Vor kurzem haben wir über Facebook einen Link zu einer Umfrage verbreitet, in der wir euch anonym gefragt haben, ob ihr euch nur mit purer Ehrlichkeit und harter Arbeit durch das Studium befördert, oder ob ihr euch von Zeit zu Zeit doch mit dem einen oder anderen Trick zu helfen wisst. Dieser Artikel offenbart die Ergebnisse.
Mal Hand auf’s Herz, wer hat es nicht schon irgendwann einmal getan? In der Schule waren es wahrscheinlich die Zettelchen in der Hosentasche, die während der Klausur nicht dort blieben. In der Uni möglicherweise die Hausarbeit mit kopierten Textstellen, die als die eigenen „verkauft“ wurden. Die wenigsten von uns sind frei von aller Schuld, möchte man behaupten – das zeigen auch die Zahlen der FAIRUSE-Studie (weiter unten).
Zu Schulzeiten waren die besten Pfusch-Tricks ein heißes Thema. Hoch im Kurs waren mit Sicherheit die guten alten Spickzettel, ob sie nun in der Hosentasche, im Mäppchen oder im Ärmel des Pullovers aufbewahrt wurden. Derjenige ohne chronologisches Gedächtnis beschriftete die eigene Haut mit Jahreszahlen und Daten für den nächsten Geschichtstest. Die Mathematik-Niete schnappte sich den Taschenrechner und klebte die unmenschlich komplizierten Formeln einfach dort hinein. Zu den etwas perfideren Methoden gehörten unter anderem das Präparieren des Kleingedruckten auf Getränkeflaschen oder etwa der schon zuvor mit Bleistiftnotizen versehene Klausurbogen. Viel spannender noch ist jedoch die Frage, wie es in der Uni ums Schummeln, Spicken und Abschreiben steht. Schließlich konnte sich hier jeder seinen Stärken gerecht das eigene Fach aussuchen.
Grund genug, sich einmal näher mit dem Thema zu beschäftigen. 2012 wurde die sogenannte FAIRUSE-Studie, in Auftrag gegeben vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und ausgeführt durch die Universitäten Bielefeld und Würzburg, veröffentlicht. Sie ist bisher die erste und einzige ihrer Art. Drei Jahre lang untersuchten Forscher darin Themen rund ums Schummeln an Hochschulen. Anonym befragten sie mehrere tausend Studenten sowie 1.400 Dozenten. Kernziel der Studie sei laut BMBF „studentische Betrugsversuche wie Plagiate, Abschreiben in Klausuren und die Verwendung unerlaubter Hilfsmittel theoretisch und empirisch fundiert zu analysieren […]“. Einige der Erkenntnisse, die die Studie liefert, wurden im Die Zeit Campus September/Oktoberheft 2012 veröffentlicht. Hier einige Fakten:
Greifswalder Ergebnisse
So weit, so gut. Welche Ergebnisse aber lieferte die Umfrage unter den Greifswalder Studierenden? Im Zeitraum von einer Woche haben insgesamt 96* von ihnen den Fragebogen vollständig ausgefüllt, darunter 58 Studentinnen und 38 ihrer männlichen Kommilitonen. Von den 96 Teilnehmer*Innen studieren 23 an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen (MathNat), 7 an der Medizinischen, 13 an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen (RSF) und mit 52 Befragten der Löwenanteil an der Philosophischen Fakultät (PhilFak). Besonders häufig haben Germanisten den Fragebogen ausgefüllt – insgesamt 13 an der Zahl. Von der Theologischen Fakultät stammt nur ein Teilnehmer. Dieser wird – wie alle unvollständig ausgefüllten Fragebögen – im Folgenden nicht näher beleuchtet.
Die wichtigsten Zahlen im Überblick
- Knapp 18 Prozent der Teilnehmer*Innen geben an, dass sie sich schon einmal haben krankschreiben lassen, um Prüfungen zu verschieben. Die meisten (41 Prozent) von ihnen geben einen zeitintensiven Nebenjob als Grund für die mangelnde Prüfungsvorbereitung an.
- Fast 44 Prozent haben in der Uni schon mindestens einmal geschummelt, gespickt, abgeschrieben oder plagiiert. 95 Prozent davon haben in einer Klausur Spickzettel oder ähnliche Hilfsmittel verwendet.
- 56 Prozent haben sich demzufolge bisher nichts zu Schulden kommen lassen. Die Gründe dafür sind zu etwa jeweils einem Drittel moralische Bedenken, die Angst vor dem erwischt Werden und fehlender Bedarf zum Schummeln.
- Der häufigste Grund (38 Prozent) für die Pfuscherei war Unlust zum Lernen beziehungsweise dessen Aufschieben, gefolgt von zu dicht aufeinanderfolgenden Prüfungen (31 Prozent).
- Nur 54 Prozent der Befragten geben an, dass die Klausuraufsicht ihnen das Schummeln wirklich erschwert.
- 57 Prozent haben oder hätten beim Schummeln ein schlechtes Gewissen, 43 Prozent sehen das nicht so eng.
Im Vergleich zur FAIRUSE-Studie geben die Greifswalder Befragten also an, seltener zu schummeln. Inwiefern die Umfrage, bei der nur ungefähr 0,83 Prozent der Greifswalder Studierenden teilgenommen haben, mit der Studie verglichen werden kann, ist jedoch eine andere Frage.
Unterschiede zwischen den Geschlechtern
In unserer Umfrage haben etwa 24 Prozent der Teilnehmerinnen angegeben, sich schon einmal ein Attest vom Arzt besorgt zu haben, um eine Prüfung zu verschieben. Von den männlichen Befragten haben nur 8 Prozent entsprechende Angaben gemacht. Beim Thema Schummeln liegen die männlichen Teilnehmer vorne: Knapp die Hälfte räumt ein, sich diesbezüglich schuldig gemacht zu haben. Dem gegenüber stehen 41 Prozent der weiblichen Interviewten. Bei der Art des Schummelns sind sich beide Geschlechter einig: Es überwiegt jeweils das klassische Abschreiben beziehungsweise das Nutzen von Spickzetteln, Handys oder anderen Hilfsmitteln während einer Klausur. Zitate unkenntlich rezitiert haben mehr Männer. Dafür gaben Frauen öfter an, Messwerte oder andere Daten gefälscht zu haben. Der Grund für die Pfuscherei war bei beiden Geschlechtern vor allem das lange Aufschieben des Lernens aufgrund mangelnder Lust zum Büffeln. Auch dass die Prüfungen zu dicht aufeinander folgen, scheint ein Auslöser zu sein, insbesondere bei den Herren. Frauen scheinen dagegen häufiger mit starker Prüfungsangst oder gar Prokrastination zu kämpfen zu haben, was die Ergebnisse der FAIRUSE-Studie bestätigt.
Wer nicht geschummelt hat und männlich war, gab als Hauptgrund moralische Bedenken an, gefolgt von „kein Bedarf“. Frauen haben sich vor allem „nicht getraut“ zu pfuschen. Die moralischen Bedenken stehen hier auf Platz zwei. Einen großen Geschlechterunterschied gibt es schließlich beim schlechten Gewissen: 65 Prozent der weiblichen, aber nur 45 Prozent der männlichen Befragten haben oder hätten nach dem Schummeln Gewissensbisse.
Unterschiede zwischen den Fakultäten
Vorreiter bei der Krankschreibung sind in unserer Umfrage mit 29 Prozent ausgerechnet die Mediziner. Das passt übrigens überhaupt nicht zu den Resultaten der FAIRUSE-Studie, die herausgefunden hatte, dass Medizinstudierende sich besonders selten krankschreiben lassen, um Prüfungstermine zu verschieben. Mit 21 Prozent greifen die Studierenden der PhilFak am zweithäufigsten zum Attest, gefolgt von der RSF (15 Prozent) und der MathNat (9 Prozent). Wer sich nicht krankfeiert, greift scheinbar häufiger zu anderen Mitteln. Knapp zwei Drittel der befragten MathNat-Studierenden gaben an, während ihres Studiums schon mindestens einmal geschummelt zu haben, gefolgt von den RSF- (54 Prozent), den Human- und Zahnmedizin- (43 Prozent) und den PhilFak-Studierenden (33 Prozent). Auch die FAIRUSE-Studie war zu der Erkenntnis gekommen, dass nicht die „klassischen Karrierefächer Jura und BWL“, sondern vor allem Naturwissenschaftler, wie beispielsweise Ingenieure, oft schummeln, in erster Linie plagiieren. Dass Mediziner mit 70 Prozent die Meister im Abschreiben sind, hat sich – lässt man die viel geringere Teilnehmerzahl in der webmoritz.-Umfrage außer Betracht – augenfällig jedoch nicht bestätigt. Ursächlich für das Schummeln scheinen an der MathNat hauptsächlich zu dicht beieinander liegende Prüfungstermine (47 Prozent) zu sein, die eine ordnungsgemäße Vorbereitung auf die einzelnen Klausuren erschweren. An der RSF sind mangelnde Lust zum Lernen und Prokrastination die Ausschlaggeber (jeweils 43 Prozent). Auch an der PhilFak scheint das Aufschieben der Lernerei das Hauptproblem zu sein (29 Prozent).
Die Maßnahmen seitens der Dozenten zur Verhütung von Täuschungsversuchen unterscheiden sich an den verschiedenen Fakultäten deutlich, schenkt man den Antworten der teilgenommenen Studierenden Glauben. Scheint ja auch stichhaltig zu sein, wenn man beispielsweise bedenkt, dass Studierende der Medizin oder Naturwissenschaften nur selten bis gar nicht dazu aufgefordert sind, Hausarbeiten zu verfassen und RSF- wie PhilFak-Studierende wohl recht selten in Verlegenheit kommen, die eigenen Messwerte zu verfälschen, um beispielsweise schönere Diagramme zu erhalten. Dass Dozenten etwa Hausarbeiten mithilfe von Plagiatssoftware auf „geklaute“ Zitate untersuchen, oder dies zumindest behaupten, haben demzufolge vor allem Studierende der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften (77 Prozent), gefolgt von Studierenden der musischen Fächer (62 Prozent) und denen der Medizin (43 Prozent) angegeben. Das Schlusslicht bilden mit 22 Prozent hier die Naturwissenschaftler. Nicht, dass es in den Naturwissenschaften nicht die Möglichkeit zum Plagiat gäbe, aber wenn es kaum etwas zu zitieren gibt, wie soll man da à la zu Guttenberg ganze Arbeiten kopieren? Dafür scheinen die Dozenten der MathNat verstärkter für ausreichend Klausuraufsicht zu sorgen: Fast vier Fünftel der Naturwissenschaftler gaben an, dass die Klausuraufseher das Abschreiben deutlich erschweren, was bei den oftmals ausgeteilten Multiple Choice-Klausuren durchaus Sinn macht. Auch die Dozenten der Rechts- und Staatswissenschaften scheinen ein strenges Aufpassregiment zu führen. Mehr als zwei Drittel ihrer Studierenden empfinden es als zu auffällig zum Sitznachbarn hinüber zu schielen. An der PhilFak und bei den angehenden Ärzten scheint die Klausuraufsicht weniger wachsam zu sein. In beiden Fällen gaben nur etwa zwei Fünftel an, die Prüfungsaufsicht als wirkliche Abschreibhürde zu sehen. Dafür gab ein Mediziner an, die Klausur eigenhändig unterschreiben und sich vor der Prüfung ausweisen zu müssen. Trotzdem ist es vielleicht noch etwas erschreckend, dass mehr als zehn Prozent der Umfrageteilnehmer behaupten, ihre Dozenten würden keinerlei Maßnahmen zur Prävention von Täuschungsversuchen betreiben. Übrigens haben zwei der 96 Teilnehmer eingeräumt, schon einmal an Stelle einer anderen Person zu einer Prüfung angetreten zu sein. Beide sind nicht erwischt worden.
Natürlich sollte man nicht vergessen, dass trotz alldem über die Hälfte der Teilnehmer im Fragebogen angegeben hat, während des Studiums noch nicht geschummelt zu haben. An der PhilFak scheint man sich oftmals nicht zu trauen (40 Prozent), an der RSF stehen die sittlichen Prinzipien im Vordergrund (50 Prozent) und an der MatNath ist es eine Mischung aus beidem (jeweils knapp 38 Prozent).
Last but not least, die moralischen Querelen. Am stärksten geplagt von einem schlechten Gewissen beim Schummeln sind nach eigenen Angaben mit 63 Prozent die Studierenden der Philosophischen Fakultät, mit einem Prozentpunkt weniger dicht gefolgt von den Juristen und Wirtschaftswissenschaftlern. Ähnlich weit auf liegen mit 57 Prozent die Mediziner. Von den Studierenden der Naturwissenschaften und der Mathematik gaben nur knapp 40 Prozent an, nach einem Täuschungsversuch unter Schuldgefühlen zu leiden.
* entspricht etwa 0,83 Prozent der Studierenden der Universität Greifswald
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