von Archiv | 20.05.2008
2. Internationaler Tag in der Mensa
Im vergangenen Jahr führte das Akademische Auslandsamt der Universität Greifswald (AAA) den 1. Internationalen Tag durch. Diese junge Messe verfolgt das Ziel, alle interessierten Studenten unserer Universität über die Möglichkeiten, ein Studium oder Praktikum im Ausland aufzunehmen, zu informieren.
Bei der Premiere dieses Internationalen Tages im letzten Jahr, wurde das AAA von zahlreichen Studierenden unterstützt, die direkt an einem vom Auslandsamt vorbereiteten Stand über ihre Auslandserfahrungen berichtet hatten. Diese „studentischen Berater“, da ist sich Annette Ehmler vom Auslandsamt sicher, werden auch dieses Jahr zahlreich für Fragen aller Art zur Verfügung stehen und so wie am 1. Internationalen Tag gern aufgesucht werden. Denn durch die oft noch frischen Erinnerungen sind sie in der Lage, von eigens gemachten Erfahrungen zu berichten, bei Fragen und Problemen zu helfen und somit vielleicht auch einigen noch unentschlossenen Interessierten bzw. Gerne-Aufschiebern einen Aufenthalt im Ausland schmackhaft oder direkt greifbar zu machen.
Der 2. Internationale Tag des Auslandsamtes wird morgen Mittwoch, 21. Mai von 11.00 bis 16.00 Uhr als Messe in der Mensa durchgeführt und durch Vorträge in dem Gebäude der BWL neben der Mensa ergänzt. Das Auslandsamt hofft auf viele Besucher mit Fernweh.
Geschrieben von Steffi Besch
von Archiv | 19.05.2008
Ein Gastbeitrag aus dem Satire-Magazin „Titanic“
Harvard is in Germany
und wer sich darüber freut, ist eigentlich schon zu doof, als daß man ihn an einer Eliteuniversität studieren lassen sollte. Ein abermals recht exzellenter Vortrag von Stefan Gärtner, M.A.
Wie dagegen im engsten Umkreis Menschen dort verdummen, wo ihr Interesse anfängt, und dann ihr Ressentiment gegen das kehren, was sie nicht verstehen wollen, weil sie es allzu gut verstehen könnten, so ist doch die planetarische Dummheit, welche die gegenwärtige Welt daran verhindert, den Aberwitz ihrer eigenen Einrichtung zu sehen, das Produkt des unsublimierten, unaufgehobenen Interesses der Herrschenden.
Minima Moralia §127
Eine der erfrischendsten Ironien der letzten Zeit ist sicherlich die Unruhe des Bildungsbürgers, der feststellt, daß die seit der Entdeckung der Globalisierung und insonderheit des sog. Pisa-Schocks forcierte Ökonom- und Brutalisierung bereits der Schulverhältnisse auch das eigene Balg betrifft: „Das verkürzte Gymnasium macht aus Kindern Manager“, erkannte ein bedröppelter Hannes Hintermeier in eben der Frankfurter Chef- und Oberklassenzeitung, deren Bildungsredakteuse Heike Schmoll seit gefühlten Dekaden nach Latein ab Einschulung, Turboladergymnasium und Zentralabitur in allen Fächern schreit: „Spontane Verabredungen mit Nachbarskindern sind die Ausnahme, Kindergeburtstage bedürfen sorgfältiger Absprachen, das gesamte Schuljahr muß akribisch durchgeplant werden … Kinderärzte berichten, daß Eltern verstärkt Antibiotika für die Kinder verlangen, um Fehlzeiten abzukürzen. Immer mehr Schulkinder klagen über Erschöpfungszustände“, nämlich in Bayern, wie vor Jahren schon in der SZ zu lesen war, ein rundes Drittel aller „G8“- und also Schnellgymnasiasten; die auf Konkurrenz, Wettbewerb und Weltmarkt halt weniger Bock haben als ihre halb dummen, halb für dumm verkauften Eltern, die zwar ihre Kinder lt. jüngsten Zahlen mit Vierfünftelmehrheit nicht mehr alleine auf den Schulweg lassen, die knochen- und willensbrecherische Zurichtung ihrer gehätschelten Lütten aber vor lauter Abstiegsangst ergeben hinnehmen. Aber welche Konsequenzen die Übertragung von Markt- und Ausleseprinzipien auf Grund- und Mittelschüler hat, hätten sich sogar jene denken können, die noch die Gnade des hessisch-nordrheinwestfälisch-bremischen Abiturs genossen haben und heute allesamt bekloppte Sozialfälle sind: „Die Kinder“, nämlich Hintermeiers und seiner Klassenkameraden, „sind der erste Jahrgang, den die Verkürzung der Gymnasialzeit auf acht Jahre ereilt hat. Wenn sie 2014 Abitur schreiben, werden sie endlich Zeit haben, darüber nachzudenken, was denn das nun gewesen sein soll? Eingesperrt in ein Korsett, das ihnen regelmäßig Zwölfstundentage aufnötigte, der schmale Rest an Kindheit, der noch für sie vorgesehen war, geopfert. Leere Nachmittage, Muße, Sport, Musik, Spiel mit Freunden – Luxus längst vergangener Tage“, auf den man aber gerne verzichtet, wenn nur später die Luxuswohnung und der Luxusgeländewagen dafür einstehen, daß eins erst lebt, wenn‘s konsumiert.
Die vom Spiegel wie stets mehr gewünschte denn festgestellte und in Form eines schon älteren Spezials noch immer die Bahnhofsbuchhandlungen blockierende „Sehnsucht nach alten Werten“, nämlich Familie, Autorität und Leistungswille, ist die simple Sehnsucht der Profiteure nach der guten alten Zeit, als es am bürgerlichen Normenkatalog genausowenig Zweifel gab wie an dessen staatsbürgerlichem Sinn: Kinder, Küche, Krupp; und es ist nur prima vista paradox, daß sich genau jenes juste millieu, das allenthalben über mangelnde Volksbildung klagt und den Nachwuchs immer schneller und härter durchs Gymnasium geprügelt sehen will, scheint‘s weder den Schüler Gerber noch Hans Giebenrath, noch auch nur Hanno Buddenbrock zu kennen scheint und deshalb, gegen alle Pisa-Lehren, genau die Triez- und Kasernenschule wiederhaben will, der die deutsche Literatur vor hundert Jahren schon den Abgesang geschrieben hat.
Wilhelm Meister würde sich wundern; aber den kennen sie ja gleichfalls nicht.
So scharf ist der Wind geworden, daß Thomas Steinfeld sogar in der Süddeutschen Zeitung im deutschen Eliten- und Leistungswahn die „Funktion eines sich verschärfenden Klassengegensatzes“ sehen mußte: „Zur Elite hingegen, von der zur Zeit vor allem die Hochschulpolitiker schwärmen, sollen keineswegs alle gehören. Denn ihr Zweck besteht nicht nur darin, den Besten zu einer noch besseren Bildung zu verhelfen. Vielmehr ist sie auch dazu da, eine ungleich größere Zahl von jungen Menschen von der weiteren Bildung auszuschließen. Diese sollen bloß nicht zuviel lernen, damit Geld, Zeit und Wissen auf die wenigen Kandidaten für eine erträumte zukünftige Elite konzentriert werden können“ und die anderen, wie zu ergänzen wäre, nicht mehr auf dumme Gedanken kommen noch überhaupt kommen können, es sei denn auf solche, die sich beim Anblick von Autoprospekten, Couchgarnituren oder Plasmaschrankwandfernsehern einstellen mögen.
Dabei darf es, je nach Blickwinkel, bereits als gutes oder schlechtes Zeichen gelten, daß über solche Sätze schon gar nicht mehr gelacht wird: „Sechs deutsche Hochschulen sind heute zu Eliteuniversitäten ernannt worden“ (hr-Nachrichten), von Kaiser Wilhelm wahrscheinlich, der zwar genügend irre Gedanken hatte, einen von solchem Kaliber aber nicht: zu dekretieren, wo in Zukunft gute Wissenschaft stattzufinden hat und wo weniger gute, weil diesem Land halt nichts so sehr fehlt wie ein „deutsches Harvard“, damit die Entscheider in Zukunft dem Lebenslauf leichter entnehmen, ob einer Prolo oder Elite ist. Bildung, auf gut Humboldtsch der Weg und die Fähigkeit zu Selbstbestimmung und Mündigkeit durch den Gebrauch der Vernunft, findet dann selbstverständlich nicht mehr statt, denn langhaarige Tagediebe auf der Campuswiese Burroughs, Hegel oder Adorno lesen zu lassen bringt weltmarktmäßig einfach nichts ein; ganz anders als „die enge Verschränkung von Forschung und Industrie“, die lt. naturgemäß begeistertem Spiegel („Deutsche Forschung: Zurück zur Weltspitze“) die Universität der Zukunft zu leisten hat: „ ‚Normalerweise geht man als Doktorand ins Labor und kommt nach drei Jahren wieder raus‘, erklärt Physikprofessor Uli Lemmer, Leiter der [Karlsruher „School of Optics and Photonics“-]Graduiertenschule. Seine Mitarbeiter forschen nun von Anfang an gut vernetzt mit der Industrie, regelmäßige Managementkurse gehören fest zum Programm“ – denn darum geht es, und nur darum: ums Geldverdienen. Weswegen ein älterer FAZ-Bericht über den Trend, sich zwecks sprachlicher Frühförderung chinesiche Kindermädchen ins Haus zu holen, auch weniger dem Glück galt, als Kind eine Fremdsprache geschenkt zu bekommen, sondern dem, was in der Titelzeile so trüb wie notorisch „Fit für den Weltmarkt“ hieß; und die deutsche Universität „trotz des öffentlichen Jubels über das Ergebnis der Exzellenzinitiative … in der geistigen Prägung, die sie seit Kants `Streit der Fakultäten ́, durch die Humboldtsche Bildungsreform und die philosophischen Universitätstraktate von Fichte, Schelling und Schleiermacher bis Karl Jaspers erhalten hat … nach längerem Siechtum verstorben ist“, wie Professor Dieter Borchmeyer (Heidelberg), Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, schon nach Ausrufung der ersten deutschen Kaderschmieden im letzten Jahr der Süddeutschen klagte, als einer der wenigen, die den Wahn, wo Widerstand schon zwecklos geworden war, wenigstens noch benannten. „Was in der Universität heute den Ton angeben soll, ist vor allem das anwendungsbezogene Wissen, der Technologietransfer, an dem Politik und Wirtschaft“ – lies: Wirtschaft und Politik – „so lebhaftes Interesse haben. Der neue Hausherr der Universität ist nicht mehr der Homo sapiens, sondern der Homo faber. Diejenigen Wissenschaften, welche das Bild und die Struktur der deutschen Universität mit ihrer weltweiten Auswirkung geschaffen haben, sind nunmehr zu Fremdlingen im eigenen Hause geworden“, denn die Geisteswissenschaften – die, was die deutschen Reformgauner nicht wissen oder nicht wissen wollen, den Ruhm und Ruf der angelsächsischen Eliteuniversitäten schon begründet haben, als es das Wort Exzellenzcluster noch gar nicht gab – sind in der schönen neuen Welt der Dr. Anette Schavan (CDU) und ihrer philiströsen Schergen allenfalls noch Dekoration und werden deshalb, wo immer es geht, vorsorglich kaputtgespart. Wo nicht gleich abgeschafft.
Daß sich Deutschlands akademischer Überbau so gut wie gar nicht gegen den ja zunächst einmal alles andere als rechtsverbindlichen Bolognakäse gewehrt hat, daß es ihm kaum einmal in den Sinn kam, darauf hinzuweisen, es habe doch jahrhundertelang ganz gut ohne Module und ECTS-Leistungspunktesystem funktioniert, daß er das vulgärkapitalistische „Centrum für Hochschulentwicklung“ der Fa. Bertelsmann als Schattenbildungsministerium hingenommen hat und also die eigene Herabwürdigung zum Thinktank des Großen Geldes – man mag es für einen besonders glorreichen Fall von kampfloser Kapitulation halten, nachdem Wirtschaft und angeschlossene Medien in den letzten fünfzehn Jahren keine Gelegenheit zum Rankings- und Wettbewerbsradau ausgelassen haben; wie sich das Hamburger Sturmgeschütz der Reaktion noch im Triumph das Nachtreten nicht verkneifen kann: „Der Elite-Wettkampf macht Schluß mit der Lebenslüge, daß alle Universitäten gleich seien“ – vor einem übermächtigen, ausweislich seiner Sprache keiner humanen noch intellektuellen Regung mehr verdächtigen Gegner mag es klug sein, sich ohne größere Umschweife zu ergeben; angesichts dessen aber, was auf dem Spiel stand: den Geist gegen den Naturzustand zu verteidigen, einen uninstrumentellen, „unpraktischen“ Begriff von Bildung gegen die räudige Homo-homini-lupus-Begeisterung des neoliberalen Gesockses in Schutz zu nehmen, wären Verweigerung und Boykott einen Versuch wert gewesen. Doch statt sich gegen die Marginalisierung ihrer Disziplinen zu wehren, machten die akademischen Philosophen, Philologen und Sozialwissenschaftler – aus Angst, Beflissenheit oder beidem – den Clusterquatsch lieber mit und gingen z.B. in Mainz, wo man vor zehn Jahren noch in aller Seelenruhe studieren konnte, mit albernen Akronymungeheuern wie einer „Graduate School of Cultural and Social Studies (SOCIUM)“ auf Fördergeldjagd; und, natürlich, baden.
Denn wenn es schon darum geht, dem akademisch avancierten Ausland und seinen Investoren auf zeittypischer Augenhöhe zu begegnen, dann muß man, wo es schon (und gottlob) keine jüngere universitäre Elitetradition gibt, auf Namen zurückgreifen, die nach großer Vergangenheit, Internationalität oder wenigstens nach Good Old Germany klingen, weswegen Mainz gegen München, Greifswald gegen Göttingen und Hannover gegen Heidelberg eh keine Chancen hatten. Und weniger überraschend, daß eine Hauptstadtuni im feinen deutschen Ivy-Kreis gelandet ist, als der Umstand, daß es nur die FU geschafft hat; aber die Humboldt-Universität noch mit dazuzupacken hätte dann vielleicht doch zu arg nach DDR-Zentralismus und Hauptstadtprotektion ausgesehen.
Wo es also nicht allein um Profit und Einfluß geht, geht es um Glanz, Gloria und Adabei, und wo es darum nicht geht, um die Disziplinierung und Formatierung des akademischen und subakademischen Nachwuchses. Denn neben den gehätschelten Repräsentativuniversitäten mit ihren international anerkannten Topcheckerclustern wird sich, ganz wie im Vorbild USA, ein Mittel- und Unterbau entwickeln, wo dann der doofe Rest, gegängelt durch ein Modul- und Punktesystem, sich zu einem Bachelor genannten erweiterten Abitur qualifizieren darf, und da „kritisches und eigenständiges Denken als universitäres Ausbildungsziel gar nicht mehr angestrebt oder einer winzigen Elite während ihres Doktorandenstudiums vorbehalten werden soll“ (Prof. Dietrich Lemke, Bielefeld, cf. www.nachdenkseiten.de/?p=2535), kann man das Fußvolk, das ja doch nur in der Peripherie von English Studies, Bewegungspädagogik und Sozialarbeit landet, besten Gewissens nach drei Jahren in die Zeitarbeit entlassen; das ist gut für die Statistik – „das Ziel ist nicht die Verbesserung der Qualität der Ausbildung, sondern die Vermehrung der Zertifikate“ (Prof. W. Eßbach, Freiburg) -, es gibt weniger Studienabbrecher, und mit dem „unverhofften Geldsegen“ (FAZ, 2.11.) aus den Studiengebühren kann man die Unis zu eben den Servicebetrieben „mit Geld-zurück-Garantie“ (ebd.) machen, die den auf Konsum programmierten Schulabgängern gerade noch gefehlt haben.
Aber man soll sie auch nicht kaputtreden, die neue akademische „Freiheit“ (H.-O. Henkel), die es erlaubt, verlustfrei heute in Bremen und morgen in Oxford zu studieren, das Punktesystem macht‘s möglich, nein? Nein: „Auch wenn zwei BA-Studiengänge im selben Fach an zwei verschieden Hochschulen dieselbe Anzahl von Leistungspunkten erfordern, sagt das über die inhaltliche Ausgestaltung noch überhaupt nichts aus, denn jede Hochschule bastelt sich ihre Studiengänge in eigener Regie zurecht, wobei die persönlichen Fachschwerpunkte der jeweiligen Lehrenden die dominierende Rolle spielen. Es gibt, im Gegensatz zu früheren Zeiten, noch nicht einmal mehr eine verbindliche Rahmenordnung, die für ein Mindestmaß an inhaltlicher Vergleichbarkeit garantieren könnte“ (Lemke, a.a.O.). Aber wozu dann der ganze, im Rekordtempo durchgepaukte Reformzauber? Damit die Massenunis der zweiten Kategorie, wo sie schon weder Weltgeltung noch Mehrwert produzieren helfen, eben das Geld nicht brauchen, welches anderswo zur Alimentierung der Bulmahnschen „Leuchttürme“ benötigt wird? Oder weil Globalisierungssklaven halt nicht mehr können müssen als das Allernötigste: „Einfaches Rechnen bis höchstens 500, Schreiben des Namens, eine Lehre, daß es ein göttliches Gebot ist, gehorsam zu sein und ehrlich, fleißig und brav. Lesen halte ich nicht für erforderlich?“
Kaum anzunehmen, daß unsere Bildungspolitiker die Quelle dieses (unwesentlich gekürzten) Zitats kennen; weswegen ich mich auch nicht dafür entschuldigen muß. Noch werde.
Erstmals erschienen in Ausgabe 12/2007 des endgültigen Satiremagazins „Titanic“.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlages.
Geschrieben von Stefan Gärtner (endgültiges Satiremagazin Titanic)
von Archiv | 19.05.2008
Eine Reportage über die erste StuPa-Sitzung
Am 15. April dieses Jahres war es mal wieder soweit: das Studentenparlament (StuPa) der Uni Greifswald konstituierte sich auf ein Neues. Dieses Ritual findet jedes Jahr statt. Dieses Jahr zum zweiten Mal im Konferenzsaal des Hauptgebäudes der Universität. Nach sterilen bis heruntergekommenen Sitzungssälen in den Jahren davor wird nunmehr also ein Ambiente geboten, das im Vergleich mit den vorigen Räumen vor akademischer Würde fast schon trieft.
Säulen umlaufen das Plenum, es gibt so etwas wie einen Eingangsbereich und von den Wänden sowie von drögen Stellwänden hängen historische Teppiche „aus der Region“, wie der Einzelhandel so schön sagen würde. Unbeeindruckt davon, wo das StuPa gerade tagt, hat das Ganze aber etwas von einem eingeübten Ritual. Dieses Jahr ist zwar ein großer Anteil an Neuzugängen im StuPa vertreten, doch die redseligsten Wortführer sind dieselben wie immer. Es handelt sich hierbei um eine bestimmte Spezies im StuPa: Die Wiedergewählten. Mit einer Ausnahme.
Ein Populist im Parlament
Sebastian Jabbusch, der im StuPa-Wahlkampf mit markigen Sprüchen („Ich hasse Hochschulpolitiker!“) auf sich aufmerksam machte, wurde mit überwältigender Stimmenanzahl ins StuPa gewählt (moritz 69). Nun sitzt er dort und schwankt zwischen ganz still und ganz laut sein. Seine Arbeitseinstellung lässt sich somit auf der ersten Sitzung nur schwer einschätzen, bei kontroversen Themen gibt er sich jedoch kämpferisch. Spannend wird hier in der kommenden Legislatur sein, ob das StuPa und Jabbusch es hinbekommen, sich auf einer kommunikativen Ebene zusammen zu finden. Immerhin reagieren jetzt schon viele der Alteingesessenen gereizt auf ihn, was an seinem StuPa-kritischen Blog auf uni-greifswald-blog.de (inzwischen ryck-blick.de) liegen mag (moritz 69).
Animierte Ohnmacht
Sowieso ist es schwer, dieser Sitzung eines der beiden Siegel „Diskussionsfreudig“ und „Völlig lethargisch“ aufzudrücken. Grundsätzlich durchzieht eine gelangweilte Trägheit die konstituierende Sitzung, die leider per se lethargisch sein muss, da eine umfangreiche Liste an Formalia abgearbeitet werden will. Nur vereinzelte StuPa-Mitglieder, die gehyped scheinen von ihrer Überzeugung etwas Wichtiges zu tun und wie angestachelt einherlächeln, scheinen das anders zu sehen. Der Rest unterhält sich doch des öfteren. Nachdem Philosophiestudent Frederic Beeskow erneut zum Präsidenten des Parlamentes gewählt wird, weht wenigstens der Hauch einer Struktur durch den Rest der Sitzung. Aber der routinierte Schneid der letzten Jahre ist raus. Selbst das Schreiben von Abstimmungszetteln kann hier zu einer echten Herausforderung werden. Die Gäste, die sich tatsächlich relativ zahlreich hergetraut haben, werden währenddessen auf eine harte Geduldsprobe gestellt. Zu selten dürfte es für ihren Geschmack die eine oder andere aufflammende Diskussion zu einem schwierigen Thema geben. Meistens bleibt es dabei, dass Florian Bonn, augenscheinlich bekennender Chefermittler mit enervierendem Grinsen, hinter jeder Wolke einen Hundehaufen zu erkennen meint. Meistens findet er nichts.
Skandal!
Doch was jeder mit Spannung erwartet kommt fast einem Eklat gleich. Sebastian Jabbusch spielt auf ein Fass an, dass man Alexander Schulz-Klingauf zufolge „heute nicht aufmachen“ wollte. Da wird vorgetragen, dass sich einige Studenten auf den Schlips getreten fühlten, weil im aktuellen Sommermoritz ein Comic abgedruckt ist, den man als antisemitisch auslegen könnte. Der wiedergewählte StuPa-Präsident Beeskow hatte im Vorfeld schon eine E-Mail von einem Studenten erhalten, der sich darin wohl recht bitterlich über diesen Umstand beschwerte. Kaum ist das Fass geöffnet, wird auch schon scharf geschossen. Björn Buß, moritz-Chefredakteur, ist der Meinung, man bräuchte doch schon ziemlich viel guten Willen, um den angesprochenen Comic antisemitisch zu verstehen. Der Autor habe sich zudem schon diverse Male auf politisch unkorrekte Weise über „Randgruppen“, beziehungsweise über den Umgang mit diesen lustig gemacht, ohne, dass sich jemand daran gestört hätte. Daraufhin murmelt Schulz-Klingauf nur: „Schlimm genug, dass der sich mit solchen Themen beschäftigt.“ Sebastian Jabbusch sekundiert sofort: „Antisemitismus hat in Deutschland eine besondere Dimension.“ Außerdem sei „so etwas gerade in Zeiten so viel antisemitischer Propaganda gefährlich.“ Letztlich hält Jabbusch das Ganze sogar für „rechtlich problematisch“. Hört, hört! Da hat der moritz auf einmal einen ausgewachsenen Karikaturenstreit am Hals! Aber er freut sich darüber. Ehrlich.
Back to the roots
Was danach folgt, ist die große Ernüchterung. Die restlichen Tagesordnungspunkte diktieren den Fortlauf der Sitzung. Es werden Ämter wie die Kassenprüfung per Wahl gefüllt. Der Haushaltsausschuss wird tatsächlich fast vollständig besetzt, was auf konstituierenden Sitzungen eher eine Seltenheit ist. Hin und wieder sorgt einzig Kim, der Hund der stellvertretenden Chefredakteurin des moritz, Maria Trixa, für Erheiterung. Er geht dann auf nur schwer kontrollierbare Streifzüge durchs Plenum. Martin Hackober, StuPist und Mitlied des „Rings Christlich-Demokratischer Studenten“, trägt dem Präsidenten seine Bedenken vor, dass dieser Umstand die Ernsthaftigkeit der Sitzung unterminieren könnte. Dieser setzt dem anarchistischen Treiben bald darauf durch einen Ordnungsruf ein Ende. Ein Finanzantrag des Jurastudenten Philip Rusche, der einen kritischen rechtstheoretischen Kongress in Greifswald organisiert und noch ein wenig finanzielle Unterstützung dafür braucht, wird ein wenig zusammengestrichen und dann angenommen. Man hat Zeit, sich die Teppiche an den Wänden ein wenig anzuschauen. Es werden AGs eingerichtet. Um 0 Uhr wird die Veranstaltung satzungsgemäß beendet und wenigstens die wichtigsten Punkte sind von der Tagesordnung bearbeitet. An Produktivität mangelte es dieser Sitzung nicht, an Inspirationen schon eher.
Geschrieben von Stephan Kosa