Die im rechtsextremen Spektrum bekannte Modemarke „Thor Steinar“ hat heute in der Greifswalder Bloggosphäre mal wieder für erheblichen Wirbel gesorgt. Fleischervorstadt-Blogger Jockel Schmidt fand heraus, dass der FDP-Landtagsabgeordnete Sebastian Ratjen in einer Kundendatei der Modemarke auftaucht. Unter den 54.400 Einträgen aus der Datenbank, die der Chaos Computer Club am vergangenen Wochenende veröffentlicht hatte, befinden sich laut Jockel Schmidt 87 Kunden mit Greifswalder Adresse – und eine davon ist die Sebastian Ratjens. Angegeben war jedoch nicht seine Privatadresse, sondern die Adresse seiner Zahnarztpraxis.
Es ist nicht das erste Mal, dass Ratjens Namen in Verbindung mit der Kleidermarke auftaucht. Im Sommer 2007 hatte Ratjen mit einer etwas unglücklich geführten Solidaritätskampagne für die Inhaberin eines Ladens, in dem Thor-Steinar-Produkte verkauft wurden, für Unruhe gesorgt. Damals hatte er angekündigt, sich aus Solidarität eine Jacke des Labels kaufen zu wollen. Außerdem hatte er vorgeschlagen, die Marke solle künftig auch von nicht-rechtsextremen Personengruppen getragen und so umgedeutet werden. Später hatte er sich von einigen seiner Aussagen wieder distanziert. Wer weitere Informationen zu den damaligen Vorgängen sucht, wird sowohl auf dem Fleischvorstadtblog, bei „Endstation Rechts“ als auch im übrigen Internet fündig.
Auch die Jacke hat er sich entgegen seiner Ankündigungen offenbar nicht gekauft: Gegenüber dem webMoritz erklärte Ratjen heute auf Nachfrage: „Ich habe nie etwas von Thor Steinar gekauft.“ Auch sei ihm nicht bekannt, dass ihm das Unternehmen jemals etwas zugesandt habe. Er habe sich allerdings auf der Website des Unternehmens über die Produkte informiert. Wie seine Daten in die Kartei kamen, kann er sich allerdings nicht erklären. Es gehe ihm da ähnlich wie den Opfern der Datenschutz-Skandale der vergangenen Monate, wie etwa bei der Telekom. Eine mögliche Erklärung für ihn sei, dass jemand anders oder gar das Unternehmen selbst seinen Namen in die Kartei eingetragen habe: „Immerhin hat die Geschichte damals bis in die FAZ Wellen geschlagen.“
Die Sache hatte ein Nachspiel
Hier wäre dieser Artikel eigentlich zu Ende – wenn die Sache in der Greifswalder Blog- und Twitter-Welt nicht hohe Wellen geschlagen hätte. Als erster reagierte heute Blogger Oliver Wunder („daburna“) mit einem Post auf den Artikel. Bei Sebastian Jabbusch hieß es via twitter dann schon: „Lokaler Politikskandal: MdL Sebastian Ratjen #FDP war Kunde bei rechter Marke Thor Steinar.“ Spätestens hier war die Faktenlage endgültig verfälscht: Denn Ratjen tauchte nur in einer Kundendatei, die dem Modelabel Thor Steinar zugeschrieben wird, auf. Mehr nicht.
Dann meldete sich die Greifswalder Ostsee-Zeitung zu Wort. Und zwar per Twitter. Dort hieß es am frühen Abend an die Adresse Jockel Schmidts: „Aus journalistischer Sicht ist mehr als bedenklich und unseriös, dass Ratjen in dem Beitrag nicht einmal selbst zu Wort kommt“. Jockel antwortete prompt und so entspann sich eine heftige Debatte. Jockel Schmidt rechtfertigte sich, dass er keineswegs Ratjen um eine Stellungnahme habe bitte müssen, überdies sei die OZ wohl nicht gerade dazu angetan, ihn über journalistische Pflichten zu belehren. „OZHGW“ schrieb hingegen, Jockel habe gegen den Pressekodex verstoßen. Das widerum rief eine Reihe von Protesten anderer Twitterer hervor. Schließlich entspann sich eine Debatte über die redaktionelle Qualität der hiesigen Ostsee-Zeitung, die zurzeit noch vollständig nachgelesen werden kann.
Dass es sich bei „OZHGW“ wohl weniger um eine offizielle Stellungnahme der Ostsee-Zeitung handelte als um private Tweets von OZ-Redakteur Benjamin Fischer, stellte sich erst nach und nach heraus. Dass er dennoch mehr oder weniger im Namen der Ostsee-Zeitung twitterte, scheint er entweder nicht verstanden oder billigend in Kauf genommen haben. In jedem Fall zeugt dieses Vorgehen nicht unbedingt von überragender Internet-Affinität. Im Übrigen forderte Fischer: „Der Webmoritz hätte das machen sollen. Hätte den in der Folgeberichterstattung bei uns auch gern zitiert, wie es sich gehört mit den Quellen.“ Das kann er jetzt ja machen…
* Update * 5.1.2010, 9:30: OZ löscht ihre Tweets
Inzwischen ist die Twitter-Debatte, die die Twitterer „OZ HGW“ und „blog17vier“ gestern Abend geführt hatten, zum Teil verschwunden: So gut wie alle zugehörigen Tweets zum Thema wurden von „OZ HGW“ inzwischen entfernt. Der webMoritz-Redaktion liegt die Debatte allerdings nach wie vor in voller Länge vor.
* Update * 5.1.2010, 14:45: Protokoll des Gesprächs zwischen „OZHGW“ und „blog17vier“
Da der Twitterer „OZHGW“ seine Gesprächsteile inzwishen wieder entfernt hat, haben wir aus einer Sicherungsdatei heraus eine chronologische Widergabe des Gesprächs erzeugt, die hier heruntergeladen werden kann. Leider ist darin nur der erste Gesprächsteil enthalten, der zweite Teil liegt uns entgegen unserer eigenen Annahmen derzeit nicht vor.
Bild: Gabriel Kords (Sebastian Ratjen), Twitter-Screenshot (OZ HGW)
Ich fand die Twitter Debatte heute sehr spannend. Hoffe die OZ nimmt in Zukunft Twitter mehr als bisher als "Kommunikations"-Medium wahr !
Kleine Richtigstellung zum Artikel: Ich hab nichts "verschärft", ich habe lediglich Jockel "retweetet": http://blog.oliver-gassner.de/archives/3438-Was-i…
"Der webMoritz-Redaktion liegt die Debatte allerdings nach wie vor in voller Länge vor."
Dann lasst mal hören 😉
das performen wir in einer szenischen lesung beim nächsten medienstammtisch….
http://www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1…
"Gleichzeitig gebe es Anfragen von CCC-Mitgliedern, wie es sich mit der Hackerethik vereinbaren lasse, Kundendaten zu veröffentlichen. "Das ist definitiv nicht gemäß unserer Ethik", sagt Sprecherin Constanze Kurz. Private Daten gehörten geschützt."
"Unter den 54.400 Einträgen aus der Datenbank, die der Chaos Computer Club am vergangenen Wochenende veröffentlicht hatte[…]" – das stimmt offensichtlich so nicht ganz. Jemand hat was von den Daten (soweit ich weiß einen Link, aber das soll nicht viel heißen) in ein CCC-Wiki geschrieben.
–> vgl. auch Hurtz-Kommentar
kann ich auch bestätigen. und aus dem wiki ist es schnell verschwunden und dort stand dann nur noch "thor steinar hacked". aber die daten sind dann durchs netz mäandert. der hack kam natürlich auch nicht vom ccc (club) sondern wurden auf dem ccc (congress) stibitzt.
Muss denn etwas gekauft werden, um auf der Liste zu landen oder reicht ein Newsletterabonnement?
Ansonsten sind ja nur noch eine Handvoll Greifswalder auf der Liste,da hätte ich mit mehr gerechnet 😉
die newsletter-abonnenten wird man sicher in der zweiten datenbank mit allen mailadressen finden. es sind 88 verschiedene greifswalderInnen auf der liste. mehrere doppelt bis vierfach. und die liste ist wie bereits geschrieben schon etwas älter. in einschlägigen rechten foren äußerten sich user sinngemäß folgendermaßen:
"bin drin, aber mit meiner alten adresse, die ich vor 2 jahren nutzte"
vor etwa 2 jahren fand ja auch diese größere TS-debatte in der greifswalder öffentlichkeit statt.
… und wo bleibt das dritte Update?