner Meinung nach maßgeblich an den Personen vor Ort. Besonders stolz ist Erich Bartels auf den Rückgang der Jugendarbeitslosigkeit: „Waren es im Januar 2005 (Beginn der Arge Greifswald) noch 634 Jugendliche unter 25 ohne Job, so konnten wir diese Zahl bis zum Januar 2010 auf 261 reduzieren.“. Als Gründe nannte er seinen großen Handlungsspielraum hinsichtlich der Möglichkeiten des Forderns und Förderns. So mussten arbeitslose Jugendliche mindestens einmal im Monat im Jobcenter vorstellig werden. Es wurden zunächst 1-Euro-Jobs vermittelt und deren tatsächliche Arbeit konsequent überprüft. „1-Euro Jobs bieten eine sehr gute Möglichkeit, um wieder in einen gewissen Arbeitsrhythmus gelangen.“ und „Für viele war es seit Jahren die erste regelmäßige Beschäftigung.“ so Bartels weiter. Um die Arbeitssuchenden langsam wieder an einen „normalen“ Arbeitsalltag heranzuführen, wurden teilweise die ersten Arbeitstage zunächst um 11 Uhr begonnen, später wurde diese Zeit Woche für Woche um eine Stunde vorverlegt. Die jungen Menschen wurden zudem innerhalb dieser Maßnahmen fortgebildet und konnten so wieder in den ersten Arbeitsmarkt eingegliedert werden.

Herr Bartels erklärte uns zudem, dass den Jobcentern zahlreiche Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um die Arbeitssuchenden auch im Rahmen des Bewerbungsverfahrens zu unterstützen. Beispielsweise begleiten Mitarbeiter der Jobcenter die Arbeitssuchende bei ihren Vorstellungsgesprächen oder es werden Friseurbesuche vor den Vorstellungsgesprächen übernommen.

Bartels kann sich Kritik nicht erklären

Nach Bartels ist „konsequentes Fordern und Fördern in jedem Lebensalter zwingend notwendig, um jahrelanges Untätigwerden und Verlernen von geregelten Tagesabläufen zu vermeiden.“. Im Hinblick auf das kürzlich ergangene weitere Verfassungsgerichtsurteils zu den Hartz-Gesetzen, dass die Regelsätze nicht korrekt bemessen wurden, komme es nach Bartels nicht auf dessen Höhe an (z. Zt. für Volljährige: 359€). Geht es nach ihm, können die Menschen auch eine Grundstütze von bis zu 520 € bekommen. Das Wichtige sei jedoch, dass ihnen stets Beschäftigung und Förderung angeboten und sie zu keiner Zeit in ihrer Situation allein gelassen werden.

Die Kritik an der Greifswalder Arbeitsgemeinschaft, die im vergangenen Jahr „Den verbogenen Paragraphen“ erhalten hatte, kann sich Erich Bartels nicht erklären. „Ich setze lediglich die bestehenden Gesetze um.“ erklärt er. Andere Arge-Chefs verzichteten zwar auf das fortlaufende Anbieten von 1-Euro-Jobs und würden damit auch weniger kritisiert, das sei aber nicht seine Philosophie und auch nicht im Interesse der Arbeitssuchenden.

Es bleibt daher abzuwarten, wie die Regierung die Vorgaben des BVerfG umsetzen wird. Zumindest aus Sicht der Greifswalder Arge wäre die Grundgesetzänderung eine wünschenswerte Lösung, damit das aktuelle (Erfolgs-)Modell erhalten bleibt.

Bilder:

Schriftzug „Jobcenter“ (Startseite) – mkorsakov via flickr

Schild „Bundesagentur für Arbeit – svensonsan via flickr

Erich Bartels – Konrad Ulbrich