Herbstzeit ist Pilzzeit. Und Sonntag ist Pilzsammeltag, manchmal auch unfreiwillig, wenn am Samstag Abend beim Late-Night-Shopping das Fach mit den Kulturchampignons bereits von den umtriebigen Greifswalder Kulturhungrigen leergesammelt worden war. Wie ihr trotzdem nicht unter eurem knurrendem Magen leiden müsst, lest ihr hier.
Vorab der Hinweis, dass man auf keinen Fall Pilze essen sollte, bei denen man sich nicht absolut sicher ist, ob sie genießbar sind! Falls das doch einmal passieren und es euch anschließend schlecht gehen sollte, ist umgehend ärztlicher Rat einzuholen und/oder der Giftnotruf zu konsultieren (dann ist es gut, wenn man für die Bestimmung noch einen Rest der Pilze zur Hand hat). Damit es aber gar nicht erst so weit kommt, hat das Landesgesundheitsamt die Pilzberatung ins Leben gerufen, auf deren Angebote ich weiter unten noch näher eingehen werde. Hier werdet ihr von Fachkundigen in die faszinierende Welt der Pilze eingeführt, die so vielfältig ist, dass die Namen bald knapp wurden und einige der Arten so heißen, als wäre eine sehr wütende Person durch den Wald gelaufen und hätte wahllos mit kreativen Beleidigungen um sich geworfen: “Filziger Milchling, Klapperschwamm, Vorhautzieher und Ziegenlippe!” (sind das alles echte Pilznamen oder habe ich mir davon etwas ausgedacht? Auflösung unten.) Die Ziegenlippe zumindest gibt es tatsächlich und sie ist sogar in unserer Region zu finden. Und wo Ziegenlippen sind, können Böcke nicht weit sein. Allen voran der gemeine Holzbock, die häufigste Zeckenart in Deutschland, die in bis zu 30% der Fälle den Erreger der Lyme-Borreliose in sich trägt. Schützt euch also so gut wie möglich, außer ihr habt Bock auf Antibiotika-Schlucken. (Während ich das hier schreibe, jucken mich zwei Zeckenbisse vom vergangenen Wochenende.)
So, sind jetzt alle ausreichend desillusioniert und mit Zeckenschutz eingesprüht? Dann kann es wohl losgehen:
Ihr habt ein paar Leute gefragt, ob sie Lust haben mitzukommen, stattdessen wegen des „regnerischen Wetters“ zunächst einen Korb (das It-Piece der Pilzsaison, unbedingt mitnehmen!) bekommen, dann aber doch jemanden zum Mitkommen überreden können und jetzt geht es ab aufs Rad! Aber wohin eigentlich? Pilze wachsen im Wald, so weit so gut, aber wo genau denn? Und was wollt ihr überhaupt sammeln? Grundsätzlich gilt erfreulicherweise, dass in praktisch allen Wäldern in der Greifswalder Umgebung auch Speisepilze wachsen. Wer trotzdem nicht auf gut Glück losziehen möchte, kann ganz klassisch zu einem Pilzatlanten greifen oder sich wie ich eine der diversen Pilzbestimmungs-Apps herunterladen. Ich habe mich für die „Pilze App“ aus dem Play-Store entschieden und inzwischen auch die Vollversion erworben (3,99 €). Die Anwendung bietet unter anderem eine Funktion, mit der man sich anzeigen lassen kann, welche Pilze zuletzt in der Umgebung gefunden wurden. Südlich von Greifswald waren das zum Beispiel Steinpilze und Gold-Röhrlinge. Die App beinhaltet außerdem einen “Pilzführer”, in dem aktuell 212 Arten aufgeführt sind. Mit diesem geballten Wissen seid ihr jetzt also wirklich gewappnet und fahrt los in den Wald eurer Wahl. Bei mir war das in letzter Zeit Ludwigsburg, weil man das Pilzesammeln so mit einem Strandspaziergang verbinden kann. Im nachfolgenden GIF seht ihr übrigens einen regionaltypischen Lubminer (Atom-)Pilz, der für den Geschmack der Allgemeinheit allerdings eher ungenießbar ist (überspitzte Darstellung):
Wenn ihr im Wald angekommen seid, wird es Zeit, den Spruch vom Facebook-Titelbild eurer verrückten Großtante in die Tat umzusetzen und die ausgetretenen Pfade zu verlassen, um die Pilzreviere zu finden. Bei klassischem Herbstwetter solltet ihr dann bereits nach einigen Metern vielerorts Pilze finden können. Falls nicht, verliert trotzdem nicht den Mut und sucht einfach weiter, irgendwann findet ihr sie! Wenn man dann vor dem ersten Pilz steht, merkt man, dass man absolut keine Ahnung hat. Irgendwie sieht der ja schön aus und lecker auch, außerdem duftet er gut. Also muss er giftig sein, oder? Grundsätzlich ist für Laien die Faustregel hilfreich, sich an Röhrenpilzen (und nicht an Lamellenpilzen) zu orientieren. Ein großer Teil der Röhrenpilze ist essbar. Aber wir sind ja nicht unvorbereitet gekommen und haben moderne Technik zur Hand. Die Bestimmung in meiner App kann über zwei verschiedene Wege durchgeführt werden. Die erste Option ist die manuelle Eingrenzung. Dafür muss ich den Fruchtkörper beschreiben, die Umgebung in der ich mich befinde, die Größe des Pilzes und das Aussehen des Hymenophor (Sporengebers). Meist bleiben dann etwa 5 bis 10 Pilzarten übrig. Schon mal ein großer Fortschritt gegenüber 212, aber auch mit relativ viel Arbeit verbunden. Also lieber Option 2, die App erkennt den Pilz mithilfe der Kamera automatisch. Sobald die Analyse fertig ist, schallt aus dem Handy ein “Hallelujah!” im Chor durch die Bäume. Naja, wie man in den Wald hineinruft… Aber was bedeutet das jetzt? Lustigerweise: Überhaupt nichts. Auch wenn ihr gerade einen Fliegenpilz gescannt habt, habt ihr den Engelschor geweckt. Will er euch etwa zu sich rufen? Also lieber Ton aus und die Waldeinsamkeit fernab der Greifswalder Bluetooth-Boxen genießen. Auch in der automatischen Analyse werden euch meist etwa 5 Arten vorgeschlagen. Letztlich läuft es also erneut auf das eigene Auge hinaus, aber wenn die App bei einem Pilz nur essbare Optionen vorschlägt, hatte ich bisher auch noch keinen giftigen dabei. Wenn ihr glaubt, einen Pilz erkannt zu haben, könnt ihr ihn in der App im „Pilztagebuch“ markieren. Und wenn ihr euch dann so sicher seid oder er euch einfach so gut gefällt, dass ihr ihn mitnehmen wollt, solltet ihr versuchen, ihn möglichst schonend zu lösen. Am besten gelingt das mit einem Messer. Ohne Messer dreht man ihn am Stiel heraus, auf diese Weise kann der Pilz wieder nachwachsen.
Eure gesammelte Beute solltet ihr in einem Korb transportieren. Das sieht nicht nur sehr romantisch aus, sondern verhindert durch die gute Belüftung auch, dass sie matschig oder gar schimmelig (hmm, lecker, Pilz mit extra Pilz!) wird.
Wenn der Korb immer voller und der Magen gleichzeitig leerer wird, kommt irgendwann der Punkt, an dem die Stimmung umschlägt und man sich wieder auf den Heimweg macht. Die Entscheidung, ob die Pilze im Topf, der Pfanne, im Backofen, auf dem Grill oder eben doch im Müll (weil ungenießbar) landen, sollte man allerdings wie oben beschrieben auf keinen Fall dem knurrenden Bauch überlassen. Deshalb sollte für Laien den Abschluss eines erfolgreichen Sammeltages immer der Besuch bei der Pilzberatung bilden. Mecklenburg-Vorpommern ist das einzige Bundesland, das eine gesetzlich geregelte Pilzberatung mit amtlichen Lehrgängen ins Leben gerufen hat, und entsprechend gut ausgebaut ist die Beratungsstruktur hier erfreulicherweise auch. In Greifswald bieten Ehrenamtliche jeden Samstag und Sonntag im Oktober von 16-17 Uhr im Pavillon direkt rechts am Eingang des Arboretums eine fachkundige Beratung an. Hier erfahrt ihr von Expert*innen, was ihr gesammelt habt und dabei werden euch oft genug Überraschungen (auch im positiven Sinne!) erwarten. Außerdem erzählen euch die Berater*innen gerne mehr über eure Funde und geben Tipps für die Bestimmung und auch für die Pilzsuche selbst. Und wenn ihr einmal unter der Woche Heißhunger auf frische Pilze entwickeln solltet, stehen euch in Greifswald drei zusätzliche Pilzberater*innen nach telefonischer Absprache mit fachkundigem Rat zur Seite. Die Liste mit den Kontaktdaten und weitere Informationen zur Pilzberatung in Mecklenburg-Vorpommern findet ihr hier. Nach dem Besuch bei der Pilzberatung fühlt man sich meistens (weil im Vergleich zu den Expert*innen) noch unwissender als vorher und ist vielleicht auch ein bisschen traurig, eventuell einen Teil der Pilze wegwerfen zu müssen, hat aber viel Neues gelernt und kann sich nun auf eine bekömmliche und leckere selbst gesammelte Mahlzeit freuen! In diesem Sinne:
Viel Spaß beim Sammeln und guten Appetit!
Auflösung: Die oben erwähnten Pilzsorten gibt es tatsächlich alle und noch viele weitere mit ebenso schönen Namen, von denen Ulrich Roski (selbst mit 70er Pilz auf dem Kopf) einige in seinem Lied „Des Pudels Kern“ humorvoll besingt.
Titelbild: adege auf Pixabay
Beitragsbilder: Lilli Lipka und Philipp Schweikhard
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