von Archiv | 16.04.2008
Greifswalder Autorin über Matrosen-uniformen und die Bedeutung von Heimat
Judith Schalansky, geboren 1980 in Greifswald, studierte Kunstgeschichte und Kommunikationsdesign in Berlin und Potsdam. Sie veröffentlichte zuerst das Buch „Fraktur mon Amour“ über gebrochene Schriften, das mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde. Vor kurzem erschien ihr erster Roman „Blau steht dir nicht“, den sie am 11. April im Koeppenhaus vorstellt. moritz sprach mit ihr auf der Leipziger Buchmesse.
moritz: Du hast zuerst Design studiert und jetzt einen Roman geschrieben. Was machst du als nächstes: Musik oder Mode?
Juidth Schalansky: (lacht) Ich finde es ganz schön, immer wieder was Neues zu machen, aber eigentlich bin ich dem Medium Buch treu geblieben. Ich habe mich im Studium auf Typographie spezialisiert.
moritz: Wie kamst du auf die Idee einen Roman, bzw. eben dieses Buch zu schreiben?
Schalansky: Ausgangspunkt war eine kleine Hausarbeit für einen Designtheorie-Kurs, in dem ich die Matrosenuniform untersucht habe, weil sie ein Objekt ist, das einen sehr ambivalenten Reiz hat. Es gibt die Kinderkleidung im wilhelminischen Zeitalter, den Matrosen als revolutionären Helden, als schwule Ikone und als untreuen Seemann. Ich fand es interessant, wie ein Objekt und die Figur des Matrosen, die damit verbunden ist, so viele mythische Geschichten erzählen kann, ja selber schon fast mythisch geworden ist. Das hatte aber auch was damit zu tun, dass sich mein Bruder für sechs Jahre bei der Marine verpflichtet hat und ich furchtbar dagegen war. Aber in dem Moment, als er in dieser Matrosenuniform vor mir stand, waren alle meine Einwände vergessen.
moritz: Er sah gut aus?
Schalansky: Ja, er sah einfach gut aus! Und ich dachte: Das kann doch nicht wahr sein, dass er das jetzt macht. Also überlegte ich, was Matrosen und ihre Kleidung für mich bedeuteten. Als Kind habe ich die Ferien oft bei meinen Großeltern auf Usedom verbracht und dort die Matrosen bewundert, die über die Promenade flanierten und die wegkamen. Da ist mir deutlich geworden, dass dieses Fernweh-Thema in einer DDR-Kindheit noch eine stärkere Bedeutung hat.
moritz: Manche bekommen ein Dutzend Ablehnungen, wenn sie ihren ersten Roman publizieren wollen – wie ist es dir dabei ergangen?
Schalansky: Ich habe dieses kleine Büchlein, dass bei dieser Arbeit entstanden ist, Denis Scheck, dem Herausgeber der marebibliothek im marebuchverlag vor drei Jahren auf der Leipziger Buchmesse in die Hand gedrückt. Er fand es interessant und gut, meinte aber: „Hey, das ist aber doch auch ein literarischer Stoff“ und hat mich ermutigt, daran weiter zu arbeiten.
moritz: Du wohnst in Berlin, man würde von dir erstens einen Berlinroman, zweitens einen Gegenwartsroman erwarten, aber du schreibst über Matrosenuniformen, die zur wilhelminischen Zeit ihren modischen Höhepunkt hatten – magst du die Gegenwart nicht?
Schalansky: Sagen wir: Mich interessiert Geschichte, aber in Form von Geschichten. Bei mancher Gegenwartsliteratur denke ich an Themen wie: „In wen bin ich gerade verliebt?“, „Was soll nur aus mir werden?“ Das sind alles Fragen, die ich mir durchaus auch stelle (lacht), aber vielleicht interessieren sie mich literarisch im Moment nicht so sehr.
moritz: Das machen ja genug andere gerade.
Schalansky: Genau, und ich finde es schön, sich an Historischem ein bisschen abzuarbeiten. Und wirklich im Hier und Jetzt zu sein, ist für die Erzählerin und auch für mich manchmal schwer.
moritz: Kommen wir zur lokalen Konkurrenz: Wir haben Hans Fallada, Sibylla Schwarz, Wolfgang Koeppen, Volker Altwasser – wie fühlst du dich in dieser Gesellschaft?
Schalansky: Mir ist noch gar nicht bewusst, dass ich da angekommen sein soll. Koeppen war auf jeden Fall eine Entdeckung für mich. Und wie Greifswald Koeppen „entdeckt“ hat, wie sich eine Stadt ihre Geschichte wieder neu zusammensetzt, erzähle ich auch im Roman.
moritz: Ich nehme an, die Greifswalder werden total begeistert sein von dem Buch und sehe schon den Text in der Ostseezeitung vor mir, die über einen „Heimatroman“ reden wird.
Schalansky: Ach Heimat… Ich finde es merkwürdig, dass sich diese Stadt so wahnsinnig verändert hat. Man geht die Lange Straße entlang und denkt, man könnte auch in Münster sein. Es ist eben auch eine Anpassung. Und dadurch kommen dann so Fragen auf: Kann man überhaupt heimkommen? Kann man das Ersehnte erreichen, die Ferne, die Inseln, die man immer im Atlas gesehen hat? Wie ist das, wenn man dann wirklich da ist? Mit der Heimat ist es ähnlich. Wenn man wieder heimkommt ist es ein wenig so, als ob man in dem Museum seiner eigenen Erinnerung umher läuft. Aber das klingt jetzt so, als wäre ich uralt …
moritz: Was machst du als nächstes?
Schalansky: Bücher. Und ab dem Sommer unterrichte ich erstmal Typographie an meiner ehemaligen Fachhochschule in Potsdam. Von irgendwas muss man ja leben.
Geschrieben von Innokentij Kreknin
von Archiv | 16.04.2008
„Gold und Silber“ von Lars Brandt
„Ich bin Lancelot. Der heilige Gral, vielleicht geht er vorüber, und dafür muß gezahlt werden. Aber dann… Es gibt das goldene Vlies. Die Blaue Blume.“ Ja, das klingt nach König Artus und seinen Rittern der Tafelrunde, nach tapferen Helden und mystischen Begebenheiten im nebligen Mittelalter.
Doch weit gefehlt: Lars Brandts Romandebüt „Gold und Silber“ spielt nicht an einem Fürstenhof im zwölften Jahrhundert, sondern im Bonn des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Dort hat sich in der Hitze des Nachsommers eine lockere Gemeinschaft von männlichen Künstlern zusammengefunden. Bei mäßigem Erfolg und nicht ganz so gemäßigtem Drogenkonsum schleudern sie sich Philosophiebrocken entgegen, um die Angst vor der Jahrtausendwende und dem Abstieg der Stadt in die Bedeutungslosigkeit zu verdrängen. Natürlich gibt es in dem wilden Männerhaufen, zwischen Rittern und ihren Knappen, auch ein edles Fräulein. Ginevra heißt die Auserwählte des Erzählers Rudi. Sie ist mit dem Filmemacher Jarl verheiratet. Aber Rudi alias Lancelot hat trotz des wochenlangen Minnedienstes unter dem Balkon keine Chance ihr Herz zu erobern.
Die Idee einen modernen Artusroman zu schaffen, ist nicht schlecht. Doch auf die Abenteuer eines tapferen Recken wartet man vergeblich. Mit einem Angelschein hofft Rudi Ginevra zu beeindrucken. Seine Künstlerkumpanen müssen höchstens gegen Hitze und Regen bestehen. Die 300 Seiten füllt der Sohn Willy Brandts nicht damit, seinen Charakteren Gesichter und Gefühle zu geben, sondern mit immer wiederkehrenden Beschreibungen von Flüssen, Wetter und alltäglichen Supermarktbeobachtungen. Dazwischen blitzen philosophische Metaphernkonstruktionen auf, die wie eine Selbstinszenierung des Autors wirken. Er kratzt an der Oberfläche und es blinkt auch etwas Silber hervor, aber den heiligen Gral hat Lars Brandt mit seinem Roman nicht gefunden.
Geschrieben von Alina Herbing
von Archiv | 16.04.2008
„Vages Erinnern – Präzises Vergessen“ von Roger Willemsen
Sprache macht Spaß, wenn einzelne Formulierungen förmlich danach schreien laut ausgesprochen, gehört zu werden. Fast gerät der Inhalt in Vergessenheit, bis er einen wieder einholt, und das Lesen wieder zum Lesen, das Intellektuelle wieder anstrengend wird.
Denn Roger Willemsen hat in seinen Reden eine unglaubliche Menge an Informationen, Wissen und Anekdoten eingebaut, die bei sich zu behalten unmöglich sind. So klaute die Digitale Versatile Disc dem Dalmatiner Verein Deutschlands eiskalt die Abkürzung. Bei dem Wort DVD verschwendet heute keiner einen Gedanken an die 101 Schwarzgepunkteten. Ob genau diese Information nun zu den wirklich wissenswerten Dingen auf dieser Welt zählt, wer weiß. Einen besonderen Zuwachs an Dummheit bedeuten Willemsens gesammelte Gedanken aber auch nicht gerade. Hängen bleiben Ankedoten, wie die von Helmut Kohls erstem Englandbesuch als Bundeskanzler. „Do you speak Germish?“. fragte er die englische Presse. Peinlich. Aber ein geeigneter Titel für eine Rede.
Insgesamt 18 seiner vorgetragenen Kunstwerke der deutschen Sprache aus den vergangenen 20 Jahren hat der 52-Jährige in „Vages Erinnern – Präzises Vergessen“ zusammengetragen. Es geht nicht darum alles bedingungslos gigantisch und superintelligent zu finden, sondern darüber nachzudenken.
Zwischen Starallüren, dem Verfall des deutschen Mediensystems und der Unfähigkeit eben dieses Systems zur korrekten Nachrichtenberichterstattung, taucht der Name China Keitetsi auf, eine Kindersoldatin aus Afrika. Eine andere Rede hielt er 1999 auf der Jahresversammlung von amnesty international über die Unmenschlichkeit der Todesstrafe.
Seine Standpunkte überraschen keineswegs. Wer nur einmal etwas von ihm gehört hat, und sei es so banal, wie die „Weltgeschichte der Lüge“ aus dem vergangenen Jahr gewesen, weiß ihn ungefähr einzuschätzen. Interessant bleibt die sprachliche Ausführung; zumindest in den meisten Fällen.
Und wenn dann einmal nicht: Das langsame Lesen lernen und die schnöden Stellen überspringen. Chronologie ist nicht zwingend erforderlich.
Geschrieben von Maria Trixa
von Archiv | 16.04.2008
„Quirkologie“ von Richard Wiseman
Aberglaube kann tödlich sein. Das behauptet jedenfalls der britische Psychologe Richard Wiseman. Und erklärt auch gleich, wie er zu dieser brillanten Erkenntnis kommt:
Forscher beobachteten in finnischen Krankenhäusern die Unfallquote an Freitagen den 13. gegenüber allen anderen Freitagen; natürlich über einen repräsentativen Zeitraum von 36 Jahren. Die Unfälle häuften sich tatsächlich, und besonders bei Frauen. Da waren es 38 Prozent mehr unglückselige Vorfälle. Ist daran jetzt der verflixte 13. schuld? Oder das verflucht leicht zu beeinflussende menschliche Gehirn?
Zur Erforschung solcher Phänomene des menschlichen Alltags bekam Wiseman den ersten, bisher einzigartigen Lehrstuhl für Public Understanding of Psychology an der Universität Hertfordshire in England. Zu seinen 21-jährigen Forschungen veröffentlichte er bereits acht Bücher.
„Quirkologie“ heißt das, im handlich kompakten Taschenbuchformat erschienene, neueste Werk des Verhaltensforschers, der seinen beruflichen Werdegang als Zauberkünstler begann. Daher kommt wohl auch das Interesse für diesen paranormalen Wissenschaftszweig, dessen Anerkennung mehr als umstritten ist.
Doch der Autor betont nicht nur einmal seine streng wissenschaftliche Herangehensweise an die Experimente, von denen er zahlreich berichtet. Seine Erklärungen sind dann auch weniger mystisch. An irgendwelchen Hokuspokus glaubt der Meister nämlich nicht. Befriedigend sind die Antworten deshalb trotzdem nicht. Manchmal scheinen diese sogar, durch die Begeisterung über die Reaktionen der menschlichen Versuchsteilnehmer, vergessen zu sein.
Dafür werden dem Leser aber einige Möglichkeiten zum aktiven Dabeisein eingeräumt. Denn das Experiment beginnt bereits auf dem Umschlag. Wer es auch nur kauft, ist Opfer seines neusten Alltagsversuchs. Ganz amüsant, aber Skepsis ist angebracht.
Geschrieben von Maria Trixa
von Archiv | 16.04.2008
„Zen in der Kunst des kampflosen Kampfes“ von Meister Takuan
Ein Schwertkämpfer im Kampf. Im Zustand höchster Geistesgegenwart verweilt sein Geist an keinem Ort, wird durch keinen Gedanken abgelenkt, von nichts festgehalten. Auf diese Weise ist sein Geist überall gleichzeitig und er kann im Hier und Jetzt des Kampfes unmittelbar (re)agieren. In „Fudochishinmyoroku – Die Geheimnisvolle Aufzeichnung von der bewegungslosen Weisheit“ unterweist der Zen-Meister Takuan Soho den Schwertmeister Yagyu Munenori in der Schulung des Geistes, die auch zur Erreichung dieser Geistesgegenwart führt.
Takuan Soho (1573-1645) lebte im feudalen Japan. Dort war er Berater und Lehrmeister von Shogun und Kaiser, berühmten Samurai, aber auch einfachen Bürgern. Neben dem Zen brachte es Takuan Soho in vielen weiteren Künsten, wie etwa der Malerei, der Kaligrafie oder der Dichtung zur wahren Meisterschaft. Drei seiner schriftlichen Werke, die zu Klassikern der Zen Literatur gehören, sind in „Zen in der Kunst des kampflosen Kampfes“ (O. W. Barth) erstmals vollständig in deutscher Sprache erschienen. Außer dem bereits erwähnten „Fudochishinmyoroku“ sind dies „Reiroshu – Der klare Juwelenlaut“, in dem sich Takuan Soho allgemein mit der Natur des Menschen und dem Sein der Dinge auseinandersetzt, und „Taiaki – Analen des Schwertes Taia“, das sich mit der Suche nach sich selbst und dem, mit dem Finden verbundenen, Zustand der Unabhängigkeit und Freiheit befasst.
Auch heute sind diese Texte noch aktuell und laden zum Reflektieren ein. Die bildhafte Sprache und die verwendeten Gleichnisse machen das Lesen zum zeitlosen Genuss.
Wie leicht gelingt es Takuan Soho, die auch heute bestehende Beschränktheit des Menschen darzustellen: Alles was er dazu benötigt, sind ein Baum und ein Berg. Der Baum steht vor dem Berg und verdeckt ihn. Der Betrachter sieht nur den Baum, nicht aber den viel größeren Berg, den der Baum eigentlich nicht verdecken kann. Es kommt somit nur auf den Standpunkt des Betrachters an. Ein Buch, welches sich zu lesen lohnt.
Geschrieben von Maximillian Fleischmann