nazischmierereien-luisa-pischtschan-300-200Ein Beitrag von Karl Meyer*

Eine Studentin im ersten Semester möchte sich im Internet über Greifswalder Hochschulgruppen informieren. Sie stößt dabei auf eine „NS-Hochschulgruppe“ und fragt sich: „Gibt es diese Gruppe wirklich?“ Jein. Obwohl man schon lange nichts mehr von der Gruppe gehört hat, ist dennoch unbestreitbar, dass es Verstrickungen mit der örtlichen Neonazi-Gruppe, den „Freien Kräften Greifswald“ gibt.

Um sich der Gruppe nähern zu können, muss man erst einmal die Hintergründe betrachten. Der aktuellste Beitrag der „NS-Hochschulgruppe“, auf der Homepage der „Freien Kräfte Greifswald“, ist nun schon drei Jahre alt, wodurch die Existenz der Gruppe, wenn es sie überhaupt jemals gegeben hat, im Jahr 2014 bezweifelt werden darf.

Die Seite läuft unter der „logr.org“-Domain, die wiederum über den kalifornischen Hoster „Dreamhost“ läuft. „Logr.org“ wird mutmaßlich vom Dortmunder Neonazi Dennis G. betrieben und stellt für viele andere Gruppen aus dem rechtsradikalen Spektrum eine verlässliche Anlaufstelle dar.

Zwischen „linkem Terror“ und „Blutzeugen“

Eben jene Anlaufstelle nutzen auch die „Freien Kräfte Greifswald“ alias „Nationale Sozialisten Greifswald (NSG)“ beziehungsweise „Autonome Nationalisten Greifswald (ANG)“. In der Hansestadt konnte in den letzten Jahren ein Zuzug von Personen aus der rechten Szene beobachtet werden, der in der Gründung der NSG/ ANG gipfelte, was dieser Beitrag der Antifaschistischen Aktion Greifswald dokumentiert. Die zugehörige Internetadresse besteht seit knapp vier Jahren und beinhaltet alles, was sich der Rückwärtsgewandte von heute wünscht. Man hat die Möglichkeit eine „Chronik linker Straftaten“ durchzuschauen, sich etwas von „Blutzeugen“ erzählen zu lassen oder sich mit „Theorie und Praxis“ der „Nationalen Sozialisten“ vertraut zu machen.

Zwischen all diesen Geschichten über Ernst Moritz Arndt, die „SA-Gruppe Ostsee“ und E-Post tauchen von Zeit zu Zeit auch aktuelle Beiträge der „Freien Kräfte“ auf. Das Themengebiet Universität Greifswald ist dabei eher spärlich vertreten. Die Artikel, die mit „NS-Hochschulgruppe“ gekennzeichnet sind, enthalten Überschriften wie „Gender–Mainstream + Homosexualität = Volkstod“, „Kampf um Arndt“ oder aber auch “Linke Netzwerke an der Uni Greifswald“. Die Überschriften lassen schon vermuten, was einen für geistige Ergüsse erwarten. Man feiert sich selbst als „nationale Opposition gegen das längst überflüssige BRD-System“ und möchte, in Bezug auf eine AStA-Aktionswoche gegen Sexismus und Homophobie, „[gegen] solche volksfeindlichen Bestrebungen auch Widerstand [leisten]“. Darüber hinaus informierte man über „couragierte Bürger“, die zum Wintersemester 2010/11 Sprühereien in Uni-Nähe anfertigten, die wiederum auf die Internetpräsenz der ANG/NSG verwiesen. Welch ein Zufall. Hier endet die kurze Exkursion ins Reich der rechten Hochschulpolitik, denn mehr gibt es über die vermeintliche „NS-Hochschulgruppe“ nicht zu berichten. Viel eher stehen nun die Beiträge der „Freien Kräfte“ im Vordergrund, die in den meisten Fällen jedoch nur der Diffamierung politischer Gegner, Parteien, Organisationen et cetera zu dienen scheinen.

Schmierereien mit homophoben und sexistischem Inhalt vor dem Audimax.

Zum Beginn des Wintersemesters 2010 tauchten mehrere einschlägige Graffitis in Greifswald auf. Beispielsweise vor der Mensa (Artikelbild) oder wie hier vor dem Audimax.

Marcus G. und der Rechtsstaat

Im weitesten Sinne werden schlecht besuchte Infostände gefeiert und Fakten verdreht. Passend ist hierbei die „Berichterstattung“ über den NPD-Infostand auf dem Greifswalder Marktplatz am 29. Juli. Hierbei kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Gegendemonstranten und Neonazis beziehungsweise NPD-Vertretern. Infolgedessen soll der Greifswalder Student Marcus G., der schon mehrmals auf NPD und Neonazidemonstrationen als „Anti-Antifa“-Fotograf gesehen wurde, eine Person mit einem Fußtritt angegriffen haben. Die Internetpräsenz der „Freien Kräfte“ versuchte sich in Schadensbegrenzung. Zitat: „In diesem Zusammenhang soll Marcus G. beschuldigt werden, einen Antifaschisten durch einen Fußtritt verletzt zu haben. Dieser dementierte dies und stellte klar, dass dem nicht so ist.“ Dass es zu dem Vorfall auch ein Video gibt, scheint man wohl verdrängt zu haben. Derzeit befasst sich das Greifswalder Amtsgericht mit dem Fall. Gleich zu Beginn wurde die Verhandlung aber verschoben, denn der Beschuldigte meldete sich krank. Mit einem neuen Termin ist frühestens im April zu rechnen.

G. versuchte schon früher klarzustellen, dass er kein Neonazi sei und sich von jeglicher „[…] physischer und psychischer Gewalt [distanziere]“ und lediglich vom Notwehrparagraphen Gebrauch machen würde. Dessen Gebrauch dürfte im aktuellen Fall angezweifelt werden. Darüber hinaus „entbehren Warnungen, seine Person betreffend, jeder Substanz“ und er wolle, „im Gegensatz zu den Antifas“, niemandem seine Meinung aufzwingen oder diesen „gewaltsam verfolgen“. Über diese Artikel aus den lokalen Reihen hinaus, werden oftmals auch Artikel der von NPD-Kadern geführten Seite „Mupinfo“ übernommen. Auch der „Greifswalder Bote“, der mehr oder minder regelmäßig erscheint, entsteht ohne Zweifel in Zusammenarbeit mit NPD-Vertretern und lässt somit auf regen Austausch zwischen NPD und NSG schließen. „Greifswald Nazifrei“, ein Bündnis, welches sich im Vorfeld einer NPD-Demonstration in Greifswald 2011 gründete, bestätigt, dass durch die Freien Kräfte „mehr und mehr Arbeit für die NPD geleistet wird, durch Wahlkampfunterstützung, indem sie die Plakate anderer Parteien zerstörten und als ‚Security‘ bei Wahlkampfveranstaltungen auftraten.“

Einschüchterung beginnt nicht erst bei Gewalt

Alles in allem müssen sich nicht nur Studierende, sondern ebenso jeder an der Universität Greifswald Tätige fragen, ob an einer Bildungsstätte, die sich selbst als weltoffen und tolerant bezeichnet, eine rechtsradikale Gruppe samt deren Vertretern akzeptiert werden kann oder darf. Darüber hinaus ist die Tatsache, dass beinahe jeder in das Blickfeld der radikalen Rechten gelangen kann, eine äußerst bedrohliche Situation. Dabei beginnt das Einschüchtern nicht erst bei Gewalt, sondern durch systematisches unter Druck setzen, wie Marcus G. es bei der Kreistagssitzung am 9. September 2013 bewiesen hat.

Es sollte also nicht schwerfallen zu erkennen, dass es ein „Naziproblem“ gibt. Viel wichtiger ist hierbei zu betrachten, wie man diesem begegnet. Guter Wille, zaghaft, wie krampfhaft beschlossene „Appelle an Toleranz“ und ein generelles Desinteresse, besonders der Uni-Obrigkeit, könnten sich zukünftig als Schuss in den Ofen erweisen.

*Der Autor griff auf ein Pseudonym zurück, da er keine Lust darauf hat, dass in seinem Briefkasten bald ungefragte Post landet.

Fotos: Luisa Pischtschan, Patrice Wangen (Archiv)