Griechenland, Finanzmarktkrise, Staatsverschuldung und Europa waren die Themen einer Rede des ehemaligen Bundesfinanzministers Peer Steinbrück (SPD) in der vollbesetzten Aula im Uni-Hauptgebäude. Zu der Veranstaltung am Donnerstagabend waren Studierende, Professoren, Mitarbeiter und die interessierte Öffentlichkeit gekommen. „Es ist eine große Ehre für die Ernst-Moritz-Arndt Universität“, begrüßte Professor Walter Ried, Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät den Gast aus Berlin. „Deutschland steht momentan international recht gut finanziell dar, aber es gibt auch Gefahren durch Finanzmarktkrise und Schulden für die öffentliche Haushalte“, leitete Ried den Vortrag Steinbrücks ein, dem er „große finanzpolitische Erfahrung und hohe Kompetenz“ zusprach.
Kein Honorar bei Unis, bei Banken schon
„Bei Universitäten nehme ich kein Honorar, bei Banken schon“, begann Steinbrück seine Ausführungen und nahm damit ein Lob Rieds auf. Auf seiner Seite beim Bundestag (nach unten scrollen) hat Steinbrück einige Vorträge aufgelistet, für die er nach der so genannten „Stufe 3“ mindestens 7.000 Euro erhalten hat. Nicht zu allen Themen wollte sich Steinbrück so freimütig äußern – so blieb er etwa zur Frage nach der Kanzlerkandidatur 2013 eine Antwort schuldig: „Ich glaube, ich muss noch zu einem anderen Termin“, wich er der Frage ironisch am Ende seines Vortrags aus. Er wurde auch nach einer Mitgliederbeteiligung der SPD in dieser Frage gefragt: „Ich halte sehr viel von einer Befragung bei einem Kanzlerkandidaten wie auch bei Oberbürgermeistern. Das hat einen enormen kommunikativen Effekt.“ Nicht-Mitglieder sollten sich auch an Debatten beteiligen, jedoch solle die Entscheidung über einen Kanzlerkandidaten den Mitgliedern vorbehalten bleiben.
In seinem Vortrag begann er mit den Ursachen der deutschen Staatsverschuldung und nannte die Ölkrisen und die Wiedervereinigung. Dann kam er zur Finanzmarktkrise und rechtfertige das Finanzmarktstabilisierungsgesetz mit einem Schutzschirm für Banken im Umfang von 500 Milliarden Euro. „Alle haben ein massives Interesse, dass das Bankensystem in Deutschland keinen Schlag bekommt: jeder Rentner, Gewerbetreibender, Kommunalpolitiker, Gewerkschafter oder Sparer. Sonst hätten wir ein richtiges Problem.“ Der Schutzschirm bestehe aber größtenteils aus Bürgschaften und es habe keine Überweisungen an die Banken gegeben. Den Höhepunkt der Finanzmarktkrise sah er neben der Pleite der amerikanischen Bank „Lehman Brothers“ in einer Erklärung im September 2008, in der er zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Spareinlagen garantierte. „Wir hatten keine Legitimation vom Gesetz oder Parlament dafür.“ Vermeiden wollte die Regierung aber, fuhr Steinbrück fort, dass es keine lange Schlangen von Menschen vor den Banken gab, die Geld abheben wollten. „Das hätte Erinnerungen an die Vermögensvernichtungen in Deutschland im 20 Jahrhundert geweckt“, verwies er auf die Hyperinflation 1923 oder das Dritte Reich.
Relative Schuldensenkung durch höheres Bruttoinlandsprodukt
Als weitere Ursache für die Staatsverschuldung sieht Steinbrück die beiden Konjunkturpakete von 2009 im Umfang von insgesamt 75 Milliarden Euro. Damals sei gleichzeitig die deutsche Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt) um fast fünf Prozent zurückgegangen: „Die Wirtschaft und der Arbeitsmarkt haben sich inzwischen stabilisiert. Die Unternehmen sind dafür dankbar, dass sie die Mitarbeiter heute noch haben und wegen des Kurzarbeitergeldes nicht entlassen mussten“, so der ehemalige Finanzminister. Natürlich sei dadurch die Staatsverschuldung hochgegangen, die bei mittlerweile 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) angekommen ist. In Zahlen beträgt die Verschuldung 1,8 bis 2 Billionen Euro, je nachdem, ob man Ansprüche aus der Sozialversicherung miteinrechnet.
„Damit stehen wir international recht gut da“, betonte Steinbrück, verteidigte abter die Schuldenbremse, nach der der Staat sein Defizit reduzieren muss und künftig grundsätzlich keine neuen Schulden mehr aufnehmen darf. Diese könne nur noch durch eine Zweidrittelmehrheit wieder aus dem Grundgesetz gestrichen werden, sagte er. Die Staatsverschuldung will er nicht absolut, sondern relativ senken. Das bedeutet, dass er den Schuldenstand in Zahlen halten will, aber durch ein gesteigertes BIP die Schuldenquote senken möchte. „Ohne Krise hätten wir bereits 2011 eine Neuverschuldung von Null erreicht. Dafür hatte ich mir zwei Flaschen Champagner kalt gestellt, die ich dann selbst gerne getrunken hätte“, meinte Steinbrück.
„Dramatische Finanzmisere der Kommunen“
Eine Flasche Champagner hätte er eigentlich der ehemaligen SPD-Finanzministerin in Schwerin, Sigrid Keler (SPD), übergeben müssen, so Steinbrück, denn sie habe in ihrer über zehnjährigen Amtszeit bis 2008 für einen ausgeglichenen Landeshaushalt gesorgt. „Die Finanzmisere der Kommunen ist hingegen dramatisch.“ Die Bürger merkten dies als erstes, wenn Städte mit Steuererhöhungen oder Kürzungen bei Bibliotheken, Schwimmbädern oder Schlaglöchern reagierten. In NRW befänden sich 70 Prozent der Kommunen in der so genannten „Haushaltssicherung“, also unter Kuratel des Innenministers, nannte Steinbrück als Beispiel.
Gegen Steuersenkung
Mit Verweis auf Defizit und Staatsverschuldung fragte er rhetorisch: „Glauben Sie, dass es funktioniert? Die Regierung schießt sich mit einer Steuersenkung ins Knie.“ Für Erheiterung in der vollbesetzen Aula sorgte Steinbrücks Bemerkung zur FDP: „Der Name fällt mir gerade nicht ein.“ Er habe schon im ersten Semester in VWL in Kiel gelernt, dass „es nicht gleichzeitig Investitionen in Zukunftsbereiche, eine Haushaltskonsolidierung und Steuersenkungen geben kann.“ Für seinen Schuldenanteil von einer Billion Euro zahle der Bund jährlich etwa 40 Milliarden Euro Zinsen, ein Achtel des Bundeshaushalts.
„Ende mit Schrecken: Wir kommen am Ende nicht um eine Umschuldung Griechenlands mit Gläubigerverzicht herum“
Weiter ging es im etwa 45-minütigen Vortrag des studierten Volkswirts Steinbrück mit dem Thema Europa. Er sieht keine Krise der Gemeinschaftswährung Euro: „Wie kommen Sie darauf? Die Zahlungsmittelfunktion bleibt und der Euro hatte eine geringere Inflationsrate als die DM-Mark in den 1990er Jahren. Das Problem sind einige Länder“, sagte Steinbrück, auch mit Blick auf Griechenland, das momentan für zweijährige Staatsanleihen 25 Prozent Zinsen zahlen müsse. „Ich bin für ein Ende mit Schrecken“, sprach er sich für eine Umschuldung des Mittelmeerlandes aus, an der kein Weg vorbeiführe. Damit sei ein Verzicht der Gläubiger auf einen Teil der Schulden von 30 bis 40 Prozent gemeint. Die Banken bräuchten dann teilweise eine Rekapitalisierungshilfe oder sie müssten geordnet, „nicht plötzlich“ abgewickelt werden. Hätte das griechische Parlament dem Sparkpaket am letzten Mittwoch nicht zugestimmt, wäre Griechenland im Staatsbankrott gelandet, weil die EU eine weitere Finanzhilfe nicht ausgezahlt hätte.
Verständnis äußerte er für die Demonstrationen des griechischen Volkes. „In Deutschland hätten wir bei solchen Einsparungen auch ähnliche Zustände.“ Die Ursachen für Griechenlands Probleme sieht er in gefälschten Statistiken (Griechenland hatte seine Defizitzahlen massiv verschleiert, zum Beispiel drei oder vier Prozent statt tatsächlich zwölf Prozent Neuverschuldung) und einem zu aufgeblähten Öffentlichen Dienst. „Auch die Steuereintreibung liegt im argen.“
„Der Euro darf nicht aufgegeben werden.“
Steinbrück brach auch eine Lanze für Europa: „Wir haben Frieden. Das ist ein Ausnahmezustand in Europa. Wir haben Freizügigkeit. Das Visum ist für junge Menschen etwas Fremdes.“ Europa sei nicht Glühlampen und Gurkenkrümmung, sondern Presse- und Meinungsfreiheit. „Der Euro darf nicht aufgegeben werden“, forderte Steinbrück, der einen Erfolg der Europäischne Integration als „unser massivstes Interesse“ sieht. Auf die Frage, ob Deutschland Europa zu teuer werde, verwies Steinbrück auf die Kosten der Wiedervereinigung von zwei Billionen Euro: „Europa ist günstiger als die Wiedervereinigung. Dort gehen 60 Prozent unserer Exporte hin. Das ist es uns wert.“ Auf eine andere Frage nach Regulierungserfolgen bei Banken meinte Steinbrück: „Es ist mehr in Gang gekommen, als wir sehen.“ So werden die Eigenkapitalvorschriften Banken verschärft (Basel III). Das reiche aber nicht bei der nächsten Krise. Es gebe gewisse Fortschritte. „Sie sind aber nicht hinreichend.“
Fotos: David Vössing
Wer heute als Wirtschaftsprofessor behauptet, Steinbrück sei der aktiv gestaltende Retter in der Finanzkrise gewesen, sollte sich doch zumindest mal einem Faktencheck stellen.
Hätten Steinbrück und sein Finanzstaatssekretär Asmussen so agieren können wie sie damals wollten, wäre die Finanzkrise für Deutschland sicherlich noch schlimmer ausgegangen. Sie waren und sind als die größten Deregulierer Teil des Problems und nicht Teil der Lösung. Dass Steinbrück beim russischen Finanzroulette zu seinem und Deutschlands Glück im letzten Moment den Trigger in der heute scheinbar richtigen Stellung bedient hat, sollte ihn nicht noch kanzlerabel machen.
Asmussen ist übrigens immer noch Staatssekretär und im Finanzministerium unter anderem für die deutsche Politik gegenüber Griechenland verantwortlich!
Zum Hauptthema des Abends hat er offensichtlich nichts Neues oder nur Halbwahrheiten vorgetragen, dass er dafür von Wirtschaftsprofessoren der Uni noch Beifall erhält, mögen die hohen Herren mit sich selbst ausmachen. Einen Unterhaltungswert auf dem Niveau eines Mario Barth kann man Steinbrück gewiss nicht absprechen, aber auch dessen Popularität ist im Sinken begriffen.
Entweder hat der Autor sich verhört oder Steinbrück sich verplappert: 25 % Zinsen zahlt Griechenland mit Sicherheit nicht. Ich tippe auf ersteres.
Das wäre ungefähr der Zinssatz für Staatsanleihen den Griechenland zahlen müsste, wenn sie sich über den freien Finanzmarkt refinanzieren würden. Das tun sie natürlich nicht, da es einfach mal unmöglich ist, bei solchen Zinslasten einen Staat am Leben zu erhalten…..und da sie sich nicht über diesen freien Markt refinanzieren können, brauchen sie ja die Hilfspakete…..daher hätte es korrekterweise heißen müssen: "müsste Griechenland zahlen"….
Steinbrück als Kanzler, wäre wie Lady Gaga als Mutter Theresa. Mir wird übel, wenn ich nur daran denke.
Da hier an dem Thema doch wohl noch versprengtes Interesse besteht, ein Kommentar/LB der sich aber auf den OZ-Bericht zur peinlichen Veranstaltung bezieht: http://www.ostsee-zeitung.de/leserbriefe/index_ar…
Es fehlt dort u. a. der Hinweis auf abgeordnetenwatch.de, wo Steinbrück u.a. in seiner einmalig arroganten Art durch Nichtbeantwortung der Fragen glänzt.
Anm.: Seit mehr als 48h wartet hier mein erster Kommentar auf Freischaltung. Trotz Mail an die Redaktion, keine Reaktion! 🙁
Ist wohl ein toter Briefkasten?
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