An vier Städten in Mecklenburg-Vorpommern haben sich heute vor allem Lehrer*innen und Eltern versammelt, um auf die finanziellen Missstände in unserem Bildungssystem aufmerksam zu machen. Bei der Demonstration, die in Greifswald um 13 Uhr am Museumshafen beginnt, ist moritz. für euch live dabei.

13:00

Die Demonstration für Investitionen in die Bildung findet heute nicht nur in Greifswald, sondern auch in Schwerin, Rostock und Neubrandenburg statt. Dort begann sie allerdings schon früher – in Schwerin um 10:30 Uhr, in Rostock um 12 Uhr. Neubrandenburg ist sogar schon seit 10 Uhr mit dabei. In Greifswald wollte man wohl lieber lange frühstücken.

Viele der Anwesenden sind ehemalige Lehramtsstudierende. Tatsächlich wird die Zahl der anwesenden Lehrer*innen auf etwa 90 % geschätzt, die Studierendenschaft ist kaum vertreten. Auch AStA und StuPa scheinen sich bisher – bis auf wenige Ausnahmen – eher symbolisch als physisch mit der Demonstration zu solidarisieren.

Die Demonstrierenden warten noch auf den Kreiselternratsvorsitzenden, dann soll es offiziell losgehen. In der Zwischenzeit werden die Ärzte gespielt und Trillerpfeifen verteilt. Die Route der Demo wird vom Museumshafen aus über die Brücke zum Hansering (rechte Straßenseite) verlaufen, dann über Mühlentor, Schuhagen und die Lange Straße zum Fischmarkt.

13:12

Erik von Malottki (Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft MV und Greifswalder Bürgerschaftsmitglied) eröffnet die Demo. Das Ziel: die größte Demo in MV zu werden. Der Leitspruch der Demonstration: „Wir befürchten, dass die Bildung baden geht.“ Ein Mann mit Regenschirm teilt diese Ansicht und opfert sich symbolisch für die Bildung MVs.

Die Bildung geht baden

13:20

Die Polizei geht in Greifswald von rund 360 Teilnehmenden aus, die schon selber laufen können. Kinder, die geschoben oder getragen werden, sind dabei nicht miteinberechnet. Erik von Malottki betont noch einmal die Ziele des Streiks. Der Mangel an Lehrkräften führt auch vermehrt zu Unterrichtsausfall, was die Demonstration umso wichtiger macht. Der Zug hat mittlerweile den Fangenturm erreicht. Der StuPa Präsident sorgt dabei für gute Musik, er hat auch die Playlist zusammengestellt. Nach Pink Floyd folgt jetzt „Hurra Hurra die Schule brennt“. Ein Lob für den Musikgeschmack!

Während der Zug an der Loefflerstraße kurz zum Stoppen kommt, ein paar Informationen zur Demo: „Bildung für alle statt Zukunft für wenige“ ist das übergeordnete Motto der Bewegung. Gestreikt wird für den Erhalt der Mittel im Bildungsetat und für zusätzliche finanzielle Förderung. Das und die Beendigung der befristeten Arbeitsstellen soll zukünftig dem immer größer werdenden Personalmangel entgegenwirken. Auch unsere Uni ist von diesen Kürzungen und Befristungen der Arbeitsplätze betroffen. Das StuPa und der AStA haben sich daher beide für den Bildungsstreik ausgesprochen.

13:30

Die jüngeren Anwesenden beginnen den FFF-Slogan zu skandieren, doch er scheint sich nicht so ganz auf die älteren Teilnehmenden übertragen zu wollen. Außerdem ist es insgesamt auf der Demo wesentlich lauter als auf dem Klimastreik (wenn ihr noch einmal nachlesen wollt, wie der internationale Streik fürs Klima vor einem guten Monat in Greifswald ablief, hier geht es zum Ticker: https://webmoritz.de/2019/09/20/allefuersklima/). Ein weiterer Unterschied zu FFF: die vorbeifahrenden Autos signalisieren ihre Solidarität mit Hupen und Gestiken. Bildung scheint wohl wichtiger zu sein als Klimaschutz. Wir sind trotzdem dankbar.

Der Landesschüler*innenrat hat zu allen vier Demonstrationen Vertreter*innen geschickt. moritz. kommt kurz mit ein paar der Schüler*innen ins Gespräch. Sie sind froh, dass die Demo am Samstag stattfindet, erklären sie. So können sie wenigstens nicht einfach nur wieder als Schulschwänzer*innen abgestempelt werden. Außerdem betonen sie, dass für sie alle Forderungen relevant sind, besonders wollen sie sich aber gegen den Personalmangel und den Unterrichtsausfall einsetzen, da sie unter diesen am meisten leiden.

Der Zug hat mittlerweile die Europakreuzung erreicht. Auch Passierende werden aufgefordert, sich der Demo anzuschließen. Die Veranstalter*innen sprechen mittlerweile von über 500 Teilnehmenden.

„Money, money, money, must be funny in the rich man’s world.
Money, money, money, always sunny in the rich man’s world.“

13:40

Nachdem der Demozug durch die Fußgängerzone marschiert ist, vorbei an irritierten Passierenden und sich die Ohren zuhaltenden Cafébesucher*innen, wurde nun der Fischmarkt erreicht. Hier wurde sogar eine kleine Bühne aufgebaut, inklusive einer beistehenden Hüpfburg.

Die Regionalvorsitzende der GEW eröffnet die Kundgebung. „Wir sind hier, weil wir jetzt mehr Geld für Bildung fordern.“ Auch Milos Rodatos meldet sich zu Wort. Er erwähnt, dass wir womöglich die lauteste Demo im Land sind. (Ein Hoch auf Greifswald!). Nach Milos treten zwei Schüler*innen des Jahngymnasiums nach vorne, beide Mitglieder im Jugendausschuss in Greifswald, und stellen die Arbeit des Jugendausschusses vor. Sie sprechen im Namen von „besorgten Schülern“ und berichten über ihren Schulalltag und täglich ausgehängte, dreiseitige Vertretungspläne. Außerdem fehlt es an Weiterbildungsmaßnahmen im Themenbereich Digitalisierung und Medienbildung für die Lehrkräfte. Die beiden Schüler*innen geben das Mikro weiter an den Vorsitzenden des Kreiselternrates, Mario Riedel, und bekunden: „Wir verabschieden uns jetzt. Aber das Ziel bleibt bestehen!“

Mario Riedel fordert, dass die Förderschulen im Landkreis erhalten bleiben sollen. Anlass zu dieser Forderung bietet die erst kürzliche Schließung der Schule „Am Park“ Behrenhoff. Auch kleinere Grundschulen sollen nicht vergessen sondern bestmöglich gestärkt werden.

Als nächstes tritt der Kreisschülerrat nach vorne. Auch der Landesschülerrat ist heute in Greifswald anwesend. Die Forderungen sind immer wieder die gleichen: Mehr Geld für die Bildung. Sicherung der Zukunft. Schule muss attraktiver gestaltet werden. Digitalisierung bedeutet nicht iPads für jeden, sondern Breitbandausbau, Kompetenzausbau und Fortbildungen. Daneben fordert der Kreisschülerrat auch Zuschüsse für schülerpolitische Tätigkeiten.

„Denn Bildung beginnt nicht in der Schule und endet auch nicht dort.“

14:00

Jetzt tritt Julia Köpke nach vorn. Sie ist Grundschullehrerin auf Rügen, wo sie als Klassenlehrerin eingebunden ist. Nebenbei wohnt sie auch zwei Tage die Woche dem Personalrat in Greifswald bei. Sie erzählt von ihren Erfahrungen, über ihr Studium und über die Predigt vom „Team Teaching“ im Bereich Inklusion. Da sie immer zwei Tage die Woche in Greifswald unterwegs ist, muss in dieser Zeit eine Ersatzlehrerin die Verantwortung für ihre Klasse übernehmen, eine Quereinsteigerin, deren Mentorin Julia Köpke ist. Das Versprechen aus dem Studium, dass immer ein*e Sonderpädagog*in dabei ist, hat sich insofern nicht bestätigt, als dass diese*r neben ihrer auch noch 8 andere Klassen betreut. Julia Köpke steht heute hier, um für bessere Bildungsbedingungen zu demonstrieren, damit sie allen Schüler*innen die gleiche Bildung ermöglichen kann.

Als nächstes tritt Felix Willer (StuPa Präsi) nach vorne. Er spricht über die Aussagen der Bildungsministerin, das Studium des Grundschullehramts auch nach Greifswald zu holen. Dafür dürfen aber keine anderen Studiengänge in Mitleidenschaft gezogen werden. Er betont außerdem, dass es nicht nur mehr Geld braucht, sondern dass vor allem in Bundesländern wie MV die ländlichen Regionen für Lehrkräfte attraktiver gestaltet werden müssen, um der voranschreitenden Abwanderung entgegenzuwirken.

Erik von Malottki (GEW, Bürgerschaftsmitglied) übernimmt. „Es ist etwas faul in der Bildung im Staate MV.“ Er betont vor allem die Wichtigkeit von Investitionen in den Bildungssektor. Das fängt im Hochschulbereich an, beinhaltet ein Vorgehen gegen die Stellenstreichung im Lehramt, gegen unsichere Arbeitsverhältnisse. Die GEW fordert daher ein Ende der Einsparungen und Befristungen.

Auch die Studienbedingungen werden thematisiert. Das Lehramtsstudium ist zu praxisfern, auch das System rund ums Referendariat muss verbessert werden. Es wird eine Übernahmegarantie für Lehramtsstudierende ins Ref. gefordert, sowie eine insgesamt bessere Organisation des Referendariats.

Lösungsmöglichkeiten des Personalmangelproblems gibt es viele. Es müssen mehr Leute ausgebildet werden und zwar gut ausgebildet. Die Arbeitsbedingungen an den Schulen in MV müssen verbessert werden, um der Abwanderung Einhalt zu gebieten. Die Bedingungen müssen ganz einfach so attraktiv werden, dass mehr Fachkräfte in MV bleiben wollen. Gleichzeitig muss aber auch darauf geachtet werden, dass das Personal nicht mehr in Teilzeit gehen muss, um guten Unterricht zu geben. Daher wird gefordert: kleinere Klassen, weniger Stunden, um bessere Vorbereitung zu gewährleisten, Förderung der Schulsozialarbeit. Das gesamte Geld, das zurzeit im Bildungsbereich ist, soll auch dort bleiben und nicht weiter gekürzt werden.

Die Alternative wäre eine Dystopie – ein Schulunterricht, der nicht weiter abgedeckt werden kann und Schüler*innen, die nach Hause geschickt werden müssen. Am Ende bedeutet das unweigerlich auch eine Gefährdung der Schulabschlüsse.

„Wer gute Bildung will, der muss den Personalschlüssel in der Kita endlich senken!“ Denn auch das wird noch einmal betont: die Kita gehört mit zur Bildung. Bereits hier muss angefangen werden, um die Sicherung des Bildungssystems zu garantieren.

Zum Schluss seiner Rede bittet Erik von Malottki noch einmal darum, die Petition zu unterschreiben. Nach ihm tritt nun Nils Kleemann, der Schulleiter der Greifswalder Montessori-Schule auf die Bühne. Er betont seine Angst um die Zukunft des Bildungssystems in MV. Aus internen Dokumenten ergibt sich, dass das Land auch weiterhin Einsparungen im Bildungsbereich plant. Den Schulen aber steht das Wasser bereits bis zum Hals. Er selbst kämpft gerade stark dafür, seine eigene Schule zu retten. Aber es muss auch ein globales Konzept entwickelt werden, um die Bildung zu sichern.

Cornelia Mannewitz (Vorstandsbereich Hochschule und Forschung der GEW) übernimmt. Sie redet über die Lehramtsausbildung und macht auf die prekären und befristeten Arbeitsbedingungen der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen aufmerksam. An den Hochschulen müssten mehr Stellen geschaffen werden und vor allem, mehr unbefristete. Im Hochschulpakt braucht es bessere Zusagen für die Entfristung und Verstetigung von Stellen.

Werner Kipp, seit 10 Jahren Lehrer im „Unruhestand“ und vorher 30 Jahre im Lehrerberuf tätig, tritt nach vorne. Er freut sich, dass nicht nur am Freitag sondern jetzt auch am Samstag etwas für die Zukunft getan werden kann. In seiner Rede erwähnt er auch Greta Thunberg und kommt so schnell zum skandinavischen Schulsystem. Hier, im schwedischen und finnländischen Raum, funktioniert die Organisation, auf die Schüler*innen in einer einzigen Klasse kommen zum Teil sogar bis zu sechs Lehrkräfte. Warum also nicht auch hier?

Auch Milos Rodatos meldet sich noch einmal zu Wort. Er erklärt, wie wichtig es ist, dass so viele Leute heute hier zusammengekommen sind. Heute konnte gezeigt werden, dass die Stimmen für mehr Bildungsförderung nicht nur wenige sind, und das soll auch bis nach Schwerin vordringen.

Milos schließt die Kundgebung. Symbolisch werden nun Sparschweine zerstört, um Schwerin zu zeigen, was gemacht werden muss. Es gibt Musik und Plakate werden gemalt.

Erik von Malottki sagt noch mal, dass er sich freut, dass mehr als 600 Leute bei diesem super Wetter dabei waren! Auch in Rostock sollen es 600 Demonstrierende gewesen sein, in Schwerin 400 und in Neubrandenburg um die 300 Teilnehmende. Erik äußert zum Schluss noch den Wunsch, dass an der Uni Greifswald die naturwissenschaftlichen Lehramtsstudiengänge wiedereröffnet werden und dass mehr Geld in Bildung investiert wird.

14:40

Damit endet nach guten anderthalb Stunden als letztes auch der Bildungsstreik in Greifswald. Die moritz.familie drückt die Daumen, dass Regenschirmbaden und Geldschweinzerstörung in Schwerin auf fruchtbaren Boden treffen werden!

Beitragsbild: Aaron Burden auf Unsplash
Fotos: Leonie Lorenz, Veronika Wehner, Ben Lefebvre, Lukas Thiel