Die Hanse- und Universitätsstadt Greifswald wird, wie bereits berichtet, vermutlich zum Herbst hin über die Annahme des von einer schweizerischen Beratungsagentur aktualisierten Leitbildentwurfs entscheiden. Danach soll endlich alles besser werden. Ein Kommentar.
Viele bunte Charts und noch viel mehr exotische Begriffe verwendeten die Vertreter der Prognos AG, als sie Pressevertretern den Entwurf für das neue Leitbild präsentierten. Mit stolzer Brust wurde der Prozess der Fortschreibung des Leitbildes bis ins kleinste Detail erklärt. Eine „Gap-Analyse“ wurde durchgeführt, mit Entscheidungsträgern diskutiert und eine Zielmatrix erstellt. Nach den Ausführungen der Prognos Vertreter hatte man gar die Vermutung, dass 60.000 Euro für diese Dienstleistung doch recht günstig zu sein scheint. Es wurde ja so viel geredet und schöne Präsentationsmappen erstellt. So ein Farbdruck ist ja auch mit hohen Kosten verbunden. Am erstaunlichsten aber ist, dass die Prognos Mitarbeiter während ihrer kurzen Aufenthalte so viel über unsere schöne Stadt gelernt haben. Michael Winter von Prognos hat jedenfalls gelernt, dass man nicht durch Greifswald fahren muss um nach Rügen zu kommen. Das ist doch auch mal eine Erkenntnis.
Immerhin hat man es geschafft, die Bürger der Stadt, die das Leitbild ja eigentlich repräsentieren soll, größtmöglich aus dem Leitbildprozess auszuschließen. Wie Oberbürgermeister Arthur König es bei einer Präsentation formulierte, wolle man weniger auf Quantität, als auf Qualität setzen. Und so war das Auswerten von Kurzfragebögen eine der wenigen Gelegenheiten, bei der sich Bürger wirklich einbringen konnten. Es gab zwar eine E-Mail Adresse, die extra von Prognos eingerichtet wurde um Vorschläge der Bürger zu sammeln, jedoch verkündete einer der Prognos Mitarbeiter mit einem breiten Grinsen, dass nur zwei E-Mails eingegangen seien. Und auch bei den Arbeitskreisen des Stadtmarketings haben sich kaum Bürger eingefunden, um sich an dem Entwurf zu beteiligen. Dass dies an der mangelnden Informationspolitik der Stadt und Prognos gelegen haben könnte, kommt hier keinem der Beteiligten in den Sinn.
Leitbild darf nicht hinter den Ofen gehangen werden
Überhaupt, so die Vertreter von Prognos, sei alles optimal verlaufen in Greifswald. In Köln hätten sich bei einem Leitbildaktualisierungsvorgang 2.000 Bürger beteiligt. Dadurch wurde alles verzögert und verteuert. Obwohl die Bürger in Greifswald mehr schlecht als recht in den Prozess der Aktualisierung eingebunden worden sind, sollen sie die von Prognos erarbeiteten Ziele zusammen mit der Stadt erreichen. Das wäre doch auch ein Zukunftsmodell auf Bundesebene. Wieso die Bürger überhaupt wählen lassen. Es findet sich sicher ein unabhängiges Schweizer Unternehmen, das uns die Entscheidungen abnimmt und für uns abstimmt.
Spaß beiseite: Die einzige Möglichkeit für die Stadt Greifswald bleibt jetzt, da das Geld verwurstet ist, nur noch das Leitbild dieses Mal nicht hinter den Ofen zu hängen, sondern es auch nach außen zu kommunizieren. Denn selbst der Universitätsrektor musste mit einem Lächeln bei der Auftaktveranstaltung anmerken, dass er noch nie davon gehört hatte. Er hatte es erst kurz vor der Veranstaltung zum ersten Mal gelesen. Und auch Prognos selbst stufte die Bedeutung einer Aktualisierung weiter herunter, indem bei der Auftaktveranstaltung Dr. Steben von Prognos die rhetorische Frage: „Brauchen wir ein neues Leitbild?“ Mit „Jein.“ beantwortete.
Eins wird uns beim Leitbildprozess sicherlich im Gedächtnis bleiben: Es hat, bis zum jetzigen Zeitpunkt, nicht mehr gekostet als geplant war. Und das alleine ist doch schon ein Erfolg. Und in zehn Jahren, wenn die Prognos dann alle Leitbilder in Deutschland einmal aktualisiert hat, fangen sie wieder in Greifswald an. Vielleicht kann man dann das mit dem Klimawandel wieder aus dem Leitbild streichen.
Denn: Jetzt mit dem neuen Leitbild, da wird einfach alles anders werden.
Fotos: Alexander Kendzia (webMoritz-Archiv)
Während der OB von Köln und die Prognos AG über die beeindruckende Beteiligung der Bevölkerung schwadroniert, ist es in Greifswald offensichtlich gerade umgekehrt richtig. Köln wird dadurch zur „Stadt der Wissenschaft“, Greifswald …? http://www.prognos.com/fileadmin/pdf/press/106856…
Zitat: „Nach den Ausführungen der Prognos AG Vertreter hatte man gar die Vermutung, dass 60.000€ für diese Dienstleistung doch recht günstig zu sein scheint.“ Günstig für wen, für die Prognos AG, die wohl weitestgehend ein Wiederverwendungsprojekt verkauft oder die Stadt, die sich ja noch dankbar zeigen muss, da die Prognos AG 2007 eine so positive Entwicklungsprognose für Greifswald erstellte?
Unter „Prognos Zukunftsatlas 2007
Sonderauswertung der Ergebnisse für die Universitäts- und Hansestadt Greifswald“ zu finden:
„… Deutliche Verbesserungen der Zukunftsfähigkeit ist weitgehend in ostdeutschen Regionen (Greifswald, Leipzig, Magdeburg, Eisenach) zu beobachten. Stabilisierung bzw. Trendumkehr bei rückläufigen Entwicklungen und neue Impulse (Ansiedlungen, Investitionen) haben Veränderungen ausgelöst. …“
Es wäre schön, wenn sich der Autor des Artikels nicht nur destruktiv mit dem an sich offenen Beteiligungsverfahren auseinandersetzen, sondern auch die Inhalte der Leitbilddiskussion reflektieren würde.
Ich würde es begrüßen, wenn dieser "aktualisierte Leitbildentwurf" nicht angenommen wird, damit die Prognos AG nicht darin bestätigt wird, dass ein Zettel mit einerseits Platitüden und andererseits Aussagen, die teilweise Grundschüler (ich denke da an den Satz zu Caspar David Friedrich), komplett aber jeder etwas länger hier lebenden Greifswalder mit ein bisschen Auffassungs- und Beobachtungsvermögen auch hätten schreiben können, 60.000 Euro wert wäre!